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Der
Wiener Kongress v9rhandelt_äner die Rechte der Juden
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Der V/ioner Kon^oss war die erste Tagung von Staatsmännern, "bei der
das Schicksal der Juden zum Gegenstande einer zwischenstaatlichen Aus-
sprache gemacht wurde. Hier sind aber auch zum erstenmal offizielle
Vortreter der Judensohaft vor einem internationalen Forum erschienen,
lim die Sache der Juden zu vertreten. Sie kamen freilich als Bittsteller,
nicht als vom Kongress zugelassene Deputierte und nicht als Wortführer
der gesamten Judenheit, sondern mit ihren territorial verschiedenen
Aiiliegen.
Dennoch geht die Bittschrift, welche die Vertreter der Wiener,
"böhmischen und mährischen Judengemeinden unmittelbar an den Kaiser Franz
gerichtet haben, von der allgemeinen Lage der deutschen Judenheit aus,
Sie ist von demselben Geiste beherrscht, den die acht Jahre vorher von
Napoleon einberufene Versammliing Jüdischer Notabein und das ihr im Jahre
1607 nachfolgende grosse Synhedrion an den Tag gelegt hatteni die Gleich-
berechtigung erscheint als das Geschenk, dessen sich die Judenheit würdig
zu erweisen oder, wie die Bittschrift darzulegen .trachtet, bereits er-
wiesen hat,
( ) österreichische Judengemeinden an Kaiser Franz I.
AHcr^:;;'.(i:;;>lcr K;.i:-cr und Herr!
Die Is:-r.cliti:-c!icn Glr.iibv^nr'-.rcnosscn hr.ben Ew. Majestät Er-
v.T.rlur.rjca Genüge geleistet. Ihre l'ähi^kcit zu r.llcn nützlichca
Cov.erbr^ri isl durch Tlir.tsachen erwiesen, die zahircichcn Werk- *,
stülteii ihres Fleißes in mehreren Provinzen der .Monarchie, ihre
ausgebreiteten Fnbrik-Anlngcn, der Umfang ib^rer auswärtigen
Hnndcls-Vcrbincb.iDgcn, lassen über den Gebrauch, <^{:.ri sie unter
liberalen und r;lcich förmigen Gcset/xn von ihren Kräften und
Kapitalien machen würden, keinen Zweifel übrig; an Diensten, die
sie dem Staat, in allen Fächern, wo man ihre Mitv/irkuncr verlanL'te.
oder auch nur gestattete, geleistet, an Opfern aller Art, die sie
dem allgemeinen Wohl dargebracht, an Vaterlandsliebe und treuer
Anh.änglichkeit an Ihren geliebten Monarchen, haben sie es, im
Ycrliältnissc ihrer Anzahl, auch ihres Vermögens ihren christlichen
M;tbürf:fcrn v.•eni''^<tens gleich rcthan. Das i^rundlose Vorurtheil, daß
sie zum Militärdienst nicht tauglich wären, haben sie durch die
That widcrlcf't, dem Ruf ihres Landesherrn überall retreu, haben
sie in den letzten schweren Kriecrcn auch ihre Personen und ihr
Leben bereitv.'illicf hin;:c'^cben, und wie andere rute Bürr^er, für
000' o o '
che Sicherheit und Ehre des gemeinschaftlichen Vaterlandes, in
der frohen Erwartung, dass es sie endlich nicht mehr wie Stief-
kinder behandeln würde, ihr Blut vergossen. Um die lirziehung
ihrer Jugend zu verbessern, haben sie weder IMühc noch Lasten
gcspriTt. Dies alles ist Ew. Majestät aus den einstimmigen Berichten
N.M. Gelter/: Aktenstücke zur Judenfrage am Wiener
Kongress I8I4/15. Verlag des "Esra", Wien 1920. S. 6/10^15/147
^'■/^,
tlcr Hof- und Landcs-Slcllcn hi^Jcannt. Wir haben jede Probe Idc-
st^'.ndcn ; und wenn uns l^culc noch eine dcmrtti;:;endc Sclicidc-
wr.nd von anderen Str.atsbürfjorn absondert, ?o bt-stclu diese nur in
veralteten !Meynun(;en, oder blinder und grundloser Furcht vor
einer dem kleinlichen Privat-Interessc gefährlich scheinenden, für
ilas Ganze, offenbar wohlthätigen Konkurrenz; in Ew. Mrijc^^tlit
grosser Seele ist diese Scheidewand k.r.gst darnicdergerissen. Krlaubt
scy es uns, hier /u bemerken, dass, wenn der moralische Zustand
die Neigungen und Gewohnheiten und der bürgerliche Wandel
eines Theiles der jüdischen Nazion noch hin und wieder gegründete
Bcsorgni:;se, wegen ihrer Tauglich!:eit und Zuverlüssiglceit in diesem
oder jenem Nahrungszweige oder Wirkungskreise veranlassen könnte*
die wahre Wurzel solcher Besorgnisse cin/jg und ausschliesslich in
jenen unglücklichen Schranken selbst zu suchen seyn würde, die
;iv,-i3chcn den Israeliten und anderen Volksklassen gezogen sind,
und d.-'.ss diejenigen, welche ihnen vollkommene Gleichheit der
bürgerlichen Rechte, unter dem eiteln Vorwande, als v;cnn sie
deren noch nicht v;ürdig wilren, versagen, gerade die Ict/.tc Be-
dingung, die noch zu erfüllen bleibt, damit der letzte Vorv.'urf und
der letzte VerdaclU von ihnen weiche, unmOidich zu machen suchen.
Der Charakter einer durch ungleich.e und absondernde Gcsetr.e
unterdrückten Volksklasse kann auch bey den glücklichsten An-
lagen und dem redlichsten Bestreben derselben nur dann in reiner
wahren Gestalt erscheinen, wenn sie von dem Drucke, worunter
sie schmachtet, bcfreyt ist. Man versetze uns in die I-age, worin
wir aller Welt zeigen können, dass wir eines begünstigenden
Schutzes ebenso würdig sind als andre ; und in kurzer Zeit werden
alle Einv.'ürfc gegen uns verschwinden; man gewähre uns gleiche
Gerechtsame und gleiche Verhältnisse; und wir werden sie durch
gleiche Verdienste zu ehren und zu behaupten wissen.
Ein beruhigendes Vorgefühl stimmt uns zu der frohen Hoff-
nung, dass wir endlich von dem Ziel, nach welchem wir solange
gestrebt haben, nicht mehr weit entfernt sind, und dass in einer
oder der anderen Form das künftige Schicksal unserer Glaubens-
genossen, scy CS in allen deutschen Ländern, sey es wenigstens
Ew. Majestät Erbstaaten auf eine wohltätige und genuglhucnde
Weise entschieden werden wird. Wenn der hier versammelte
hohe Koncrress dieser An''elc'::cnheit seine Aufmerks.-imkcit v/idmct,
so rechnen wir mit Zuversicht darauf, die Verhandlungen und Bc-
scldüsse desselben durch Ew. Majestät mächtigen Einfluß, und
Genie edeln menschenfreundlichen Grundsätze, die AUerhöcIut-
selben jederzeit in Schutz geriommen haben, geleitet, und zu einem
"lücklichen Ausgange befördert zu sehen. Dies ist unser innic^cr
Wunsch, theils, weil wir alles Gute, der uns widerfahren soll, Ew.
.Majestät Huld und Gnade allein schuldig seyn möchten, theils auch
v/eil nach unsrer Uehcrzeugung kein Souverän von Europa auf dt-n
Ruhm eine der wesentlichsten Verbesserungen in der bürgerlichen
Verfassung und Gesetzgebung gestiftet, und eine zahlreiche Mcnsclicn
Klasse von einem langen und unverdienten Druck befreyt zu haben,
gerechtere Ansprüche hat, als die welche Ew. Majestät Sich cr-
v.-erben. Wenn hincrerren die Kürze der Zeit, oder der Dranii der
Geschäfte oder Hindernisse anderer Art, dem Kongress nicht ge-
statten sollten, diesen wichtigen Gegenstand in Beraihung zu
nehmen, so geruhen Ew. Majestät dennoch in der Fülle Ihior
Eandesväterlichea Huld ein gnädiges Auge auf unsere- Wünsche
3-
rcilonclcn UiitcrsuchuriCfr.n sind <:• Cocr.löf.sCii ; ccr ICrfol\T i.v; \c.:
allen Scitca zu unserem Verteil aU:v;cfrvilcr. ; die Gvji"ccli.;.;!:>::w
v.n^^rcr Bitte ii;t keinem Zweifel mehr unterwo/fen, u.iCl \::.z /^\:.
.Majestät zum Besten Ilircr ei;;^encn Uitcrthanon be.scljli. ;.•.•;:;:,-; '.vci^ci,
ict r.n keine aus\v:irti;;c B:,\;ehcii]^'iit, an kein fre.v.cleo \'\".."i:,''.'.(.:-.is
cejuncien. Und sollten r.ucii über diesen oder jener. Punlvi noch
einige nähere Untersuchungen oder Ausmittelun;.;en, die immer
nur drissclbc bestäuben würden, was alle vorherr^oh.cnde er;,"c:., /,
nothwendicr befunden werden, wir würden uns r.'lüciilicli prci.^.;:-,,
wenn nur die erhabene Ycrhei:;sung vom Jahre 1797 endlich in
rirfüHun-^ r''in':rc, wenn nur (j.Q.r allc^eineinc Grundsatz, der vlio
Israeliten allen übriiTcn Glaubcns'^cnosscn in Rücksicht auf Zr-
werbs- Gcwerbs- und iJesit;:-I\.cchie ■■•loicli stellte, von Ew. /.h-'j^. '..'.t
als Gcöctz prcclan^.iert v.'ärc. Indern v/ir ICv/. J\IajesuLt im r.ai/.i;..
unserer Brüder, unsrer Kinder, unsrer Nachkornmenschal"t, bey
Ihrwr Liebe für alle, die Ihnen an^jehören, bey allen Tu;jeaden,
die Ihr Volk und die Welt an Ew. I\Iajcstät bewundert, bitten und
beschwüren, uns jenes trostreiche Wort nicht lün^^cr vorzuent-
halten, erflelien wir zugleich von Gott, der diese edle Tat niclu
unbelohnt lassen wird, jede Art von Segen über Ev/. INlajestät
:;eheili;,'tc Person, und den Staat, der unter Mdchstdcn v;ciscn
und ;r.ildcn Zepter noch lanc^e Jahre hindurch gedeihen, und blühen
möge und verharren in tiefster Erfurcht Ew. Majestät AUcruntcr-
tl:un:c:ste trcu^jchorsamstc unthertanen
Wien, den 11. Aprii lSi5.
im Xamen der jüdischen Glaubensgenossen zu Wien
N. A. Frh. von Arnstein m. p. Bernhard Ritter von Eskcles t,\. p.
Leopold Edler von Herz m. p.
im Namen der jüdischen Glaubensgenossen in Böhmen
I
Sinion Edler von Lämei m. p.
im Namen der jüdischen Glaubensr^enosser. in I\Iäliren
• ■ ■
Lazar Auspitz m. p.
Die vornehmlich durch die Petitionstätigkeit der Jüdischen Deputierten
in Fluss gebrachton Boratungen über die Judenfrage nahmen vorerst einen
für die Juden günstigen Verlauf. Die Forderungen der Juden wurden mit
grosser V/ärme von Preussen "befür\7ortet. Dort war unter dem Staatskanzler
Hardenberg durch das vom König Friedrich Wilhelm III, am 11. März \^\tl
erlassone Edikt den Juden eine nahezu vollständige Gleichberechtigung
An .den Herrn
Dr. Buchliolz Wohlgeboren.
2. Schreiben Metternichs an den österreichischen
Geschäftsträger in Hamburg.'')
An den Geschäftsträger v. Hoefer
in Hamburg.
Wien, den 26'«^" Jänner 1815. f''
In dem Augenblick, wo die jüdischen Glaubensgenossen eine
nach liberalen Grundsätzen berechnete Bestimmung ihrer Ver-
hältnisse und Rechte von dem hier versammelten Kongreß zu er-
warten berechtigt sind, hat es mir nicht ^) gleichgültig ]seyn können,
») Die folgenden Aktenstücke sind Fasz. 15 (Juden in Bremen) entnommen.
») Dieses Schreiben wird in Carlcbachs Geschichte der Juden in Lübeck,
S. 67, nur erwähnt, Buchholz war Vertreter der Juden in den Hansestädten
am Kongreß. Siehe über ihn Carlebach 1. c. S. 63 — 67.
») Preußischer Gesandter für die Hansestädte — das diesbezügliche
Schreiben ist abgedruckt in Sulamith V/2, S. 44, und Klüber 1. c. I, S. 77,
No. XXII. - ^ ^T~~- ■- T
*) Dieses Schreiben ist auch abgedruckt in Sulamith IV, 1, S. 369. Im Archiv
liegt das Konzept. [] enthalten die von Mcttcrnich vorgenommenen Korrekturen.
*) Im Konzept heißt es : >um so weniger-« wurde aber gestrichen.
-I
16
[WwMij, Hj Jiüiii II I ^*i ] Ew. "Wohlgeboren können sich versichert
halten, daß icl\ den Grundsätzen treu, welche die prcußisdic Verordnung
vom II. März 1812 in Rücksidit auf die Behandlung der jüdischen
Einwohner enthält, mit Teilnahme die Anträge unterstützen werde, die
Sic zur Erlelditcrung des Sdiicksals der jüdisdicn Glaubensgenossen
in Dcutsdiland an den Kongreß gelangen lassen ''"). Für jetzt h.;be ich
midi darauf besdiränkcn müssen, be^ den Städten Hamburg, ßrcmcn
und Lübeck eine Verwendung eintreten zu lassen, und beehre ich mich,
Ihnen anliegend eine Absdirift meines dicserhalb an den Herrn Grafen
VI" Grothc ergehenden Sdircibens mitzuteilen.
gewährt worden, Hardonborg zögerte nicht, sich nach dem Zusammentreten
des Kongresses auch für die Gleichstellung der Juden cuiGüorhalb Preussensl
einzusetzen. Insbesondere den Juden in den Hansestädten Hamburg, Bremen
und Lübeck drohte die Gefahr, dass ihnen die unter der französischen
Herrschaft zuerkannten Rechte wieder entzogen würden. Die Judenheit
dieser Städte hatte deshalb einen eigenen Vertreter, den bedeutenden,
nichtjüdischen Lübecker Anwalt Karl August Buchholz, zur Y/ahrung der
jüdischen Interessen zum Kon^ess entsendet. Buohholz wandte sich um
Unters tut ziing: seines Vorhabens an Hardenberg, der dieser Bitte weit-
gehend entgegenkam.
(
) Karl August Fürst von Hardenberg an Ksurl August Buchholz
4-.^^amiar l8l5^
^^:^r^~::lls\:iii^F:r3^Zf^ Ew. Wohlgcborcn können sich vcrsldicrt
haken, daß \6.\ den Grundsätzen treu, wcldic die prcußisdic Verordnung
vom II. März 1S12 in Rücksidu auf die Behandlung der jüdlsdicn
Einwohner enthält, mit Teilnahme die Anträge unterstützen werde, die
Sie zur Erlciditcrung des Sdiidtsals der jüdisd^n Glaubensgenossen
in Dcutsd^land an den Kongreß gelangen lassen *). Für jetzt hr/oc idi
midi darauf bcsdiränkcn müssen, bei den Städten Hamburg, Bremen
und Lübed^ eine Verwendung eintreten zu lassen, und beehre idi midi,
Ihnen anliegend eine Absdirlft meines dieserhalb an den Herrn Grafen
V. Grothc ergehenden Sdircibcns mitzuteilen..
/ /
/_ .v-
/
>
(
) Karl August Purst von Hardenberg an den Preussischen
Gesandten für die Hansestädte, Grafen von Grothe
4» Januar IÖI5 .
-P5Zi£:ajL4.J[aniii'-— i4;4-j^ ...Die Sdiid<sale der Juden in den übri-
gen Provinzen urd Städten ^c% nördlid^cn Dcutsdilands können seit-
dem [seit dem Eoik von 18 12] dem preußisdicn Staat nldit glcldi-
gültig sein, weil üurcn eine fortdauernde Bedrückung und gehässige
Aussdilicßung von den Reditcn, auf weldie sie als Mcnsdicn einen An-
, ( sprudi haben, der ihnen zum Vorwurf gcmaditc Zustand der Immorali-
/ ""ij tat verlängert und die Absidit unserer Regierung vereitele wird, durdi
Teilnahme an allen bürgcrlidien Rcducn und Lasten die Spuren eines
Vorwurfs zu verlösdien, der nur aus einer vcrädulidicn und kneduischen
Behandlung hervorgegangen ist. Audi hat die Gesdiidite unseres letzten
Kriec;es wider Frankreidi bereits erwiesen, daß sie des Staates, der sie
in seinen Sdioß aufgenommen, durdi treue Anhänglidikclt würdig ge-
worden. Die jungen Männer jüdisdien Glaubens sind die Waftcn-
Kcfährtcn ihrer diristlidicn Miibürgcr gewesen, und wir^ haben Äudi
unter ihnen Beispiele wahren Heldenmuts aufzuweisen, sowie die übrigen
Einwohner, namentlidi audi die Frauen, in Aufopferung jeder Art den
Christen sidi angcsdilosscn ...
N.M.Gelber. Aktenstücke ziir Judenfrage am Wiöner ICongress I814/15.
Wien 1920. S. 16.
^
[Hardenberg crsudic den Gesandten,] die angclcgcntlidistc Ver-
wendung der prcußisdicn Regierung für die jüdisdien Einwohner in
Hamburg, Bremen und Lübed eintreten zu lassen und die Mngi .träte
dieser StÄdte zu vermögen, daß sie mit Aufhebung der zum Naaueil
der jüdisdicn Einwohner genommenen Maßregel sidi de- Einrichtung
ansdiJicßcn, die der preußisdic Staat durdi das Edikt vom ii V.Ärz
1812 ebensosehr den Forderungen der Mensdiliciikcit und den Bedürf-
nissen der Zeit als einem verständigen Regicrungssystem angemessen
befunden.
Wilhelm von Hiimboldt, um jene Zeit preussisoher Bo-tschafter am
V/iener Hof, war zugleich Preuasens Vertreter heim Kongress. In ihm
fand die Sache der Juden einen idealen Fürsprecher. In einem an seine
Frau, Caroline von Humboldt, gerichteten Brief schildert er den Fortgang
der Verhandlungen, aber auch eine bezeichnende Episode aus dem Treiben
hinter den Kulissen des Kongresses. Der im Mittelp\inkt des von Humboldt
beschriebenen Zwischenfalls stehende "alte Mann aus Prag" war aller
V/ahrscheinlichkeit nach niemand anderer als der mit Goethe befreundete
Simon von Lämel, der auch zu den Unterzeichnern der oben erwähnten
Bittschrift zäÜlt.
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''!'■
( ) Wilhelm von Humboldt an Caroline von Humboldt
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WlLQxiy 4. JunYl8l5
j;^5^>^ou Oviiülanb r;at)c id; für Mc £ln(cv5ci6uunc| t)Ci^ 'Cliaianj-
l'^pr'jS (raftaf^ bon 9luncnovbcu iu 93riüanfon bciommcn, ücr-
^^;^ imitlid; eine ^Irt 9varf;c bcö .^xaifcr^ 'i^Itcranbcr bafür, bajj
icl) nüd; gar nid)t um feine öunft unb feinen pcrfi3nlid;en Q3eifal( bc»
tummcrc, unb eben nid)t niel)r ruffifd; bin, al^5 ic^ fein \\\\\% 0arum
ift cu mir faft lieb. 6onft ift eö rcd)( luic mit ^(eij) ix\i^<i)i, mic^
ju ärcjern. 0enn a(5 Orben ift bic 6ad;c für mid;. faff unfd;idüd;,
unb <x\i ©efcr)cnt fnib bic Orben mit "brillanten immer nid;t üic(
\oert, lueil fefpr üict tleine Ctcinc barin finb. 3d) \üerbe il;n gleid;
üerfaufen unb nie tragen. 0amif ift'ö abgemad;t. Um feine öunft
betümmerc icl; mid; übrigen^ nidjt mc^r, nid;t ivenigcr. 933cnn
\mx je in ©cfd;äffen mifeinaubcr ju tun Ratten, tvirb cv mid; mc^r
braud)en <x\i ic^ it;n.
ein fcl;r groJ3C<3 0efd;cn! I;abe id) geftcrn an3öefd;taöcn. 6cit
bcm 9Infauoj bcu iTongreffeu fud;tcn bic 3uben bcftinnutc bürcjcrlid;c
9ved}te in <5)eutfd;Ianb ju crl;a(ten. 3d; bin biefer ead;c inuucr
geneigt gcipcfcn. 3d) iveij} 5U>ar, baj} <S)u anbcnS bcnCft, füjc^
Äcr^, aber id) I)abe uicl in Dcrfd}icbencn Seiten barüber nacbgebad)t
unb bleibe meiner alten 9?^cinung getreu, (f^ ift übcrbiei3 eine
3ugenbibcc \>^\ mir, bcnn ^itcranber unb id; lüurbcn nodv ^vic \o\t
5vinber luarcn, für ed;u(5U>er;rc bc^ Subentum^ gehalten. '6d) liejj
mid> aud; I)icr um fo \m\)x ein, abj, '^<x einmal im ^p>rcujjifd;cn bic
3ubcn faft alle 9ved;te I;abcn, cö nun für unö bcffer ift, baj} bicfe
©cfetjgebuug allgemein fei, inbem fonft atlc Oubeu ju uni3 ^in»
j;V^;^f> 'Vv'.?^'' ^■■;' ^" . 7 ■>■ V:.^':: ?"^'-.^ :;■■.•■■ f*
Wilhelm und Caroline von Humboldt in ihren Brief en. Uro ■. von Anna
von Sydov/. IV, Bd. Berlin I9IO.
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n. kr^i'lC ciuu)cn ^a>oci;on DoinovKc icl), ba)") bic 0)öunci* ^ci
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rMiboiifiim^^ unicbfcn, iinb ba (^V'iUj'an bcr Cpi(;o ffanb, fo uhu' bic
ilvfacf; (>a(b lUw. ^hmu y:)aniioi>oi|'ct)cn ^bvn•^on^on) cvfu()i* \d) mit
G-Vnuiilljcif, bajj biofoi* \i\yi\: einen fd;nf(tic[)cii 5\outra(t cjcmacl^t
i)C[iic\ 9.^iiv t)efcf)a()en inbe^ feine ""^Ind-öi^c, obev ein oKev 9.''u-inn
anv5 >n-ai), treuen ^^i^ejcn nur Cjons cjut C|c}icl, ba er nicl)! 511 ocn
neuniobifd;cn 3ubcu c)ct)erf, lani ein pcovniat 511 mir unb cmpfct;(
mir bic '^Ineieleflcnljeif. 3cf) mad}(c nun einen 'vJlvtitct meiner aber«
jcui^unj) nacl); in bcn jcfjicjen ivonfevcnjcn u^arb bicö eine 5banpt-
beOattc, n\d)t bafj eö nicl;t n)icl)ti0erc gäbe, aber rt)cil man über
biefc ti)icl}(i3crcn faff gar nid)t biyfuticvcn fann, iveit man fc{)on
iveifj, baf^ man fonff auöcinanbcvrprcncjf, ffa(t ju ücrbinbcn. 9}^ef(cr-
nid;, Q^^effcnberg, Ä^V!^<^"^^^3 ""^ ^^) i)icltcn bie 6ad)c luic n?ir
tonnten. Qved^bcrcj^; <3iu-mff abt, Sad;fcn, bic Äanfaffäbtc marcn t>or«
^ligticl) bagcgcn. Gö fam in jiuci Sitjuntjen öor, 9Dicttcrn{cf) Qah feinet
(Bitte nad; bic Gad;c faft auf, aber \d) Ipiclt fie, Qah i(;r neue
*^cnbuncjcn unb mad)it fic bod; unfd)äblic^, fo baj \d) fic nur
auf bic künftige ^unbcöücrfamndung ücrtt>ieö, aber bie fcr;on er-
luorbenen 9\ed)fc bcn 3ubcn ert;ielt. (^i mürbe fe(;r üict üon bet
(3ad)c öcfprcd;en, jcber n?ci{j, bafj \6) nur bcn 'i2lrti(cl gemad;t unb
burd;i5cfet3t I;atfc.
Cöeftern fam nun bcr alte 9i)tann luicbcr, banftc niir uncnbtic^
unb bot mir 5um ©cfd)cnlf brci Qvincjc, Smaragbcn mit grojjcn
QBrillanfen befe()t on mit bcm Sufafj, bafj, ivcnn id) fie n\d)t ivoUtc,
id) über 4000 0utatcn auf feine 5\affc b{i^}.^onicvcn foUte. 3d; fd)(ug
fic natürlid) cbcnfo mie ^>c^'& (Selb au5, unb ^u f'annft ©ir bie93cr-
iuunbcrung bcö 9?ianncS gar nicl;t bcn!cn, luic id; ir;m of;nc atlc
Clffettafion unb Siercrci facjtc, bafj id;, wai id) getan, bloß bcn
Suben 5unebc getan ()ättc, baj) id; nid;tö bafür nel;menun'irbe, bafj aber,
lucnn id; je in einen ^all fommcn follte, u>o er mir einen ©cfadcn
er5cigen fönntc, id; it;n gern anncl)mcn lüürbe.
3d; I;abc bcn Q3ürfal( nienmnbcm ciU bem 5\an5tcr unb Äavbcn-
bergen crjäljtt. *v!U(cin id; iDcijj burd; (3entj, baj) eö bod; befannt
tporben ift unb (j^'i^jicn t'ffctt gcniad;( r;af. <S)er alte Sube und )1(^
nid;t oufrieben geben unb l)at nun ^a^ ^rojett, mir ein filbernciJ
(ccvüicc mad;en ju l:~:r,, um cy mir in einem 3a(;rc ju fd;icfen.
3d; i)Cihi ©cnt) g^f-^:, Ujj id; aud; in je^n 3al;rcn nid;t^3 nef;mcn
tinu'bc, imb tue e4 c-::r:§ nii;f. ©cnfj I;at aber fo aar (einen *^egriff
baoon, bajj eö mc.:".:i: '"ci, fo ctiiniö nid;t 5U ncl;men, bafj er mir
I;eute lueitläuftig ai:f-::r.::r.^cr^efc(3t I)at, bajj if;m "öciß ein Quitfct unb
ein unauflijölid;e^j ir. r/.ir fei, ba bie £ad;c tuebcr mu'ed;t nocf) un*
betitat fei, unb id> cr aud> nid)t (lu^ Oftcntation, um bamit ju
pva(;(en, ober au^ v3:.'I> um nid;t von einem Subcn (5efd;cn{e ju
ne(;men, tue. 0av ";;:c er t;?irnid; ganj ernft(;aft nn'O im (Srunbe
finb biefc 93iarimer. unter bcn -??ccnfd;cn, bie bic (iKfd;äftc mad;en,
allgemein. 3d; Ijabe ::r; b!:'} gcfa^jt, baj), ivcnn man fid; ber^inge,
bic man einmal bctricrc, fc uuvm atö id; annä()mc, bic crfte ^c-
bingung ein reine4 \.-c~uiJtfcin fei. C^d; in mir !cnne nid;(i? fo Un-
cbleö, in (5efd;äft£r. r.i6t rein unb lauter luic ©o(b ju fein.
Q3crjeif;, baj) i5 fo lange babei ücnucilt I;abc, aber c» jeigt
©ir 5ug(eid;, \vk ci:'.c ^inge, voo nid;t alle, I;icr cjetricbcu ujerben.
Ccbc \x>o^\, n:::r. tcureö, innicj ©cliebtc^. .
^ Alois Graf von Reohberg (1766-I840), bayerischer Ministdr,
y
Gentzt Friedrich von Gentz (I764-I832), Staatsmann und
Publizist. Zuerst Verfechter der Grundsätze der französi-
schen Revolution, nach 1810 etwa Umschwung in seinen Ansichten.
G. wurde ein Feind des Liberalismus. Ursprünglich in preussi-
sehen Diensten, wurde or später Gehilfe Metternichs. Durch
di^ Verhandlung der Judenfrage auf dem Wiener Kongress wurde
G. auch in die jüdische Interessensphäre hineingezogen.
Vgl, auch S.
\
W
r-
Indes sollten die Erwartungen Humboldts und der jüdischen Vertreter
nur zum Teil erfüllt werden. Um die Zeit, als Humboldt seiner Gattin
über den Erfolg seiner Bemühungen berichtete, hegte die von der Juden-
g meindo der Stadt Frankfurt a.LI, entsandte, aus dem diplomatisch
höchst gov;andten Kaufmann Jakob Baruch, dem Vater Ludwig Börnes, und
dem gelehrten Handelsmann Isaak Jakob Giomprecht bestehende Delegation
schwere Bedenken, ob es ihr gelingen werde, gegen die Quertreibereien
der freien Städte- ^die der Frankfurter Gemeinde unter der Franzosenherr-
schaft eingeräumten Rechte dem Kongress gegenüber zu wahren.
) Jakob Baruch an den Minister Freiherm von V/es^nberg V~
Seiner E:-:zcl;c.:2 dem k. Ic. rlcrrn Minisicr
rVcyhcrrr. vo»i V/csscnbcr^ hccliäcdcro Untcr-
tharii:j:5te Bitte vonJacob Baruch vonFrankfurth.
i:ochv;ohl-cboi-cner Freyherr, Gnädiger Korr :.:iiii5lor !
Euere Exzellenz verzeihen mir, dass ich hochdicseibc ml:
mcmem Schreiben bcl::sli^^% ich bermdc mich seit einirre Tr.^c
n;cl:i wo..., sonot würde Euere ij.xzellen2 selbstca unterliillni"-
auizuv.T.rten, c:e Gnade ^^ehabt haben.
Wie viele Vorstellungen ich im Namen meiner Comitccnten
der Israelitischen Gemeinde ' zu Erankfurth Sr. Durchlaucht ceni
rierrn Fürsten von ^letternich und Euer Exzellenz über'--ebcr.
nabe, ist Mocr.derselben bekannt. Da dem. Verneh.men nach Zr.
Durc:il. der Herr Fürst und Eure Exzellenz übermor:::cn abreisse/..
unci ich nicht eimnahl im Stande bin, meine Ccmittenten zu
überzeu-en, dass ich ihre Rechte v.-irl:llch bey dem hohen Con jrecs
r;:ewaiirt habe, so mus ich Euere Exzellenz ^-anz untertli:;ni^-
biiten, mir darüber eine £;nüd;.;e Erkiürun:^ zu erteilen.
V«B ■« • ■ •,,•«•« *-■. .,- . — % .
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•
Johann Philipp, Freiherr von Wessenberg-Ampringsn (I773-.I858) ,
österreichischer Staatsmann. l80 3 Ministerresident in Frankfurt
am Main; I808 Gesandter in Berlin; schloss I8I3 das Bündnis mit
Grossbritannien und nahm am Wiener Kongress teil.
W^ U.M. Gelber s Akt enst'ioke zui* Judonfra^e am IViener Kom^;rö2s
IO14/15. Verlag des "l^ara", 'Vien 1920, S.I6. ^>
Die in dem Brief ausgedrückte Besorgnis war nur allzu begründet.
Die von Humboldt in seinem Brief erwähnte Entschliessung wurde zv/ar dem
Kongross vorgelegt, allein durch eine scheinbar geringfügige Aonderung
in ein zur Entrechtung der Juden geeignetes Instrument verwandelt.
Y/ährend nämlich der ursprüngliche Wortlaut den Bekennern des jüdischen
Glaubens die lilrhaltung der ihnen J^ den einzelnen Bundesstaaten bereits
eingeräumten Rechte zusicherte, wurde in dem zum Beschluss erhobenen
§16 der Bundesakte dieser Vorbehalt nur zugunsten der von den Bundes-
staaten eingeräumten Rechte aufgenommen. Dies bot einigen Bundesstaaten
eine erwünschte Handhabe, die von dem französischen Regime, aber nicht
von ihnen gewährte Gleichberechtigung zu widerrufen. Der Federstrich,
mit dem diese verhängnisvolle Aenderiing des Textes vollzogen wurde,
war zugleich das Zeichen zu den bald nach dem Kongress einsetzenden
Judenverfolgungen.
/
Caroline von Humboldt v/ar die I'Yeundin der Rahel Levin und der Dorothea
Hondolssohn, sie war die Gattin Wilhelm von Humboldts, des verständnis-
vollen Fürsprechers der Juden, Aber sie hasste die Juden als Gesamtheit,
Zahlreiche Stellen in ihrem Briefwechsel mit Wilhelm von Humboldt
geben Aufschluss über das Verhältnis der beiden g.rttBg zu Juden und
Judentum, und sie sind gleichzeitig symptomatisch für die widerspruchsvol-
len Beziehungen zmsohen Deutschen \ind Juden.
( ) Caroline von Hxunboldt an Hahel Levin
Den 20^-ten April /lO/u.
Idi kann über ihn [KorofT] nichts sagen als: ich licbc iira wie gc-
^^•iß nie ein Mensch einen Mcnsclicn mehr geh'cbt hat — nur hasc du
mich zu lange nicht gesehen um. zu wissen was ich dann": meinc'und
u-ic icli lieben kann. Was bei Gott, rührend ist, ist die Liebe der
Knidcr vu diesem Menschen, jeder nach seiner Natur und seinem
Vermögen, aber sie hängen an ihm mit allen Gewalten üuer jungen
Seelen . . .
( ) Caroline von Humboldt an Rahel Levin
JJllen/ Den 7ten Mai in der Nacht.^S/U
^Hicr, meine Liebe verlasse ich nur zwei Mensciicn die mir
i « '
V
sehr viel, ein unendliches^ zu verlassen, kosten, Dorothea Sddcgcl, _ ^v^
dciin idi fühle midi von ihr gehebt, und KorefT. Idi könnte t^ * Hk4^
r^
sprcdicn über ihn, besonders wenn du ihn gesehen hättest, sdireiben ^,^ . n^
kann Idi nidu. Das ist die wunderbarste Gcwalc^ die. midi ergriffen / /t' ^
hat.jii hast mich zu lange nicht gesehn, kennst ihn
kaum. Man ist gebannt in die Kreise eines mächtigeren,
gewaltigeren Geistes, mir könnte aufgehn ein unendliches
SSkJBidc Glük im Anschaun einer solchen Natur aber sie zieht
mich zu sehr an vm nicht geliebt seyn zu wollen. Das ist
eine fürchterliche Klippe in dem Schmerzensieben des Her-
zens. Geschikklichkeit hat mir eigentlich die Natur ver- .^
sagt, und ich thue oft weh wenn mir das Herz innerlich ^
voB Liebe und Sehnsucht vergeht. ^
:^^
Ob du Koreff sehn wirst kann ich nicht herausbringen, ^^
er will Ende d/is* Monats auch fort, nach Breslau:man kann* t^
ihn weniger wie irgend einen Menschen ausfragen, das liegt ^
an diesem Geisterhauoh der ihn umweht. Ich habe ihm alles s^
gesagt, er ist voll des besten Willens, es giebt überhaupt o^
nichts liebenderes, theilnehmenderes, erbarmenderes xi wie
diesen Menschen. Siehst du ihn s2? las mich deinen Gedanken nah '
seyn, las dir von ihm von den beiden Kindern erzählen Adel-
heiti' und Gabrielie, vielleicht bekomst du es heraus ob ex .^<^^
ikL Koreff j David Ferdinand Koreff (1783-I85I), Arzt, Dichter und
Staat abaamt er, .Arbeiten über den Heilmagnetismus, V/urde I8I6,
naoh vollzogener Taufe, Professor für Psychiatrie und Physiologie an
der Berliner Universität« Freund und Leibarzt des Fürsten Harden-
berg, befreundet mit Humboldt, den Brüdern Schlegel, Rahel Varn-
hagen, Heine. 1822 legte er \iQgen antisemitischer Angriffe alle
Aemter nieder und ging naoh Paris,
Briöf\vechöel H\7isohen Karoline von Humboldt, Rah:l und Varnhagen.
Hrsg, VTon Albort L- itzraann. V/eimar I896. S. 165; 171-
;„
( ) Wilhelm von Humboldt an Caroline von Humboldt
» * *
9?icinc Äaupttctfüvc aujjcr bca *i2Utcn (;icr ift 93ot[iict='^, \i(x%
tanuft CS)ii ©cnOcu crjäljlcn, er tvivb fid) baran erbauen. 3d; fd;ü|)fe
au<5 i()in ^cftärtuug meiner üKen unb ältcften 3bccn üOcr bic Subcn.
•^lud; l)abc id) üon (f(;atilIon auö efnjaö für bic 3ubcn, bie id) inuuer
bcfdni(;c, <^^i<x\\, 3d; laö ein (£bit( in unfcvn 3citiini]cn, baj) nmn
jiir <3cldon eiue^ l?eid)nan;iS in gerid;(tid;cn "Jvillen nie einen
jübifd;cn, fonbern immer einen d)rifdid;cn ^Irjt f;al)en foHfc. ©iefer
£h;(cvfd)icb I;at mid; inbicjnicrf, id; I;at)c a(fo 5N!ird;eifen, bcm
Siiffijuiiniffer, 9efd)ricl)en, bod) burd; ein ncueö ©cfcl) foId)c üor-
urtcili^üoKc (2inrid)lunfj übjufdpajfen, unb I;offc, baj} er mir folgen
luirb. ^i finb bic tcOten Junten meiner ^ictät ^^o^<i.\\ bie Äerj,
bic aber fapt aud; d;rip(ic^ cjciiJorbcn ift. ^Heö fäüt uon bcn aUcn
©Ottern ab.
( ) Caroline von Humboldt an V/ilhelm von Humboldt
*Äicr in bcr Sfabt fdju^anlcn bic ©cvüd;tc über 6ad;fcn einen
^acj fo unb einen fo, boc^ im ^(xw^tw, ötaubc id), rvürbc ein S^rieg
einen örejjcn Scbrcdcn mad}en, oUcin .foüict id) beurteilen !ann,
mc^r unter bcr 5\Iaffe bcr 9^iebri(5öcrumtcn, njcnn id) mid; fo auö-
brüdcn barf, bcr 9;9ud;crnbcn, bcr 3ubcn. ^ö cjibt aud) d)riftlic^c
Subcn. Clpropoi? oon 3ubcn. QCoI;Iuntcrrid}tctc 93vcnfc^cn bc-
^j^iwYKiXi, 'iio!^ allcj? ©clb bcö £ünbeö, alle Qvcffourccn in il;ren
Äänbcn f\nb, unb 'to!^, ujcnn njir Si-*icben bc^iattcn, ^<xi erfte fein
müffc, bcn Canbmann, bcn 93auer fotPoI;( luic bcn "i^Iblicicn ctn?a*
5U cr(cicf)tern. . . ,
( ) Wilhelm von Humboldt an Caroline von Humboldt
„f, Wien, 13. jümrcr'iüi 5
Was Du mir von den Juden sdircibst, ist mir sclir «luffallcnd ge-
wesen. Audi hier neulich beim Kanzler [Hardenbcr:;] nm Tisch^ be-
haupteten einige seiner Räte, das von ihm gegebene Judenedikt habe
diese schlimmen Folgen hcrvorgcbradit, die vorzüglich in den l;leincn
Städten verderblich v/ären. Er, der immer sehr liberal ist, stritt da
gegen. Idi bin ganz seiner Meinung und billige das Edikt. F^s k"!'!-. ,^
unniöglidi vernüniüg sein, den alten Untcrsdiied zwischen Juden unil ^
Cliri^icn cv. ig bestehen zu lassen und das Vorurteil nodi viu ver- ^
mehren. Allein icii mödue nidit, wie er tut, von unterridueten Leuten
behauptete Tatsadicn wegräsonieren und glaube gewiß, die Er-
sdieinung, die idi nidit ableugne, riüirt aus anderen Umständen her^
wäre CS auch nur, daß man viclleidu versäumt hätte, Dinge zu tu.i,
die notwendig hätten mit dem Edikt zugicidi gcsdichcn müssen, -fcx
» f
•^ Bossueti Jacques Benigne Bossuet (1627-1704), do^^mtiüch-polemisoher
Schriftsteller,
^ik
Judanödikts 'toani^ipation der Jud^n vcm 11. März l8l2.
Wilhelm und Carolina von Humboldt in ihren Briefen f ilrrjf;. von
Anna von Sydow, 5 Bde. Bc^rlin 1910«
Bd. IV, S. 260, 452, 454.
;
( ) Caroline von Humboldt an Wilhelm von Humboldt
«•• Berlin, 4. Februar 1815
«5;»^ Mit den Juden gehe doch vorsichtig um. Ich finde es nicht
angemessen, so alle Zustände mit ihnen zu überspringen und sie in
den Genuß aller bürgerh'chcn Recluc auf einmal zu setzen. Alles,
was s[d\ natürlidi macht, geht sdirittwcise. Warum sollen denn die
Juden Salti mortali madien? . . .
) Caroline von Humboldt an Wilhelm von Humboldt
. .' . Berhn, 13. November 181 >
Varnhagcns Ernennung nach Karlsruhe hat midi allerdings
frappiert. Er macht eine sd\ncllc Karriere. ld\ kann es nicht ap-
probieren, und obgleicli seine Frau gewiß besser als er ist, so ist sie
dodi bei einem Posten der Art gewiß ein reelles Hindernis, was man
in Erwägung hätte ziehen sollen. Die Judcnlibcralität kann ich nidit
so unbedingt protegieren. Sie madit uns höchst lädicrlidi im Auslande
und schadet dadurch in viel andern Beziehungen . ««
( ) Wilhelm von Humboldt an Caroline von Humboldt
* * •■
FrankSiui, 22. MärziSi6
Mendclssolin \vecliselt sich wolil mit seinem Bruder in Paris
ab. Es ist Abrahanvr nicht walir? Ich erinnere mich nicht einmal, ob
er verheiratet ist. Die Frau dessen, der jetzt in Paris ist, ist ar.gc-
nehm und artig. Idi habe sie in Paris bcsudit, ■wie ich die Jugend-
bekannten und die Juden nie verlasse. Auch war sie sehr gerührt.
Alexander geht noch mehr mit ihr und dem Mann um.
. •• *
( ) Caroline von Humboldt an Wilhelm von Humboldt
,, « Berlin, 29. März 1816
Es ist Abraham Nicndclssohn, der mit seiner I'amilie nadi
Paris kommt ... Du rüluust Dich, die Juden nie zu verlassen. Es ist
dcv einzige Fehler, c\cn kh an Dir kenne. Sie sind Dir zu einerlei.
Allein das F.incrleiscin ist niclii die Natur der Juden. Aiif Individuen
kann das Lieben oder Nidaüchcn keinen Einfluß haben, aber im
-anzen stehen sie hier in unridui;;cm Vcrhähniss zur Zeit, zum Cc-
sd-.chcncn. Man erhebt sie zu allen freien JUir;-;crrcduen, und das
cin/igi. wozu sie sich derer bedienen, ist das Sdiadiern und Han-
deln usv.. Sdiiersiedt hat mir ei/ühli, wie ganze Dlsirikic im Jalire
ib>i>, die Kcidx-n für die .^rnlen n-'t. siJ' h kauUfii, um nidit di:n
I'cld/.ug :,ii'v -.livadien — sie i;;id jci/.i ■•Jioa ei;. i.Idii unbedeutender
Teil des Grundeigcniutrs in allen pr.'u(?:vJ:cn Si,^ tcn, Judc-i sind
Pationatheii-i-n von C!,ri.iea und Jk, •!';J..m Kirdien, was dodi ein
grü'icrcr Unsinn list als wenn Türken es wären, die doch Christus
nie!-.: leu''r.en. niir'\'t»!Mmmed einei • .'•''''rep ^'. .:i->Iuie-i nennen.
* AlDraharat Abraham Mendelssohn (1776-1835), Vater von Felix
Mendelssohn-Baxholdy. , .
a.a.O. Bd. IV, S. 462/3; Bd. V, S.122, 209,219/^.
'i\i> Vcrniö;;cii ciws St.-a^ ist j;röiHiat"iis in !'• m Ilüiulcn, hier
:;i l'Crlin ist es s<lir auffallend, wie jii/l, wo ein ;.;roßci- I läuscrvcr-
L.iuf wieder statt fiiidct, unter vieren j^ewiß tirci ' on Juden ad-
quiriert werden. >X'enn \d\ v/as zu sagen haue, ich ließe sie drei
Generationen l.i..,; nicht handeln und alle ?.\v anzi- jährigen Jüng-
linge, ohne irgendeine Ausnahme als die der körperlichen Gebrech-
lichkeit, wären Soldaten, da wollte ich -.vcttcn, daß In jo Jahren die
Juden als Juden vertilgt wären. Und d.iß das nidit ein Gewinn für
die Mcnsclihcit wäre, lasse idi luir nidit lusrcJen, die Juden In ihrer
Gcsunkcnheit, ihrem Schachergeist, ihreia angeborenen Mangel an
Mut, der von diese-u Sdiachcrgclst herrührt, sind ein Flecken der
Menschheit . k*-
( ) Y/ilhelm von Humboldt an Caroline von Humboldt
Frankfurt, 9. April 1816
Deine Tirade über die Juden, teure Seele, ist göttlich; Idi
habe Lust, sie Steinen mit/utcllen, der ganz Deine Ansiducn teilt,
aber nodi viel heroisdiere Mittel zur Abhilfe vorschlägt, da er die
Nordküste Afrikas mit Ihnen bevölkern will. Ihr mögt^ beide wohl
rcdit haben, aber die Art, wie Du Didi über mich dabei ausdrückst,
hat midi nodi mehr geirofTcn. Du sagst, daß mir die Juden zu
einerlei seien, d,\s ist ein Vorwurf, den man wohl weiter als auf die
Juden bei mir ausdehnen könnte . . . Aber auf die Juden zurüdczu-
komrnen, so wäre allerdings, ohne das aufzugeben, was Idi Immer für
gut halte, daß man ihnen bürgerliche Reditc gibt, viel zu tun, was man
versäumt. Warum zum Beispiel leidet man das Loskaufen? Warum
sdilägt man nldit Mittel ein, andere Gewerbe unter ihnen zu be-
fördern? Häuser mögen sie wohl viele besitzen, Güter sehr wenig
bis jetzt. Itzenplitz neulich hier konnte mir nur einen Fall nennen.
Der Staat brauditc sich in seinen F'Inanzcn nidit sovacl mit ihnen
abzugeben, und das Ist ein Hauptverderben.
• # «
( ) V/ilhelm von Humboldt an Caroline von Humboldt
Prankfurt, 30 .April I816
• • •
Den Judenhass der Adelheid vergleiche ich gar nicht mit dem Deinen,
Den kann ich mir vorstellen. Er hat alles, was eigentlich neue
Christen haben. Ich ergehe mich auch ganz darin, mit dem alten
Glauben den Kürzeren zu ziehen, man kommt dagegen nicht auf, loh
liebe aber eigentlich auch nur die Juden en masse, an detail
gehe ich ihnen sehr aus dem Wege.t^^
• • »
.J,
/
a*a.O. Bd. öi V, S.228.
. . .■.
a.a.O. Bd. V, S. 236.
Judensturm I819
/
Dio don Befreiun^^skrio^en imd dem V/iemer Kongresa fol^jonde
Poriode der Reaktion bedeutet für die deutschen Juden das Wieder-
aufflammen von Feindschaft, Ilass und Verfolgung. Von I815 an geht
es Schlag auf Schlag. Die folgende Briefstelle "bietet ein charakteri-
stisches liomenthild aus diesem Jahr, ist aber augleich ein Zeugnis der
Selbsttäuschung, in der auoh Llänner wie Varnhagen befongon v^aren,
( ) Varnhagen an Rahel
Berlin, den 3. Juli IÖI5. Montag Abends
\am 6 Uhr,
Pt^TMy/^ jr // /. ufJ/Z /^^-^U^i^''^''^^'''^ f^" ^^»^ 9CÜ<>'ii tic Zuteil, „U-'M'cr
. ü / I ^ /ö/O .:. or..r:.':c \.,.l ...:, •.- • «. • .• .^ •
v^/^-<''t^vf />^/:s^^^^
, , , , /^v -.--. - /yM^^^yy^.^/^
.'.f'
eine 3>-'it [ci, tic aücii [ifKintlicficu ii^cnivil^icifc 511 cnicncvn?
Tsuübcr [iiifc mtn nl\'u viele $?ciile t'öfc, tcnn ^utcndafj unfc
'^Ibilftol'^ fiavfcvii nun im il,Hn-lefif»en ucd) 311 jjutcr Ici't einir.al
vcdtt auf! ' ' " ^ .
Die in diesem Brief erwähnte Judenfeindliche Posse "Unser Ver-
kehr" iaucste aber schliesslich von den Behörden freigegeben werden
und erzielte auf den Bühnen der meisten grösseren Städte stünnischen
"Erfolg. In demselben Jahr, in dem Varnhagen die Worte über den ver-
löschenden Judenhass niederschrieb, erschien auch die Schrift dos
Historilcers Friedrich Rühs, "Ueber die Ansprüche der Juden auf das
deutsche Bürgerrecht", ein Anti-Dohm. Der Philosoph J.^lRries
T/ählte für seine zustimmjnde Besprechung dieser Schrift den deutlichen
Titel: "Ueber die Gefährdung des Y/ohlstandes und Charakters der Deut-
schen durch die Juden." Das v/ar keine religiöse Kontroverse mehr wie
im Lavater-Streit, keine theologische Polemik, sondern unverhüllte
"Gruppenleidenschaft" - Judenhass. Das V/ort vom Juden als Urheber
alles Unheils ist nun überall vornehmbar. Der folgende Brief konnzeichnet
die herrschende Strömung.
#4f
Aus dem llachlas3 Varnhai.;en» 3 von 'nrie. Lriofv/eohsel z./iöoli n
Varnhagen und Rah.:)l. l.P>d. o. lö(). Loipsig: Brockhaus 1875.
Staajskanzlerj Fürst Hardenberg,
Graf Brühl! Karl Graf von Brühl (l772-fil837). Kammerharr des Prinzen
Heinrich von Preusson, später der Konigin-Muttor und der Königin
Luise, Fon 1315 -I828 Generalintendant dar Schauspiele zu Berlin,
^^*■K•
Jakohsohnj Israel Jacobson (1768-1023), Hofagent uiid Finanzrat
des Herzogs Anton von Braunsohweig, Philanthrop und i-^rzieher,
Kämpfer für Bildung und Gleiohberüohti^ung der Juden^ Hefoinotter des
Jüdischen Gottesdienstes.
^nf*^f
Stägemanni Friedrich August von Stägemann (1763-I840), preussiseher
Staatsmann und Dichter, I809 Geh jimer Staatsrat, begleitete Harden-
berg nach Paris, London und zum Wiener Kongress, \7urde I817
Mitglied des Staatsrats,
Ot^^-Jf^t
Jordans Johann Ludwig von Jordan
¥r^*^^¥r Unser Vorkehn Poüse in 1 Akt von K,B.A, Sessa, Berlin I814.
Ausser in Berlin, wurde die Posse, die die Sitten und Gebräuche
der Juden verhöhnte, in ganz Deutschland unter grossem Beifall
gespielt. Der Verfasser blieb zunächst unbekannt, Ueberall
erzliälte man, das Haus Rothschild habe einen Preis auf seine
Entdeckung gesetzt,
#****** Friedrich Rühsi Führender Historiker, Seine Schrift erschien I816
//
und. war basiert auf einem Artikel, im Februar I815 in der "Zeit-
e
ETchrift für die neuste Geschichte** erschienen, in dem der Autor
'bewies', dass es unmöglich sei, Juden zur Staatsbürgerschaft zu
erziehen.
<t^t^**^^-*
Anti-Dohmi Christian Wilhelm von Dohm(l751-lß20), Preussischer
Regierungsbeamter und politischer ochriftstellor. Seine Schrift
'lieber die bürgerliche Verbesserung der Juden in Deutschland"
(1781), von Moses Mendelssohn veranlasst, diente auch dem Grafen
Mirabeau als Vorlage zu seinem literarischen ^ilintreten zugunsten
der l^anzipation der Juden,
-x-^-^^^^-*^* j.p, FriGSj Jakob Friedrich Fries (1773-1B43). S:^it I804 Professor
in Jena, Heidelberg und wieder Jena, Die Schrift " Ueber die
Oefä'irdung des Wohlstandes und Charakters der Deutschen durch
die Juden" erschien I816.
2
{ ) Gneis enau an Blücher
Rrdmannsdorf, 17. Juli I818
. . . Dcmjcniscn, was Kw. Durclilaiicl.t in Ihrem geehrten unterm
10. d. an micli gerlchieti-a Schreiben üIut das Projektmachcn und
die Juden sagen, pHIchu- ■' '1 - .it vollci,, Herzen bei. Ks ist die Krank-
heit, ja cmc Wut A-^ /.•': 'rcrs, allci Alte umzuwerfen und eine
neue Gesetzgebung oin/.ufiihren. Dadurch und durdi die Zeitläufte
^■ird der Adel zugrunde gerichtet, und an seine Stelle werden Juden
und Lieferanten treten und künftighin unsere Pairs des Reiclics
•werden. Dieser Judenunfug empört mein Innerstes, so wie die
Sdileditigkcit des Zeitalters, wo man nur denjenigen aditet, der Auf-
wand iiiachen imd große Mahlzeiten geben kann, die man von Ihm
annimmt, sei er auch übrigens nodi so verworfen . . .
Im nädistcn Sommer, nadi der Ermordung Kotzcbucs durdi
den Studenten Sand, bridit der Judcnsiurm los. „Hcp-Hcp! Jude
vcrrcG^! hallt es durdi die Judengassen von Würz-burg, Heidel-
berg, iMannheim, Karlsruhe und Frankfurt a. M. PUinderuns.
Blutvergießen. Juden auf der Flucht, .im Freien kampierend:
d,c erste blutige und allgemeine Judenverfolgung auf d:utsdiem
Boden seit dem Mittelalter. Selbst Amsdicl Rothsdiild — der
um diese Zeit schon mächtige Bankherr - denkt an Auswande-
rung Sein in Paris ansässiger Bruder James schreibt aus diesem
^inlaii folgenden Brief:
( ) James /Rothschild an David Parish "^
(Parls, 18. August 1819/
. . . Sic werden in den öfTentlldien Blättern gelesen haben, wie
Sich in Frankfurt In der Nadit vom 10. auf den 11. ds, eine gewisse
Menge Pöbel auf den Straßen versammelt und der dasigen israeliti-
schen Gemeinde durdi Ungestüm und Sdirclen Unglück drohcte. —
Prompte Maßregeln von Seite eines preislichen Senats haben die Un-
ruhestifter auseinandergetrieben und nach meinen letzten Berichten
vorläufig wieder die Ordnung hergestellt. Wie unangenehm der-
gleidicn Auftritte sind, können Sie sidi ebenso leicht vorstellen, als
diese in dem gegenwärtigen Zeitalter unerwartet sind. Was kann
/ das Resultat soldicr Unordnungen sein? Wahrlidi nur alle Reichen
dii >er Nation Dcutsdiland verlassen und ihr Vermögen nach Frank-
reich und Fjigland bringen zu sehen; idi selbst habe meinem lirudcr
in Frankfurt angeraten, sein Flaus zu schließen und hierherzukom-
men. Machen wir einmal den Anfang, so bin Ich überzeugt, folgen ,
alle wohlhabende Leute fort, und ob den Souvcräfnen Deutsddands / ..^^
eine Maßregel angenehm sein kann, wcldie sie bei einigem Geldbedarf
nötigt, sidi nadi Frankreich oder England zu adressieren, ist eine
neue Frage.
Wer kauft u. Deutsdiland Staatspapierc? und wer hat ge- ^
sudn, den ^rrri zu heben, wenn es nidu unsere Nation ist. Und /V (^(^"ttT^
ist nicht durdi dieses Beispiel ein gewisses Vertrauen auf die Staats-
papiere eingeflößt worden; und haben sidi dadurch nicht auch dirist-
lidie Häuser aufgemuntert gefunden, einen Teil ihres Geldes in alle
Gattungen Papiere zu stecken? Der jüdischen Gemeinde versagt x-w^w
in Deutschland die Erlernung der verschiedenen Fland werke; q.s bl'fb
ihnen daher wohl nichts anderes übrig, als sich mit Wcdiscl u'-r*
Fondgeschäften zu befassen^ r^ewöhnllch hat der Mensch das größt:
Zutrauen auf die Papiere üesjcnigen Landes, in wcldiem er lebt,
stört man nun die Ruhe der Reldien in Deutschland, so werden sie
sidi notgedrungen sehen, ihrer Sldierheit wegen auszuwandern, und
gewiß wcrcien sie sich riidit mehr mit den Fonds eines Landes befassen,
/.■/-'
> /
<>
//.^ David Parishi ii^eiherr von S.inf tenberg, Sohn oinüs Hambiirr^er I3anl-r.ior3,
; machte öioh Sbdhstündig, '■'urde sipäter Teilhaber des Wion^r Banlchauses
Pries & Co., durch dessen Sturz er mit2^ri.;ijen --rurde. Starb durch
Selbstmord 1Ö26 zu Wien,
V *
"Hep-Hop! Jude verreck!" : ^>pottruf gegen dio Judei bsi den antisemi-
tischen feaeb\sen I819. Bas '''ort ilep int aus den Anfanssbuchstaben
o'
von Hiersolyma e_st ^erdita « Jerusaüiaäi ist verloren erklärt worden.
Sf^n Caecar Conte Corti: D^r Aufc-ti q des Haukes Rothj.ohild 1770
1830. S. 229/31. Leipzig 1927.
,n welchem ihrem Lehen durch eine nn.;onscheiMh-die Gefahr oeJ.oht
wurde. - hs schenu der Zweck der Unruhastiaer in I-Vankfurt .e-
w«cn zu_ sein Vorlauf., alle Israeh-^en in eine Gasse zusan.men?u-
setzen; wäre dieses f;eK,n:;en, hätte nicht auch dadurel, ein allgemeines
M.visacrc entstehen können und würde man sidi ein Gewesen daraus
gemadit haben, ihre Häuser zu plündern >
Die Unruhen v/urden unterdrückt. Rothschild blieb in i^ahkfurt.
Aber aus den Gemütern wollte die Unruhe nicht weichen, v/eni^e wussten
den Wandel der Dinge richtig zu deuten. Bezeichnend dafür ist der
folgende Brief.
( ) Rahel an J^au von R., in Rom
£ Baden_7 liontag Vormittag, den 6,
September [\^\^
D:u'.r. crfi-I-r )\> i';\\' Ihiciumifcfcc! ein 2;'L>rt, fei mir crfkUiC'C
^H•f.':•.^^.'r;} nii iy.'.ufi-iu .^•^cnl■il•ttc ,^ii o^l■l•)■fi.•l•:l ! Oiiö feiii;iU
Vw\; i^i-in :;^iv.r)rcii mii'Ou-Ii.jioiUiir. ^^ll^c•l1f!lll•l)l, ift ^cr crftc
ir-.uiiic i^'i'iVi' ^lUH>•.lI Ciic u>l•l•^l^l fiif) i'iinni-iMW loii' «üJiS
^il•|\• j!Cii!i;o.^;|'ir)C ."^::oi*'fi- i-ii:pr>jti': uor iSu-r Senium.). %\)
cr,;.*-ir;fc niiur.S umC ^ü' ^nf.jcmciiu- J.'idmij .imf; ;^(»llel^ *JiI.'i-ii.
fllu' S^ajc Y\^:^U Ci-tf 1)1 nit'cß ulI^ lunf; iiicF^i- UMfjr. umö j'c
Jl;c:^c^ Ouir in SiVirin r>i\f'cn :).Vc^i<jcr iuijcacn Duf Övr ^loi;.
allcö l'clici jviffcn. — Wotl fil;u^c (fic! C)!;«'^' 'i^»'«-' • '
5r. U.»arnl)injcii. ■<
Der Gelehrte Samuel lleyer TiJhrenberg in V/olfenbüttel, der Leiter der
dortigen I-'^eischule für jüdische Kinder, dessen Briefwechsel mit dem
Historiker I.ll. Jost ^' 'und Leopold Zunz 'die deutsch- jüdische Geschichte
der nächsten Jahrzehnte spiegelt, schrieb etwa ein Jahr später die
ahnungsvollen Sätze:
Rahel, I^in Buch deo Andenk.enß für ihre Fr..!Unde. Zr/eitor Theil.
3. 598/99. l^erlin 1934.
^ Samuel Meyar ■Riiren"ber^il773 - lö53), i'^rziaher und einer dor HIhrer
der Reform in Eordv/- stdGUtt:-ohland. . ^
^* I.M.Jostj (1793-1860). Historiker. Lehrer am »Philanthropin» in
Frankfurt. Verfasser der "Güschichfce der Israeliten sjit der Züit
der Maklcabäer his auf unsere Tage", 9 Bde. I820/28. (f^]rstor Versuch
einer Gesamtdarstellung,)
*** Leopold Zunzj (1794-I886). Begründer der Wissenschaft des Judentuios.
Mitgriinder des Vereins für Cultur und Wist^ensohaft der Juden, I8I9,
Begründer der ;)üdischon literarges chichtlichen Forschung; Mittler
zwischen Orthodoxie und Reform.
f
( ) Samuel Hey er Ti:hretil)erg an I.K.Jost
am 6t Okt. 1820.
• • •
Bei uns sieht es noch sehr schlecht aus; ja ich möchte sagen,
wir gehn wieder in die alte Barbarei zurück, und dieses thut
der ITazion gössen Schaden; V/ir laufen Gefahr vdeder Schutz
Juden zu v/erden, v/ie das im Hannoverschen schon der Fall
ist. Doch genug des Aergerlichenl . . .
"Judensturm", zurückgehen "in die alte Barbarei" - das Zeitalter
der Aufkläriing schien vorüber.
jT- Jossen Sohadeni Wahrscheinlich Bezugnahme auf die Hep-Hep Bewegung vom
August/Septemher 1819 und den antisemitischen "Judenspiegel" von
Hartwig Hundt (November 1819.)
Die Geburt der "Wissenschaft des Judentums"
Am 7. November I819 - im Jahre des IlGp-lIep-Sturmo - traten in
Berlin drei jun^.-e jüdische Gelehrte zu einer Beratung: zucammen:
Eduard Gans *> Jurist, künftiger Rech! -.philosoph der Ho^olschen
Schule, der Historiker Leopold Zunz, von dorn "bald darauf ^osa^t
vairde, dass sich ihm kein jüdischer Gelehrter in Deut;{chland ver-
gleichen darf, und der Privat^^el ehrte Moses Moser **, "der Mann
in Israel, der am schönsten fühlt", wie Heinrich Heine in einem
Brief ihn charakterisierte. ^Sie legten ihre Grundidee in den Einlei-
tun£;s\vörten zu den Statuten des zu gründenden Vereins nieder.
••Das llissverhältnis des ganzen innern Zustandes der Juden zu ihrer
äusseren Stellung unter den Nationen, seit vielen Jahrhunderten bestehenc
ahor stärker als je hervortretend in der neuern Zeit, welche durch einen
allgewaltigen IdeonumschvAing auch unter den Juden überall veränderte
Bestrebungen hervor rief, die das drückende Gefühl des Widerspruchs
täglich allgemeiner machen, fordert dringend eine gänzliche Umarbeitung
der bis jetzt unter den Juden bestandenen eigenthümlichen Bildung und
Lebensbestimmung, und ein Hinführen derselben auf denjenigen Standpunkt,
zu v/elchem die übrige europäische V/elt gelangt ist. " ir*^ <J/v<!^^^/-*'*^f '^^i'f^-
Auf gaben fühlten sich die drei Preunde berufen, Bas geeignete Mittel,
um ihr Ziel zu erreichen, erblickten sie in der Gründung eines Vereins,
den sie unter dem Namen •'Verein für Cultur und V/issenschaft der Juden"
ins Leben riefen.
Ber Verein sollte ''Alles, was dazu dienen kann, das Reich der Intelli-
genz zu vergrössern, benutzen, als Errichtung von Schulen, Seminarien,
Akademien, thätigo Beförderung schriftstellerischer öder anderer öffent-
licher Arbeiten jeglicher Art; auf der andern Seite soll aber auch durch
Hinleitung der aufblühenden Generation zu Gewerben, Künsten, Ackerbau
\ind vassenschaftlichen Ausübungen, und durch Unterdrückung der einseitige
Neigung zum Handel, sowie durch Umarbeitung des Tons und der geselligen
Verhältnisse allmählich jede dem Ganzen widerstrebende Eigenthümlichkeit
bezvAingen werden." y-r^ .> . jZ.
Es war ein Programm der V/iedergeburt. Nicht der nationalen ^.Vieder-
geburt, V/ohl nicht ohne Absicht vermieden die RedaJctoren der Satzungen,
welchen die oben angeführten Stellen entnommen sind, die damals noch
gebräuchliche Bezeichnung "jüdische Nation". Im Ideal der Emanzipation
befangen, die nun im Lichte der Hegeischen Philosophie als eine Befä-
higung zum Aufgehen im ganzen - im ganzen des europäischen Lebens ±2-
/griffen wurde, erschien ihnen das Judentum nur als ein Element, nicht
als Mittel- oder Brennpunkt des Geschehens, Dieses Element war, ent-
^ Eduard Gans: (3 796 - lö39)f 1820 Privatd02^ent an der Univorüitilt
Bariin, 1Ö25 trat Gans Kum Chrlutontum über, nachdem mehrfache Vor-
sucha, ohno die Taufe zu einer wii^j ,3 snßchaft liehen ;!xis"t ;nz zu kommen,
{jeccheitert v/arsn. I828 v/tirde er ordentlicher Prof .■ üor an der Berlinsr
Univer^^ität.
*<^ Moses Moser; ( ? - I838). Heine ervnlhnt II. im Nekrolog: des am 15» Juli
1843 zu Paris verstorbenen LudiTig Markus mit fol{^^;enden i/ort :jn: "Das
thätigste Mitglied des Vereins, die eig.ntliohs Seele desselben, v;ar
Li.Mo er, dv^r schon im ju£*andlichün Alter nicht blo'ü die {^^ründlioh 'ten
iCenntnii-ise bosass, Gondern auch durchglüht v/ar von dem t'"::,'ro rj. en llitleid
für die l.ienschheit, von der Sehnsucht, d s iscen zu verwirklichen in
hjilf^amcr That, Br war un^^rraüdlich in philanthropischen Beütrebun;,;';en,
er v/ar sehr praktisch, und hat in nch.jinlosür Stille '->n allen Li^jbes-
verkon g-^arb.itet. Bas gro :e Publikum hat von seinem Thunyt und Schaffen
Nichts erfahren, er focht und blutüte inco^pfiito, sein Harn . ist -.v:nz
xinbokannt geblieben, und steht nicht eingezoichnot in dem Adre skalender
der Selbstaufoi^erung, Unsere Zeit ist nicht r^o ärmlich, v.d = man glmbt;
sie hat erütaunlich viel soloher^imrtyrer horvorgübracht." (il. Heine» s
Leben und Werke, Von Adolf Strodtoann. Hamburg I884. Bd. 1, S. 328/29.)
/
sprochond dem antinomischon Geist der Il0i.'jel.:]chen Philosophie, welcher
Gans und loser ebenso ergeben waren vrie einst Herz und llaimon der
Lehre Kants, ein zvdschen Volk und Nichtvolk schwebendes Geracinschafts-
vresen, das die Stifter des Vereins - wiederum echt hegelisch - empor-
heben und zu{^-loich durch Beseitigrun^? des "Verhältnisses der Fremdheit,
in v;elchem Juden und Judentum zur Aussenwelt standen", übervdnden woll-
ten. Der Wissenschaft, einer historisch-philologischen und ph^ilosophi-
sehen Durchdringung des Judentums, trauten sie die Zauberkraft zu,
dieses V/under zu vollbringen.
Die drei Freunde gingen mit Klan vor. Die Patriarchen der jüdischen
Aufklärung, l<^iedländer und Bendavid , schlössen sich an, ebenso
Jüngere, unter anderen Immanuel Wohlwill , der in Berlin Philologie
und Philosophie studiert hatte, fähiger Pädagoge und Prediger, der
Polyhistor Ludwig Markus und der einundzwanzig jährige Student
und Poet Heinrich Heine.
Ein Y/issenschaftliches Institut, die von Zunz herausgegebene
"Zeitschrift für die Wissenschaft des Judentums", Jahresberichte, von
Gans redigiert, entstanden. Allein die Renaissance, die der"Verein"
herbeiführen v;ollte, blieb aus. Von der, entweder in Orthodoxie ver-
harrenden oder teils zu Tempelreform teils zur christlichen Taufe
noigenden jüdischen Oeffentliclüceit ignoriert, von vielen besser-
vdi senden Aufgeklärten aus Kochmut oder Verkennung im Stich gelassen
blieb der "Verein" auf einen QnQon Kreis von l^^eunden beschränkt,
Vergebens bemühte sich S. 1.1. Ehrenberg , der die Fähigkeiten und den
Charakter seines begabten Schülers Leopold Zunz richtig einzuschätzen
vAisste, einen um die jüdische Geschichtsforschung so verdienten llann
v;ie Isaak llarkus Jost für den" Verein" zu gevdnnen. Der von Jost aus
diesem Anlass an l'^hrenberg gerichtete Brief gewährt Einblick in die
in der damaligen Ssdbt deutschen Judenheit vorherrschenden negativen
Tendenzen, um deren Uebervdndung es dem "Verein" zu tun v/ar.
* David Friedländer (1750-1834), Freund Moses Wadaam Mendelssohns,
treibönde Kraft der auf die Modörniöierung des Judenturas {gerichteten
BQstrtthungen, Vgl. S.
•H"»t Lazarus Bandavid (l762~l832), Sohrif tst^dler auf math ;irQatisoheTn
und jjhiloaophisohem Gehiet, Vertreter der Auilclärung auf jüdiaoher
Seite, trat gegen die Taufbewegung auf.
*** Immanuel V/ohlwill: l^te::^ (1799 - lo47), 1823 - 1Ö38 Lohrer an
der Isra3liti^:;oh3n Freischule in Harnhurg, von I838 - IÖ47 leitete
er die Jacohsonschuls in Seesen.
*^^¥r Ludwig M^ä^^ (1798 - IÖ43), Ori.ntrlist.
( ) S.Iv'i.rOhron'bor^j an loaok ^-larkua Jost
WolfonMttel am 4t Juli l822.
. Deal Scnwcii;cn über ucn Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden,
Sa t mir, daß er Deinen Beifall n.e K ^ T-.r h..L Mängel, und ich werde
mich darüber gehörii;en Orts freimüthig äulSvr^ Dem ungeacnict ist diese
Stiftun- nicht zu verachten, denn sie kann zu Ccm rcnrcn und nützlich
werden. Du bist längst Mitglied dieses Verein., und zwar che er noch da
war, denn wa. er will, war ja längst Dein Streben. Doch wird durch einen
Verein vieler zu dcnsoilen Zwecken verbundener Mäni.cr, wenn ^^^^^^]^
und Einhcir unter ihnen herrscht, n-.ihr ausgericl.tei, uis wie durch die
Kräfte eines einzelnen. Auch auf die Ii.öividucn eines .olchcn Bundes muiS
man nicht s.hn, wenn es nur möglich ist, dass das Ganze zum Guten wirke. .
( ) Isaak Markus Jost an S.M. lilhrenborg
Berlin den l6ten August 1822.
Ucbcr den Verein '••'" habe ich absichtlicli ein tiefes Stillschweigen be-
obachtet. Er ist ein Ausfluss der ausgelassensten Eingebildethcit, des dümm-
sten Dünkels einiger jungen Leute, welche* sich erhaben genug wähnen,
eine ganze ihnen unbekannte Nation zu ändern. So wie die Grundlage, so
ist ihr Wirken. Davon zeugen die prahlerisch lächerlichen Statuten, die
kindische Tadelsucht gegen alles Bestehende, und die vcrstandlosc Zeit-
schrift. Was um des Guten willen entsteht tritt bescheiden auf, und junge
Männer die dazu mitwirken wollen, suchen sich einen ruhigen Weg dahin
zu bahnen, ohne sich beim ersten Anfang für gross genug zu halten, um die
grössten Alänner unter den Zeitgenossen mittelst Übersendung ihrer Diplo-
7iic zu beehren. Zudem ist In unserm Staate solche Prahlerei sehr schlecht
angebracht; man lässt jeden reden was er will, und handelt danach den
bestehenden Grundsätzen gemäss. Auch ist dieser Verein bisher von der
höheren Behörde nicht bestätigt, er cxistirt also als illegal. Ich habe nichts
gegen eine Vereinigung Jüdischer Gelehrten zur Bildung ilircr irrenden
Brüder, aber sie selbst müssen zuerst Bildung zeigen. Ihnen fehlt sie leider
am Meisten. Ihr ganzes Thun ist bis jetzt kostspielig gewesen, ohne ihifür
Ersatz zu geben, und viel Besseres wäre mit geringem Opfern zu bewirken.
Darum bleibe ich entfernt von einer Sache zu deren Stiftung ich anfangs
mit Bcgeistrung beigetragen habe. Ich stehe, Gott sei Dank, In solchen
Verbimlungen, dass mir manches gute Unternehmen gelingt, das vielleicht
t!er Mclnungensireit Andrer zerstört haben würde. Es ist besser, wo die
Summe von Veniunft nicht zu addiren Ist, dass jede kleinere Portion für
sich arbeite. \n\ Übrigen stehen die Juden jetzt auf dem Culnilnatlonspunk-
tc der Ve;-le;:enheit. Die W'^issenschaftllchen finden glattcrdlmis keine
Laulbalin, und nur die Taufe rettet sie für die Menschheit. Befördern wir
nlelit die Ilandv/erkc, so geht unsre ganze folgende Generation zum
Chrlsieiuluiine. Und mit Recht, was soll sie an die Religion ihrer Väter
fesseln? Was uns noch zusammenhält sind blosse Jugcndelndrücke, nichts
weiter. Unsre Kinder leben in einer andern Welt, sie haben keinen Grund
ihre ganze Existenz zu opfern, um Juden zu heissen, während sie es Joch
Leopold and Adelheid Zunz, An acoount in latters IC15 - IÜ65,
'•Idite/rd wlth an introduotion "by IJahum K. Glatzer. Publications of the
Leo Baeck Institute of Jev/s from Gc^rmany. ^-^aiit and We;:.t Li"brary,
London I958. 3. 33.
a.a.O, S. 33/35«
(^
nicht sind. Wo/u vcxiicn wir uns? Alle unsrc Bcmi-iluingcn" in dieser Illn-
sidit bleiben fruchtlos. Die hiesigen Proselyieninaeher sind Thoren, dass
sie durch viel Geld und Lärm einen Zweck zu erreichen suchen, der bereits
von selbst erreicht werden wird. Der Staat kann keine Juden als lej;Iiini
anerkennen, wenn diese bei tleni Gruiuls;U/c bleiben, dass sie sich niclit mit
L.indesklndcrn verhelrathen können. Der Staat besteht nur durch sein Volk,
und sein Volk nuiss ein Ganzes ausmachen. Warum soll er eine Gesellschaft
erheben, deren Hauptgrundsatz Ist, dass sie allein die Wahrlielt besitze, und
daher alle Gemeinschaft mit den Landcsklndern melden müsse? Können
diese Atenschen ächte Vaterlandsliebe haben? Was kann ihnen Interesse
für iXcvi Staat einflössen, dessen Führer sie sogar für Irrende halten? So
wird unsrc Jugend richtig räsonniren, und eine Zwangskirchc gerne ver-
lassen, um Freiheit, Volksthümllchkclt, Vaterlandsliebe, und Staatsdienst,
die höchsten Güter des Inlischen Menschen, zu erlangen. — Dahin fülircn
auch nur unsrc neuen Tempel, dahin die Frühreife unsrcr Verblldung.
Gesetzt aber auch, unser Streben sei nur die erlittene Verachtung zu tilgen,
sie In Achtung umzuwandeln; was haben wir gewonnen? Wir sind geachtet,
aber desto unglücklicher. Früher gab die Religion Ersatz; was soll jetzt die
Ungeheuern Opfer ersetzen, die der Wissenschaftliche bringt, wenn er um
des Namens Juden willen geschäftslos und brotlos umherirrt? Das Glau-
hcw^hckcfintnls Ist ein Popanz, der verschwindet sobald man ihn auslacht.
— Ich bin nicht ein Freund iler Desertion, aber die Geschichte unsrer Tage
ni.uht sie all|;enu'in und recht ferii:',t sie. Wir leben nur einni.d unti nur
weni;;e jalue, wem Isis zu ver.ui;eii, ilass er .seiner iiesiinuiumi', geniüss
leben will? Von ächten Juden kann «.las Vi'rilienst nicht anerk.unu wenlen.
Sie haben nicht den Verstand, nicht die Mittel dazu. Auch wird der frei-
siimige Jude von seinen eigenen Genossen für Irreligiös gehalten, und bleibt
daher ohne Einlluss auf sie. Warum soll er sich ihnen aufopfern?
Ich weiss wohl, dass uns die Erkenntnis dieser Wahrheit verdriesslich
Ist, aber darum verliert sie an ihrer Wahrheit nichts. Wenn die Juden ein
Volk ausmachten, Grund und Boden besässcn, In die Wagschale der
Nationen ein Gewicht legten, also Gemeinschaft hätten, durch Vaterlands-
liebe, Verfassung und Eigenthum, wie zum B. die heutigen Griechen, so
wäre es etwas anders. Aber so wie die Umstände sind bleiben unsrc Be-
mühungen um Erhaltung der lligenthümlichkcit fruchtlos, und vielleicht
sind sie schädlich. Nur das dürfen wir v/ünschen, die durch leidenvollc
Jahrhunderte entarteten Menschen wiciler zur Menschheit zu führen, ihnen
einen bessern Lebenswandel zu verschaffen, und Ihrem Geiste eine andre
Richtung ohne Rücksicht auf den Erfolg, zu geben. Und das wollen wir
aus allen Kräften zu leisten streben.
....Gott sei mit Ihnen und den lieben Ihrigen, welche Ich auch im
Namen aUer Meinigen grüssc.
Ihr J. M. Jose
s
Alloin^dacB solbot dor mit döin "Verein" sympathisierende Ehronber^j
den eigentlichen Zielen und der zu deren Erreichung von Zunz ange-
wandten Iviethode kein rechtes Verständnis entgegenbrachte, beweisen
die von ihm mit Zunz gewechselten Briefe.
( ) S.M.EhrenbGrg an 2izbz Leopold Zunz
Wolfenbüttel den 5tEH.liai 1822.
Für die Zeitschrift habe ich leider noch keine Abonnenten, In
Braunschw. wohin ich mein ^emplar zur Einsicht geschickt -
ich habe es noch nicht vdLedor zurück - werde ich höchstens ein
Tlbcemplsi, absetzen. Zu erinnern habe ich: dass eine Zeitschrift
von "^rem vorgestreckten Zwecke, mehr populär geschrieben sein
müsste. In Braunschweig finden sich v/enige Juden, die die Auf-
Sätze darin vorstehen, Herr Friedländer v/ill mir nun, da ich
seinen Aufsatz nochmals gelesen, nicht behagen. V/arum? brauch ich
Dir wohl nicht zu sagen. Doch dieses niir unter uns I , . , ,
( ) S.LI, Ehrenberg an Leopold Ziinz
V/olfenbüttel d.23t Aug. 22.
Man würde hier zu Lande vielleicht einem talentvollen Israeliten eine
Anstellung an den Gymnasien, als Philologen nicht verweigern, jvcnigstens
sind mir von den Chefs des Consistorium, und Frankcnheims*^*'***' Mutter,
sogar von dem Minister günstige Zusagen deshalb gcschchn. Es sichct aber
doch im Ganzen schlecht mit den Juden aus. Auch unser Verein, fürchte
ich, (so rein und edel auch seine Zwecke sein mögen,) möchte wenig oder
nichts wirken. Wir bilden junge Leute für die Wissenschaften, und wenn
sie nun recht gut ausgestattet sind, so wissen sie nicht, wo hinaus mit ihren
erworbenen Kenntnissen; oder sie lassen sich taufen. Die Zeitschrift ist für
Cultur und Wissenschaft der Juden, für letztere gut, für crstcrc aber —
meiner schwachen Ansicht nach — nicht.*'' Der größte Thcil der Juden
kann sie nicht lesen. Für Juden muß man in einem schlichten ganz unge-
künstelten Style schreiben und predigen. Ich sage predigen, den auch
unsere Prediger fallen schon in den Mode-Ton. Machen Aufwand mit
Worten, die wenn man solche analisirt Seifenblasen werden. So habe ich
einige Reden von einem Manne gelesen, in welchen ich den. Verfasser der
sonst ganz anders sprach, nicht wieder erkannte. — Wenn ich jetzt einen
jungen Neffen bereden kann ein Handwerker zu werden, so thuc Ichs sehr
gern. Diese Klasse von Leuten können so unglücklich nicht werden, weil
sie nur geringe Ansprüche machen. Der gebildete und fein fühlende Jude
aber wird sich, so lange seine Verhältnisse zum Staate so bleiben, wie sie
gegenwärtig sind, stets unglücklich fühlen. Darum bin ich auch für die
Zukunft meiner eignen Jun^;en noch nicht ohne Sorgen. Ich spreche hier
a,a,0« S« 32,
k
Priedländer: "Briofo über das Lesen der hailigen Sohrif-bon netst
einer Uebersützung des 6ten und Tten Kapitels des Micha, als
Beilago," von David Pi'iodländer, ITr. III der "Zeitschrift",
a.a.O. S, 37»
*^* h^ankenheim Moritz Ludwig Franlcönheim (18OI-I869), Aritund -
nach seinar Taufe - Professor in Breslau.
* •■
Dio von Zunz eingeochla^eno nouo Richtung kommt in der scharf for-
mulierton Aufgabe der"Zeitschrif-t für dio Wissenschaft des Judentums"
Xi^if zum Ausdruck:
) Leopold Zunz an S.M.Ehrenherg
18. April 1823.
....Die Zeitschrift Ist allerdings keine Judcnzcltung und auch nicht
berechnet, d.e Braunschwelger Juden zu bllden.^-Der Bildungsm e h bcn
-r jcct genug; aber dem Judentum die ihm gcbiihrende^» g und
Vujdigung zu verschaffen und allmähh-ch alle besseren Kräfte In I ael "u
wecken und zu vereinigen, dies kann ledlsh'ch durch die 'x^^se sei .^^
geschehen, auf deren Höhe die Zeltschrift sich streng halten wird
TDine vroit ernstere Gefährdung des "Vereins" als die äusseren
Widerstände bildeten die Zv/oifel an der Realisierbarkeit der ange-
strebten Erneuerung des Judentums,- von welchen selbst manche der
besten unter den liitgliedern des "Vereins" erfasst v/urden.
( ) lloses Lioser an Immanuel Wohlwill
/ Mai I824J'
f dn - !c& rr4Tn-»}l.tr-if-24-i- ,^^0 ift rem S^^cntI^nm 5^iid;t5 \ycitcr
iibrin, alß tcr ^i'::::rj in ciiuf,cn G3cinüt(;crn. Xk 9]iunüc
äciiaUt in StauV h\ h-r ilnn-fih-iin.-^ mit tcr freien QUmojplsirf,
unb tcr I'cbentcrte 3ir.n bcr .^icri.\]U;pI;c, V\i flc an fid; lra{it,
luirb ncd) bav.i jur r.rr.cVicr. ^!annnlnul}=5cntcnj DcrFcI)rt, (Jcra^c
nio \rcnn ?.iicK? a:;- >nn C3uiitar)>'') gctcrcn luib crjD{jcn \i\ivf,
nnb cö im Stil fr !r:i: ficI'racM I;ä<lc, tafj er nn bcr ^cipäißcr
IMleraturjeitiUK^ m::-:I-c;{cn Uwwii (f'ö \\i fein Gifcr frir_ hifi
Snbciitljum, n\^v ^~\i^ tcn bicfcr Seile fo nennt — nn einem
au'?>}efippflen OiaV;-; i:;i jcclc|]iicl'cn l\iinfenm unirc nod; mcl;r
?)nber.tl;iim gu f:::^:cre:1, al-' an ben letenbeii S:cmpclvrebincrn.
ITa« oiibenthim f\*:: rc:I;U'eubi;T ba auf, Wio bnS 23clf anfängt,
fein -^eronflin-in rcn ]ld^'al-:' öctte-' l'olf ju verlieren uiib ju
i^eri-;e[[en. i^cn bz an {;iclt eJ !einc anberc 3icli{jicn, cilö bic
UGclirelißirn, u-ic (Jl-riflii^' nnb O^IuKimcb peU;icn. 2)er SSercin
iMt c-5 L'eifnd^t, b:n Kufen lleK'iv;aiu3 in bic Spljare Itii freien
5i3e\in:[ft|eiii5 jn \'.:\:r., ater er innbc nid;t Derftanben, nod^ ^o'xd
lvcni{;er nnicrfiüf:.' (jj ivirb iiibcffcn, ivaS inökfoubcrc nct'^'«
u^cnbivj ift, Quc^ biird^ baö £)r;jan bcr Ginjcincn ouCiic|prcd;cn
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3öi»ie^xxleföeKÄi&S^^
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II.IIeinü»s LelDen und Werk© • Von Adolf Strodtnann. Hanburß; I884.
1. Ed. S. 326/27.
Burütah: ITama einer Hauptstrasne in IIam'biir{r.
uvrbcii. ?)uin inni\ c6 iiiiH nl? eine Snfcnfqiicir, rcfracT^fcn,
hi!-> bcr ^Ncrcin fuf; auficft. i^lsiö \wx in Snl;il;cit öcuioUt
I;aVcn, U'clfcn luir aud; iicd; jcM, itiib fciintcn unr luoKcn, luciui-
\m 5lf(c (getauft lüvirni. Scn Sntjalt bcr SBcIlrclijjfcn anß iniö
cbcr tcm (Reifte tcr ^ubcn (lucnn ein foI(I;cc lUcc (Spradf)c uub
Sitte aud; I^inauCßinvic) ju l'c[timmcn — eine jcM;c Gf;imarc
Uc^ \\>c\)l mc in imfcrin (Sinn. 5)ic jribi](I;e Svef(c;ion ber
Wrj^musirt Iritt nu5 il;rer 53nT;rI)cit Ijerauf, iinb UMrb Serien»
o.cift, n[t(}clijd;ec ^ram u. f. lu., \üenn fic [\d} fcitft alß ein
alKicmcincS, cl'jeniücß ^Vincip gcKubet, ia ftc bodf; ein rein
jiibicltii^cß ift, baß fit^ Hof; miß bcni iJobcn ber S.>clfßreli{jipn
c\\\\ ben bcr -iiBcItrcliöion ju i^crfct^cn I;at. Saß 3n'bep93]ittc»
filMVcbcn i[t bic iiDtI;wcnbißc (5rfd;cimin(^ einer ßciuifien SBeifc
bicfcr iViucQiinji, mir baif eß nid;t für (itiöaß ßclten, wenn fic^
bicfcß für baß i'c(jtc unb ^cd.)\tt ausgeben löiUA
Vielleicht v/äre dennoch der Zusammenbruch des "Vereins" vermieden
worden, wäre nicht dessen Wortführer und Präsident Eduard Gans ab-
trünnig gev;ordon. Im Jahre 1825 Esicac nahm er - in Paris - die Taufe,
die ihm den "bis dahin verschlossenen V/eg zum Lehrstuhl an der Berliner
Universität freigab. Bestürzt versuchte Moser den Schritt des freundes
im Geiste der Hegeischen Dialektik zu deuten,
( ) Hos es Kos er an Immanuel V/ohlwill
29. August 1825
I
jisää=sR»*Sii2)ic"cycnuinc fiter ©anö iu.id;en miil) wanfonb ütcr
bic i\iliui:ntl;cit fciiu-j (5-iitjdnuficß, \o balb bic Unifcnu 511
UH'd.M'clii. ili?iciucl;l er ImccIii nur einem iuäd;tij^cn 3»iic jcinc5
[3c\i\ci feieren iinube, in \i\nd>'m TiiiH-o fid; natiiilid}a entiiMiu'lii
fcuutc, alö aus bem IcülMJtci'tcn (5-r>3rciien bcr im Subenll;iimc
vcrau^3cic(jtcn Subilan-, ein f.lcid; l'tviilVr iGi^cnv^iUc jiCijen bau«
iclbe, nad;bcm eß ful; ilnii al5 ein Sdnilc?, Iln(}cifti.)c5_ emncicn,
]o .•\lanblc u\) bcd) a'uß luand^cn veriLMilid;cn ^üulTid/ien hc
SaiW nci^^ elKMC' [cm. So ualürlid) lüic bicjcr Uclercjanj} (im
(3c\\ic näiulid), bic b.r.u <icI'ori>ic (ieicnicnic ift nur ein un-
ircjcntliAcß ^Jlccibcuö) lul^ bei (>)anö i-\cmad;t l;at, ctenfo Uvilütlui?
finbc iii'tic t5Tilanuticncn ber .v)amlnirv3cr ba{jc(jen. $2aS %i]^'
i'ciitänbJiiß über bic bciberieitißcn 3iid^lun>iCn luar fdjon urivnüng-
lid; VLnI;.inbcu, alß fic nedj iujauimen ju laufen i'iljiencn, un^
ilt nur ict>t crft jur Oficnbarunci ßcrciniucn, foUMC aui^un
i.>cr[cl{\ ter 3cit bic '}uilur ber Sad'c, ircldjc an \ii\) nur Gin«
i)t, il;re teibcrjicnc llUadjt barin fuubc^cten wirb, ba'ä fic K'i^*
Jliid^tun^cn bcrcinj't kncbcr M\ einen flanj ibcnlijd;cn ^punft w^
• .''
'/ <-.*'^ / f.
Leopold Zunz führte das von Gans verlassene V/erk weiter. Ueber die
enttäuschendon Erfahrungen im "Veroin" tröstete ihn sein Glaube an die
neue "Wissenschaft des Judentums" - ein von ihm geprägter Begriff -
hinv/eg.
Strodtmann: a.a.O. M. 1, S. 320
i''
) Leopold Ziins an Immanuel ohlv/ill
/_ iSoramer 1Ö24_7
.^^Taliir [nn icf) gcfoiumcti, an eine ?ub
eil'
Oicfcrmaticn nimmciuicl:: jr. ;lauhn;>ci- 8tciii mii[^ nuf Mcfc"
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i^fr V\z ^iJcnivjci:, iyi>',ii id> unb ncci; ein '^>^iar gelberen — fpiift
u'irbc icf;^ nic-^ n'^I*''i'''t \\b:\\, fo iinl'cfd'ribcn 311 fein. Sllcr
ivic Ijcut: jcrritfcn, ÜKV/ •••:nb in bic d^riltlid;c 5ictl;rcliijicii,
ct;nc .C\iU unb ^^rtnc!l\ sr.n^ljcü im alfcn SiinniiO, von C^urcva
t'ci Seite i]cici;>cl'en, fcv{iV;-.':i:renb, luit fccm trccfcncn IHii.^c nacl)
tcm.Gtel i:e5 OJiciTuv; cri: einem anbeni l'anßcl^c r;infd}auenb,
sum 5.r;eil Hät!eiub in ^(.i.ilvpapiereu unb bem'jvcnDerfaticnS'
C^-Kiennnt^eu gcvjciben fwo. !i:ic;e!5 öeprävic ilu-e-j jänunerliiten
3uitanbe5 tra^^en benn aiiJ-iTc SfiiK-ntcn. i'>rebi.-;er, ^Ccnültcrial'
rä{f;c, (^eiiicinbeik-rpniir.r.-n, ^arruifun, Site!, ^uiamuienffinfte,
0-inrtd'ti:ii;-;cn, eubirriVi;;n:!;, iljre eitei-atiir, if;r i^itd^{;.inbel,
ü;rc 3ierra]entaticn, uü' xVi GlücE unb \\)i Un.-^hul yCeine
rsniulution, fein $^:x\ 1:1b fein Sinn! !:(aci? ift ein ^rci ücii
l!.H'(en, i)JiarE ^\inco im) OvaJ^mrnc? fllllilbttiiififeit^.fmnj, nebft
C-rccfeu Den i){uft'i.iruii; unb ^\^\\\\\l []Vilu"inbi>]en %M\\\\'
£);vpa[alioncnJ! — !}ü-i^; bfcicm ö-T'tr'ü^'» il"''ii:^ ^f« Sn^ni»
if;innü i^eiLiue^cu Sic \i'oT;l feine (^rriärinui, luaium bcr 5jci-cin
jaiMUil feiner ;5eitid;iiit ein^c)d)lafen, unb fic eben fo lucniß uec»
luifft lyerben, cily bic 2;enipel, Siiuilcn unb ba5 5l5ün3cr,]lüci.
iTer in-iein ift nid;t an beu oveeial-'^eieinen geftcrben, lucldjcu
Heü bic %^\^^ eincy 23enualtnn{j-jfe(;lery Ijätte genannt loeiben
bfufcn, fcnbern er I;at in ber ili>irtlid;feit nie c;i-ifticrt. %\\\\\ li«
\z\n\ K'geiftectc ^JlJlcnid;cri l;at\'n fid) öefunben,_unb, \yic yjJefci?,
auf bic ^■crtpf[an3unw3 biefcu Weifte-j .^iU I;cffen 5ieu)a;-\t. Sao
irat Säufdjun^. ii^aS allein <x\\\i biefeiu ?Jiabui [3ünbflntl)]
uniH^r;]än>]lid) auftaudjt, Sa5 ift bic Ü»3if|enfd;aft be-j _S»ben«
t[}iuny; bcnn fic lebt, aud; Irena S'il;tl;unbeite lauß fid; fein
^in^er für fie re.]tc. Srf; r^cftelie, bafj, nädjfl bcr Ci'rv-^etnnui in
i:.5 öerid;t Öcücy, bie ^efd;äfti^]inu3 mit biefcr Ü>if!enid>ift
mein Sroft unb .l')vilt ift. Stuf \\\\6) felbft feilen jene ^Stürme
unb G'rfal;run;-;en feinen Ginfhi'V. I;aben, ber mid? mit mir felbec
in 3^yi'-ir<'Tlt brinf^en fönntc. %^) liabe ö<^tl;an, luaS \^) ju tl;un
für meine 'Pflid;t 'l;ielt. ii.scil iil; eicfeljn, baf'. id> in ber ÜSüfic
Vrebißte, ^.lOe \A) au^]el;i:rt ,yi piebiv]en, 1^:6.) nid;t um bcyi %\\*
l\-iU meiner Sorte uvulcy ju iverben. Sapicnti sat. /^9iad>
tcni 5i5iyl;eris]en uierben 3ic leid;t fd;lietjcn, \;x\i> id) für feine
i;ccäufda^olle"sHuflelunc^ bcy in-ieiny ftimmen faun. Ciinc fold^c,
ircnn fic r.ivl;t auu l'lefjer (viteU'eit cinv^cßcben fein unb an bic
lsabel be-j tcrftenbcn ^rc!(.!;eö erinnern feil, U'irb tcr ben ^üu^en
tcr Suben u. f. w. cbenfo ;in*rfaniV--lco U)ic alleö ilMyI;criv]c cor«
über ael;n. O^tiibty bUibt bcu 5Jiit;^liebcrn, alö treu fid; fclbcr
in ibren tefdirvinfteu v^aeifen ju Wirten^ unb öott bau Seitcrc
jU ütvrlaffen.'^
Ötrodtmannj a.a.O. Bd. 1.3. 316/17.
^
w
•vahrena aar '.vonigen Jalira, die der Verein "bestanden hatte, vrar Zjuns
, , 'b--;ru|'lich
hau-oxs xCTtT^ s als Prediger an dar .Berliner freuen Synago.^e ti;ti::;, .jeine
freiraiitigon, vor persönlicher Kritik nicht zurüclr.scheuenden Predigten,
insbesondere die vom 17. August 1822 über das Thema "Des Gotteshauses
Verfall", hatten ihm den Unvdllen der Gemeinde zueeso.,:en, deine letzte
Predigt über "Das Reich Gottes" fand am 31 • August l322 statt. Seine
Sesi-nation folgte am 13. September. Von 1823 - 1331 v/ar Zunz Redaicteur
an der Haude-Spenerschen Zeitung in Berlin; von I835 - I84O Prediger
in Prag und von I84O an ^virkte er als Leiter des jüdischen Lehrer-Seminars
vdeder in Berlin,
Zunz' \7issenschaftliche Leistung hat ebenso v/ie seine moralische Grösse
die Bevainderung seiner Zeitgenossen hervorgerufen. Heinrich Heine sagte
von ihm, dass er "in einer schwankenden Uebergangsperiode immer die
un3rochütterlichste Unvrandelbarkeit offenbarte und trotz seinem Scharfsinn,
seiner Skepsis, seiner Gelehrsamkeit, dennoch treu blieb dem selbstgegebene
•Torte, der grossmüthigen Grille seiner Seele. Mann der Hede und der That,
hat er geschafft und gev/irkt, v/o Andere träumten und muthlos hinsanken."
Als "Mann der Rede und der That" begrüscte Zuna im Jahre I848 die
Revolution des Volkes von Berlin und \7ien. :]r zweifelte nicht daran, dass
er ein Zeuge der von ihm seit langem schon erwarteten messianischen Um-
wälzung - der Geulah (-Erlösung) - sei, die gleichzeitig Deutschland und
die Judenheit in eine neue, von Jeder Unterdrückung freie iCpoche führen
werde. Am 22. llärz hielt er anlässlich der Beisetzung der liärzgefallenen
eine Rede, die später unter dem Titel "Den Hinterbliebenen der Llärzhelden
Berlin' s: ?^in ."/'ort des Trostes" mit dem Vermerk veröffentlicht vmrde,
dass der gesamte Verkaufserlös für die Hinterbliebenen der Opfer und die
VervAindeten bestimmt sei.
//Um edle Todte trauert Derliu, trauert Deutscliland, um ihre Lieben j
trauern die Hinterl)liebeiicii. Die iu unseren Strassen einherpingen
unbeachtet, die in Stiidicrzimmoru dachten und in Werkstätten ar-
beiteten, die am Schreibtisch rechneten und in Lüden feilboten, wiird«'u
plützlicli Kri''t;er und wir entdeckten sie cr.st in dem Augenblick, wo
sie als Sterne verschwandeu. Als sie vcrlierrlioht wurden, da verloren
wir sie, und seitdem sie unsere Befreier geworden, können wir ihnen
nicht dünken. Doppelt trauern di«; verlassenen Angehörif^en: wie viel
sie. an den To'iten verloren,, hat ihr schöner Tod ihnen olVeubnrt, d-'cn
Bt'ile gleich, das die dunkele Muscliel spaltend die Perle entliüllt.
Aber wie, haben wir, habet Ihr sie denn vi^loren? Jene, die
wir für minder berechtigt gehalten, weil wir ihnen die St<'lle im
Leben anwiesen nach der FAikette der Titel und nach dem Schinunor
des Goldes, denoji uir gleichgültig begegneten, weil die Sonne der
Macht sie nicht beschienen, oder denen wir hochrnüthig Ungnade und
herablassend Gnadt- erzeigt, je nach den eir)gebildeteu Kang.-turen
der Stände, der Geburt und des Bekenntnisses, — wie haben sie über
unsere }Iäuptcr ^^ch emporgehoben, von einer ewigen Sonne v/ider-
strahlend, hoch über Allo hiuans, die im Flitter g.'.borgter Sonnen
cluhergeben! Gvu^s und tlieuer sind sie uns duruli ihrt.'u 'J'od ge-
worden, als sie scheidcuil einc.i uncrmcbsliehen lieichthum auf uns
jvusschütfelf.'n, auf uii"' Alle, die wir arm, sehr arm waren. Unser
Hauj)t, einem brennenden Himmel gleicli, lieferte keinen fruchtbar<;n
* HaudQ und Spenersclien Zeitiings erochien 1734-37 als "Potsdamnisoher
Mero-oriua", 1740-1874 alc "Berlinische Ifeclirioliten". Gegründet i7ua?de
sie von dem Buohiiändler Ambrosius Haude (I69O-I748), 1772-1826
leitete sie Karl Philipp Spener.
Bd. 1.
5* Strodtinann: a.a.O./s. 31?.
*^* iiXßipaiäidöinz Gesammi-lto Öohriiten von Dr. Zunz, HTt:i^u vom
Curatoriuni der "Zunzstif tun,;^;". Berlin I873. 3d. I, i3. 301 f.
./
Iiiif;eii gropshcrzij^cr Gotlankcii, uii'l das Her/ in un?cior l'>iti3t, zu
Eisen «rowoitlon, ward ödo an nienschliclifr K!ui)ri:MUin':. Eiti'lkoit
und Walin \v:\rt;n imsiu-e Götzen. Sclicin und liü-^'c \ eririftctcii uiiscr
Leben, Ocnuss und Habsucht diktirton uiisev lliUidluugon; eine Holle
sittliclion Elends, in alle Eiiiiichtangen des Lebens ciutVe.ssenil, inaclite
ring.suni den Luftkreis glüliond, bis endlicli scluvar/e Wolken heran-
zogen, das Gewitter hfranstürnite im Yolksdonnor und die i-eiuigem!en
Blitze in die liarrikaden und in die Lüge einschUit^en. Li dieH(Mn
Wetter sah ich dii* feurigen Wagen und die feurigen Pferde, wekhe
die für Keeht und für Freiheit gefalleucu (Jotlesniiinncr in den Him-
mel entführten; it-'h veinulnne die GotteH-.tiinnu^, welche die Namen
eurer Lieben, ihr Weinende! adelt: Die freie iVeose ist dor Adehi-
bricf und unsere Iferzen das Denkmal. Ein jeder von uns, ein jeder
Deutsche ist ein Hinterbliebener, ein Trauernder, und ihr seid keine
Verlassene mehr.
Gross aber wird die Ehre ycin. die enren, die nnpcrcii Todtcu
erzeigt wird. Denn dns Keich der Freiheit wird erstehen: <las auf
NationalwilhMi gegründete Gesetz, dii« in fn^iwiliigetn Gehorsam be-
stehende Ordniujg, die Anerkennung des Mensehen Tinbehelligt vom
Untersehicdc der Sirkteu und der Stünde, die Herrschaft der Liebe
als Zcugniss der Erkenntinss tJottes. Das wird die Menschheit auf-
zubauen haben, uiul die Gcfiilh-nen, die dieses Verinächtniss uns
hinterlassen, werden als «lie Gründer dic.s.s schönen neuen Lebens
in unvergänglichem Kuhme strahlen. [Ine Grabjtiitte wird das frucht-
bare Feld, aus welchem ein unverletzliches jvocht, ein Gesetz der
Freiheit emporwächst; unsere Thränsn werden ein Strom von Liehe,
dor allen Glaubeushass forttreibend auf soiuea Fluthen das Vaterland
in stolzer Sicherheit trägt. So lasset uns denn ein Gesetu maclieu
gleich für Alle, und ein Herz bewahren, warn» für alles Edle. Ent-
fernen wir jede Einrichtung, die einzelne Schichten der Gesellschaft
hintenausctzt, die einzelne Klassen drückt und verwundet, bleiben
wir einig, werden wir wahrhaft: so wird das Vaterland bald Fest-
kleider anlegen, den Helden, die es feiert zu Ehren; so müsset auch
ihr, Hinterbii'bcne, getröstet sein, die ihr in uns, in eucrn Brüdern,
die Eurigcn wiedergefunden. so richtet euch empor, uiul nehmet
uns heute schon auf, die wir euch nahen mit Liebesworten, mit Kuss
und Thränel Wir wollen euch Viltcr, Brüder und Söhne sein und für
euch .sterben, wie eure Lieben für nn? gestorben. Trocknet eure
Thriincn .in den Flannncn der Liebe, die wir euch bringen, und ver-
senket eure Trauer unter dem Daukcsjubel der be-freiotcn Völker und
betet an die göttliche Majestät, welche die Verkünder des Heils unter
Schauern zu sich entboten hat.-'/
b
/:'
TCtwa zwei V/ochcn nach diwGGrn "ßreiAms schriolD Zunz an S.Il.^''hrenberg ,
soinon alten Lohrer und lobenGlan,'xen J'reund,
( ) Leopold Zunz an S.H. filhrenber^
/.April 1S4S.
Ihr liebes Schreiben von Scluischan Purlm^kam bei uns an dem
Tage 6,<:^'i> großen Begräbnisses an', und seitdem haben König, Regie-
rung und Landtag den Grundsatz sanktioniert, daß die staatsbürger-
lichen Rechte von keinem religiösen Glaubensbekenntnisse abhängig
seien. Trotz ^zn mancherlei Häkeleien mit und gegen Juden, denen
ich keine Bedeutung beilege, hat unsere Sadic in dem clvilisierten
Europa entschieden gesiegt, und mit dieser Überzeugung wollen wir
nächsten Pcssach die Erlösung feiern. HoiTcntlich ist nun alles In
Ihrem Kausc wohl, da der Frühling da Ist; ein allzulangcs Einsitzen
tau:;t audi nidits.
Juden haben hier mitjrekämoft und sind etwa adit jreblleben oder
an Ihren Wunden gestorben'. Ein Vater (von auswärts) hat zwei
Söhne verloren. Bei einem am 26. v. M. Beerdij^tcn habe Idi und
nadiher SadisVRcden am Grabe gehalten, worauf eine dreifadic
Salve gefeuert wurde. Die große nidit genommene Barrikade, uns
sdiräg gegenüber, die mit kleinen Kanonen verteidigt worden, ist
in drei verschiedenen Abbildungen crsdiiencn. . . .
Also Sic kommen und essen bei uns Mazot [ungesäuertes Brod];
vorher stärken Sie sich durd^ beifolgendes „Wort des Trostes"*,
welches das neueste Werk Ist Ihres Sohnes
Zunz.
< V; ; !. r. r . 171, Aiim.2 67
- Das Bc,^rlibn!s ticr Märzhddcn (1S3 Särge) fand am 22. März-sfätt.
^ Es g.nb 21 jüJisd.c Verluste; drei sind namcntlidi bekannt (vgl. Adolf Kober,
Jcv,'s in the Revolution of iS4S in Gcrmany, in Jcwish Social Studics X, 1948,
S. 14u).
* Micl^acl Sadis, sei: 1S44 Prediger in Berlin, hat audi beim Begräbnis am
22. März ein Gebet gesprodicn.
' Den Hinterbliebenen der Märzhclden Berlins, GS I, S. 301 f. ^«t •.-'^
'^ ^ ' /
•V.
/
///;
/(
\
SsffcHxxS'xSijLtrETx Leopold Zimz, Judo - Deutscher - •uropä.ör.
Ein jüdisohis Gel ehrt onsohioksal dos 19. Jahrhund srtB,
Hrsg-, und ein^^eloitct von Ilahurü i], Glatzer. Schriftenr ilc
maaenschaftlioher Abhandlun, ;en dos Leo Baeok Institute,
TüMnr:jen I964. 3.273.
* Das Begrähniü dor H-lrshaldon (I83 Srlrr^a) fand am 22. I ilrz ctatt.
^* Rs gab 21 jüdi.johe Vorlu^to; droi t^livl nr.iK)3ntlioh "büiannt.
(vcl, Adolf iCobor, Jows in the ?öiGVol^^tion of IÖ4Ö in Qonvjmy.
In Jc;i\7i;3h üooial iJtudiwü X, 194ö, 3. 14').)
*** iüchaal Sachs, seit I844 ^tTedi^c^or In fi .rlin, hat auch "boim
Bü^äbxnis am 22. j.iärz oin Gabst (^eaprochv^n.
//
/
Von nun an vAircle di:3 Politik 3u einem wesentlichen Bestandteil
von Zijnz Leben, Sein letzter ani '5. Juli I865 gehaltener Vortra-'y
"'■'evolution" schloss nit den '/orten:
' Es i:it noch nictlil :;clit/,i^' Jaliro l-cr. da-s ein Mai-n in Knuhiiid
.iiiflrat und für die JiolVciiip.g d.«)- No2cr.skI;ivcn sprach; er sliind d;v
nials_ pjicli f.llnlii, er stand vitdlei-dit nocli niolir allein als Luther, als
er die 95 Glaul-.cn35:;Uze ai» die Doi.dciro!)'; /?i Wittonhcr'-'- atisohlii:,'.
und hcuttj hat eino -ro.ssc Nation für ihn die Wollen «irgriilon unTl
gesiegt, llunderltauscndo sind gefallou: nun es sind füi' ^.ücscn Go-
daidcon Miinnor ;;efalleii, ghichui.; deren in der alten Welt, in Eng-
land, Ifollaiid, in Griechenland alt.r und r.cuer Zeit, und in Deutsch-
land fiir Freiheit vuid Keciit gehlut.t haben. 17.^9 steht mit 1773
\\\A mit \^\Vo in Vcrbindun,^; (he ]'o\v('i,'un^' von 17S0, die rnaji „dio
Kcvolution" nennt, ist noch nicht v.w Ende. Sic ist wohl inomcntan
in ihren hefti^^en AnsbrUch.en verstopt't, es sind wie bei einem lecken
SchilV die Löeiier zui^cer^topft! allein die Ursachen der Kovolution sind
noch jiirht überall bescltl-t, nnr nach einer Seite hin etwa in Frank-
. reich, das für (>leichh.eit und >ruiniih-.-;-Freilieit allein den Kampf mit
dem ganzen übri-en Eurui.a auf;j:enorMr.icn hat. Und Enropa nuisste
nicht mir weichen, .sondern v,:,.-; noch viel bedeutender ist, die Ideen,
aus denen die ]>cv.c;runLc von Ur^'.f in Fraidaeich hervorfregaiigen ist,
die .«ind in die anderen Eäiidt>v ein.i^.-drnngfn, .so^ijar in Kn,L;!uiKl, v.-cl-
ches ftm freiesten von der Xulhv.-endigkeit .»iolcheV JCiiilliisse cewo.sen,
in der Gestalt der Ifeforni de.-^ rarhiniMites; in Schweden ist eine
wirkliche Revolution ::!ewesen-, das deut.-che Keieh ist in Stücke "-e-
fallen; Spaniim im 1 J'orln-al habm Pvev.dtitioncn gehabt; SüilaüHwika,
das liei'.ti^'e Italien sind J'rodiikte der französischen iK^vohition, »leren
Folj^-en auch Al^-i-r. Tuni-, A(;-yptrii und die 'J'ürkei cmpfr.nilen. Die
ganze lJf;.'ener:ition in l'reu^.;en in dm Jahren ISoS — IMO verdankt
es den Ideen der Wiederherstellung menschlichen S»'in~ und gleichen
Kochts ^re^,'enübcr veralteten fuf^titutioncn; liie heuti-re Verfassung von
Preusseu verkündet in ihren Ilaiiptzüiren dii-selben Grundsätze, die in
Frankreich von der constituircnden \'ers:unndnng ausgesjirocheu wur-
den: Deweis' genu;^. dass di>"' .'^aiiften Umwiil/.uuu'en einer, heftigen vor-
angehen, duHS die^i' wirklichen Uevolutioiien auch siegen, d.as? keine
Revolution bluss nach den vereinzelten 'i'hatcn zu benrtheilen ist, soa-
dern nach ihrer weltgeschichtlichen Stellung in der rnenschheitlicheu
Entv.ickelung. Die Ueucgun.: von 17S'J kann noch nicht l»ecndigt, •
vielmehr wird noch eine Weltrcvolution in Europa ncithig sein, um
diese Ideen der Freiludt und des gleichen Rechtes durchzuisetzen, dass
di< selben bis in die kleinsten Verhältnisse eindringen; es muss das
AN'ort, «ler Gedanke, flie Schrift, tlie Druckpresse, da«? Vereinsrecht,
die Glaubensmeinung frei v.-erden. Wemi jnit der Selbstregierung der
Recht'^sl;:at in dem gcsammfen Europa aufgerichtet .^^cin wird, dünn
ist ,.die Kevolution" L:ese!>los .on. D.i.s i<t filsdanu zugleich Recht und
Autorität und der wirkliehe Sieg O^i^x D» luokralie. -
Abgedruckt in: Gas. Sclirif t m von Dr. Zunz, a.a.O. Bd. I,
S. 353/54.
Schon in einem Brief vom 3. Dezember I864 an Philipp r-ihrenherg, den
mit ihm gleichfalls eng befreundeten Sohn von S.I.l.T'Ihren'berg, hatte
Zunz über die politische Szene in Deutschland geschrieben.
( ) Leopold Zunz an Philipp ülhrenberg
3.Dezei;iber I864
• • •
Wenn der Himmel nicht dreinschlägt, vae bei IToa, Pharao, ist
für die Teutschen nichts zu hoffen: sie werden gerade, wenn sie
alle durchgebildet sind, mit ihrer Existenz zu Ende sein und fran-
zösisch deklinieren und russisch inklinieren.
lieben Zunz sind als llitschöpfer der "Wissenschaft des Judentums"
drei Gelehrte in die Geschichte eingegangen: /^achman Krochmal ,
** ,:r ^- ^'
Salono Judah Rapoport und Samuel David Luzzatto. Luzzatto teilte
mit Zunz die Liebe für die neue Wissenschaft und die Leidenschaft des
Sammlers jüdischer Altertümer. Aber er betrachtete die Wissenschaft
dos Judentums \7eder als Selbstzweck noch als Mittel zur Erreichung
der Emanzipation; sein Llessianismus war unlösbar raon dem Glauben ein
ein Wiedererstehen des jüdischen Volkes, wodurch er zu einem Vorläufer
des Zionismus vairde, während Zunz revolutionäre Deutung der
messianischen Er^vartung ilin zum Vorboten eines demokratischen Europäer-
tums machte.
( ) David Luzzatto an Leopold Zunz
/
' [Padua, 13. September 1861.] Im September 185^ bast Du mir • [/ ^
einen freundlichen Brief geschrieben, voll Liebe und Sanftmut; darin
kam folgende Stelle vor: „Deine Worte über die Weisen, die man die
Priester der rationalistischen Verfälsdiung nennt, . . . werden vielleidu •
bei den Traditionstreucn Gefallen finden." Diese Worte verbitterten
meine Seele und waren für mich wie ein stediender Dorn, denn idi
ersah aus ihnen, daß auch Du an das Prophetentum und an die G°"'
lidikcit der Thora nidit glaubst. Ich war beileibe nie ein Inquisitor,
der nadi dem Glauben des andern forsdit, aber wenn jemand kommt
und mir sage, „die Thora ist nidit vom Himmel gegeben" (wenn er
dic5 nidit als Wahrheitsudier, sondern als Wahrheitverkünder be-
hauptet), dann bin irh gezwungen,' midi von ihm loszusagen. Denn idi
kann nidit b'reund sein einem Manne, der die Söhne meines Volkes ver-
dirbt und das Gcdcnkbudi ^(t% Namens Israel aus der Welt tilgt, denn
all mein Sinnen und Traditen Im Laufe von fünfzig Jahren war darauf
gcridicct, dci\ Gh\uben an die Lehre Mosls.wisscnschafdidi zu begrün-
den, den Glauben, der unsere Ahnen vor einer Vcrmlsdiung mit den
Völkern bewahrte. ''
^
a.a.O. S. 437»
* Nachman Krochmai; (1785-1840), jüdischer Gelehrter, Historiker
und Kritiker.
** Salomo Judah Hapoport;(l790-l867) , Rabhinar und Gelehrter. Wandte
als erster die hlstorisoh-kritisohe Methode auf das tamudisoh-
rabhinisohe Schrifttum an. I84O -I867 Oberrahhiner in Prag,
^** Samuel David Luzzattor (18OO-I665), Mchter und hahnhreohender
jüdischer Gelehrter. Professor am Collegium rahhinicum in Padua.
Die Wied er enid eckung der klassischen hehräisohen Poosie des Mittel«
alters ist zum grossen Teil sein Werk. Als seine eigentliche
Lebensaufgabe sah er die 15rforsohung der hebräischen Sprache und
die ii^rklärung der Bibel an.
Franz Kobl er: Jüdische Geschichte in Briefen aus O^t und 'Vst,
Das Zeitalter der '"raanaipation. Wien 1938, S. 130/32.
^^
Und idi sah sdion einmal in der „Anr',sburgcr All{];circlncn Zeitung"
(im Nckiülo^; über Ludwig Markus), daß man über Dldi staunt, daß
Du Jude geblieben bist, und man nannte es eine Grille — aber idi
behaupte, daß Millionen von Juden unmöglicli bloß kraft einer Grille
Juden bleiben können, sondern nur infolge eines festen Glaubens an den
göttlluicn Ursprung der Thora. Und zwischen einem, der dic-n Glau-
ben sdi\väd)t und bewirkt, daß sidi ein Mann oder eine I-rau, eine
Familie oder ein Stamm der Gemeinde Gottes entfremdet, zwisdicn
einem soldien und I Liman ist nur ein quantitativer Unterschied, denn
die Taufe und Vcrsdimolzung sind ein und dasselbe in meinen Augen . . .
Und ist über die Kinder Israels verhängt, daß sie aufhören sollen, ein
Volk zu sein, dann ist viel eher vorzuziehen, daß sie wie Helden und
Meilige getötet werden, als daß sie sidi völlig mit den Weltvölkcrn
vcrmisdicn, mit der Behauptung: unsere Ahnen haben uns nur Falsdi-
hclt vererbt, und unnütz habK:n sie ihr Leben dem Tode im Laufe von
zwei Jahrtausenden geweiht ...
Darum ähneln die oben angeführten "Worte Deines Briefes in
meinen Augen jenen Briefen, die Haman gesdiricbcn hat, um alle Juden
zu verfolgen und zu verniditen. Aber wenn Du wegen cin::r Grille
Deine Kraft und Dein Vermögen vergeudest, um Lldit über al ".jüdische
synagogale Poesie zu verbreiten, kannst Du dodi nicht behaupten, daß
alle diese Dicliter nur an die Tradition glaubende Irrsinnige waren,
deren Herz deni Unsitm ergeben war, daß die Wahrheit aber nidit mit
ihnen ist, sondern mit jenen, die behaupten, daß die zukünftige Er-
lösung — die „Fusion" ist.
Aus diesem Grunde vermied idi es seither, Dir über alle diese Dinge
zu sdirciben, denn id; wollte Dich nidit verletzen, indem idi mein
ganzes Herz ausschütte. Denn geachtet und gesdiätzt von mir bist Du
wegen Deiner wunderbaren Weisiieit und Deiner Tugenden; Dir jedodi
schreiben und unter meiner Zunge die Erbitterung verbergen, mir
Scl)ändlidies und Empörendes über die Trundsätze meines Glaubens
anhören und sduveigen wollte ich nidit u- 1 konnte idi nid\t.
Als jedoch Jahre und Tage vergingen und idi alt zv werden be-
gann, und da ich nidu weiß, wann der Tag meines Sterbens kommt,
cntsdiließc idi midi, Dir alle meine verborgenen Gedanken zu ent-
hüllen. Und nadidem idi Dir alles, was in meinem Herzen ist, eröffnet
habe, erkläre idi Dir, daß Deine "Weisheit und Dein Fleiß in der heiligen
Arbeit in meinen Augen so wertvoll sind wie in jenen Tagen und daß
idi immer gern bereit bin, Dir zu dienen nadi Maßgabe meiner Kräfte,
um die Thora zu erheben, denn die Stimmen der Pajtanim [synagogale
Diditer] rufen mir aus der Erde zu: „Du einfältiger Frommer, dieser
Mann Jonitow [Vorname von Zunz] ist eine einzig dastehende Gestalt
in seiner Epodie. Bis ins hohe Alter hält er fest an seiner Wahrheit und
ist unablässig bemüht, zu unserer Ehre großes Lidit über unser "Werk
zu verbreiten. Du aber verweigerst ihm geringe Hilfe, und vielleidit
kannst Du ihm helfen in seinen Forsdiungcn durdi die Büdier, die Dir
Gott zugeführt hat! Und hätte dieser Jomtow seine Weisheit zum
Bösen benützt und sein Wissen als Bell gebraudit, um die Pflanzungen
des Glaubens zu verniditen, würden wir dies nidit sagen; aber dieser
Mann berührt in seinen Werken die Dinge des Glaubens gar nicht, und
nur in seinen Briefen an Dich war er gc/.wungen, um nidit zu heudieln,
Dir mitzuteilen, daß sein Glaube nidit so ist wie der Deine, seiner
Werke Zweck und deren Ergebnis jedodi ist, den Knoten des Bundes
Israels zu festi^.en, die Iler/cn der Kinder den Eltern zuzuführen iMid
den Mciisdieii di.ics GescMcducs die Vorzüge früherer Geschlechter, den
erhabenen \/cit ihrer Wclslieit und Taten mitzuteilen, damit sie sich
ilirer Sünden schämen und ihre Stammutter nicht gcringsdiätzen. Und
eir.'.Mi Mann, der all dies vollbradit hat, trägst Du Unbill und Zorn
nadi.> Hüte Dich!"
Idi vernahm den Ruf der Pajtanim, ihre Strafpredigt drang bis in
die Tiefen meiner Seele, darum beeilte ich midi, bekennend und midi
al'I;chre:ui von meiner Sünde, zu Dir zu kommen, und als Sühne
meiner Sdiuld bringe ich ein Geschenk mit: es besteht aus einem Ver-
zcidinls der Pijutlm für Chag ha Mazzoth.^, das auf einem mit Bildern
und Gold verzierten Pergament am Ende der Hagada ^.gCsdiricbcn ist,
die sidi unter den Büdicrn unseres Freundes, des gottseligen Josef
Alnunzi, befindet ... [Folgt das Verzeidinis.] " .. . -
* Synagogale Gödichte sum Possaohf aßt.
^^ RrzälilunK vom Auszug aus Aagypten,
M0£dechaijfa nuel goah ruft H .. j^^
en na ch Amerika
Um dieselbe Zeit als Leopold Zunz die ".Vir^aonschaft des Judentums"
"begründete, unternahm ein anderer Vertreter der doiktschen Judenheit
jenseits des Atlantischen Ozeans, Mordechai Manuel lloah, den Versuch,
die politische l^istenz des jüdischen Volkes wiederzubeleben.
IToah v/ar ein Sohn des aus Mannheim stammenden Manuel Noah und stammte
auch mütterlicherseits von einem deutsch- jüdischen Einv/anderer ab,
dem im Jahre 1736 in der Ilähe von Aachen geborenen Jonas Phillips.
Allerdings floss auch das Blut portugiesischer Marranen durch die
Adern des jungen IToah, denn seine Mutter war ein Kind des Jonas Phillips
und einer Tochter des der Inquisition entronnenen David Liachado. Da
Koah im Alter von sechs Jahren seine Mutter verlor und sein Vater, nach-
dem er am Unabhängigkeitskrieg teilgenommen, hatte, spurlos verschv/and,
übernahm Grossvater Phillips, ebenfalls ein Mitkämpfer der Revolution,
die l^siehung des im ^Äio" 1785^ gebOröi^ri' Knaben, Zu dem geistigen Erbe
der heranwachsenden Mordechai Manuel IToah gehörten infolgedessen nicht
nur die Erinnerungen an die Leiden der von der Inquisition verfolgten
heimlichen Juden und an die grossen Erlebnisse der amerilcanischen
Freiheitskämpfer, sondern auch der vom Vater \ind Grossvater bewahrte
Zusammenhang mit der deutschen Judenheit,
Ein persönliches, traumatisches Erlebnis beschleunigte und beein-
bis dahin^ als Jou^^nalist^und mit dramatischen Versuchen hervorgetreten^
flusste entscheidend diesen Prozess. Mit 2o Jahren wurae iToan/als
amerikanischer Konsul nach Tunis entsandt, sah sich am Anfang einer
diplomatischen Laufbahn. Diese Hoffnung wurde zunichte gemacht, als
IToah vom Präsidenten James Monroe mit einem Schreiben vom 25. April
1815 von seinem Posten mit der Begründung zurückberufen wurde, es sei
zur Zeit seiner Ernennung nicht bekannt gewesen, dass die Religion,
zu der IToah sich bekenne, ein Hindernis für die Ausübung seines Berufes
bilden könnte. Dieser V/iderruf und die von Noah Q^gQn die Verletzung
des Grundsatzes der Religionsfreiheit unternommene, schliesslich von
Erfolg begleitete Kampagne gaben den Anstoss zu IToahs intensiver
BefasGung mit dem jüdischen Schicksal, In einem bei der Einv/eihung
der Synagoge Shearith Israel in ITev/ York am 17. April I8I8 gehaltenen
Vortrag (Discourse), entwickelte er seine durch die in Afrika und Buropa
gemachten Erfahrun,r;en bestätigten Ideen, die in der erstaunlichen
Behauptung gipfelten, dass die Juden, deren Anzahl grösser sei als je
Mordeohai Manuel IToah (l7B5-lÖ5l)j ainerikani.3Cher Politiker und
SohriftstellGr,
1^
in ihrer frühoren Geschieht g, sich Syriens, das damals Palästina in-
'f^fih einschloss, benächti^^cn und v/ieder ihren Ran^ unter den "Re^jierun^en
der Krde einnehmen wirden. Dieser früh-zionistischen, vielleicht
durch die Proklamation Napoleons an die jüdische Nation und durch die
Einberufunfj des Pariser Sanliedrina "booinflussten Vorhersage folgte
im nächsten Jahre eine unmittelbare politische Alction.
1819 erliess Noah einen Aufruf an die Juden der V/elt, in dem er sie
aufforderte, im Rahmen der Vel'einigten Staaten von Amerika einen eigenen
jüdischen Staat ins Leben zu rufen. Der ursprün^^lich in hebräischer
und englischer Sprache ab^efass'te Aufruf erschien mit einer Vorbemerkung
des Heraus^^obers in der Zeitung "Koblenzer Anzeiger" Nr, 27, vom
2. Juli lßl9:
( ) Llordechai llanuel Noah an die Judenheit / / ^ .
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Datum und Inhalt dieses Aufrufs lassen keinen Z\7aifol daran, dass
der unmittelbar voran{;o(7anceno JIop-Hep-Sturm in Noah den ^>ntschlu3s zur
Abfassun,^ und Veröffentlichung dieses Schriftstücks aus^^olöst hat.
Die durch die beunruhi,^enden Vorkommnisse herbeigeführte Drin^lichlceit
bov/og i^osi: dazu, den ursprünglichen zionistischen Plan durch ein
territoriales Projekt zu ersetzon, Iloah hat nach dem Ausbruch der Govralt-
täti^keiten die richtige R)l{jeruni^ gezogen, dass das jüdische Volk
auch in dem neuen aufgeklärten Zeitalter von Vernichtung bedroht war
und dass es nur durch Schaffung eines eigenen Staates sowohl der Auf-
lösung durch Assimilation wie dem physischen Untergang durch Gewalt
entgehen konnte.
Hur eine einzige Antv;ort auf diesen Aufruf aus Amerika von einem
nachkommen deutscher Juden an seine Brüder ist bekannt. Sie kam von
dem kurz vorher gegründeten "Verein für ßultur und V/issenschaft der
JudenisDcs" und war in ihrer Art ebenso bedeutsam v/ie der Aufruf selbst.
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Obvrahl die Termine lo^^io dos Briefes wesentlich von der des Aufrufes
abweicht - es ist v/cder von einer jüdischen Nationalität noch von einer
Staats^ründun^ die Rede und die Juden werden durchwe^ijs als blosse
"Glaubensgenossen" bezeichnet - so bezeugt er ein über die geistige
Sphäre hinausgehendes Interesse an der T^rhaltung, der V/ohlfalitt und
"Erneuerung der Judenheit, Die Möglichkeit einer Massenauswanderung
nach den Vereinigten Staaten wird von den Unterzeichnern des Briefes
sehr ernst genommen.
Ob Noah diesen Brief beantv/ortet hat, ist nicht bekannt. Die grosse
Bedeutung, die er dem Schreiben beilegte, erhellt jedoch aus der Tat-
sache, dass er für dessen Veröffentlichung in der angesehenen New Yorker
Tageszeitung "Commercial Advortiser" Sorge trug. Eingeführt durch einen
Leitartikel, erschien das Schreiben am 16, Oktober 1822, Noah hat an-
scheinend den Einfluss des Vereins auf die deutsche Judenheit wesentlich
überschätzt und irrtümlicherweise aus dem Brief herausgelesen, dass die
deutschen Juden geneigt seien, seinem Rufe I^blge zu leisten. Der Brief
und vielleicht auch andere Stimmen haben jedenfalls Noah in seiner
Absicht, einen unabhängigen jüdischen Staat in Amerika ins Leben zu
rufen, v/es entlich bestärkt. Auch dass er inzväschen zum Sheriff von
New York ernannt v;orden Y;ar, hat zweifellos sein SelbstbevAisstsein
gehoben. Vor allem aber war es ihm geglückt," seinen nicht- jüdischen
Freund Samuel Legget zum Atikauf eines Territoriums von 2500 acres auf
der Insel Grand Island im Staate New York zu veranlassen, in dem eine
xCeimzolle des Icünftigen jüdischen Staates geschaffen v^ardon sollte.
Im Jahre I825 ging Noah an die Ver\'n.rklichung seines utopischen
Planes, Er erliess ein neues Manifest an die Judenheit, diesmal in der
Form einer Staats gründenden Proklamation.
( ) Llordechai Immanuel Noah an die Juden
Da CS (1cm Allmäcbtificn {rcfallcn hat. seinem Auscrwähltcn
Volke die Nahe der Zeit zu offenbaren, in welcher 7.ur Er-
liillun- der dem llnuse Jakob frcjrebencn Vcrhciüun?cn und
zur Belohnung: ihrer frommen Stanclhaftipkeit und siefjcudcn
'i"reue, sie von allen vier landen des Erdenrundes sich sammeiu
und ihren Ran^- und Charakter unter den Regierungen der
Erde einnehmen sollen und da der F r i e d c, w e 1 c h c r
jetzt unter den zivilisierten Nationen
herrscht, die Fortschritte der Wissenschaft
in der panzen Welt, und der herrschende allfjcmciue Geist der
I-reiheit und der Duldsamkeit zugleich mit andern dem Lichte
und der Freiheit frünsti^en Verunderunijen ganz besonders
die Nähe jener Zeil be/eichncn, da Friede auf Erden und
H.i;i,G6ll)er: Zur Vor,^eschiclite des Zionismus. Wion 1927. 3. 241/46.
/>
Wohlwollen den Sit>^' wolilliiti^^ und cinfliilircich Ix-hauptcn
und das alte Voll; Gottes, das erste, weiches seine Einheit und
Allmacht Iclirle, in sein Erhtheil wieder einf:esctzt und das
Hecht eines sell)ständi;;eu, unahluinizijreu Volkes geniefien soll,
so habe ich, M. M. X o a h, Biirfrer der Vereinigten
S t a a t e n Amerikas, vormals Konsul dieser
Staaten in Tunis. II i p li S h e r i f f in N e w - Y o r k,
J u s l i z r a t und durch Gottes Gnade Lenker und
Richter in Israel, folgenden Aufruf erlassen:
Ich erkläre (.Wn Juden der ganzen Welt, dafi ihnen ein Zu-
fluchtsort bereitet tiiul somit eröffnet wird, wo sie jenes Frie-
dens, Trostes und Glückes genießen können, welche ihnen
durch die Unduldsamkeit und die Irrtümer früherer Jahr-,
hunderte versagt waren; ein Zufluchtsort in einem freien und
niüchtigen Lande, wo ihrer Person, ihrem Eigentume und ihren
religiösen Gebräuchen die größte Sicherheit zugesagt wird; ein
Zufluchtsort in einem Lande, das bcmerkcnswcrth ist wegen
seiner großen Hilfsquellen, Reichtums des Bodens, Gesundheit
des Klimas; wo Gcwcrbefleifi Aufmunterung findet, Erziehung
befördert und Treue belohnt wird; ein Land voll Milch und
Honig, wo Israel in Frieden wohnen kann unter seinem Wein-
stock und Feigenbaum, und wo unser Volk sich vertraut
machen kann mit der Regierungswissenschaft und den Ein-
sichten der Wissenschaft und der Zivilisation, so dafi sie be-
fähigt werden zu jenem großen und endlichen Wiedereintritt
in ihr altes Erbteil, weichen die Zeit kräftig verkündet.
Der nachgewiesene Zufluchtsort liegt in dem Staate New-
York, dem größten im amerikanischen Bande, welcher 4 3.2 14
Q u a d r a t- M ei 1 e n enthält, 55 Grafschaften faßt und
6sr Poststiidtc mit 1.500.000 Einwohner in sich begreift,
6.000.000 .Acker Land. Fortschritte in Ackerbau und Manufak-
turen, Handel und Verkehr, an 500.000.000 Dollars Eigentum,
150.000 Mann Miliz, eine Konstitution gegründet auf Gleichheit
der Rechte, keine Test-Eide und keine Religionsunterschiede an-
erkennend. 17.000 freie Schulen und Gymnasien, worin 400.000
Kinder jeder Religion gebildet werden: Das ist der große und
fortschreitende Staat, dahin die Wanderung der Juden gelenkt
wird.
Der gewünschte Ort in dem Staate New-York, dahin ich
mein liebes Volk aus der ganzen Welt (so wie auch Leute aus
anderen Religionen) einlade, ist Grand Island genannt,
wo ich die Grundlage zu einer Stadt, genannt A r a r a t, zu
legen gesonnen bin.
Grand Island am Niagaraflufi wird vom Oniario im
Norden, vom Eric im Süden begrenzt, wenige Meilen
(englische) von jedem dieser beiden Ilandelsseen. Die
Insel hat 12 Meilen Länge und 5 — 7 Meilen Breite, enthält
17.000 Acres Land. Der Eric ist 270 Meilen laug und grenzt
an New-York, Pennsylvanicn und Ohio, westlich an unsere
Freunde und Nachbarn, die britischen L'ntertanen in Ober-
Kanaila. Dieser -herrliche See wird durch schiffbare Flüsse mit
St. Clair, Michigan und Superior verbunden, ein Seegestade
von 3000 Meilen umarmend; und durch kurze Kanäle können
diese grüßen Wasserbecken verbumien werden mit den
Flü'isen Illinois und Mississippi, und einen ausgebreiteten
inneren Handel nach New-Orleans und dem Meerbusen von
Mexiko erleichtern. Der Ontario im Norden ist 190 Meilen lang
und ergießt sich durch den Loreuz-lTuß, welcher durch Nieder-
Kanada fließend, den Handel von Quebek und Montreal nach
dem Atlantischen Ozean abführt. Auf die.se Weise rechts und
^.
links durch iiuspcdolinle Ilandclsqucllon der proficn Seen und
der Ströme l)cfc.sli\d, innerhalb vier Meilen von den er-
habenen Füllen des N i a p a r a, welche die p r ö I] t e
^^ a s s e r k r a f t zu F a 1) r i k s w e r k e n darbietet —
freradc jre-cnübcr der Miindunj; des 'M) Meilen Janpen proilcn
Kanals fiir die inländische Schiffalirt. dem Ihid.souflussc in der
Statlt New- York — im Besitz des Pelzhandeis, nach Ober-
Kanada fiir den Westen, und der profien Länder pepcn die
Fclsenpebirjrc und das stille Meer, auch des Handels nach den
\\eststaaten Amerikas, kann Grand Island als von allen
Handels-, Manufaktur- und Aprrikultur-Vorleilcn umgeben, an-
jresehen werden und dürfte mutmaf?lich mit der Zeit der {;röl]tc
Handelsplatz der neuen und besseren Welt werden. Für
w-iirdijrc und fleifüsrc Menschen hat dieses Land allen An-
ziehunp:srciz: der Kapitalist wird imstande sein sein Vermögen
mit sicherem Gewinn anzulecken, und der Kaufmann kann nicht
fehlen die Belohnung seiner Unternehmungen in einer großen
und wachsenden Republik zu. ernten; aber für die fleifligen
Handwerker. Manufakturisten und Landwirte enthält es die
prüHten und bedeutendsten Vorteile.
Seit Jahrliundertcn des Rechtes und des Besitztumes be-
raubt, wird unser Volk hier mit besonderer Freude erfahren,
dafi sie hier ihr Land bestellen, die Krnte schneiden und un-
bestreitbar ei-cne Herden erziehen können, und werden in
vollem ungestörten GenuH ihrer religiösen Rechte und bürger-
lichen Freiheit, in Friede und Wohlstand ihre Stimme zu Dem
erheben können, welcher ihre Väter in der Wüste erhalten
und im Triumph aus Aegypteu geführt, welcher uns die
sichere Erfüllung seiner Orakel zugesagt; welcher uns als sein
Volk verkündete und stets uns vorgegangen ist, in einer Wolke
bei Tage und einer Feuersäule bei Nacht.
In seinem Namen belebe, erneue und steile
ich wieder her die jüdische Nation, unter der
Gunst und unter demSchutze der Konstitution
und des Gesetzes der Vereinigten Staaten von
Amerika, alle unsere Rechte und Privilegien,
Namen. Rang und Macht unter den Nationen
der Erde bestätigend, wie sie stattfanden und
anerkannt N\urden zur Zeit der Richter in
Israel. Und ich lege es hiermit allen unseren
frommen Rabbinern, Vorsitzern und Syna-
;rogen Vorstehern, Schulmännern und Brüdern
in aller Welt ans Herz, diese Proklamation
herum zuwenden und öffentlich beglaubt und
wirksam zu machen.
Es ist mein Wille, dafJ eine Zählung der Juden
in der Wel taufgenommen ^v erde, und die Listen
der Personen, ihres Alters und ihrer Be-
schäftigung in den Archiven der Synagogen
eingetragen Averden, >\o Gottesdienst gehalten
wird, mit besonder Bemerkung derer, welche
sich in nützlichen Künsten, ^\'issenschaft oder
Kenntnis ausgezeichnet haben.
Diejenigen unseres Volkes, welche wxgcn hohen Alters,
Liebe zur Heimat oder aus irgendeinem Grunde vorziehen, in
den verschiedenen Ländern zu verweilen, wo sie wohnen, und
welche von den üffeullichcn Behörden gut behandelt werden,
mögen es tun, . und sollen den Regierungen, welche ihnen
Schulz verleihen, treu sein. Aber es wird erwartet, dafi sie die
Auswanderung der Jüngeren und Unternehmenderen fördern
und sich bemühen, solche nach unserem Lande zu senden, die
unsere Kraft und unseren Charakter erhöhen durch Fleiß,
Ehrbarkeit und Vaterlandsliebe.
Die Juden, welche in militärischen Würden der ver-
seil icdencn Herrscher Europas stehen, sind angewiesen, ihren
Rang und Orden zu behalten und sich tapfer und treu zu be-
nehmen.
Jch befehle, dafi eine strenge Neutralität bei
dem Kriege zwischen Türken und Griechen be-
hauptet werde, die sich auch aus Rücksichten für die
Sicherheit der zahlreichen Juden unter der drückenden Herr-
schaft der Pforte empfiehlt.
f-
Die jährlichen Al)^Ml)cn, Mekiic von unseren frommen
Briuicru u;icli der ]ieili{:cu Stuilt Jerusalem geliefert werden,
>\eiclier Golt uns bald wieder zufüliren mö-c, sollen mit un-
ahlässi.irer Frei/ichifrkeit fortfrei iefert werden: unsere Scmina-
rien für Wis^^enschaft und Institute der Mildtiiti:.'keit s(dlen
iiheruli vermehrt werden, damit Weisheit und Tufrend im aus-
erwaiihcn Volke immer mächtiger seien. Ich schaffe für
immer Polygamie unter den Juden a h, w eiche
c) li n e r e 1 i p i ü s e n V o r 1) e h n 1 I noch in Afrika ti n d
Asien h c r r s c ii t. Ich verbiete Heiraten und Kidduschin. be-
vor beide Teile ein anjreme-sene«^. Alter erreicht hai)en und die
Sj^rache des Landes, Mclclie sie lernten,, lesen und schreiben
können, was ihren Kindern den Sepen der Bildunf? und die
Kinsicht der Wissenschaft zusicliern wird.
Gebete sollen stets in hebräischer Sprache be-
halt e n w e r d e n, aber es wird emjjfohlen. daß Gelejrenheits-
reden im Sinne des jüdischen Glaubens, und die MoruUehren
im allgemeinen in der Landessprache grefreben werden, mit
solchen Reformen, die dem alten Glauben anfrcmesscn, dem
Gottesdicns; mehr Weihe pebcu. Die Karaiten und Samari-
laner, wie aucli die schwar/cn Juden von Indien und Afrika
und die von Cochinchina und die Sekte an der Küste von
Malabar sind /u Gleichheit der Rechte und relijriöscn Privi-
leprien berufen, so wie alle, die an dem großen Bund teil-
nehmen und mosaischen Gesetzen jrehorchen oder ihnen "N'er-
ehrunj zollen.
Die Indianer des amerikanischen Festlandes in ihrem zu-
pesiandcnen LrspruuL', in Goticsdicnst, Dialekt und Sprache,
C)j)fern, Lhen, Lhescheidun^rcn, Begräbnissen, Fasten, Reini-
;:unj:cn, Strafen, Zufluchtsörtern, Stammeintcilun^en, Hohe-
pnesicrn, Kriejren, Sichren, alier Wahrscheinlichkeit nach Ab-
kömmlinge jener verlorenen Stamme Israels,
welche vom König Assyriens weggeführt worden, sollen durch
geci^rncie MaHregcln ihres Ursprunges bewußt, gesittet, ge-
mildert und endlich mit ihren Brüdern, dem auscrwählten
^ ulke, Acreint werden.
Ein Kopfgeld vou5 Seh ekel Silber oder ein spani-
scher Thaler jahrlich soll von den Juden in der Welt erhoben
werden, zu sammeln von dem Schatzmeister der verschiedenen
Kongregationen, um die Kosten der Reorganisation
derRcgierung. dicUnterstützungderEmigran-
tcn, den Ankauf von landwirtschaftlichen
Werkzeugen, die Besorgung unmittelbarer Be-
dürfnisse, die Erhaltung ihrer Familie beider
ersten Niederlassung zu bestreiten, wozu auch
die frei%villigen Beitrage, welche zur Förde-
rung dieser löblichen, mit der Wiederherstel-
lung des \'olkes und dem Ruhm der jüdischen
Xation verbundenen Zwecke geleistet werden,
verwendet werden sollen.
Alle vier Jahre »oll ein neuer Richter durch das Pariser
Konsistorium gewählt werden, zu welciicr Zeit auch von jeder
Kongregation Stellvertreter ernannt werden sollen.
Als Beauftragte nenne ich hier den sehr gelehrten und
frommen i^
A b r. de C o 1 o g n a, Ritter der eisernen Krone, Groß-
rabbiner und Präsident des Konsistoriums in Paris.
R. Andrade*^ in Bordeaux, Benj. Gradis, daselbst
Die groüen Rabbinen der Deutscheu und Portugiesen in
London, \ i- i- \ -, >, ,
Her sc hei ^ und Meldoki*«^
Arou Xunez Cordoza in Gibraltar,
Abraham Busnac in Livoruo,
• I
/
r
A"br. do Cologna: {1163 - 1332), Rabbiner der Gem.-inde L.antua;
P ar lam j n t srni t A'l i ^' d .
** Andrade: Abranam A. ( ? - I836), Rabbinur aus üaint Esprit,
zähltö zu den cilctivstan lütgliedern des T'rpolaoniüchen
öanhedrin.
^•^* Her;achel: Galomon II. (1762 - IÖ42), Oberrabbinrr dor accWie-
nasiochon Juden in Rnß'land,
^*^* Meldola: David M. (1797-1Ö53), bodeutender Talmudir-t, Oberrabbinyi
von London, llitbeßTündöP der "JeYd.sh Chroniclü",
r^
Prof. Gans'") und Dr. Zunz"*^) in Berlin.
Dr. Leo Wolff'"*) in llambiirp,
tim diese Proklamation in l'mlauf zu hrinjrcn. zutrlcich mit drr
AoUmncht die nötigen Apcnten in den \ erschiedenen Welt-
teilen zu ernennen, Auswanderunpscresellschaftcn einzurichten,
damit djc Juden konzentriert und bcfähipt werden, als ein pc-
sondortcr Körper zu handeln, in jedem Reiche oder Staate
diejenigen Vorpcsetzlcn habend, die ich auf ihre Empfehlunpj
anordnen werde. Diese Bevollmächtigten sollen sofort Instruk-
tionen erhalten. Eine ausführlichere und allgemeinere Ansicht
des Planes, der Gründe und Absichten wird in dem Send-
schreiben an die Nation frefieben werden. Das Pariser Kon-
sistorium wird hiermit ermüchtipt, drei dis-
krete Personen von anerkannter Fähigkeit
nach den Vereinigten Staaten zu senden, um
dies Land zu besuchen und der Nation Bericht
zu erstatten über den gepenw artigen Zustand
des Landes und was es v e r s [) r i c ii t.
Ich bestimme den 1. Adnr 86 (7. Februar 1826) zur an-
gemessenen Feier, als einen Tag der Danksagung gegen den
Gott Israels für die mannigfachen Segnungen und den sicht-
baren Schutz, weichen er beschlossen hat seinem Volke an-
gecieihcn zu lassen, und damit bei dieser Gelegenheit unsere
Gcbcie um die Fortdauer seiner gütilichen Gnade die Er-
füllung seiner Verheillungen und dem Hause Israel gegebenen
Versicherungen auszusprechen.
Ich empfehle Frieden und Eintracht unter uns, Liebe und
Wohlwolien gegen alle, Duldsamkeit und Freigebigkeit gegen
unsere Brüder aller Ileligionen. weiche durch die milden und
gerechleu Gesetze unserer ileligion empfohlen wird, Ehre und
Treue in der Erfüllung aller unsrer Verbindlichkeiten, zugleich
Mäfiigkeit, Sparsamkeit und Fleiß in unseren Sitten.
kh bitte, in euren Gebeten i)edacht zu werden, und schließ-
lich und ernstlich befehle ich euch: Halte das Gebot des Herrn
(ieinc^ Gottes, in seinen Wegen zu wandeln, seine Gebote und
Gesetze und Rechte uml Zeugnisse zu halten, wie geschrieben
sieht im Gesetze Moses, damit dir glücke, was du tuest und
woliiu du dich wciulest.
Gegeben zu Buffalo im Staate New -York, am
2. T i s c h r i 5 3 S 5 (5. September I b 2 5) im 50. Jahre der
/
ff A.., / ■
amerikanischen Unabhängigkeit.
gez. A. B. Seixas, zeit Secr.
(Ins Deutsche übersetzt von M. Jost in der „Neueren Ge-
schichte der Juden 1815— iW5". Bd. IL S, 228—234.)
Noch "bevor dieses I.lanifest in "Ruropa eintraf, hatte Hoah die
Gri3^dung seines Staates in aller Form vollzogen. Am I5, September
1825 - zehn Ta£;o nach Versendung des Manif ests - vAirde die Judenstadt
Ararat foiorlich oin,f:Gv;oiht. Die Stadt Buffalo war der Schauplatz der
rolir:iö3on Zoromonio, dio raangols einer Synagoge in der bischöflichen •
Kirche St. Paul stattfand. Noahs I'^eund, Reverend Searle, leitete den
Gottesdienst, amerikanische Trupp enahteilungon hielten Wache und lösten
./?'
./
den tChrensalut von 24 Kanonenschüssen. Inmitten einer grossen I.lenschen-
monee bewerte sich ein prächti,-er Zu^: unter den Klängen des Marsches
aus "Judas llaJdcabäus " in die Kirche. Uoah, im rotseidenen Richterornat
über den schwarzen Kleidern, eine Goldkette um den Hals, schritt voran.
Als er die Kirche betrat, begann die Or^el das ffalleluja zu spielen.
Auf dem Kom.auniontisch la^ der Grundstein dos neuen Staates mit folgender
hebräischer und englischer Inschrift:
Höre Israel, der Ewige, unser Gott,
'der Ewige ist einzig.
Ararat.
Eine Zufluchtsstätte für die Juden.
Gegründet von M. M. Noah, Tisdiri $^U^ September 1825,
im So, Jahr der amerikanisdien Unabhängigkeit.
n /
, ,1
Auf dem Grundstein standen Silberbecher mit Wein, Korn und Oel.
ITach dem Gottesdienst, bei dem Psalmen und Stellen aus den Propheten
in hebräischer Sprache gelesen \vurden, hielt Noah eine Ansprache, in der
er die Wiederherstellung der jüdischen Souveränität verkündete.
Der Eindruck, den Noahs Manifest in ^)uropa hervorrief, Scg?itY«T:i:tl7rtg
xtirfii?i:nTv::L:Yv:T:?tn'httYT?:'bT:TiYt)'haTi?;trtgYyihgxx stand in scharfem Gegensatz zu
dem glanzvollen Gründungsfest: die alte Welt hatte für Noahs Plan
nur ein überlegenes Achselzucken. Gerade unter den liännern, die iloah
zu seinen Beauftragten ernannt hatte, fand er seine schärfsten Wider-
sacher. Der Pariser Rabbiner Abraham de Colo^^a liess im "Journal des
Debats" ein offenes Schreiben erscheinen, in dem jeder Versuch, die Judenj
nach Palästina zu bringen - vras nach dorn Wortlaut der Proklamation das
letzte Ziel der Gründung von "Ararat" bilden sollte - als eine Lästerung
der göttlichen Liajestät erklärt und lloah zum Schluss rüorksichtsvoll
als Schwärmer bezeichnet vAirde. Noch schärfer urteilten Salomon Her-
scholl und Abraham Andrade über ihren Auftraggeber: in ihren Augen
war IToah ein Gotteslästerer und Scharlatan, Völlige Ablehnung erfuhr
IJoah auch bei den V/ienor Aufgeklärten. Der Rodakteur ihres hebräischen
Organs " Bildoire Haittim", Juda Jeitoles, erklärte es für sinnlos,
die Juden zur Auswanderung aus den glücklichen Ländern. vora.blassen zu
\7ollon, in v/olchen sie sich der kaiserlichen Gunst erfreuten, in
I.
"Biklcure Haibtim"! "l^rr/tlince der Zeiton", er^ohian l820
1C31.
/
1
demselben Sinne überhäuften die Berliner und Wiener Tai-^jocblätter den
selbstherrlichen Staatsgründor mit Hohn und Spott. "V/ir haben Anstand
genommen," höhnte die "V/ienor Alljemeine Zeitung" vom 1. November I825,
"diese Proklamation mitzuteilen, aus I^Xircht die Börse in Alania zu ver-
setzen, MQnn sie sich plötzlich mit dem Verluste so vieler Liänner und
Kapitalien bedroht sähe."
V/ährend das Verhalten der offiziellen Vortreter der aufgeklärten
Judenheit zu Noahs Ausv^anderungspro jekt durch deren grundsätzliche
i'linstellung bedin/^t erscheint, befand sich die ebenfalls n0,';jative
Stellun^xnahme der Gründer des allerdings seit I824 nicht mehr bestehender
"Vereines" nicht nur im V/iderspruch zu der vom "Verein" einst verfolgten
Richtung, sondern vor allem zu der im Brief vom 1, Januar 1822 ausge-
drückten Sympathie mit Noahs Absichten. Dieser \7iderspruch war jedoch
nur die unvermeidliche Folge der Wandlung, die sich in den seit Nieder-
schrift jenes Briefes verstrichenen drei Jahren in den beiden führenden
Geistern des "Vereins" vollzogen hatte.
Im Jahre I825 v/ar in Eduard Gans längst der "ßntschluss goreift, in
die Kirche oinzutroton.^, und seine T^rnennung zum Beauftragt en dos
"Richters in Israel" hat ihn nicht daran gohindort, den l-lntschluss am
12. Dezember I825 in Paris auszuführen. Immanuel V/ohlwill hat in einem
Brief auf die Paradoxie der Ernennung dos getauften Gans mit einer
trotz der Noah gezollten Anerkennung sarkastischen ITebenbemerkung ange-
spielt,
( ) Immanuel V/ohlv/ill an Leopold Zunz
21. Dezember I825
Kordechai Noah hat das Wort der Erlösung an schlafsüchtige
Papierseelen ergehen lassen und durch Ernennung eines lieshummad
zum Uessias gezeigt, dass er \7enigstens vom "Geist der Prophezeiung'
entblösst ist.
L.a.-'iger, "Aus L. Zunz« ITaohla;:ö." Zjitioolirift für die Göcliichte
dor Juden in Deut.-cjiland, V (1892), 265.
Meshummad: Apostat, Täufling,
/f
Das V/ort von don "schlafüfi.chti,o;en Seolcn" traf zwar nicht auf den
Adressaten dieses Briefes zu, aber auch Zunz war von iPL^endeiner Aktion
•'.zeit entfernt, die nun {gebotene Gele^-enheit zur Verpflanzung^ eines
Teiles der europäischen Judenhoit nach Amerika auszunützen. Im übrigen
hatte die all^jemoine Erregun^j, die dem Judonsturm gefolgt war, nach
dor Einstellung der Feindseligkeiten einer Beruhigung der Gemüter Platz
gemacht: man begann vaoder, auf die Emanzipation zu hoffen und sogar
den Kampf für sie aufzunehmen. Zunz hatte im Dezember 1823 eine Stellung
als :fTrr:iT:n;gT:^T;TTii-i:^T Redakteusr der Haude-Spenerschen Zeitung angetreten.
Seine I^rnennung zu einem Beauftragten de» "Richters Noah" vermochte ihm
unter diesen Umständen nur ein ironisches Lächeln zu entlocken, ^in an
den mit ilim Qn^ befreundeten Y/ieÄer Prediger Lilannheimer gerichteter
Brief enthält sein Verdikt über IToahs Staatsgründung.
( ) Leopold Zunz an Isaak IToah Mannheimer
27. Januar 1Ö26.
Heine f^nonnung zum Ararat-Kommissarius hat mir Porti gekostet.
IToah meint, er brauche nur zu rufen; ich aber sage, er vard väe
cein Altvater Noah ganz allein auf Ararat bleiben.
Auch Heinrich Keine gab das phantastische Unternehmen lloahs nur
Anlass zur Erheiterung, "Designierter Richter über Israel T" sprach er
Zunz in einem Briefe an und iii einem anderen dienen Noah und Gans
gleichzeitig als Zielscheibe seines Spottes.
( ) Heinrich Heine an Lioses Lloser
£21. April 1826_7
...
Ich träumte auch, Gans und lüordechai Noah kamen in Straiau
zusammen, und Gans war, o V/underl stumm wie ein Fisch.
Dennoch fehlte es nicht an Nachdenlclichen, die Noahs Plan ernst
nahmen. Zu ihnen gehörte Zunz« väterlicher Freund Ehrenberg,
Vgl. Anmerkung zu S.
^^ Mannhoimor: (1793 - IÖ65)
Briefwechsel llannheimGr - Zunz. Otü;:,,, von Brarm-Ro.üünmann,
Monats;^ chrift 191?. S. 295.
/für Gesohichte und 'VisGünGchait des ^udentumc./
lUlIeine^s LelDon und 'Verk-^ Von Adolf ötrod-tmann. Bd. 1. S. 409.
( ) SJ-ul-Ihrenbor^ an Leopold Zunz
V/olfenbüttol d 25 Nov. I825.
Lio"ber Freiind!
Ohne Doino Antwori; auf mein Schreiben an Dich länger abzuwarten,
schreibe ich Dir heute, auf Ansuchen unserer i'^reunde, die mich
gebeten von Dir zu erfahren, was Du von der Aufforderung des Hrn
Noa in Heuyork, hieltest, und ob Du glaubst, dass diese so viel
Interesse bei den Juden des alten Continents erregen würde, um
eine Deputation nach Amerika zu senden? - ich glaube, dass dieses
vor Allem geschehen müsse, damit man sich von der Lage und den
Umständen in Amarilca erst genau unterrichte....
Dein Dich liebender Freund S.Ll.Ehrenberg
Die Dringlichlveit des Anliegens, das ausdrücklich als das einer
Gruppe von Freimden bezeichnet \vird, spricht für das lebhafte Interesse,
das lührenborg und sein Kreis der Proklamation Noahs entgegenbrachten.
Dass sich diese Gcmoinschaft an Zunz v/andte, beweist ebenfalls de/n
Ernst, mit der die Frage der Auswanderung in diesen Kreisen behandelt
v/urdo. Zunz* Antwort ist nicht erhalten; dass er den Brief nicht unbe-
antvrortet liess, ergibt sich aus seinem eigenhändigen Vermerk auf Khren-
bergs Schreiben, der jedoch besagt, dass er die Anfrage erst am 17. lAärz
- nach zweieinhalb I.'ionaten - beantv/ortet hat. ^ ,
r •
Lazarus Jacob Riesser, der Vater Gabriel Riessers, der gerade um
jene Zeit den Kampf um die bürgerliche Gleichstellung der deutschen
Juden aufnahm, sa^ im Gegensatz zu Zunz in Noahs Plan durchaus Möglich-
keiten für die Zulamft.
1 ;i'\ J ( ) Lazarus Jacob Riesser an Gabriel Riesser
• t
Hamburg, 24. Januar 1826.
— Was ich zu dem neuen jüdischen Staat in ITord-Amerika sage?
Llir scheint, dass der Lann nicht die Propheten, sondern den ITassi
oder Patriarchen sich zum lluster nalma. Wie bekannt hat dieser Fürst
der Gef an^*>nschaft bis vor achthundert Jahren noch in Israel gewal-
tet, aus allen V/eltthoilen Contributionen eingezogen, und dagegen,
Leopold und Adelheid Zunz, An account in letters. IMi-fcsd mth
an introductiün "by llahum IT.Glataer. London 19 58. "S, 51,
* Lazarus Jacob Riot-?3er: (1763 - l82ö), Talmudcelohrter, Sohn einQ
Rabbiners und einiß-e Jahre Sekretär beim jüdischen Gericht in
Altena.
^■^ Gabriül Riesner s (I8O6-I863), Vorkämpfer der '"^'n^nsipation der
Judon in Deutschland,
Riosser's Gesammelte Sohriftan, hrsg', von H.Islor. Bd. I, S,42.
a
von allen Staaten anerkannt, war or auch der Fürsprochor aller
Zerstrouton und doren Stütze in der öffentlichen Ifoth. So klein
oder so^^ar lächerlich die Sache jetzt ßcheinon ma^, so mö^fjan
Iloth und Zeit und Zeitumstände unsere Naohlcommon die Sache ^^anz
anders heurtheilen lassen, und oft ist in der \7eltr:oschichte der
kleinste Anfang ein Keim, der grosse "Rrfolge liefert,
Leopold Zunz sollte Recht behalten: Vergehens harrte Hoah der An-
kömmlinge, die seinen Staat bevölkern sollten. Die Stadt Ararat blieb
ungehaut. Ihr Grundstein wurde ein Schaustück des historischen lluseumo
von Buffalo, und IToah kehrte nach dem loirzen Zwischenspiel als Richter
SU ?:::rgr^ri:yi:>:7r.x 'i'atigkeit zurück. Seine Rolle in der jüdischen Geschichte
schien ausgespielt. Neunzehn Jahre später jedoch hielt er anlässlich
der IDreit^^nisse im vorderen Orient vor azi zahlreichen Zuhörern in New
York zv;ei grosse Reden - am l8, Oktober und 2, Dezember I844 - die in
Buchform unter dem Titel "Discourse an the Restoration of the Jews"
erschienen, T']r trat für die nationale Wiedergeburt des jüdischen Volkes
durch Rückkehr nach Israels Heimatland ein, "Aber werden sie denn gehen,
fragt man sich, wenn der Tag der "Rrlösung kommt?" rief IToah in ^rinnerun^
an die grösste T^ttäuschung seines Lebens aus. Und er gab die Antv/ort:
"Alle werden gehen, die des Unterdrückers Joch fühlen, V/ i r mögen
ausruhen, wo vrLr glücklich sind, aber jene, zur Erde gebeugt durch die
Unterdrückung, werden mit Freuden den Zustand des Vasallentums hingeben
für die Hoffnung auf Freiheit,"
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filZi-lNl Ho'&LtL CoLLECT'rloti ii\\^^k
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Der i^anzipation ent^e^en
;
Seit der l^itte des achtzehnten' Jahrhunderts hatte sich die T^anzi-
patmon nur in einer Schicht dos Volkes und im /^eisti.'^en Bezirk
ahfTGspiolt; im neunzehnten Jahrhundert dehnte sie sich auf alle Schichten
und alle Gebiete aus. Die Juden wurden in den wirtnohaf tlichon, sozialen
und /Toiotit'^on Umv/andlun^^sprozoso ])eutachlando einbezogen und /^ov/annon
infolge der wichti/^on Tiollo, die ihnen in der Rnt\vicklun,^:.'5Zoit des
Kapitalismus zu^^ofallon war, insbesondere durch ihre Konzentration in
den rasch aufblühenden V/irtschaftszontren, einen wesentlichen Kinfluss
auf den Gang der Gesacnte.
liitbeteiligt an dem Schicksal des deutschen Volkes, sich zur deutschen
Nationalität bekennend, "amalgamierten" oder - *ie die erst später
eingebürgerte Bezeichnung lautete - assimilierten sich die Juden immer
mehr an ihre Umwelt, Aussero.de/ntliche Leistungen in Wirtschaft, Kunst
und Wissenschaft brachten ^vifei^/aeutschen Juden Krfolg und Anerkannung.
Damit wurde für viele von ihnen iuExisizxi'^Qes Judentums in seiner früheren
Bedeutung in den Hintergrund gedrängt. Die Taufe vAirde zu einer ge-
bräuchlichen Besiegelung der Abkehr vom Ursprung. Diese Preisgabe der
Bindung an eine grosse Vergangenheit vollzog sich - und gerade darin
lag das entscheidende LIerkmal des als "Tauf epidemie" bezeichneten
Prozesses - nicht nur aus Gründen sozialen und wirtschaftlichen Zwanges,
den das bekannte Heine-V/ort, der Taufschein sei das "^treebillett zur
europäischen Kultur", hinlänglich charakterisiert. Bei vielen entsprach
die Taufe der Ueberzeugung von der Unabv;endbarkeit dieser "nintwicklung.
Dennoch war es nur eine llinderheit, die den - wie sie annahm -
endgültig aus dem Judentum hinausführenden V/eg beschritt. ITicht Ver-
schmelzung mit der Umv^elt durch Taufe, sondern organische Einfügung
in die deutsche Volksgemeinschaft schwebte dem grösseren Teil der
deutschen Judenheit als Ideal vor. Darum wurden "^anzipation -
bürgerliche Gleichstellung - und Reform zu Leitlinien für die jüdischen
Lienschen, die sich zu diesem Ideal bekannten, Sie v^rollten dem alten
Bunde die Treue bewahren, aber sie waren auch bereit, alle jene Opfer
zu bringen, welche ihnen zur Erreichung ihres Ideals unvermeidlich
erschienen. Diese Opfer waren nicht gering: sie bedeuteten Bruch mit
dem Judentum als unverrückbarer Lebensordnung, Reduktion der religiösen
/
Uobunsen auf den f oiertäf^lichen GottocdionGt, Vorzieht auf dio hooräi-
GChe Sprache und auf die mocGianischen Hoffnun^'^en, Vorv/andlunc der t-^eoffei
"harten Glauhonslehre in ein persönlichoa, kritisch üherprüf hären Bekennt-
nis. Diene Umgestaltun(^ erschien jedoch der Generation, die sie vollzog,
vreder als Ahtrünni£:keit, noch als Vercov/altißun^, sondern eher als not-
wondi^je läuternde Tat. Sie betriff sie, nach einem V/orte Llax Wieners,
als die l*^eileßim{j der "elementaren prophetischen Kräfte cei'^enüher
dem Pormalismus und Ritualismus der Relicionsf^esetze", als den not-
v/endicen Versuch, das ^rhe mit der Gegenwart in '^inklan,^ zu hrin^^en.
Allein so sehr diese Entwicklung aus den Bedingungen der l^oche hervor-
wäohst, ist sie andererseits doch wieder ein Glied in dem f;ronsen Zu-
s:mmenharig der jüdischen Geschichte, von der sie sich zu lösen scheint.
Denn die Geschichte dos Judentums ist schon von ihren Anfängen an
eine Geschichte der Synthesen und Lösungen, dos sich verlierens und
wiederfindens, der Untergänge und Auferstehungen. Die Beziehung zur
Umwelt, zu fremden Tölkern, ja zur Gesamtheit der Völker, der L'ensch-
heit, ist für das Judentum nicht nur historisches Schicksal, sondern
Ausdruck seiner religiösen Haltung, Dem Glauben an die Auser\vähltheit
Israels entspricht, und ist von ihm nicht zvi trennen, joner an die
l^inheit des l.lenschen,^eschleohtes, die sich ehenso in den für alle
Lienschen verbindlichen, im Bunde Gottes mit Noah besiegelten Gesetzen
wie in den Weissagungen der Propheten von der Herankunft eines
messianischen Priedensreiches kundgibt. Diese Polarität waltet in
jüdischem V/ecen, in jüdischer Geschichte, Kanaan und Aegypten, gelobtes
Land und Zerstreuung, V/anderung und Heimlcehr sind die Urformen, in
welchen sich das jüdische Geschichtsschicksal vollzieht. Auch die Assimi-
lation ist als äusserstes Gegenstück strengster Abschliossung eine
historische Kategoria dieser Art. So oft sich das Judentum ihrem Zauber
hingibt, v/ähnt es am i^ndo seiner V/anders chaft zu sein, während es nur
die ihm eingeborene Aufgabe erfüllt und nach neuer Form für sein unzer-
störbares Wesen strebt. Dieses Gesetz sollte sich in der ^'Vianzipations-
epoche ebenso bewähren väo einst in den Zeiten des Hellonismus und
dos werdenden Christentums,
Henri ITathansen hat in seinem Buche über Georg Brandes das schöne
V/ort uon dem "überströmenden Eros der Ttoanzipationszeit" geprägt. Es
•
t
* Tax \neYiQT i (1882 - 1950), RabMner in D"s eldorf,Sto-btin,
Berlin (1909-1939); Dozont am He;(^brew Union Collc^-e Gincinnati
von 1939 - 1941,
** ll3nrl ITathanaen: (l868 - 1944), dilniüoher üchrif-tst eller und
Draraatikar, Beging Selbstmord auf der Flucht vor don llational-
sozialiston,
*^^ Georß- Brandes? ■Mathan£5enß "Jude odor ^^uropäor. Portrn.t von
Gröorg Brandes" eruchien 1931.
;
Y;ar in V/ahrheit eine mächtir:e V/eile von llingaibe, dio aus dem inneren
Bereich des Judontuma der ouropäiGchen Umwelt, und keiner go stark v/ie
der deutschen, entfrocenschlur^. Sie hielt allen StÖG:>en und Proben stand,
denen das Judentum im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts immer von neuem
auscesetzt v/ar. Schon vor Ablauf der ersten Jahrhunderthälfte v/ar dieser
Prozess so weit gediehen, dass der führende Geist der italienischen
Juden, der hervorragende Dichter und Gelehrte David Luzzatto^, in einem
an den Historiker Isaak Llarkus Jost, einen entschiedenen Verfechter
der jüdischen Reform, gerichteten hebräischen Brief die jüdischen
Gelehrten Deutschlands mit folgenden V/orten apostrophierte.
(
) David Luzzatto an Isaak llarkus Jost
24. Januar I840
Und wann endlich Ihr jüdlsdicn Gelehrten Dcutsdilands, wird
Euch der Herr die Augen öfTncn? Wie lange nodi wollt Ihr nicht
einsehen, wie verkehrt Ihr handelt, indem Ihr der Menge nadilaufct,
den Nationalstolz erlösdicn und die Spradic unserer VättT der Ver-
gessenheit anheimfallen lasset? So lange Ihr Eure Brüder in dem
Wahne werdet beharren lassen, daß das Ideal der Vollkommenheit
nidus anderes ist als Assimilation an ihre Nadibarn und das An-
sehen, das man bei ihnen gewinnt; so lange Ihr nidit Selbstbewußt-
sein genug werdet erlangt haben, um voll Eifer für Gott, für die
\^'ahrheit und für die jüdische lirüdcrlidikeit das Volk /u lehren,
daß das hödistc Gut nidu etwas Siciitbares ist, sondern das, was
tief im Herzen empfunden wird, daß das Glüc^\ unserer Nation nidit
von der Emanzipation abhängt, sondern von unserer Liebe zuein-
ander, von unserem Zusammenschluß in einen brüdcrlidicn Verband,
und daß dieses Zusammengehörigkeitsgefühl infolge der Emanzipation
allmählich sduvindct: wird sida notwendig an Eudi der Aussprudi
des Propheten Maloadii erfüllen: „Und idi madic Eudi vcräditlidi
und gering in den Augen des Volkes, in dem Maße, als Ihr meine
Wege nidu hütet und das Gesetz parteiisdi handhabt."
Und doch sollten eben aus der Mitte der deutschen Judenheit der
Prophet der jüdischen Renaissance mui sowie der Ver\\drklicher des
Zionsgedanl-cens hervorgehen: i^oses Hess und Theodor Herzl, Beide hatten
schon ein Lehen fernab vom jüdischen Bereich hinter sich, als sie
den V/eg zum Judentum zurückfanden. Und beide verbanden ihr Streben
nach "Rrlösung des jüdischen Volkes mit Ideen und Bewegungen, die
v/iederum aus der ^ge selbstsüchtigen Nationalstolzes hinausführten.
Erst aus der deutschon Judenheit erwuchs die Kraft, die dem im Osten
schon mächtig gevADrdenen Drang nach nationaler Regeneration eine
f-/
t
I
Da-vld Lii^aattos (I800 - I865)
^■^ Moses Heiis: ijl8l2 - I875), v^:!. Abi^chnitt Moses He: rs, S,
*^-^ Theodor Herzli (l86('J - I504), Beß-ründer und bis zu seinem Tod
Präsident der Zionisticohon l7elbor{_^anication. In soiner .Broschürs
"Der Judanstaat" (I896) entwarf er ainen Plan zur Lö.<junfy der
Judönfragö ö.uf nationaler Crrundlag^e,
/
klare Richtunc vorlioh. Von hior erfÄns zum oratonmal in dor zwei-
taucondjährif^on Diaopora der Ruf, die Stimmen des jüdicchon im Chore
der übri^:en Völker vernehmlich zu machon.
Auf die Generation, die durch ihre Hotahlen hei den Re{;ierungen
und am V/ioner ICon^reGS um die Gleichstellunc {jöv/orben hatte, folgte
eine neue, deren Söhne Bahnbrecher einer auf die Ideen der Freiheit
und Gleichheit gegründeten Rechtsordnung und Mihrer der sozialen
Revolution "".vurden. Aber auch die zu Beginn des neunzehnten Jahrhun-
derts geborenen Wortführer der deutschen Judenheit betrachteten die
«
von ihnon angestrebte TiJmanzipation nur als eine Auswirkung der politi-
schen Befreiung des ganzen deutschen Volkes, als dessen Teil sie die
Juden ansahen, nicht als einen diesen gewährten Sondervorteil.
Johnnn Jacoby, Arzt und Politiker, in Königsberg I805 geboren,
steht neb an dem nur ein Jahr jüngeren Gabriel Riesser im Vordergrunde
der Genchehnisse, die die politische Geschichte der deutschen Juden
in den der Ti^nanzipation vorangehenden Jahrzehnton bestimmten, t^s ist
zv/ar von Jacoby gesagt worden, dass sich seine politische V/illcns-
bildung an dor Praßte der Judcnomanzipation geformt hat, in Wirklich-
keit aber v/ar der universalistische Freiheitsdrang in Johann Jacoby
so mächtig gev^'orden, dass die von ihm erhobenen politischsn Ansprüche
der Juden von den Forderungen, die er namens des deutschen Volkes
vertrat, nicht zu trennen sind. Aus zwei von Jacoby an nicht- jüdische
I^'rcunde - einen unbekannten Adressaten und den liberalen Ritter,^ts-
besitzer Alexander Küntzel - gerichteten Briefen geht dies deutlich
hervor.
( ) Johann Jaco])y an Jacob /wf [^^^'■"^'^' ^-^' v-^vi--«^ uui^e,Lc^\--Tl
Königsberg, 10. Juli 1832.
• • *
i.ittcn unter frohen christlichen Genossen fühlte ich mich oft
plötzlich durch ein dunkles Gefühl beklemmt, das meine Brust
gewaltsam einengend, den haum - -
Johann Jaool)y: (1805 - IÖ77), entschiedener Bemokra-tj I848
Mitglied daa Yorparlanants und ainer der li^lirer des linken
Flügels in der preu.-'sischan National versammlun/j, I849 Mitgliöd
dor Pr^-'.nkiAi.rter ÜJationalversaxiridung' und der Zv/eiten ICanmer
(j^usr.erste Linke), später Gegner Bismarcks, ab I872 ilitglied
d r xSozialdemokratischen Partei,
««
Gobriel Rieasors v^l. Anm. zu S.
\/ , />/if7 ■
1
f
Gustav llayerj Liberales Judentum im Vormärz, In: Der Jude, 'Uno
Monatsschrift. 1, J^j, I916/17. S. 670ff,
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aufdämmernden Frohsinn erstickte; bein*. besten Willen konnte ich nicht wicr'r -
zu Heiterkeit kommen, sondern saQ <* ". -:■.: in mich gekehrt im Kreise derer, ^l:^
von jedem Ai;;\volm fein ^'t''. i."it cf.'v:*. :•: }'erz!ichkeit einrjider hingaben. D ■ •,
nnhoi""'''''' " r •''.' V •• •''■ ,•'•' '. ': '' -r ■:'.■.■ w..-^ ninß'c \\\'.c\\ il." a f,e.:v.-;:.
ci:>>":>.i ';' •> ' '•» " ■''■ ;:<' : /' ■. ■■': ■■.■'. ' :.\ i'röhliclu.ii .il)clo''. n, .:.i ;
d.ios nr.f mich und .''v.lrre einen höc'.V:: s* :-:r.-:e:i Einfluß ausüben. — - Oft h.-'b.-» J-'-
über U::rc''.r '• 1 ''olg^n (ii.'rcr l^-i:>-- .:.:^ r. -. :hgedacht, und gefunden, --
ähnliches i,c.'. ili jedem gc''ildetcn u' ■- .- j.-itn'.-.raden Juden br'gegiK^t, .s.«',)!.! ...-
«-•ich über seine imnatürliche Stellung zi: ?'.:v.-elt aufrichtige Rochenschai't ,,1!)'.
Der Gedanke: Du bist ein Judel 15: eben der Quälgeist, der jede v/Ap.rc
Freude lähmt, jedes sorglose Sichger.enlassen gewaltsam niedordrüo'itl
Durch die Sta:;tsgoseizc von äußeren Ehren 'jnd so vielen Rechten ausgeschlo •>•:•.,
in der lueinung seiner christlichen M.'.rü.-^tr niedriger gestellt, dies wenigsieiu
ütcls (und w.jr kann es ihm verdenken?) ar^-v:.-:.-;nd, — ■ fühlt der Jude sich durcli
frcrulc Überhebung gcdcmütigt, und :«: sj ; zu sehr geneigt, in joder unschul-
di:'r-i Außerunq; eine Krankun-^j zu be:ür:b :■:.■. ".'.'ie kann er sich harmlos oder walir
zei^on, da er jeden Au;;enblick än;^s-'.i:i~. =.-: i::h aufpassen muß, um nur ja nicht
als Jude (im Sinne der Christen geno;r.:r.:r.) iit ihm — • als Einzelnem — • gcv/orden.?
Achtung aufs Spiel zu setzen? Und ist <zz üibit unter Christen, die sich von d-M.i
mit der l\Iuttcrmilch cinj;esogenen Vor-::;.*, freigemacht, sich nicht besser 'diiiik-ii
rls der beste Jude, doch knnn er sich c?.- '.'. I:rauens nicht erwehren: eben weil er
Gespenster glaubt, sieht er sie. — Je rr.ehr er so durch sein scheinbar-unwahres
Bcneh.men auf die Liebe der anders gliubsnien I.ritmenschen Verzicht leisten mj3
— denn nur das Herz gewinnt ein Herz, nur Vertrauen erzeugt Vertravien — •, desto
eifriger strebt er v/onigsteas die Ach tun- därselben sich zu erkämpfen und fest-
zuhalten. Aus dieser Quelle lassen sich die ir.äisten Eigentümlichkeiten und FcIiIt
h.crleitcn, die man nicht olme Rech: ^emtir.rr. und gebildeten Juden zum Vorwurf
macht. r.Iit aller Geistesanstrengung reagier: er — nur freilich oft zur Unzeit — ,
um seiner gekränkten Menschenwürde nichts zu vergeben, um sich und andern
nicht etwa niedriger zu erscheinen. Erbi::erung über wirkliche oder vermeintliche
Zurücksetzung — Furcht vor dem Schein zu großer Demut läßt ihn in das andre
Extrem verfallen, in Egoismus, Hochniu: und Selbstüberschätzung. Zugleich abjr
(um nicht bloß bei den Schattenseiten zu verweilen) — ■ wird durch solche von Jugend
auf geübte Opposition, gleichsam durch die stete Antreibung, der Geist schärfer,
lebhafter und mehr entwickelt: ein Verzug, der leider 1 mit zu großen Opfern er-
kauft v/ird. Denn als Resultat des Ganzen steht einmal fest, daß der gebildete Jude
zwar die Achtung seiner christlichen Umgebung genießt, aber nie ihre Liebe er-
v/erben kann.
Schon als Jüngling empfand ich Q.tT^ heftigsten Unwillen über die scluniÜ'dicli'i
Erniedrigung, in welcher v/ir Juden leben. Dies peinigende Gefühl verleidete m:f
die Freude des geselligen Lebens, für die ich jedoch in den Träumen einer besseren
Zukunft reiche Entschädigung fand. Je älter ich aber wurde, desto v/cniger konnten
mir die schönen Träume genügen: ich fühlte eine Leere im Innern, welche auszu-
füllen ich mich innig nach Gelegenheit zu Taten sehnte. Sollte das Leben nicht in
ctv/as andern! bestehen, als in dem blo2en Vi'echsel von Essen und Verdauen, ^on
Anstrengung und Vergnügen; sollte vrissenschaftliches Streben und gegenseitiger
Auslausch von' Liebe und Freundschaft schon das höchste Ziel desselben sein? Icii
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l . - . .-
5 ahnte einen des Kati^«»" ; v " .Kj^t-cn »^.r-i-;. 'V- '* • ''rr\ ... ,, ,• ■/ .-.i. .< i.ai';.-
:t ■ /er tr«nit, ;•' .jr ! ' ■ ^!;^ i'\ich '"'♦•. rri7t t '•'• n i. •' ■'■■■ ,. .-, -'i;- : -'m -'i' iiillon.
.', :i T 'n "'' u' • ' '• ' ii.ls ''r/t' V.I ''•'il'f, i^i. '■'■■ ' . r ■: •: •*! " '; ' .* ir"' /.'i»ii 'l'-i| "■.-•|ö;»-.
! . ■' ■■■':'i ■^■- ■ n • ■,' • ^r ,.. ,■!• -, , ... . ;'. ■..;i^, i,i. .■•■ • ' • :' -rlirj
l .1' '"'■« ■ ! .uJi • ' ' \, ii)il .1 . I .1; / i ^. <.•..;■'• "'jr : .' ■ ■ • -.-/rn
! (li'in <.ci5tigoii Wohle der i\iciisciilu-u seine Kraflo vviduicMi, d^to ist u<.i- oiliabcne
I ,■ >ck üiiscrcs D-i'-^cins. V/ie bcen;{;t es ;^')':r die '.'" hm, v/enn wii vr^ • 'ücscn liolicn
t i' iJo.ion iuv-,cior tdecn auf die v.-rfl.';chle ' /:; ':•' "il^it den IJlirk v.(;r[;.n, v.«.;ui
^ ..ir in dieser unsere Kröfle so «jhmaächtif?:, n.ib. "n Si indnuiikt so 1 i-sclirankt, nnrl
i vor allem den Weg durch ein leidiges Vorurteil \ins üho'-all versperrt sehen. /vllJn
; Iiicr ist es eben, wo wir H-ind anlogen müssen: können wir nicht nach dem Höchsten
streben, so v/oücn wir wenigstens die Hindernisse wegzuräumen suchen, sei es für
uns o-'oi M-st z\un Besten unserer späten Nachkommen. Durch Rede und Tat gegen
Unto'<l''"'k"ng anzukämpfen, ist uns eine heilige Pflicht, damit endlich der bc-
J.,in".:< 'rv ./crie Zustand einer lange verachteten und zum Teil dadurch verächtlich
g. V .'jidon-^'i 'Classc verbessert, uiid (\ci'^ einzige Mittel hierzu — bürgerliche Gleich-
st'.lkMg — errungen werde. Die Scheidr'v/and muß fallen, die ein krasses Vorurteil
aufgerührt und zur Schande unseres Jahrhunderts unterhält. Wer — Jude oder
Christ — einen Stein herausreißt und dadurch zu ihrer Zertrümmerung beiträgt,
hat ein vordienstliches Werk getan.
Dcse Überzeugung wie der Entschluß, für diese zu handeln, hatte sich sclion
früii bei mir festgestellt. Ich wurde zuerst durch den Schmerz dahin geleitet, den
auf der Universität die kränkende Ausschließung der Juden von der *) wohl in mir / '* .
erreg' c. Als Fuchs mußte ich meinen Ingrimm verbeißen und schv/cigen. Kanta ,^/* --^-Q// <
aber war die Zeit der Unmündigkeit vorüber, so trieb mich der innere Unmut, a'.lcs ' ^
zur Vernichtung des ungerechten Kominentgesetzes aufzubieten. Freilich waren '
dies nur Stürme in einem Glas Wasser, zugleich aber — ein Spiegel der Zukunft,
die unser harrte. Welche Freude, als endlich unsern vereinten Kräften das Zer-
störungsv/erk gelang, alles wähnten wir erreicht und abgetan. Doch nur zu bald
folgte die Enttäuschung: v;ir traten ins Leben und wurden gewahr, daß es nur
'Knabengefechte gegen Distelköpfe gewesen, daß statt des aufgehobenen hundert
ähnliche Gesetze uns Hohn sprachen, daß gegen diese neuen Beschränkungen v/ir
uns nicht einmal auflehnen dürfen^-rtlit bürgerlicher Unfähigkeit geschlagen, sehen
v.'ir uns von allen Ehrenstellen, Staatsämtern, selbst von Lehrstühlen a''sgcschlc?-^en;
nicht einmal Offizier, Torschreiber, Feldmesser, Apotheker, Kalkulator, Brieflrä ;;or,
Sekretär kann der Jude v.'crden. Überall v/ird er in der Entv/icl:lung seiner
Fähigkeiten gehemmt, in dem ungestörten Genuß der Menschen- und Bürger-
• leclite gekränkt, und überdies noch — als natürliche Folge hievon — der allgemeinen
Veraehtung preisgegeben. Und dennoch — wahrlich! es ist kaum glaublich — gibt es
Juden, die noch nicht einmal zur Einsicht vier ihnen zugefügten Unbill, ;:uni Ge-
fühl ihrer Schmach und zur Sehnsucht nach Freiheit gelangt sind. Die meisten haben
durch die gewoluite Kettenlast eine so hartschwicligc Haut bekommen, daß sie ditw
Druck Vv'cder empfinden noch los zu werden streben .... Unter meinen Bekannten
•) Hier v/ar in dem mir vorHcgcndcn Bricfkonecpt ein Wort unleserlich. Aber der
Sinn ist klar: Jacoby errcichto gegen heftigen Widerstand der Korps die Abicbaflurig der
Einrichtung, daß bei den Studcntenbällcn kein Jude an der Spitze stehen durfte.
He(t 10. 47
"V,
sind nur wenige, denen ich mich anvertraut, — ist nur einer, der i]iit mir den bitteren
Schmerz unserer demütigen Lage lebhaft fühlt, und dieser eine ist ein — Christ
(Hobrecht) .... Icji für mein Teil habe mit meinem Scliicksal abgerechnet und bin
über meine Wünsche und Ansprüche im klaren. Die Lrl)cnsrichtung, die icli unter
andern Verhältnii;?cn genommen, ist mir nun einmal verrückt imd verpfuscht:
ein Opfer des krassen Vorurteils, liabe ich dem Kampf gegen dasselbe mein Leben
gev/eiht, und halte jeden Augenblick desselben für verloren, in dem ich nichts da-
für tun kann.
Nach reiflicher Prüfung bin ich zur Überzeugung meiner guten Sache gelangt:
ich iinbe lange über die verschiedenen Religionen nachgedacht und finde in dem
von Ralbinersatzungcn gereinigten Judentum noch immer mehr Genüge für meinen
Geist als im dermaligen Christentum. Denn ersteres steht der — nach meiner Idee
— höchsten menschcnv/ürdigsten Religion, dem reinen Deismus um vieles näher.
In dies<^ni Glauben werden in Zukunft vielleicht alle Menschen sich vereinigen,
v.'cnngleich, solange Auffassungsvermögen und Kulturstufe bei den einzelnen Men-
Sthen verschieden bleiben, auch immer verschieden höhere oder beschränktere
Vorstellungen vom höchsten Wcsci'i und unserm Verhältnisse zu demselben fort-
bcsteh.en v/erden. Bis zum Allgemeinwerden dieses Deismus aber scheint es mir
eben Bestimmung des Judaismus zu sein, dem überhand nehmenden Gefühlsschv/indcl
des Christentums auf alle mögliche Weise entgegen zu arbeiten. Und vieles ist in
dieser Hinsicht schon gefördert. Wie nahe stehen in ihren Ansichten Rationalisten,
Thom.asch.ristcn, Unitarier usw. dem vorurteilsfreien, vernünftigen Judentum; wie
v.'ürdcn sie sich noch lun vieles näher stehen, wenn dem Streben der Juden nach
Verbcrserung und zeitgemäßen Reformen nicht vom Staat so viele Hindernisse in
den \W.x riclort würden! Ich erinnere nur an das Verbot, deutsche Prcdifftcn in der
Synagoge zu halten, an die gev/altsame Schließung der Jacobsonschcn Schule*); — •
und auch dem Tempelvercin von Hamburg steht ein ähnliches Schicksal bevor.
Nur durch Verstopfung der Quelle kann allen diesen Übelständen abgeholfen, und
eine bessere Zukunft herbeigeführt v/erden, und so werden wir wieder darauf zurück-
gcleitet, daß vor allem Verbesserung der bürgerlichen Stellung der Juden, völlige
Emanzipation zu erringen nottut. Wir kennen demnach Krankheit, Ursache und
Heilmittel; nur wie man zu letzterem gelange, ist noch die Frage .... Vor allem
sckicint es mir nötig, sich in der Lage der Sache zu orientieren, zuerst sich selbst
und dann andere über den sittlichen, intellektuellen und bürgerlichen Zustand der
Juden (im allgemeinen wie in den einzelnen Staaten) genau zu unterrichten. Daß
so viele Juden aus Mangel an Interesse hierin völlig unwissend sind, lehrt leider!
die tä.;l:che Erfahrung. Ist solchen Leuten in ihrer Haut nur v/ohl, so lar;sen sie
sich die schimpfHche Stellung der Glaubensgenossen wenig zu Herzen gehen: und
v.'cnn sie ja dabei etv/as empfinden, ist es höchstens die Trauer einer Stunde, nicht
der durchs Leben gehende Schmerz, der allein zum tätigen Widerstand anreizt.
Der Kaufmann kümmert sich wenig um die Zurücksetzung und Ausschließung von
Ehrenstcüen, Staats- und Lehrämtern, denn er strebt nach allen diesen nicht; laßt
man ihn doch ungestört seinen Handel treiben und im völligen Genuß seiner Ehe«
rechte, essen, trinken und sich fortpflanzen; damit ist er zufrieden und läßt sich
*) Der von Israel Jacobson und dem Banldcr Herz Beer in Berlin errichtete Prlvat-
tcmpcl mußte auf königlichen Befehl 1823 geschlossen werden.
i:i -.einer knlloa Selbstsucht iiichls davon träumen, daß mich er in seinen c'.^Wcn
K.chton r;okränkt wird. \Vt.r von Jiirond auf im Gofan^-nis leiste, fü/.:: .'.::"' d'.Q
.r-.ckende, hruiilhcklcmmcndü Luft dt;-,:;cl1'. n; - eine freiere Almosphüre .-:: . -jn,
,; • r.Hick ' '-»nril cv a v.xni ■, ii n s';rU d.> '-xh ^v.hn n, iin\ Ci schiU/:: - ,: : '■ '. .'::y\,
•.!■'.• Jn.^' icklicho iUViß [..-u .'lis dein S^li'.'' fc tm'.!., ' i, ''--n 5:<:!- ••.•'.• .•.-. '"' ~t
i:;rcs Ehrgefühls in Ansprucli nehmen, sie mit der Na:.e duf ihre K-i:.:-. s::: n,
. '. sie zur T:^insicht uiul zu.ii Goi'ilil ihrer Sol.iinch zu bringen. Wohl ;- .■:- Gc-
.iu i';. ebenso schwiriij; als (rruri-; v/onn der i:o:.scrc aber nur iiicht vor. •-■.:. :::•.:•: :-i'i
..rn Celincjcn verzweifelt, 'fMidcrn jeder auf seinem Slp.ndpunkt gev/iic::/.- -.t'-: cias
:.:^{ilichc tut und diese Ani^olcgcnheit zur Hauptsorrje seines Lebens ::: ::'.:*:, so
wird das Gute vielfach gefenlcrt, und — friih oder ^pät — für unsere S-.che alles
gewonnen werden. — Ebenso i^t es ferner erforderlich, auch die ein .:! -.tri Christen
über diesen Gegenstand zu b<'lchren, da vielen derselben die Kennmis des ur.s zu-
gefügten Unrechts ganz abzugehen scheint; möge es uns zumal gelingen, denjenigen
die Augen zu öffnen, die ihrer künftigen Stellung nach einst für uns v/irken \<6:\r.(in.
Unter Juden und Chrisicn müssen wir uns Genossen zu dem bevorsteher.icn Kr-r^pf
werben, die Gleichgesinnten — nah oder fern — auskundschaften, und ur.i mit
'ihnen in dauernde Verbindung setzen. — Ist's lunlich, so suche man ei^ne Vereine
zu dem Ende zu stiften, oder v/enigstcns die schon bestehenden dahin zu b-is'i:r.:r.t.n,
ilaß sie ebenfalls auf die Verbesserung des bürgerlichen Zustands der Juden i*-.r Au^-.n-
tncrk richten. Wer ferner Fähigkeit und innern Trieb verspürt, sc/.reibe gt^^n
das Vorurteil und gegen die Advokaten verjalirten Unsinns, es ist dies freilic'.-. schon
oft geschehen, und alle vernünftigen Gründe erschöpft, ohne etwas zu fruchten,
ich verspreche mir daher nicht viel davon; doch dürfte immerhin, v/enn CcS Sr.n'cn-
l:orn fruchtbaren Boden findet, es bei dem einzelnen uxis gute Erucl.t r^i^tr., und
ist der Versuch daher nicht ganz zu unterlassen. Der Zufall tut für Faule
nichts, deshalb heißt's: arbeite und dann hoffei Wo der Staat nicht c:2 H^lndc
bindet, denke man zugleich an eine zeltgemäße Reform, an die geistige V.*i:-dcr-
geburt unserer Ecclesia pressa und an Erhebung der niederen Klasse cer Juden.
Man suche hier wenigstens vorzubereiten; gelingen kann das Werk erst nach er-
folgter Emanzipation. Wir sehen namentlich an dem Beispiel Hollands, caJj mit
der V/iedcrertcilung aller bürgerlichen Rechte das übrige sich von it'.*~it findet.
Um endlich aber diese Gleichstellung zu errir-.gcn, benutzen wir vor all:-:r. cie rnlch-
ti^e Gärung unserer Zeit! Überall erblicken wir zwei sich feindlich g-j j-rr.übcr-
stehendc Parteien: auf der einen Seite die Herrscher und Aristokraten rr.i: i'r.rer
Neigung zur Willkür und dem starren Festhalten an alten, vernunltwi irij^n For-
men; auf der anderen die Völker mit ihrem neuerwachlcn Kraftgcfü'-.I ur.l der
lebendigen Sehnsucht nach freicrem Aufschv/ung. Wir müssen uns rr.r. vc'.'.ij^cr
Hingabe einer Partei anschließen, wenn wir unsere Wünsche erfüllen und eis em-
pörende Joch abschütteln v/ollen. Von den Fürsten haben wir nichr-5 21 ;:v.r.:t-:n:
vrrniöchtcn sie auch sich vom Vorurteil freizumachen, könnten sie sie!: 5,u:;-. ir dfe
schmerzliche Lage des Gchuldlos zurückgesetzten und verfolgten Juden '.■-.-in-
denkcn, das Unglück, das auf so vielen Tausenden ihrer Untertanen !'.*:, -.rdc
sie höchstens zu ?.Iitleidon rühren; aufheben aber v/erden sie es nicht. I; -. .-* '.-int
jede geistige Freiheit verderblich, also auch die der Religionsmeinun^i-r.. G.: - an-
ders verhält es sich mit der Voikspartei. „Vernichtung jedem Vorurteil, Kr::-^ ;• ."■.r
unnützen Freiheitsbeschränkung" heißt hier die Losung. Unter c:::^5 H'-.r-'-.r
47*
f
müssen wir uns reihen, um zugleich Vorurteile und Beschränkungen, die uns drücken,
zu vertilgen. Hier seien wir mit Wort und Tat zu streiten bereit, wo — abgesehen
von der Judenfrage — uns auch so schon Herz und Verstand hinzieht 1 Noch is^
CS bei uns nicht r.u offenem Kampfe gf kommen, und unsere Kräfte sind leidoi!
schwach. — Immerhin! v/ir Ivönncn doch im slillon unsere Mitbürger für die liberale
Partei zu gewinnen und auf vielfache Weise die gute Sache zu fördern streben. Von
unsem Erfolgen laß uns einander in Zukunft aufrichtig Rechenschaft ablegcnl In
froher Gewißheit des Sieges wollen wir mit Aufopferung aller anderen Interessen
für Konstitution, Preßfreiheit und wahre Volksvertretung kämpfen: diese allgc-
meinen Wohltaten bringen sicher in ihrem Gefolge auch unsere Emanzipation l In
Nordamerika, Frankreich, Holland und auch neuerdings in Belgien und Hessen-
Kassel ist unsern Glaubensgenossen vom Volke ihr Recht geworden; bald hoffent-
lieh wird nun auch in England, Hannover und andern Ländern ihrer billigen Forde-
rungen Gehör gegeben. Mut und StandhaftigkeitI So wirds auch bei uns gehen.
Es reifen unsere stillen Hoffnungen allmählich zur Wirklichkeit
) Johann Jacoby an Alexander Küntzel
Königsberg, 12. Mai 1837.
.... ,, Wären wir Juden, schreibst Du, so würdest Du mehr und lieber Zeit für
uns haben usw.'* Darauf erwidere ich nur: nenne mir einen Juden, der meinem
Herzen näher steht als Du oder Hobrechtl ich weiß keinen. Daß die vielen Be-
rührungspunkte, die uns seit einer Reihe von Jahren innig aneinander knüpfen,
noch um einen vermehrt würden, wenn Ihr Juden \yärt, ist natürlich; Ihr würdet
dann gleich lebhaft, v/ie ich, den Schmerz einer Lage empfinden, deren bittere Krän-
kungen Euch jetzt glücklicherweise unbekannt sind und ewig unbekannt bleiben
mögen. — Daß ich ferner den großartigen Kampf für die Volksfreiheit nur als Mittel
für Emanzipation der Juden benutzen will, das ich engherzig genug denke, um
,,v/ie O'connell nur für die Freiheit zu fechten, damit Irland Gerechtigkeit erlange":
ist ein Vorv/urf, der ungerecht ist und durch öftere Wiederholung um nichts ge-
rechter wird. Auch von O'connell glaube ich dies nicht; aber bei ihm wäre es
möglich; ihm könnte es vielleicht nur um Irlands Wohl zu tun sein, und die all-
gemeine Freiheit nur ein Mittel, das er allenfalls mit einem andern vertauschen
würde, wenn ein anderes besser und schneller zu seinem Ziele führte. Irlands Frei-
heit wäre denkbar, auch ohne die Freiheit der übrigen Völker; ganz anders aber
verhält es sich mit den Juden. V/ie ich selbst Jude und Deutscher zugleich bin,
so kann in mir der Jude nicht frei v/erden ohne den Deutschen und der Deutsche
nicht ohne den Juden; v/ie ich mich selbst nicht trennen kann, ebcnsov/cnig vermag
ich in mir die Freiheit des einen von der des andern zu trennen. Dein Vergleich
ist nicht ganz richtig gestellt. V/äre es nicht ungerecht, zu behaupten, O'connell
habe nur um seiner katholischen Glaubensbrüder v/illen für Irlands Freiheit ge-
stritten ? Und ist Deine Anklage, daß mir nur der Juden v/cgen die Volksfroiheit
am Herzen liege, minder ungerecht? Was ist es denn eigentlich, wonach ich strebe?
V/as anders, als freie Entv/ickclung und unbeschränkter Gebrauch aller körperlichen
und geistigen Kräfte? Und hältst Du mich für einen so engherzigen Fgoisten, daß
ich dieses höchste Gut nur für mich wünsche, oder für meine Familie, oder für die
mir zunächst Stehenden? Nein, wahrhaftig, und würde auch nur Einem meiner
Mitbürger dieses Recht vorenthalten, ich v/ürdc darüber gleich lebhaften Unwillen
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nhlcn, als Geschähe m,r selber solche Zurücl:=c.zung. Ich verachte j.:,. elerdo
. r.m erc. .leu scl^r Vo Usvcrtroter, die nur für sich Gcvcrhcfrcihcit voUen und
:,:h darüber streuen, ob auch ein Jude Seifensieder und I.ichtzicher v.-erd.n dürfe
..:rJ coch solle .ch selbst in ilucn Fehler verfallen? Habe ich ,les;-..Ub, -.veil h
:.clber k«n Pole bm, nunder warm für sie Partei uenonunen. oder hak. ich es etwa
,u,r der Juden wegen getan? Du müßtest mich gar nicht keinen. Küntr,!, oder Du
Lannst es nnt d.esem Vorwurf nicht ernst meinen. Wir schmachten alle insresanU
,n e.nem großen Getangn.sse; Ihr dürft darin fessellos un.hergehen, während schv.er.
Ketten m.ch und memo Glaubensgenossen an dem Boden festhalten, .r.d - v as'
uns am me.sten kra-ikt, v.elc von Euch spotten noch über unser Unglück und freuen
s,ch, daß es noch <^gero Sklaven gibt als sie. Ich gestehe Dir ein, es wäre mir eb
meme Fesseln zu brechen und gleich Euch wenigstens in dem Gefängnisse mich
bewegen zu können M.t solcher Gleichstellung wäre aber im.ner noch wenig ge-
wonnen ; ob das Gefängnis weiter oder enger, die Fesseln schwerer oder eichter.
.st nur em germger Unterschied für den, der nicht etwa „ach der Beeu-mrchkeU
son ern nach Freiheit sich sehnt. Diese Freiheit aber kann nicht dem i nzeln rl
zu te>l werden; nur vv.r alle zusammen erlangen sie, oder keiner von uns: denn
c.n und derselbe Femd und aus gleicher Ursache hält uns gefangen, und nur allein
ch d f K ^."' f" Gefängnisses kann uns zum Ziel führen. Je ;chwe.-er gerade
u,ch d,e Ketten drucken, desto inniger muß ich die Freiheit für alle wünschen.
Der Tag des Kampfes rückt immer näher, darum laß uns einig sein und stark ....
Bald nach ITiederaohrift des Briefes vom 10. Juli 1832 hat Jacoty
seine erste, 1833 erschienene politische Schrift "Ueher das Ver-
hältnis der Juden zum Staate" verfasst, eine Polemik gegen den
»
Ohorregiervmgsrat Streckfuss, der in seiner Schrift über das Ver-
hältnis der Juden zu den christlichen Staaten dafür eintrat, die
Juden nur sohrittv/eise der ^Jmanzipation zuzuführen. Jacohys spätere
politische V/irksamlceit ist jedoch detp Kampf für die Freiheit des
deutschen Volkes gewidmet. Der deutsche Liberalismus hat in ihm einen
leidenschaftlichen, unerschrockenen Vorkämpfer gefunden. Seine I84I
erschienene Schrift "Vier Fragen, heantvrartet von einem Ostpreusson"
«
*
hat den Anstoss zu dem {^rossen proussischen Verfassun^skampf ,^ef;;e"bon,
der schlieGslich in den liärztagon des Jahres lö4o seinen flöhepunl-ct
erreichte, Otto V/i^a-nd , Jacob jb Verleger, hat diesen in einem Brief
vom 3. llärz I84I als "unseres gosanitan Vaterlandes treues ton Berater"
"bezeichnet. Als r.itglied einer zu Friadrich V/ilhelm IV, entsandten
der Berliner TTationalversammlunfj ,^
Delegation/rief Jacohy am 2. IJovember 1ü4o dem König die berühmt
gev/ordenen V/orte zu: "Das ist das Unglück der Könige, dass sie
die V/ahrheit nicht hören v/ollon." Als Mitglied der Berliner Hational-
versammlung, in der Franlcfurter Paulskircho, im Stuttgarter Rumpf-
parlament - überall stand Jacoby in der vordersten Reihe, Gefängnis-
l
''*. . .
StreckfuGss Carl Strockfuso, O-borresiorunßBrat in Berlin.
Seine Schrift erschien lö33 in Hallo.
;-if ■
strafe fol^jte auf Goiän^TiioG träfe, aber die Popularität und Ver-
Glirung, die ihm seine Haltung eintrUjf^, raa^j daran ermessen werden,
dass Ludväg Uhland den ihm im Jahre 1853 vom Köni^ verliehenen
Orden Pour le merite vielen der gerichtlichen Verfolgung Jacobys ^
ausschlug."**^
Noch gegen Ende seines Lehens hat Jacohy seine eigene i^'^eiheit
im Interesse der Freiheit eines anderen Volkes aufs Spiel gesetzt,
als er QQ^en die Annektierung Elsass-Lothringens auftrat. Und als
er schliesslich den V/eg zum Sozialismus fand und diese V/endung durch
den Eintritt in die sozialdemokratische Partei besiegelte, war dies
nur Ausdruck seines ausgeprägten Sinnes für soziale Gerechtigkeit.
Im Gegensatz zu seinem gleichgesinnten Altersgenossen Johann
Jacoby, hat Gabriel Riesser, I806 in Hamburg geboren, den Kampf um
die l-^anzipation der deutschen Juden zu seiner Lebensaufgabe gemacht.
Riesser vrar mütterlicherseits der "Enkel des Raphael Cohen, des aus
Litauen nach Deutschland geflüchteten Rabbi von Altena, der gegen die
deutsche Bibelübersetzung llendelssohns den Bannfluch geschleudert
hatte. Aber sein Vater, Lazarus Jacob Riesser, der Vorsteher der
jüdischen Gemeinde Hamburg, ebenfalls Sohn eines angesehenen deutschen
Rabbiners, ging den V/eg lloses Mendelssohns, den Y/eg der Verbindung
jüdischen V/esens mit der deutschen Kultur, "Sr las mit dem Sohn die
Bibel im hebräischen Urtext, aber er erzog und bestimmte ihn für einen
v/eltlichen akademischen Beruf, So war Gabriel Riesser schon durch
Herkunft und Bildxing zum Schöpfer jenes Typus berufen, der bis in
das erste Drittel des zv/anzigsten Jalixhunderts das Bild der deutschen
Judenheit beherrschen sollte, des "deutschen Staatsbürgers jüdischen
Glaubens".
Gabriel Riesser nahm den Kampf um die Zulassung der Juden zu
öffentlichen Aemtern auf, dem ein Llann vd.e Eduard Gans durch die
Taufe ausgewichen v;ar, und gab der von innerem Zerfall bedrohten
deutschen Judenheit einen neuen Impuls. Um dieselbe Zeit, da Friedrich
Julius Stahl , "der dem Ghetto entlaufene Talmud jünger", wie ihn
Richard Schay treffend genannt hat, die Theorie des christlichen
Staates entwarf, forderte Riesser für die Juden Gleichberechtigung:
nicht als Geschenlc, sondern im Namen der Freiheit und des Volkes.
Des deutschen, nicht des jüdischen Volkes. Mutig setzte er zwar das
* Verfol^jun/r Jacobysi Berthold Auorbaoh sehr ibt darülvjr in
sin :Tn Brief von 9» Mira l877 ^'^ Jcüvol) Auerbach: "Ich vioj^ bei
XJh.land, als er eben den. Orden Pour lo merite abfjQlohnt hatte,
und da sag'te er mir - xk und ich sehe noch, wie «eine Lippe
Zritt« rt - I *Icli kann keinen Ordon annehmen vdn einem Kirsten,
der müinen Freund Jacoby auf dio Anlclaf^^ebani: sotzto, so dass
er i'.um Tode vorui'teilt vurde /^Jaooby raupst nur eine
Freiheitsstrafe abbüs,'^on_7> während er doch nur dasselbe
getan hatte, was ich auch getan habe,"
^* Friedrich Julius ;.>tahl3 (l802 - I06I), eif^.ntlich Julius Joolson,
IÖI9 getauft. Profoßsor für Heohtcphiloßophie, ;St'!ats- und
Kirchonracht, ^sit I84O in Berlin, Geboren als orthodo:'.:or
Jude, VvTirde er zum Theoretiker des orthodox,,; Protestantismus
und einer Staatslehre auf christlicher Grundla-ö, I848 vairde
er in die ßrste Kammer in Preuru^en gewählt; Mitglied des
Preuss, Herrenhauses, Haupt. 7erk: PliilOGOphie des Rtichts»
*^^ Richard Sohay:
vorpönte V/ort "Der Jude" auf das Titelblatt seiner Zeiti^chrift ,
aber nicht um dadurch die Minhoit dos jiidiGchen Volkes über "Zeit-
und Raumfernen" zu betonen, Tüne andere T^inheit schwobte ihm vor,
"Wir sind entweder Deutsche oder vd.r sind haimatlos." Der Satz
erschien ihm von axiomatischer Klarheit. Ihn vorfocht er mit tausend
Argumenten. Aus ihm leitete er seinen Wahlspruch ab:
Einen Vater in den Höhen, eine Mutter haben v/irj »
Gott^ ihn^ aller Wesen Vater, Deutschland^^ unsre Iiutter hier.
Seit Moses Hendelssohns Bibelübersetzung? hatte es im Leben der
deutschen Juden kein Ereignis gegeben, das an I^blgenschv/ere mit diesem
Bekenntnis und seiner Verfochtung verglichen werden könnte, f^rst als
ein anderer/der deutschsprachigen Judenheit es±s±ssm3lii±kx. hervorgegan-
göner, Theodor Herzl, anstelle des Riesserschen Wahlspruchs den
Satz '"Wir sind ein Volk •- ein Volk" aufstellte, nahm die jüdische
Politik eine neue Richtung. Liit Recht ist Herzl von Riessers
Biograph Fritz Friedländer als dessen Gegenspieler bezeichnet
v;orden.
Trotz glänzender Studienerfolge wurde Riesser in seiner Hsimatstadt
Hamburg als Jude nicht zur Ausübung des Anwaltsberufes zugelassen.
Die Taufe yVernunftehe mit der Kirche", ja selbst die Lögliciilceit unter
fremdem Hamen als An-.yalt tätig zu sein, lehnte er ab. Vergeblich
bewarb er sich un eine Privatdozentur in Heidelberg und Jena und durch
einen ausführlich begründeten Antrag um die Zulassung zur Rechtsan-
v/altschaft in Hamburg. Abweisung auf Abweisung folgte. Da warf er sich
selbst - fünfundsvra,nzig Jahre alt - zum Anv/alt auf. I83I erschien seine
erste Streitschrift "Ueber die Stellung der Bekenner des mosaischen
Glaubens in Deutschland. An die Deutschen aller Konf escionen. " Die
Schrift ist Bekonntnis, Kampfansage und Programm: Bekenntnis zur
jüdischen Religion, Auflehnung gegen den "Jesuitismus der Aufklärung",
der den Glauben vde das Gewand wechselt, Aufruf zu Kampf und Zusammcn-
schluss. Die Schrift schlaust ein. Begeistert schreibt der zwanzig-
jährige Kandidat der Philosophie und orientalischen Sprachen an der
Universität Bonn, Abraham Geiger, an seinen Studienkollegen den
jungen Oldenburger Rabbiner Samson Raphael Hirsch.^ ^
#
f
* Di.9 Ze.ltc;chrii-t " Der Jude*^*:fraohi8n von 1832 - 183/i . <^^^t-
^■^ Kobto der VertQidi/i,'Uii;j.t;sohrift Hi.^,.:.'ers G'eti'sn den Kirchün-
rat Paulus, "Vgl. S, •• '•
*^* i-^ita Fricdländers Das Le^ben Galirisl ßiö3:jer3. I926.
*'«"->^- Abrahara Gei/^er: (lölO - 1874)> jüdischer Theolo^';o und
Vertreter der relii^^iösen Reformbov/e^ng. Rabbiner in Broü
lau, Fi\inlc:rurt und IÖ70 in Berlin, Dort vAirde er I872
Dozent für die V/iö;3onsohaf t des Judüntum,-,
¥c-\'<¥:A¥^ Samßon Raphael Hir.^ichj (I808 - lö8ö), eret eng befreundet
mit Geif::er, ^Turde er später üein ent. chiudon .r G %;jner.
!\
( ) Abraham Gcicor an ;^amson Raphael Ilircch
Bonn, 0. April 1831.
Da» Schriftchen von Riesscr [obou S. 1 ^^ ] haben Sie wahrschein-
lich gelesen, wo nicht, so eilen Sie ja es zu lesen, denn es ist eine
kräftige Erweckung für den immer mehr sinkenden Gemeinsinn. Wahr-
scheinlich auf seine Ermunterung haben (wie mir ein Treund aus
Frankfurt schreibt) „die Juden in Frankfurt, Karlsruhe, der Pfalz
und noch anderswo Vereine gebildet und sich kein geringeres Ziel
gesetzt, als die völlige Emancipation der Juden in Deutschland
zu erringen." Schnell nun war die Nachricht unter den hiesigen
Juden verbreitet und Eskeles hat sich nach Frankfurt gewandt,
um genauere Kunde davon einzuziehen und, wenn sich die Sache
bei tätigt, was nicht zu bezweifeln ist, werden sich die hiesigen
anschliessen. Auch sind die Badenschen Juden schon beim Gross-
herzoge mit der Biite um völlige Gleichstellung eingekommen. —
Sie, ein Hort Israels und gewiss nicht der Letzte, der den Judea
endliche Befreiung von den drückenden Fesseln wünscht, die ja bloss
allein die geistige Entwicklung fördern und zum wahrhaft geistigen
Leben führen kann, werden Sie nicht auch sich der Sache annehmen,
wenigstens auch das Anschliessen Ihrer Gemeinde bewirken, damit
endlich der siitenverderbende Wucher ausgetilgt werde, dass endlich
wahre Bildung eindringe und jenes elende, seichte Wesen, das sowohl
durch Gleichgültigkeit gegen alles Höhere bei einem blossen Handels-
Yülk, als auch durch Mangel an Gelegenheit zu gediegener Ausbildung
eitsteht, aufhöre und Israel sich seiner würdigen Bestimmung nahem
kjnne? Ihre Gemeinden haben gewiss geringe ilühe mit Erlangung
ihrer vollen Rechte, da der Grossherzog sowohl einen sehr liberalen
Sinn, als auch sehr viele Milde gegen die Juden beweist. Möchten
doch die Juden des ganzen Deutschlands endlich ihrer schmählichen
Knechtschaft durch Beniühungeu jeder Art ein Endo machen, und
■ wahrlich sie können es in der jetzigen freisinnicren, sich kräftig ent-
wickelnden und voranschreiteuuen Zeit! Hallen Sie diese Angflcgen-
bcit nicht für weltlich und Ihrem Stande nicht angemessen, denn
hingt nicht geistige und körperliche Freiheit aufs Genaueste zu-
sammen und hat uns nicht die Geschichte in ihrer Hinweisung auf
die Blüthe der* Juden in Spanien und auf die mittelalterliche
Finsterniss derselben in Deutschland hinlänglich belehrt? Wenn Sie
ßun ein Scherflein dazu beitragen können, welch ein Lohn wartet
Ihrer! —
■":'■>;; •»'^.'••■'•.■'^
.'',T ■.»•
1,
A'braham Gei^>*er»s Nach{;jülansene Schriften. Ilr^; ?;• von Lud\7i,fv Gei^_;er,
Berlin 1075-1378'. Bd. » V. -.48.
%
%
..^ .'j.it ^.
/
"])iG jüdiöche Nation.'ilabr3ondcrun,'7 n-rch UrL;pr\mr:, I'blf-^cn und
BeGsorungsmittol" hierio oino ochrift den an^cecjehonen Kirchenratco
llGinrich Eberhard Paulua, in dor dieser, c:^G^t^ HioGoer polemisierend,
die Juden als abß-ösondorte ITation erklärte, so lan^je sie das Zoromonial-
gesotz , das seinem V/esen nach ein nationales Gesetz sei, bofol^^ten.
Nur durch die Taufe könnten sie sich von ihm lossa.^en, bis dahin müssten;
sie als {geduldete S('hutzbür,^er, nicht als vollv/erti^e Staatsbür/^er an-
gesehen und behandelt werden. Dieser Ah^iff traf RieGser schv/orer als
die Ablehnung seiner Stellengesuche. Innerhalb von sechs Tat-^on vorfasste
er seine i*]ntge£piun,2: "Verteidi{;ung der bürgerlichen Gleichstellung der
Juden gegen die "^inv/ürfe des Herrn Dr. H,"G, G.Paulus. Den gesetzgebenden
Versammlun'Ton Deutschlands gewidmet von Gabriel Riosser, Doktor der
Rechte." Durch diese Schrift vor allem v/urde das politische Programm
der deutschen Judenheit für die folgende ^oche festgelegt. Die
Schrift schloss mit den Sätzen: "V/ir vrallen dem deutschen Vaterland
angehören, v/ir v/erden ihm allerorten angehören. Es kann und darf und
mag von uns allen fordern, was es von seinen Bürgern zu fordern berech-
tigt ist; vd.llig v/erden wir ihm alles opfern - nur Glauben und Treue,
V/ahrheit und Ehre nicht; denn Deutschlands Helden und Deutschlands Weise
haben uns nicht gelehrt, dass man durch solche Opfer ein Deutscher vdrd.
1832 erschien das erste Heft der Zeitschrift "Der Jude» Periodische
Blätter für Religion und Gev/issensfreiheit", mit der Riesser sich eine
Plattform für den Kampf um die Gleichstellung der Juden schuf.
Sogleich vAirdo das aufsehenerregende Heft überall diskutiert, "Die ffuden
bedürfen der körnigen Nahrung, bei dem vielen Jtroh, das ihnen gereicht
wird" - so lautote das Urteil von Leopold Zunz. I.Ii.Jost hingegen, dor
für sein in doinsolbcn Jahre erschienenes V/erk den Titel "Allgemeine
Geschichte des Israelitischen Volkes" gevrählt hatte, nahm trotz der
Riecser gezollten Anerkennung an dem Titel "Der Jude" Anstoss. Rück-
haltlos begrüsste jedoch Johann Jacoby die Zeitschrift.
( . ) Johann Jacoby an Gabriel Riesser
Königsberg, 29. September 1832
Wertester Herr Doktor 1
Gleiche Gefühle und übereinstimmende Denkungsart haben die
Menschen von jeher enger verknüpft als persönliche Bekanntschaft
und sonstige Wechselverhältnisse es vermochten. Ohne alle Förmlich-
keit und fern von der kleinlichen Scheu vor möglicher Mißdeutung
spreche ich daher zu Ihnen, zwar ungekannt zum Ungekannten,
aber gleichgesinnt zum Gleichgesinnten. Es ist das rege Interesse an
einer von Ihnen so schön verteidigten Sache, welches mich drängt,
Ihnen einige Worte dankbarer Anerkennung zukommen zu lassen.
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Paulus.« (1761 - 1851), Haupt dec prototitan'tißohan
Hationalismus; Profe^üor in Jena, v/ürsiburiO:, seit loll in
Heidol"berp!.
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Zoreraonialgosetz: Seit M, M0ndel.3..ioliiiö "Jorusalem", 17^3»
beGonders in der Auflcläruiii^s- und R8formbe-.7et^nf^ an/;;ewendete
B zeiclmuni'j der für das Judöntum oharalcteriütisölien reli-
giösen Sitten und Bräuche, 'wde z.B. kultische 3ymbol<j,
Speiaevorsohriften, Sabbatgesetze li.a.m.
Zit, nach Hahum Tl.Glatzor "Leopold Zunz, Jude-Dyut;3 0her-
Buropäer". Tübingen I964. S, I64.
%
Ries.'8r*s Gesammelte ochriften, hrsß-. von ivi.lsler.
.Prankfurt I867/68. Bd, 1. S. i^-^f^^.
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.vS.;.;:-^:
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/(
Als Jude geboren und aus ernster Überzeugung an der Lehre
HK-incr Religion festhaltend, hatte ich schon früher mit mannigfachen
grsollschaftlichen und bürgerlichen Mißverhältnissen zu kämpfen;
durch ein empörendes Vorurteil Andersglaubendcr sah ich mein Strc-
U-n oftmals gehemmt, meine schönsten Hoffnungen zerstört und mich
überall in den Ansprüchen, die jeder an das Leben zu machen berech-
tigt ist, gekränkt und beeinträchtigt. Trauer über verfehlte Lcbens-
nchtung und manche herbe Erfahrung ließen mich bald den Blick
von meinen individuellen Verhältnissen auf das Allgemeine richten
und mit tiefem Unwillen die erniedrigende Stellung meiner Glaubens-
V nosscn überhaupt gewahr werden. Seitdem dies Bewußtsein in
iv.rincm Innern erwuchs, seitdem der Schmerz, unverdient zurück-
g >itzt, durch das Gefühl der Ohnmacht zum Unraute gesteigert,
fn:cli überall verfolgt, ward mir der Genuß jeder Freude getrübt und
^iic heftigste Sehnsucht nach einer besseren Zukunft erregt. Doch
^*ozu Ihnen, der Gleiches empfindet und sicher auch Gleiches im
LAlx:n erfahren, das Peinüche meines Zustandes schildern? — Sie ken-
nen den herzzerreißenden Schmerz ebensogut imd vermögen ihn
htsscr als ich in freimütiger, kräftiger Sprache auszudrücken. Die
ersten Blätter Ihrer Zeitschrift waren mir hierin ein deutlicher Beweis.
Mit verständnisinniger Freude habe ich Ihre mutige Protesta-
tjon gegen vielhundertjährige Unbilden gelesen; ein würdiger Ver-
treter der Wahrheit, haben Sie gezeigt, daß nur durch Verachtung
tnscr Volk verächtlich geworden, daß alle Fehler der Juden notwendige
*"^'gc des Fluches sind, mit dem nur eine himmelschreiende Unge-
■" 'itigkcit sie belegen konnte; daß allein Aufhebung der Ursachen
■•■i* \\irkung aufzuheben, einzig und allein die bürgerliche Gleich-
^••'lung, Selbstgefühl und Menschenwürde der verhöhnten Menge
* ^..crzugcben imstande sei. Wenn Sie durch das edle Unternehmen
'^ Anspruch auf den Dank jedes Menschenfreundes erworben, so
-• CS mir innig wohl, Ihnen hier für meinen Teil die Dankbarkeit
bezeigen zu können, welche meine Glaubensgenossen insgesamt Ihnen
schulden. Von Herzen wünsche ich Ihrem Streben GeUngenl — Mö-
gen Sic sich durch keinerlei Hindernisse von Ihrem Vorhaben abschrek-
ken und vor allem durch die geringe Teilnahme der Juden selbst
nicht etwa irren lassen. Leider gibt es noch viele unter uns, deren
Haut durch langjährigen Druck so hartschwielig geworden, daß sie
die Kettcnlast nicht einmal zu fühlen, geschweige darauf zu reagieren
imstande sind. Wenn nur ihr materielles Wohlsein nicht gefährdet,
wenn sie nur im vollen Genuß ihrer ....... (unleserlich)
bleiben, so läßt der Kaltstnn sie nicht davon träumen, daß sie in
ihren edelsten Menschenrechten gekränkt werden; ihre eigene und
der Glaubensgenossen unwürdige Stellung, die Verachtung, die Staat
und Bürger an den Namen Juden knüpfen,' alles dies geht solchen
Leuten wenig zu Herzen, und wenn sie je etwas dabei empfinden,
so ist's höchstens die vorüberfliegende Trauer einer Minute, nicht
der durchs Leben gehende Schmerz, der alles zu tätigem Wider-
stände anreizen könnte. Nicht zürnen darf man diesen Juden; denn
nicht des Sklaven Schuld ist's, wenn er Sklavensinn hat, aber not
tut's, aus dem Schlummer träger Duldung sie aufzurütteln, den
schwachen Überrest ihres Ehrgefühls in Anspruch zu nehmen und
sie endlich zur Einsicht und zum Gefühl ihrer Schmach zu bringen.
Mögen Sie, werter Herr Doktor, in den folgenden Blättern Ihrer
Zeitschrift auch diese schwierige Aufgabe lösen, wenigstens durch
ernste Mahnung anf eine künftige Lösung hinwirken. Mit der Kraft,
die Ihnen vor so vielen andern verliehen, ist Ihnen auch zugleich
Pflicht und Beruf dazu auferlegt.
Wenn erst wieder Ehr - und Freiheitsgefühl im Volke angefacht,
dann können Sic in froher Gewißheit des Sieges den Kampf gegen
die Unterdrücker führen. Unser Messias ist die fortschreitende Zeit,
die immer mächtiger an den Fesseln alt-cr Vorurteile rüttelt, auch
zu unserm Besten muß über kurz oder lang die Stimme der Wahr-
heit und des Rechtes durchdringen. Die heißesten Wünsche aller
besten und edlen Juden begleiten Ihr Vorhaben. Mut und Ausdauer 1
Dann ist der Erfolg nicht zweifelhaft. Gebe Gott, daß doch bald
das Ziel erreicht werde, möge es uns beiden beschieden sein, den
Sieg der Wahrheit noch mitzufeiern.
I^Iit diesem Wunsche und in wahrer Hochachtung scheidet von
Ilinen Ihr Glaubens- und Leidensgenosse
Dr. J, Jacoby.
JPIti^ Jahre \4x>Sa^s^ ißt"DerJude" ercchioncn. Aber vdo ctark und nach-
haltig seine Y/irlcunf; auf die Juden und die nicht- jüdiccho Oeffcntlich-
koit auch v;ar, daa Ziel, für das die Zeitschrift v/arb, "blieb unerreicht .
Riesser rausste die T^rgebnislosi^jkeit seiner Bei^jühunf'^en C50,^ar in ceiner
encoron ÜGimat yrtT^^taTTPf erfahren: nach wie vor ver'.7ei,f^erte Hajnbur^ den
dort wohnhaften Juden das Bürgerrecht, Dies und der Ausbruch von Juden-
krawallen veranlassten Riesser schliesslich I836 mit seiner Familie
die Vaterstadt zu verlassen und sich in Bockenheim (Hessen) niederzu-
lassen,
( ) Gabriel Riesser an TDlse und Sophie Hoffmeister
^ e- c
Frankfurt^ 27. Januar 1836.-
*--- Der Entschluß ist nldit aus einem Gefühle aufgeregter
Bitterkeit, sondern aus der Überzeugung von dem, was unter den // ,./ ,
gegebenen Umständen zu tun recht und zweckmäßig sei, hervor- /^,^c Myf — ^^'^""^-^^ ,
gegangen. Ich glaubte im Augenblick gerade dieses Bdsplcl geben zu
müssen, ohne daß die schjnutzigcn Vorfälle in Hamburg auf mein
Gemüt einen besonderen Eindruck gemacht hätten. Ich für meine
Person war nie gesonnen, für immer in Hamburg zu bleiben; nur
die Rüdvsidit auf mdne Mutter und Geschwister, die sich seit fünf
Jahren wieder an mich gewöhnt haben, fesselte mich dort; es war
mir daher in mancher Rücksicht willkommen, meine Fan"ülie zu der
Veränderung des Wohnorts zu bestimmen. Freilich verlasse idi in
Hamburg manche herzlich geliebte Freunde, aber id\ bin seit lange
daran gewöhnt, Freunde durch die Entfernung nidii zu verlieren; ^
ich hofTc Hamburg in Zukunft so oft und so gern, wie früher Heidel-
berg, als Gast zu besuchen. Auch verlasse idi Hamburg mit der Be-
ruhigung, daß sich in der letzten Zeit audi in Betreff der Juden,
unter den gebildeten Ständen wenigstens, eine etwas honettere
Stimmung, eine Art von Reaktion gegen die neuesten Erbärmlich- ' ^-
kciten, gezeigt hat. Wegen meiner Gemütsstimmung, meine teure
Sophie, seien Sic unbesorgt; ich hofTe Sie bald zu überzeugen, daß
meine alte Heiterkeit mid: nicht verlassen hat, daß die herzliche , ^ ■
Liebe, die ich bei edlen Menschen von jeder Konfession gefunden . ^
habe, auf mein Gemüt, -die Ungerechtigkeiten, die mich empören,
nur auf meine Gesinnung und meinen Willen, wenigstens für die
Dauer nur auf diese wirken . . * —
Aber auch Hessen verweigerte Riesser das Bürgerrecht, '^iner seiner
besten Freundinnen, der Gattin des Hamburger Senators Haller, vertraute
er deshalb seine Auswanderungspläne an.
Kliso und. Sophia Ho,ffmG'iü-bor:«5'roundinnon aus der HeidelTDart-i^^r
Studant .^nz .it.
..»
J
T ''
/^
( ) Gabriel Eiessor an' Prau Haller
Bookonhoimj^ den Iß.Iiärz I836
Ihre uii^ünöti^;;© Ahnung Ton moin^n Kaaaöler AUGoiohtün t^ile
ich längst, und zwar ungefähr aus donselbvDn ar^iden. Jetzt
sind dieselbün zudem h^raitü duroh den "Erfolg /die Ahlohnung
seines Haturalisationsgeguches^ bestätigt,..
Unter diesen Umständen bcsdiäftigt midi der Gedanke an meine
Zukunft fortwälucnd viel, ja mehr als mir Heb ist. Die Aussicht,
iA Deutschland zu verlassen, ist mir noch immer eine sdimerzlichc, und
CS wird mir in jedem Fall viel Mühe kosten, mich daran zu ge-
wöhnen .^,
M < f
( ) Gabridl Riessor an Frau Haller
Bockenheim d .n 27.riärz 103^
•^""S » /<
».. Könnte Idi es dahin bringen, ordentlich englisch zu schreiben
oder in englisdicr Spradie Vorträge zu halten, so könnte ich einmal — t
den Versuch madicn, irgend einen Teil der Reditswisscnschaft an der ' "■'-
Londoner Universität zu lehren, deren Einriditungen wenigstens . /
einem soldien Versuch kein Hindernis in den Weg stellen. Dabei ^t^U \^/.({//'
muß jedodi der doppelte Umstand in Betracht gezogen werden, daß
mein Talent für fremde Sprachen nidu eben groß und d.iß unter
allen W^isscnsdiaflcn die des Rcdus, die am meisten an der Sdiollc
klebende, am sduvcrstcn auf fremden nodcii zu verpflanzende ist.
Wenn ich Mathematiker, Physiker, Orientalist wäre — mit einem
Worte, wenn ich w.is Reelles gelernt hätte, so würde es viel besser
mit mir darin stehen. Aber so gibt es nur ein Ding in der Welt, das
ich einigermaßen verstehe, nämlich deutsch zu schreiben, und damit
ist außerhalb Deutschland ja nichts anzufangen. Und doch bin idi
CS so herzlich müde, mich an den künstlichen Hindernissen, die idi
In Deutschland auf allen meinen Wegen antreffe, vergeblich abzu-
mühen, daß mich ordentlich verlangt, einmal bis zum Kampfe mit
natürlichen Schwierigkeiten, wenn diese auch a.m Ende meine Kräflc
übersteigen sollten, durchzudringen...
( ) Gabriel Riesa er an Prau Hai 1er
l^rmk^ffiffT Fürth d.6.llai I838.
Idi bin hier, an dem Wohnorte meiner ältesten Schwester . . .
Mein Aufenthalt hier in der Gegend vairde ein sehr angcneh-
) "^ mer sein, wenn micii nidit die Spuren der ärgsten politischen Re-
aktion, denen maji in Bayern auf allen Wegen begegnet, manch- ^
mal aufs tiefste verstimmten. Leider lastet dieselbe am härtesten auf
den wehrlosen Juden, denen die kurze Herrschaft dc$ Liberalismus
in Bayern nicht die kleinste Frucht, sondern nur Blüten einer bitter , ^ -
gctäusditcn Hoffnung gebracht, Ihnen dagegen den bittersten Haß
I der Reaktionäre zugezogen hat, so daß sie mit einem selbst in frühe- "l-
ren schlimmeren Zeiten unerhörten systematischen Übelwollen bc-
■ handelt werden. Mancher der Edelsten hat sich der Gedanke der
■j Auswanderung nach Amerika bemächtigt, den schon einige hundert
Judcnfamillcn In den letzten Jahren ausgeführt haben. Ich könnte
i mich diesem Gedanken mit Enthusiasmus ansdilleßen, wenn m?r
a.a.O. S.27Ö.
HYff'^'^T"'^^'^^
Farbigen und durch alle die Gräucl, die sich an diese Übel geknüpft
Haben, In den Icutcn Jahren sehr wäre verleidet worden. Was hilft / r,
es, wenn die Lust der Menschen am Unredit, am Unterdrücken, am . / ' ^
Zurücksetzen anderer dort einen anderen aber fürwahr keinen bcssc- Z-' /^
ren Weg, als In Europa, genommen hat! ~ Hier mviß man sich da- I
mit trösten, daß bei allem Sdillmmen die Elemente des Besseren
sidnbar vorhanden sind, so daß es nur eines Augenblicks glücklicher
Gestaltung bcd.Trrf, um das Bessere ini Leben zu rufen ...
Im Jahre I84O kehrt g Rio '.cor nach Ilan^burc: zurück, um die frei^e-
wordene Stelle dos Sokrotäro der jüdischen Gemeinde, aber auch die
eines Notare anzutreten. Der Tod des unter der I'^anzoDenhorrnchaft
ernannton jüdischen Notars Bresaelau Jjatte ihm nun die l'^rlan^'::un^ des
Notariats crraöi'::licht. L.anches, v/as er an^^cstrebt hatte, sah er
endlich verv/irklicht oder der Vervdrklichun^^ nahe.
(
) Gabriel Rio.'.;;jor an l'Yau Ilallor
-7-.;" "^ Karlsbad,^ 8. August 1847
» . . Seitdem Ich Absdiicd von Ihnen genommen, Ist der Preußi-
sche Landtag zu Ende gegangen, und auch das Judengesetz de-
battiert worden. Die Majorität der Ständckuric hat dem in sie ge-
setzten Vertrauen entsprodicn, und hat, wenn auch mit sdiwacher
Stimmenmehrheit, in allen wlditlgen Punkten — mit allcmigcr
Ausnahme der ständlsdicn Redite, wo die Regierung (infolge eines
Zufalles, \^eil einige Freunde der Sadic krank waren, mit der Mehr-
heit einer Stimme siegte — Bcsdilüssc im Sinne voller Rcdatsgleich-
hcit gefaßt. Ich sehe darin einen großen moralischen Sieg, zumal
wenn man erwägt, mit wcldicr Mcftigkclt die Regierung ihre intole-
ranten Anslditcn vcrfoditcn und kein Mittel gescheut hat dafür
Stimmen zu gewinnen, über die sie In nldit unbcträchtlldicr Anzahl
unbedingt verfügte. Politisch gewonnen ist frcilldi sehr wenig, und
das soeben publizierte Gesetz, wenn gleich viel besser als der den
Ständen vorgelegte Entwurf, ist eher ein Ausgangspunkt als ein Ende
des Kampfes. Das Weitere hängt jetzt davon ab, ob überhaupt das
Verfassungs^/cscn in Preußen Boden und Macht und Leben gewinnt.
Die Voraussetzung eines edleren, freieren, bewußteren Volkslebens,
an die idi vor bald siebzehn J.ahren die Behandlung jener Frage zu
knüpfen mich bemühte, ist im Grunde erst jetzt einigermaßen vor-
handen; die "Waffen für den Kampf sind bi* jetzt geschn\iedct, die
Chance i}lc% Erfolges erst jetzt gegeben. Wie glücklich wäre Idi, wenn
Idi literarisch Irgendwie auf die Entwicklung des öffentlichen Lebens
In Preußen einwirken und in diesem Zusammenhange das Gut der
Gewissensfreiheit mit könnte erringen helfen! Doch „mir rosten In
der Halle Sdilld und Helm" — \Vort und Gedanke. Ich hoffe, es
soll nldit allzulange mehr so bleiben, ich fühle mich wenigstens
geistig jung genug, um nodi neue B.ihncn der Tädgkelt als An-
tänger zu vorsudicn, sobald idi der dringendsten Sorgen für das
äußere Loben überhoben sein werde .. ^
^uhu^f:^^.
^^A
:, . A/^r
•//
Der llärz I848 "brachte die V/ende von Riecsers Leben, '^r vairde zur
Teilnabme an dem nach Pranlcfurt a.ll, einberufenen Vorparlament aufge-
fordert. Von diesem Ta^e an gilt sein Wirken der all£jemeinen Sache.
Tür schreibt seinem Bruder:
a.a.O. S, 404«
//
» i 1
( ) Gabriol Rior;.':er an 11, Rior.coT
* f £>
r
/
Hamburg, 19. März 1848 .
Innig geliebte Gcsdiwistcr!
«»«Idi habe eben eine Versammlung bei mir gehabt zu (km
Zweck/ der Gründung einer Zeitung, bei der ich midi Jcbhaft bcrci- (,
ligen werde. Da in unserer /jüdischcgr Gemeinde einzelne kluge Leute //-c-^
geäußert haben, ich könnte viellcidu durch meine Beteiligung an
der politisdicn Bewegung die Gemeinde kompromittieren, auch sich
dabei auf eine behauptete Äußerung eines Bürgermeisters berufen
haben, so habe ich (obgleich diese Ansicht gewiß nicht die der Mehr-
heit der Gemeinde, auch nicht der meiner Kollegen ist) meine De-
mission als yorsteheryd««-4üdJKhcn Gemeinde gegeben. Idi habe es
dem ^ollcgium bereits angezeigt, muß aber noch an den Senat
suppli^icrc^; es fragt sich nun, ob er mich entlassen wird. Es sdicint
allerdings, als wenn einige sdilechte Kerle aus den höheren Ständen
einen Augenblid den Wunsch hatten, einen Pöbcl-Spekiakcl gegen
die Juden zu organisi/rcn, und es war sehr viel 4'ie Rede davon,
aber es ist den Leuten wohl die Gefahr zu Mute geführt worden,
die in diesem Augenblick jeder StraßcnskandaJ hat, und so schützt
der große Ernst der Zeit glüdvlich vor solchen Gemeinheiten. An dem
Gerede, die Juden hätten die liberale Bewegung angeregt, hat es
auch hier, wie in Frankfurt, nicht gefehlt; man ladit aber darüber,
wenn auch natürlich einzelne Juden in der Angst Großes leisten../
/:^'^/^
* ^ •'
( ) Gabriel Riesser an li^au Hall
er
4v Vc
* ■• <* Frankfurt^ i.T^ovembcr 1848^
/... , "Was mich selbst anlangt, so befinde ich mich geistig und
körperlich wohl, und idi würde diese Zeit in mancher Hinsicht für
die glüdilichste meines Lebens halten, wenn ich über die Zukunft des
Vaterlandes, über das Gelingen des Werkes, an dem hier so mühsam
gebaut wird, beruhigt sein kön-ntc. Daß gegen solche Erwägungen
jedes Gefühl pcrsönlidicr Befriedigung in den weitesten Hintergrund
zurücktrin, werden Sic mir leicht glauben. Aber abgesehen davon,
^■arum sollte idi es Ihrer liebevollen Teilnahme, meine teure Freun-
din, verhehlen, daß meine Stellung und Tätigkeit in der NaticnaJ-
^'crsammlung, meine anfangs, wie Sic wissen, äußerst bescheidenen "i
Ansprüche und Erwartungen bei weitem übertrifft, und daß ich alle
Ursache habe, midi derselben zu freuen? Ein Grund mehr für die
Freude liegt für mich in dem Umstände, daß — nadidcm ich mir
durch eine stille, Tätigkeit der Partei-Beratungen das Wohlwollen ^"^16^
mancher wackeren Männer erworben hatte — eine größere Popu-
larität in der Versammlung mir zuerst durch mein offenes Auftreten
für die so Lange vergebens verteidigte Sache der Juden zu Teil
ward . . . Bald darauf wurde ich bei den durdi die Versammlung vor-
genommenen Ergänzungswalilen — ohne einen weiteren, ersicht-
lichen Anlaß — in den Verfassungsausschuß und einige Wodicn
später zum zweiten ^üzeB^xäsidentcn gewählt.*,^
if ^ r
/ ^4
a.a.O. S. 550/51.
a
,a.O. S. 5 6/67.
)
i- \
lo
An 21, rärz 1849 hielt Rionncr coinc 'bGriUirate Kainorrodo, dio
•K-
"Uom Historiker des Grcton doutr.chon Parlamente;, V/ichinann , als di e
beote oratpriGche Leistung dor PaulckirchG "besoichnot vAirdo. In dem-
r.elbon Jahre war er I.Iit^^lied der Deputation, dio unter führun,^ des
Präsidenten dor National versammlun^j, Martin 'Eduard Simcon - des
1823 getauften Sohnes jüdischer Altern - zum Köni/^ von Preuasen ent-
sandt Y/urdo, um ihm die Kaiserkrone anzubieten. Aber den IlöhepunJct
in Riessers Leben bildete die Berufung? zum höchsten Gericht seiner
Heimatstadt Hamburg, die ihm einst die Zulassung zur Rechtsamvaltschaft
versagt hatte,
r
( ) Gabriel Riesser an Caroline und Henriette Blumenfeld
i
y/y Hamburg^ 27. Oktober 1860
Meine besten, teuren Freundinnen!
Wie innig haben midi Eure liebevollen Glückwünsdie erfreut,
und wie danke idi Eudi für dieselben aus dem Grunde des Herzens!
Was meine Freude über einen für midi so überaus günstigen und
ehrenvollen und vor nodi gar nidit langer Zeit von mir und anderen ,. 7
für unmöglidi gehaltenen Erfolg bis zum wahren Jubel steigert, äst
eben die warme Teilnahme, dir mir von so vielen Seiten bezeugt ^
wird, und die eben sowoKl dem hcrzlidiea persönlidien Wohlwollen '^^\^/c f
r e
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wie der Überzeugung cntspri^C, daß die große Sadie der Religions-
freiheit durdi diesen Vorgang gefördert werde .^,v
It A.^^
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*^t
18, 3, 1848-30 ♦ 3« 1849
■ V/ichnianr),: Wilhelm W. (l820- I888 ) ,/Mitglied der Nationalversammlung
, Kamraergeriohtsassessor . Ar-f^rrcy- -;fr.. ■'/)/:ajt^^//i(ir/^^t0H.i ^>^^^
Carolino und lionriette Blum^nfolds Töchter der verstorbenen
Freunde Risa ers, des l^hepaaro Jacoh und Julio Maas in Hamburg.
^•^- 0. S. (p(^X.
, V
-/
Als Jacoby und Riorjcer ihre politiGclio Täti,':koit "bocannon, bofcind
>
sich Ludva{; Börne in Paris. ''Ir hatte dio fransöGi.oche Hauptstadt oft
hecucht, abor nun v/ar er von der Julirovolution des Jahres I830
dorthin ffozoGcn worden. Paris v/urde fortan sein ständiger V/ohnsitz,
^ine t^leiche Umwälzung, wie sie sioh in Franls;roich eroignot hatte, in
Deutschland herbeizuführen, erschien ihm als politisches Ideal und
auf dessen Verwirklichung hinzuwirken als seine Sendung,
"Die Herzen muss man rühren, die unbeweglichen durchbohren. Das
V/ort muss ein Schwert sein; mit Dolchen, mit Spott, Ilass, Vorachtung
muss man die Tyrannei verfolgen, ihr nicht mit schweren Gründen nach-
hinken. Das verstehen aber unsere deutschen liberalen Schriftsteller
nicht, und noch heute so wenig, als vor dem Juli." (Ludwig Börne,
Briefe aus Paris. li^inunddreissigster Brief. 1, Februar I83I)
Das v/ar Börnes Programm und zugleich seine Lossage von einer Politik,
die durch friedliche Ilittel die itoanzipation zu erreichen versuchte.
Wie Jacoby erwartete er von einer Befreiung Deutschlands auch die
Befreiung der Juden, aber der einzige V/eg zur J'reihoit führte für
ihn über die Revolution.
Zum Unterschied von Jacoby und Riesser war Börne getauft. Im Jahre
1818 war er, zweiundzv/anzig Jahre alt, in die evangelische Kirche ein-
getreten und hatte seinen Namen in Ludväg Börne geändert. Seine Zuge-
hörigkeit zum deutschen Volk sollte dadurch besiegelt werden. Aber die
Ereignisse und persönliche;^ Angriffe zv/angen ihn schon ein Jahr nach
der Taufe, im Zuge der Judenverfolgung, in der Broschüre "I^Xir die
Juden" das V/ort zu ergreifen. "Der "geist der erschlagenen llutter",
wie er das Judentum in dieser Schrift genannt hatte, zog ihn in der
Folge immer wieder in seinen Bann, besonders zu der Zeit, .als er aus
seinem französischen T'bcil die berühmt gewordenen "Pariser Briefe"
* V y
schrieb, die aus dem Briefwechsel mit seiner Freundin Jea>ifriette Wohl
entstanden sind. ■ ''
7r^K-'-"-Y
Ygl. auch dßs Kapitr^a Henriette Herz,
M: ^ "Pur die Juden" : erschion in der von Börne herausgGß:e'bei-.en
IxilSohrift " ZQitsoh.7in(-en" I819.
o
>■-»
*^* Jeanette V/ohl: (I783 - lö6l), Jean..tte 3trauss--ohl. Börne
lernte sie I817 kennen und war "bis zu seinem Tode en^r bef reimet
mit ihr.
^
" ' :.,r (,.
i.-
s
( ) Jean;iette Wohl an Ludwig Börne
28. Januar I83I.
• • • «••
Gestern habe ich die Heiratsgeschichte aus den... über den
frankfurter Senat gelesen, und gestern war auch gerade der Tag,
wo der skandalöse Schutz kam. Der hohe Senat hat wieder viele
Gunstbezeugungen in seiner Huld erwiesen. In unserm Hause die
Mademoiselle Flörsheim ist schon ein und (ein) halb Jahr Braut,
d(ie) hat die gnädige l^lrlaubnis nicht bekommen. Mehrere andere,
die nur drei und sechs Monate verlobt sind, haben sie bekommen.
Dann erzählte uns auch der jüdische Schneidermeister Kaiser, dass
eine neue Verordnung gekommen, nach welcher christliche Gesellen,
welche bei jüdischen Meister(n) arbeiten, wenn sie erkranken,
nicht wie andere, sondern nur ge^on Bezahlung im Heiligen
Geist-Spital aufgenommen werden, , .
Ich höre, der Doktor Riesser ...habe eine gute Broschüre geschrieben
über die Verhältnisse der Juden, und was sie jetzt tun müssten.
Ich habe sie noch nicht gelesen. Ich glaube, dass hier ein kleine(s)
Komitee, das ich Ihnen als Klub ankündigte, zusammengetreten
ist, (um) über dieses und jenes zu beraten. - —
(
) Ludwig Börne an Jeanette Wohl
:■■;/>"
— %{\o o'^^ra^l in j'^vaultjrt i):.it roicbcr chic;!
ciiUcu Sine; ochal^t, k'.n Vcucu^viil^ ijat fiilj luicbcv
ciiuu^l nu;DVc::>' o— '--^ iwinmcvi wvA) \)\ox6\\v\i,
[dv.c !^ui;e [■:: Cy.r },n bctviilu. ^iur|i: oben, R\w\c
unten, uüc bei- toUc iCxnub ba^^ ^)iab jdjvjiiii^it — cv^
fiiib Mc Ciialcn bcvj 3,vioit. ?tlnT i[t i\^ \\\&X fuvdit--
Imv ladjcrliav hc^h bio lücbi-iciüc unb iiciuciufic allci*
>?cibcnfdja[(c;! \o iiicl'c iHcl)n(ic(i!cit bat nüt bcr cr=
iHilicnftc;: iiü'o rb(:Vj";cr>; bic (^■ininunfucljt mit bcr
>.'icl)C? !2^a Yool)\, i>}ott fjat ba\> X^üit i^crflucljt uub
bavitm l)at cv cc5 rcid) ciciuacljt. ^^Ikr uou bcii ctc(^
?]a|tcii (xicütjicnti'ii mit bcn iiibiicfjcn 5^'i^'i^t')^^^"^^^^'^*
iii[|Cii itiib jiibi|cljci: y")aubtucili?iic[cllcii cr^ublcii '^ic
iitii i[\d]i^. lucbr. ;v:(j und nicfjb^ bauou l)i3vcit, icl)
iL)it( iiicijK^ banilt ,Vi! tfjitn f)abcii. SÖ3cuu icfj tumpfcii
l'otl, [ci rvj mit Vöwcw luib Xincrn, akr Dor Sh-i)tcu
Ijabc icO cincii ',Hbfrljcii, bcv micl) tciljmt. GiS Iji([t
auch nicijt^. i'iau inui? bcu (Sumpf auorottcu, bann
ftivlit ba>> 2^d){au!ntoi3iidjt rou folbft \VC[]. lluicvc
Svaiiffurtcv .spcivcn, [iubc id), Ijabcu (\a]\i rcctjt. Sic
.^^^::^
. ,1
■4 .
■ V. -J'
..'*■
. ■'%
\
. . ' Briofe der J'rau Jeantto-^trauss-lVolil an Börne. Mnß'eleitet
und erläutert von '^>, Fiantael. Berlin 1907« B. 197/98.
* Schutz: In F-ranlcfurt war naoh dem Wisner Xon^'^cess neben anderen
^•liiQn
Besohrärikun,S'en uch dio ROt,^'lemontiörun£i' der jüdisolien/ oing'oführt
worden, die erst 1834 wieder auff^eholDon vTurds,
^* Gabria Riessert S.S. H ,_ • /
Gesammelte Schriften von Ludvd£; Borne. Achter Band. S.24w<^.^. W
Hofftnann & Campe l86?.
%
.....i. -■
:•••?
•
•
beulen, (^;ott i[l^ocO uim ciinnal Im I)od}[tcu ^)Onie,
o(i luiv ifui ein ^^icdjcii incl)V, ein -*iIM(*d)CM nteuiiV'u
in\v-vn, bv\{< (aiin i-idn^:' ncridjliinnieni. !t^cu ;\iib':n
in AvaiiUiut \\[ i^t nn: ii^ciiiaitcii ^u I;ci[eii; irciiit
jic Uai]ci! lui bcii oyv\]':\\ »Ijcrven hi' .l^uiibe^>ncv[auim-'
luiui, über bei bcii Uciiieii hu 'Senate, lücijs ic(j, umvj
\\uv,\ iljiUT. f.ip.t — c.^ ii"l ([[i^ UHivc ui) flCöciniHiitifi.,
^^A'ijci'.tliclj tuivb ;n(^,:i jic lureul) alnuciicn, uiitce uicr
^::;ic:: aber v:v:h v.ic.n b:\\ riplomaici:, beu "l/iiJ-;^^.
iintci' b:'ii 3it^t^' ^:^"!e!i: „Vielien Vci-tc, jei^^ ifi q-
:\\ujt bie3:it'!i; o;:'? 2'i^c!;c ^i; vi'i)n':;. 3;i 7\-!|ci)
taub ii^i r1)!icb'ev^ ai::^ lii <>::vci]i: '■;>•;, bav ^ol! 'S:
c:A^:sx'rl, >':: <y<l^:\V'\]\r. 7:v\\]v:\:,^ o''\:y ('■.■'. fo
h?.::, '■v:v.\\ n;r c:i/;') >;:! ;^Tci:;ci!e!r bC'i;u[i!]{e:;, bic-
(e:< iK^f: i^''l;]C;i i;;:itc, [iii bie albieuieliie ^KiiV -iib
[iir ciivli ]:Ufl." llnb itiuev jübiKlier vibc( niirb b^'?
[dir q;i' i^^'i'Ki-'i,^''', i'ii^ beifliilii"; mit bei! Vl;;p,ni bli:;-
},cl]\, iiiib oeini y^criwitcriidicii beiii ii;biM::i: :|.'bije(
i'or bev ;j[);ive ,:ii!i-i;jni: facti euri) vmt :X^!iji:i, il)u
feib binnr.i iinb iuiiicv[ffjainl! . . . >inMi ciifiii iii=-
b;''fl!e!'. (ionüi'j ui'b beficn '3^rljvci('eveicii eriinrt: ic(j
lüdjio. '.i\^ jiub eben X:cul]i()e, unc bic ^Jlnbcni aitd).
de fiiib in einen! unfolicicn ilVc!!)nc Veüu.-v'!'. 3l)ve
cOvUiKcit vi'biel fic \n ()»ni;ibc. ':^;c nieiiun ini-
ii:ev Moci), cc niinc bcvanf a:t, :)iccbr V- ^}til'en , 511
3cIi>M!, batl man c^'^^ l-at. ^el.-t fin-civcn [ie |iiv bie
Arca;eit w^c ein ^Ibio^at f;ir ciücu ';i>e[! •. ^'Ilci lante
Cv l;;:r ncc^ i:nf ivvii-b: c\\, alc< liuivc feil ci'icni
Tjal'x:: O^i'^'!)''-^''-- •'^■■•'^ ^l->^^' t^n'C'Hvi'ljev'J'i ircrbrn,
nM> r:^n ii!i /vrci^nr, yitr vJr^nidieücu!,!:, f:;r ^Mir-
(icrrccl;lc bcr o'-^-- 1^'m-1- '^'i"'. .Ta\; at(cv 'ii;eiH
bee 2\]-:a]\v. fo c;''t al^^ bei '^ik^: yM.. c^cirail
Vi.''ie ^uciljcit f:nnul ar.3 bcm .s>cr3en. Trc ^Miibcr,
b:r uu3 n.ifcu il'Wi nimnir, täinr';' [ir'i niiM, er \v-:'\'\,
ira^f er tljut.- ?iitl;t r.n ot]\ ^-^vftanb, 'in bii(< S'\x-,
\\\\\^ iniin )[•!) uvnben, nn bai< bcv 6'erinev luic an
CGv bfv^'^leic!;;^:ii:''-;rn. ^ie ."i^^cv^cr rii-f; iirr viih-
rcn, b^: i!i'b:!v:,!icVu buviV'Ob'cn. Ta^ :,vevt rni!";
c;;; :?di:i!evr ^'':' \ mii Toicoen, mit Guci, .^^aF,
^•:rucbi!!'u; 'nu;^ mc; bie Tijvnnnci bfvfül ]cn, ibr
ridit i:i;l ffhr:rea %i5;;bcu ^ladiljintcn. T;n-? Dcr^
[le[j:ii nbcr unicre bcntfdjcn libcraten 2d;nftft:t(cv
ir.d)t, iinb roclj b,e;ilc fo mcnig, aU üor bcn: '^nW.
•■v-i^'^r:^ .<«. j
7
\ P-^I'"^
) Ludvrig Borna an Jeanette Wohl
Vier und siebzigster Brief
Paris, Dienstag, den 7.Febiniar l832,
%
t
• ''^l:\\\ 5vo^üucincn^cr oi'Citnb in bcr rciitüljcn
a!t;^c!iv::i!C!: ,^V-iti-^i] [•'^•; -^'i^n ii-i3r,c nicht i^cv^CMcn,
':}^\: 1(1} wii: ,\::>c 0:;;. \o'<:\' ta^ fpvirfjt cv nic'il
nlv \i.^ov{uur! :\^ic bic ^[;ib:n: auo; nein, cv ;]:bc:!ii
'vir [ant: mii :-\\'djt iinivc idj r.^n.ni bic fTiMUfrljou
lib'ilcrt, bic incip. ii^oii [o iicbvi'ufl in;b ocütjaitbct;
lud): v-:r t'^'ü, bio V'cl'i' 'm^': miü :;:vbici:bci. ^a?«W¥>
vi^'' ij"; iii;c'\i!; ;C^5ui!ba-I Tnuj';i:b::i;Uc Ij.U-c ic;>
Cv ri|a[;i'Ci!,. unb bo..) lUciM ci< ii-.iu crii] iicü. '^L^^io
C^'iicii ipcijcu ;niv ii;:.r, i^af; ivl; rii: :,>:ibe [ci; bic
■Jlnbivu n:v^jiijcu luiv Cv; ber Tiiitc loln i'r.'.!) n^'L"
biir;';i-; alicr ^lUc ti;i;Cii bai.in. 3^i^ ;i:ib uüc iv^
l'ui!;!i in bic[>;in niai\i!Cl,':ii ^ubciitvclfc, :c< ;a:in Kciiici*
l)l;uiu^. Olucl) u\n[] iih Vi\1j.' y};M, luoljcv brr bjfo
3tiuC:v loriiiii. '"Die nnitcn ^cut[c!jai! o-* uii-
ta'j::.! 6hfii;c[fi^ wo-j:'*'!!:, iV'bv'idt i.'i)!i bcii ficbc::
•si^i ':^ii>cvic!i bei I]üi:cn; ^lAnbc, cvi^iflilcrt cc. W'x
liüi'faiifcv- (yc[i;(}(, \5on ^0}c:![il,c:i iw fpicai-n, bic
rod) licjir a'i^ fic [clbTl, biv liu oiciicv iyo;;i;:H. .^Ci.::
.;^!!ö;i; ^ii [ein, ivuüct [ic fcafilr, baj^ iio i;i^I;l ciiünal
^o^i'iittjc finb. 'i^idii, baj; ici) cii: Gs*^^ O-'-^"'^'-/ i^^^^
%:A ^niii; iii: cvbitlcrt i^c-i-n i^i: .r^;!::;a}::: . bav !;-;t
Vivt bcv ^oüi-c ,;u .i^c::i:Kv;; , U'::;;i i:h bic ijioKc
C^h-.abc, bic mir Gn^.tt cv^.oi'^t, riirl) su.jlcid) du 4^ClU^
}u;:v iMtb ein 3 übe lycvbmi ^ii l'.v[c!!, :ult fri)ni;bc:i!
il'iiHTi'n O^v-^üc — vjcac'i cin.co ^uoitcv, bor. i.h
!iuiu;:v ucvadilct, ^dc^cu '^dbcn, bic ich liiiii^rt ycv-
fii;)'-:'ri. \\i\\\, im !v:iü ^:lv< ut;vc"bicnlc -.^Hiid ;ii
[':!i;i*;cit, ;':;",fcifl; ein TcmMjcr iinb ä:i o^'^c <ii
j:iii , iiadi alioi Tußci-bct bcv ^ciuicbcn jtvcbcu :u
lüin-cn, r:;b boci) [cii'cr i!;vcv '^^\)kx 311 li}ci(cn. 3'^,
li^cit i:[) :ifw^ >i:!ici:i;L n^'^'^i'^i, bannn liebe icfi bic
(vvci!;cit inc'jv :iü \y]X. ^a, lueif iilj bic 3c[aucvei
t'ictcv'.it, bav'.ru: u:r!'(cl)C iif) bic ?s'veif)'.*it licffcv nt»?
3l)V. C\a, uicil ici) l'eiuciu il-.Ucvduibc <]c(idvcii, '^•xxxww
vjii!'fd)c irlj ein 'i'atcrlaiib Ijciilcv ok^ 3^}^'^ i'"^ ^ueif
iiieiü (v^(i;;vi:ovt iiidjt qvi)!^ev !^nv, nl^lJ bic 3u^^"'
niVif:, )ii!b I}i;iter b.'iit ucv!d;lof[cui'n üüovc baö ^lnv<-
laiib [iii iiiid) bci>\iin, oeiiiio' n'-ii* i^i'al; bic v^tabt
jucfjt ii'.c!)v -,11111 -Vatcvlaiibc, iiicl)t incljv ein \?ai!b-
liebiet, liidjt inelju circ ^}.'Vüuii!^^ ; ituv baß fjaii,^c ^voNc
i'atcvUtnb nciüii]! liuv, [0 uunl [eine '2.pvncl)c veid)t.
llnb I;aOc idj bic ifuidil, irfj butbctc nldjt, baf; Vonb
iicbict \m\ :i'aubi]cliict, baf; bcul)djcu (2'Uuinn uoii
bciitid}cm ■3tamm and; m:v eine üK-.jfc tvcuiitc, jitd t
bvcitcv (iK^ meine ^aiib; luib fiitttc id) W OJ^llllr. '
a
.a.O. Zehnt ar Band PS'^?^^^?^^^^^'^^^^ S. 241/44.
t
2^
^
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icfi biilbcic r.iiM, bf.f; nur ein ciii^iqc« ^c:It|^•Il■^:<
miv l;cvi!kric!i:,{l(c. Uiib w^M irf) cinniaf auüjdu'rt^
i'in >{vx^ DO!i ^i:v.Tcvi: ^n fcii;, iviü ii!; r-uct) uu()i
uiuc;ev bci iii'cciit ::;!:v i^i'vftcr bicibon; (]aii3 frei
5v<i{( ich iucrbCK. f)!'!) IiO'V riiv bcv ^^^\\^ mww:
7vrcil)c;l 1:011 Cn'nnbc air ;]>:üaut; inad)t e\' luio ich
iiüb li^iV'i^nt '^i^ü! iiicijt. ba'; .,^a;^) ciüc^ bairüKiacn
'i^taatvßcliauboc: nüt neuen '^^x<^;^^x. 311 bfdoii. ^clj
bUic (Till!), uev^cljlci iiiiu niciucii ^ubeii ii^c^t. Savct
"U-r i!i!v iuic ]io, baüi! iiui';:^ ^'i'" i^cffcr: uiiiiY;^ :lr;:r
■:;ur [0 i-iclc al:^ 3';^" Ki-. ba:i:; iriivc: [tc lv',iv aiv
.Mi:. 3i-t' [^ib cvi-ipii] ^Otii;io;'c:; A^omicvo, u'ih ^i'Mct
;i!;r pi: bivi^in ii: bcr <l^:(r; cicbc^ ii;!ö bveij^in ^J^-U
lic>ne!t ^v;;bn:, lüic^ ^äc "^Vcft ^iv^'^^ i'iiSjt hclioii il;iu':i.
of)r Ijai^t bcii oub^i' b^e V;.if( CfCncinnKii ; nbcr bav<
!i:i :;: iiov I^aiilü;;; bciual):!. oI;v Ii.^Ot iljiic:; bac«
2a[- b^c^ .Marfcv in iljv y)cv^ ocftvci:!; aber bao hat
il)r y^er: fitKli cvliaficii. .Aij^' b-''^ [ie ben i^ai^cii
lanacii Siütev in einen tiefen 'fcell.T ueiperrt nnb
bav ^::l!erioiI) mit ^Jiift uevpp^l; o(i:r afir, [fei
belli r>:oMe lUcciv[;ei(t, feib !)alu i'r['-ov:n. '^enii
b:r (vriibiinc^ loiiunt, ivoacn ^inr [ilien, ii\v friiljcr
Ovi'int, b:r ^nbe ober ber (i.jviu. -■■
•
i0' i' ■ .^ ■■■■ ■'
) Ludwig Börne an Jeanette Wohl
Hundert und zweiter Brief
■räc Aje'ftc :iv;i Stieijev ir>üqeu '■2k niir [cljiucu.
33:av irf) friibcr ucu ifiiii ciciefen, beutet auf ein
t'or,iii}Iic''jCv Ta:cnt ; aber ir.it [einen: 3'-'ii^**ii'^^'!^ ^t
C'3 eilt fjroi^or :Otip:vitüi:b. :ö;er 'iir bic ^ubeii
UMricn )v':[l, ber bnvf f;e iti.ljt i;Ctircu; bav lljun ja
eben bereu '^ciih, \\i iljrcm 'i3erbcrbeH. Sac> niiOt
ein eii^uev^ ^Pitviiat für bie Guben? ;V)re ?vreunbc
bvancbcn cv uicM, icnn fie bcbürfcu feiner 3ufprafl)e;
if/ve ÜJcnner r.ef.meu ov5 i^ar nicbt in bic .5^n^. Um
if}iten 3u helfen, irnfj ina:i ibvc 'Saific mii bem
i^iecfjtc i:nb b:n ?(n[pri'ufien bcr aUgcmeincu Breiijeit
iu in'rbinbiini] brinficn. 3Jiau mufj nur immer
fietoyenlLic!), mkTii\v;{ct yon ibncu [precben, bnmit
ber unoencigtc Vefer oc3iui!uaen tucrbe, [i:f; bamit
511 be[cljaftiiien, Jneil cC^ auf feinem iTceoc (icgt. GcT)
meine nitcb, co nuirc auf biefc Seife (cicfjter, bic
Otibcn ,^u Dcrlfjeibii]:;!, Z^cucwi bcr teinc bfinbc Siebe
[iir fic i}at. 3* 'M'^ t'ft v.v.b \mn\i für fic gc-
[prodjcn; biUte icfj fic aber ifoürt, ludre mir bic
C)crccljti(]teit gar ju faucr nc^^'i^v^cu. (5ö fcljcint,
üiiejjer mücljtc bie i^talionaütiit ber 3'ii^c:i cciualjrt
feljcu. Slber bie '■^cationalitat bcr ^uhcw ift auf
eine fe[ji3nc ii\\\> bencibenv^iücrtlje 5{rt 3U Öhniubc qc*
Oangcn; [tc ift jur UniüerfaUtat ncit^orben. 3)ic
y^j^
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a.a.O. Zwölf tor Banl. S. 37/39.
Journale: Riessers Zeitschrift "Der Judo",
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''■■rSi::\: beim baC ii!ui[icn!('it!n bcli''vvji')t bic 'S:It;
bicicr jr[)i3;:c ^'ro:;icUoviiiia, bcv aiiC b:v ;v^vf!ioc:t
•t^C;,cvrKf)ii ^Juü^c, \]\:v iiiib \^v\i, ii\vi b.^(^ ucvtcit:;cit,
(vc'.x o:i' bciiUrb: 'J^ai:n I'c^voiü c>3. T-ic o^^bc;:
finb bic '^^c:'^-;-:: '^x y.oh''\:'\yA\t'.-\'\v-. i;nb bic c^i^i'^c
"l^cil ifr iiirc (rc^nfc. W'b )i\\\ rr ":.[: Vii^vcv bco
^i^cincviiUlivjriiv fii:b, [iiib liv ü\\■^) tl': '}[vc\i:i '^■c:
?ia;'';nc't (VclU. "irciv biv x!.'cli:r treu:;!. ucvi'i::iiil;
bi? (Viirfioi : b:r uvajic^^ciluic .^af, bvr b:c (ii;;c:t
iiVüii: i;:;b 'v:,i'; :!;•(; l.ii^i, iij-vlniibol bio Vdiba';: \i\
lv^.[liciioili^■;or Virb: n-b \\nv:{)[ [i; fii^vl. 'T^i: Kc;i!ßC
lucvbcn AlM'iibcr blcii'c:t iii:b iKvbi'iVbct i^iicii Mc
"-olicv, fo (aiin: ci;! ifirridj;;:? ^^ap b;cic auvciiiaiibcu
lw.U. 5;i;ü bi; ;ib?(l.:i:ic [iiib [lart, irci[ [ic ld:i
5i\^torfr:i:b fc:'iic:!. Tci::ü^c! o'-^^iV-'l--' J^v^^ ^^^-^
vaca, Cancbvvklilcr bcv ^'i^c^t, !aiu cndj nidu Uiiitv'*^
iljoviclit uon ciivcn .>ocrvKl;crn },\n\\ \\\\\)\\]v^\\\^c\\ Vc>'
ivioüöniiiv ciUif;^:!.in:;i. ^:u man ci::vo ^i^crcinl'
(\;:i'i3 [iin!;lct, [oil u\-ilvi':lü'i!ii]c>o ^viifuvai'cr. cndj
CiV»;»' qcivc::nt I'aii::*. ^i^av j"c di il:ai:v!ai!bvt'cuc
^jtVv-jon, i\t bic dicifc e:vcv ioovbcrbcit-b. ^;vfii?'t
[ic, lucrict ^liTiuii üiib ^ccvtcv iinb ::v]'!;!:oci;:
'lijvivic liii;:'iu. iir.b l'0::ci bcu i'obcii mit .beut
T:vi;:"!:^!c:':-3^r,nitlc c:uc:< ^'I'«:!^. Xauw l'x[i\(\t 'cv:
?,;ciV't. i*iv :^::it'i;;;: t^üt :'iovbc:i, i!;r rra>-:;fc!i
b\:; Ciibcr, it:ib ba!':! i[t überall iro vi:; ^?i:-:ir^
Ol!"::!;;! :::::• Ü^alr''i.;b, ;i:'b triebe cuvc ^'Ki^^ioii.
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u 1
Die ersten jüdischon RochtsvTiGsenschaftlQr von europäischer
Bedeutung gingen aus dem deutschen Judentum hervor. Aber nur durch
die Annahme der Taufe gelang es beispielsweise den Juriston Joseph
von Sonnenfels, Friedrich Julius Stahl und Eduard Gans den ihrer
Begabung und Leistung entsprechenden Wirkungskreis zu finden.
Der im Jahre I829 geborene Levin Groldsohmidt, Handelsrechtler,
Gründer (IÖ58) der "Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht", lehnte
es ab, sich einen Lehrstuhl durch den Preis der Taufe zu "erkaufen".
Er nahm den Kampf auf sich, als Jude zur Professur an einer deutschen
juristischen Fakultät zugelassen zu werden. Dieser Kampf entv/ickelte
sich zu einer wahren Odyssee durch die Universitäten Deutschlands.
( ) Levin Goldschmidt an seine Eltern
\^^\y:^i^.MlJ)Mia'\i%^r^. . .T>\q. Umwälzung ist zu groß, zu un- -^^
erwartet, ah daß sie in/volleiiiL'Umfangc schon jetzt begriffen werden Y7/t -/Y^Ux.' '
könnte, ja selbst von denen nidn, die Augenzeugen und handelnde
Personen bei den Ereignissen der letzten acht Tage gewesen sind . . .
Eine neue Ära hat begonnen — leider, daß Kartätsdicnschüssc sie er-
öffnen mußten. Morgen findet die große LeicJienfeieflidikcit statt und
Versöhnung zwisdien allen Ständen ... Ich hätte nidit Tauscndc dafür
genommen, in den Tagen der letzten "Woche nicht zugegen gewesen
zu sein und mitgehandelt zu haben.
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« V ■ : .,.:.>■• '.I
( .. ) Lövin Goldöohmidt an u^ino "^.Itern -'
Kiove, den 25« Soptimbor l84ß.
}j^ Diese Zeil' n treffen >^oh hoff entlieh zum höh .n fieu-
jahrsfeotei mö{?et Ihr es gesund und froh vorleben und auf
oinig3 Stunden wonigstena die une rings umhrausenden stür-
me vergessen. Vieles, um das wir noch im vorit^-en Jahr©
flöhten, ist erreicht. - Auch der Jude kann jetzt ncich
seiner Nei^rung, nach seinan Talenten den Weg einschlagen,
den or helieht; auch er braucht cein Glück nicht m^hr mit
Ahöchv/önm^ seines Glaubens zu arkrjufön, -
• • •
"'''*,,. '"'■■ ..:.„
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Joseph von Sonnenfelss (1732 - I817), Schriftotellor und
Staats^viciL^enschaftler, Trat zum Christentum über und i^rurde
1763 Profe-iisor an der Univernität V/ien, v^ar z'./eiraal deren
Rektor. Gah die V/cohenschrift "D.r Ilann ohne Vorurteil"
heraus (1765/67,1769,1775). Hatte Anteil an der Ahfa^.sung des
"Toleranzediktes" \inter Josef II,
I-riodrich Julius Stahl: v^.^ S. "^
** * Eduard Gans: Vßl, S.; L'^-^^^^-f-'U^'^ f-U^'i-y^
J
**->t* Levin Goldschmidt: (I829 - 1897), aeit I875 Professor an der
Berliner Iniversität; I875 - I877 nationalähoralsr Reichs ta^-s-
Ah eordnetor für Leipzig.
Levin Goldschraidt, TiJin Lehenshild in Briefen. B&rlin I898.
s. /^///. ^>^
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{ ) Levin Goldschrnidt an ooine Schwooter Fanny
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-tÖÄfloig,. ij- M*ft-i-8t4^.} ...Seit dem i. März arbeite Idi bei
dem hiesigen Kommerz- und Admir.illtHtskollcglum, um in^ meinem .
Llebllngsfachc, dem Handelsrechte, midi einigermaßen zu orientieren, /f,- v^
Sollte ich, wie immer wahrscheinlicher wird, die thcoretisdic Laufbahn
cinsdilagen, so würden gerade diese Arbeiten für midi äußerst ersprieß-
lich werden . . . Nur eine Besorgnis mödite idi widerlegen: Idi bin
stets entschlossen gewesen, mich nicht taufen zu lassen — ich habe in
diesem Entsdilussc zu keiner Zeit gewankt. Welche Gründe mich dazu
bestimmen, ist glcidigültig -- es sind mancherlei, deren nähere Aus-
einandersetzung zu weit führen würde. Daß die materielle Unabhän-
glgkclt sich mit diesem Entsdilussc nidit durdiführcn läßt, weiß idi /■ c
sehr wohl/-4och will idi versuchen, mit meinen Kräften zu madicn, ^f "^/h^
was tunlicn ist . . .
<--\
^t
) Levin Goldschmidt an seinen Vater
Heidelberg, den 12. Juli I854.
-^Heidelberg, -i-».-^ti4i-L8^4T]- ...Gestern und heute besuchte ich
die Professoren Mittermaier, Robert ;^ Mohl und den Privatdozenten / •^'J^^
Brinkmann. Über die pTrcußischcn Verhältnisse äußerten sich jillc in^ /*
den stärksten Ausdrüdten.
In Baden ist den Juden die Advokatur unvcrschränkt — zum
Richteramt sind sie bisher nldit zugelassen worden . . . Günstiger sollen
die Verhältnisse in Württemberg sein. Der Zulassung an der Univer-
sität (auch zu Professuren) und zur Advokatur stehen keine Hinder-
nisse entgegen ... In Hamburg können Juden das Staatsbürgerrcdit,
eine Bedingung zur Advokatur, nicht erlangen, doch fungieren sie als
Winkeladvokaten und am Handelsgericht, nachdem sie zuvor Mitglied
einer jüdischen Gemeinde geworden sind . . .
Mein weiterer Plan ist nun folgender/^ Morgen früh reise ich nach
Stuttgart und Tübingen. Bieten sich auch dort keine Aussichten, so
ziehe ich Erkundigungen in Zürich ein. Alsdann reise ich nach Mün-
chen. Von Mündien gehe ich vermutlich nach "Wien. Dann nach Sachsen,
Göttingen, Hamburg und Bremen . . .
' >-•
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lJ-
i-
^^in^
( ) Levin Goldsohmidt an seinen Vater
München, den 20. Juli I854,
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■/9f
, fMündien, -20. Juli 1854.] ...In Württemberg werden Juden zu
allen juristisdien Stellungen unbedingt zugelassen, d. h. verfassungs-
mäßig, indessen nach der Praxis bisher zu Advokaturen und Profes-
suren: Riditcrstellen haben sie bisher nicht bekleidet. An der Univer-
sität zu Tübingen ist gegenwärtig ein Privatdozent meines Faches, der
den Titel Professor erhalten hat; ein anderer: Mayer, war ordentlicher
Professor der Rechte, als er sadi, angeblich aus Überzeugung (er war
ehemals Rabbiner, ein sdiarfslnniger Kopf), taufen ließ...
In München haben meine gesdiäftlichen Angelegenheiten den cr-
.<•.•**•
^;.i,r;
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.a.O. ±fi S. 114.
a
.a.O, S. 116 f.
a
• a.O. S. 118 ff.
/
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^v
■r^
warteten Erfolg (d. h. keinen Erfolg) gehabt. Der Verweser des Ju-
stizministcrii sagte mir, daß Juden zu Riditerstellcn niciu zugelassen
würden, zu Advokaturstcllcn nur in einigen größeren Städten...
Der Kultusminister, Herr v. Zwchl, entgegnete mir auf meine
Trage, ob ich als Preuße auf einer ^^rischen Universität zugelassen
werden würde, damit: Ja, unzweifelhaft, ich solle midi nur hab«itieren.
Ich fragte darauf weiter, ob nidu ein Moment Bedenken erregen
könnte: „Ich bin Jude." Der Minister stutzte und äußerte: „Da kann
idi Ihnen frcilidj^ keine Hoffnung madicn." Ich entgegnete: „Ich werde
natürlidi n;Ut j^'^nonisdies Redit dorren." Der Minister: „Ja, frei-
lidi, aber das ist bei uns Grundsatz." Darauf ^agi^ idi: „Das steht
also fest?" Der Minister: „Jawohl!" Darauf empfahl idi midi...
^"f S^C^
5Ai
) Levin Goldschmidt an seinen Vater
Wienm,den 29. Juli I854
[Wien, 29. Juli i8j4.] ...Mein Wiener Aufenthalt war für midi
gcnußreldi. Professor Stubenrauch, einer der ersten Juristen öster-
rcidis, ein ungemein zuvorkommender und angenehmer Mann, jfcilte
mir die Bedingungen für die Habilitation an der Wiener Universität
mit; weder er noch seine Kollegen würden darauf, daß Idi Ausländer
oder Jude sei, das geringste Gcwidit legen... Er glaube wohl, daß
Idi zugelassen werde, ob idi aber später eine Professur erhalten würde,
sei sehr zweifelhaft. Es sdilene, als ob man den Juden, ebenso^ wie
in Preußen, alle ihre gesetzlidien Freiheiten entziehen wolle, übrigens
riet er mir. mich an den Ministerialrat Tomaschck zu wenden ...
/. ^
L^
) Levin Goldschmidt an seinen Vater
Naumhurg, den 3. August I854.
i^ >
■•::*>'
■{NaumW« ; , 3 . Augu »t 1854.]- ...In Tcplitz fand ich den Mini-
nistcrlalra^Tomasdick aus Wien. Er war sehr freundlich, meinte, daß /. c^
meiner Habilitation in Wien oder Prag, falls ich nur die gewöhn-
lidicn Bedingungen erfülle, i^idits im Wege stehen würde. Daß meine / /i
Konfession Hindernisse bereiten würde, glaube er nicht: es sei gegen- ^ ^
wärtlg ein Jude, Wessely, aufscrordeiulidier Professor der juristischen
Fakultät zu Prag — , und schreibe derselbe clrf größeres wissenschaft-
liches Werk, so sei dessen Beförderung zum ordentlichen Professor
wahrsdieinlidi. Garantl/ren könne er freilicii hierfür nicht, zumal /^ ^^
der Minister ihm noch unsldieren Besdield gegeben habe ... , ,.
Hofrat* Albredit in Leipzig empfing midi mit ungezwungener /^t/Cfy
Herzlldikcit. Er hält dafür, ^^.^ mir gestattet werden würde, mich
in Leipzig zu habiliti^en, an eine Professur in Leipzig selbst sei /<A>
kaum zu denken, da die Universität sehr orthodox sei. Mit vieler
Mühe und Protektion sei es vor ciiiem Jahre einem £ädisisdien Juden
gelungen, Advokat zu werden.
Gestern sprach ich in Halle Professor Witte, der mir erzählte,
^\Qi et in einem Promcmorium, welches er dem Ministerium zugunsten
der Promotion von Juden zu Doctores Juris eingereicht, besonders er-
wähnt habe, daß es für die Wissensdiaft ein entsdiicdener Verlust sein
lS
würde, wenn Leute wie Idi von der akademischen Karri((re entfernt
cehaltcn würden ...
ie
a.a.O. S. 125 ff.
a.a.O. 3.' 128/29.
'^:- **<w...*.'*/"">.
4,.
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( )
Levin Gjjldschmidt an sainen Vater
^■
Göttinnen, r^. A.ugus'^ I854.
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" "Jv* tiic Uni
Was meine Zulassung anlangt,
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^
/
so würd.« die Universität ^ hagte mir Geheimrat Midiclsen, der P.^^'<{ ^'^^ f/^^M-
Dekan der juristischen Fakultät/ y^ wohl unzweifelhaft dafür sein; '
bcdcnklidier steht es mit den Regierungen. £/• meinte, der Fall sei
eigentlich nodh nie vorgekommen; in den sadisisdien Herzogtümern
seien fast gar keine Juden (was natürlich mit dieser Frage gar nidits
zu tun hat), es sei ihm unbekannt, wie die Professoren sidi entschei-
den würden; er selbst könne nicht für sich garantieren, da durdi die
Diskussion seine Ansichten vielleidit geändert würden . . .
Sehr angenehme Tage habe ich hier in Göttingen verlebt. Profes-
sor Baum empfing mich sehr freundlidi. Ich besuchte die bedeutend-
sten Professoren meiner Fakultät und erfuhr von diesen, daß meiner
Zulassung kein Bedenken entgegenstehe: ein Universitätsprofessor,
der Mathematiker [M. E.] Stern, ist Jude . . .
Darin steht die Universität einzig da — sie ist vollkommen un-
abhängig. Der ehrwürdige Senior der Juristenfakultät, Gch.-Rat
Ribbentropp, sagte mir mit "Wärme: „Nun, ich möchte doch sehen,
wer in unsere Universitätsangelegenheiten dreinzureden wagt. Ich bin )>
kein Anhänger der Emanzipation der Juden — wenigstens würde ich
sie nicht völlig emanzipiert haben (aus ziemlich komischen Gründen)
—r aber jetzt, da sie einmal verfassungsmäßig gleichgestellt sind, muß
daran festgehalten werden."
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l^u^^^^/^jC^ a^ ^kc^ /^^
äUi/^ckyO^ '
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^hy- ^ d-C^/^^r ^ /^^c/S
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( ) Levin Ctoldsohmidt an seinen Vater
Oöttingön, den S.Außust I854,
Am Naohmittag langte ich in Jena an tmd besuchte sofort den
DelSan der juristioch^n Fakultäti Geh, Justizrath Micholr^ön,
den Profesii/or Leist, den Universitätskurator Staatsrath See-
< f beck... Was meine Zulassung angeht, so v/ürde die Universität
Ij2^ ^whl unzweifelhaft dafür sein; bedenklicher steht es mit den
Regierun^^en. Jena ist nämlich eine von etw?^ 6 kleinen deut-
schen Staaten gemeinschaftlich unterhaltene Landesuniversität.
Der Kurator, der mir mit ausnehmender Freundlichkeit, aber,
wie ich vermuthe, mit wenig Aufrichtigküit, entgegenkam - und
dem ich nicht allau sehr traue, rieth mir eigentlich gaife
und gar ab. TDr meinte, der Fall sei noch nie vorgokommonj in
den sächsiochen Her250g1|ffinem seien fast gar keine Juden (was natürlich
mit dieser Frage gamichts zu thun hat), es sei ihm unbekannt,
\7ie die Professoren sich entscheiden wiirdeni er selbst könne
nicht für sich garantiren, da durch die Diskussion seine An-
sichten vielleicht geändert lirden...
Sehr angenehme Tage habe ich hier in Göttingen vorlebt. Pro-
fessor Baum empfing mich s jhr freundlich. Ich besuchte die
bedeutendsten Professoren meiner I^akultät und erfuhr von die-
sen, dass meiner Zulassung kein Bedenken entgegenstehe! ein
tlniversitätsproferrsor, der Mathematiker Stern, ist Jude...
Darin steht die Universität einzig da - sie ist volllcomraen
unabhängig. Der ehrwürdige Sonior der Juristonfakultät, Geh.
Rath Ribbentropp, sagte mir mit V/ärmes **Wun, ich möchte doch
sehen, wer uns in imsere Universitätsangel egenheit drein zu
reden -wagt. Ich bin kein Anhänger der ^'^anoipation der Juden
- wenigstens würde ich sie nicht völlig emancipirt haben
(aus zittmlich komischen Gn'lnden) — aber jf)tzt, da sie einmal
verfaijsungsmässig gleichgestellt sind, raiiss daran festgehal-
ten worden." ~
■r"*^.»^ T^'v*. , ■■-^^v"'"TJ'
a.a.O. S. 129 ff.
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Z^^
( ) Levln Goldschmidt an söinen Vator
HöidellDerg, den 24« Januar I855,
Bis jetzt hat sich Alles ^t gemacht. Am SonntatS; hosucht©
y t loh Ivlittermaior, Mo hl und v. Van,^örow, die drei bedeutend-
y fr^ sten lüitglleder der jiiristisohen Fakultät. Sie kamen mir
sämmtlioh mit grosrier Freundlichkeit entgegen, und äuGiaer--
ten, dass ihrersaits Alles geschehen werde, meine Habilita-
tion zu äfordern, - auch von dem BadiGChen Mnisterium er-
\7arteten sie keinen V/iderspruoh.
• • •
( ) Levin Goldschmidt an seinen Vator
Heidelberg, den 19 . Februar I855.
• • •
Rs geht mit der Habilitation schnell vorwärts. M-^ine
Schrift ißt von der Fakultät gebilligt und wird bereits
gedruckt.
. • •
( ) Levin Goldschmidt an soine Oesohvdster in Braunsb^rg
Heidelberg, den I5. Mai I855.
• • •
Als guter Patriot (ein dankbarer Sohn des undankbaren
Vaterlandes) halte ich einen Vortrag über Pretik^sische
Eöchtsgeschichte — ein Thema, welches selbst auf Preussi-
schen Universitäten nioht behandelt wird. Darin zeigt sich
wieder, wie unpraktisch ^vir Deutnchen sind. PreuGsen hat
seit 60 Jahren seine eigenthümliche imd reiche Gesetzgebung
- aber nichts wird mehr vemachläosigt als gerade dieses
Studium des vaterländi sehen Rechtes.
• • •
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( ) Levin Gtoldeohmidt an soinen Vater
Heidelberg, den 24« Januar I855.
BIb jötsst hat sich Alles gut gemacht. Am Sonntag bosuchto
jy * loh Llittermaior, Mohl tmd v. Van^erow, die drei bedeutend-
//r5 ^tQTi Mitglieder der juristischen Fakultät, Sie kamen mir
säramtlioh mit f^rosser Froundlichkeit ent^^egen, und äusüer-
ten, dass ihrerseits Alles geschehen werde, meine Habilita-
tion zu rordern, - auch von dem Badiochen Ministerium er-
warteten sie keinen Widerspruch,
• • •
( ) Levin Golds chmi dt an seinen Vater
Heidelberg, den 19, Februar I855,
• • •
Rs geht mit der Habilitation sohnell vorwärts« Meine
Schrift ist von der Fakultät gebilligt und wird bereit:
gedruckt.
. • •
( ) Levin Golds ohmidt an seine Geschv/istor in Braunsb^jrg
Heidelberg, den 15 . Hai I855.
• • •
Als guter Patriot (ein dankbarer Sohn des undankbaren
Vaterlsuides) halte ich einen Vortrag über Preuic^sische
Eöchtsgesohichte - ein Thema, welches selbst atif Preussi-
schen Universitäten nicht behandelt wird. Darin zeigt sich
wieder, wie unpraktißch mr Deutnchen sind. Preuasen hat
seit 60 Jahren seine eigenthiamliohe und reiche Gesetzgebung
— aber nichts wird mehr vemachlä.isigt als gerade dieses
Studium des vaterländischen Rechtes.
• • •
9
a.a.O. S. 137-
a.a.O. S. 144 f.
a.a.O. S. 150 ff.
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C
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^ ^7^ GOLDSCHMIDT AN OTTO STOBBE /^:,/,/^^^ ,/,^^ ^ >u . ^ M^'^.
4HmWkTs,^-Jirm' iS^ö.]' ...Da Sic an mir und meinen Er- ^'
Icbmsscn einigen Anteil nehmen, so wird es Sic wohl interessij^i^n.Z ^ ^ A^
öali ich Ende vergangener Wodic zum außcrordcnilidicn Professor )^f ,
ernannt worden bin. Sic wissen, daß mir viel daran gelegen war, ^ ^■
^umal meine Konfession einem etwaigen Rufe, selbst wenn ich soldicn
bcansprudicn könnte, fast unüberstciglidic Sdiwierigkcitcn entgegen-
stellen wurde. Der neueste JLrIaii acs ivuiiusuuniiici» uuv» v.,v T...-
stcllungsfähigkcit der Juden im Sdiulfadi hat meine Hoffnungen für
Preußen ohnehin verniditct. So aber bin idi sehr zufrieden, sehne
midi audi gar nidit von dem paradicsisdicn Heidelberg weg und hoffe,
die Ruhe^ zu größeren und frudnbarcn wisscnsdiaftlidicn Arbc'^en,
wclAc mir im letzten Jahre gefehlt hat, wiederzugewinnen...
In demselben Jahr IÖ60 ist auch der Vorkämpfer der Emanzipation
in Deutschland, Gabriel Riesoer, zum höchsten Gericht seiner Heimat-
stadt Hamhurg als Richter "berufen worden.
In der österreichischen Monarchie hatte Kaiser Franz Josef II.
schon im Jahre 17Ö2 durch das Toleranzpatent die Juden Wiens, Öster-
reichs, • Böhmens und Mährens von dem schAversten auf ihnen lastenden
Druck entehrender Sondergesetze befreit, ihnen eine Reihe wirtschaft-
licher Freiheiten eingeräumt, den Zugang zu den Hochschulen eröffnet
und die Errichtung eigener Schulen ermöglicht. Allein, abgesehen von
zahlreichen aufrechterhaltenen Ausnahmegesetzen und der auf Germani-
sierung und "Glaubens Vereinigung" gerichteten Tendenz des Patents,
wurden die Juden während der nächsten Jahrzehnte unter Franz I, von
neuem beschränkenden Vorschriften untervrarfen.
Erst die Revolution des Jahres I84Ö brachte eine radikale, wenn
auch nur kurzfristige V/endung. Damals wurde auch Wolfgang V/essely,
geboren in Trebitsch, Mähren, 1802, ein Gelehrter von universalem
Wissen, als Religionslehrer tätig, zur Dozentur an der juristischen
Fakultät der Prager Universität siugelassen. Wessely war somit der
erste jüdische Jurist , der das Lehramt an einer deutschen Universität
bekleidet hat. Ueber dieses historische Ereignis iind über andere
Berufungen, deren er teilhaftig wurde, hat sich Wessely in einem
Brief an den mit ihm befreundeten, in Ungarn ansässigen jüdischen
Gelehrten Leopold Low geäussert.
,«; *
• •■'•»
a.a.O, S. 234
, (JesamnieTter
j hi^sgr ;73ön''^ähuel L^wv
*;~
Wolfgang Wesselyj (I8OI - I870).
»»
'vi^r-^'
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l'?
( ) Wolfgang V/ossely an Leopold Low
[Prag, 23. Januar 1862.] ...Ein Fall, dessen sich ein Zcitungs-
skriblcr bcmäditlgt und in öffcntlidicn Blättern ganz entstellt und un-
riditig mitgeteilt hat und der in dieser Entstellung gewiß audi zu Ihrer
Kenntnis gelangt ist, liegt jetzt zur Entsdicidung vor, nämlidi der,
ob idi, obsdion Professor Ordinarius, als Jude, als Promotor fungieren
darf . . . Pcrsönlidi interessiert midi eigentlich die ganze Sache wenig.
Idi genieße sonst alle Rcditc und Begünstigungen eines Ordinarius;
ja, das Promovieren ist mehr ein Onus als ein Commodum. Aber es
handelt sich um ein freisinniges Prinzip, und es scheint, daß mich die
Vorsehung dazu als Mittel auserkoren hat, um in der Emanzipations-
frage der Juden dem liberalen Prinzip zum Siege zu verhelfen. Ich war
der erste Jude, der das Amt eines geridnlichen Translators in hebraicis
bekleidete, der zu der Beratung der Gerichtsorganisation in Böhmen
im Jahre 184S zugezogen wurde, dem die Geridnspraxis beim Kriminal-
gericht gestattet, der zur Richteramtsprüfung zugelassen wurde und
solche bestanden hat, der an einer österreidiischen Universität eine
Dozentur, später eine außerordentliche und endlich eine ordentliche
Professur an einer juridischen F.akultät erhielt.
Fast schäme ich mi<^, von mir soviel gesprochen zu haben, aber
wenn ich einem treuen, bewährten Freunde schreibe, so tut sich mein
Herz weit auf...
Vtt
f.f
fr-y / .
Wessely Brief gibt keinen Aufschluss über den reaktionären Umschwung,
der sich in der Zwischenzeit zugetragen hatte. Nur allmählich sind
infolge des neuerlichen Rückfalls in den Absolutismus die von der jungen
jüdischen Generation an die Märztage I848 geknüpften Hoffnungen in
Erfüllung gegangen, Noch im Jahre 1Ö53 hat der unermüdliche Kämpfer
für die Emanzipation der Juden, Josef Y/ertheimer, als das Verbot des
Grundorwerbs durch Juden wieder eingeführt wurde, am Schluss seiner
Schrift "Die Stellung der Juden in Oesterreich" die von neuem drohende
Gefahr einer Einschränkung ihrer Rechte mit den V/orten gekennzeichnet:
"Degradation heisst die schv;erste Strafe, die beim Zivil wie beim
Militär nur die schwersten Verbrechen trifft. Und Degradation ist es,
die hier 800.000 pflichtgetreue Oesterreicher treffen vairde, die kein
Verschulden auf sich geladen haben,.." Neben V/ertheimer und dem
Wiener Prediger Adolf Jellinek hat in den fünfziger Jahren auch der
V/ienor Rechtsanwalt Heinrich Jacques einen an Riessers Kampagne erinnern-
den Kampf um die Gleichberechtigung der Juden geführt. Aber wenn auch
die gesetzliche Regelung noch bevorstand, so war die tatsächliche Lage
t
i
Leopold Low, Ges. Schriften, hri^g. von Rmanuel Low,
5. Bd. (Briofe), SsQgodin I9OO.
Joßef Wertheimer: (I8OO - I887), Pädago^je und Sckriftt^tellür,
gründete die eroten ICindorßiärten in Oestorroich sowie einige
jüdische Schulen, Wurde geadelt und erhiolt das ■ 'lirenMlrger-
reoht von Wien« Hrsg. des Jahrbuchs für Israelitan (1054^18*^4).
«#
Adolph Jellinek: (l820 - I893), I845-IÖ56 Rahbiner in Löipai^^,
dann in Wien.
ji m
30
der Judön im Beraioh dos deutsohon SpraohgobietGs gegen die Mitte dor
öechzicer Jahro kaum wesentlich von dem "bald darauf Sanktion! orten Zu-
stand versohioden. Anschaulich boriohtot darüber der Privatß-Ql ehrte
Raphael Kirchheim.
( ) Raphael Kirchheira an Leopold Low
Prankfurt a,M., 17. Dezember I865.
)^So_vioLJ^Tt)en \vir auch hier erfahren, dass die Juden |Ui-4^ Freiheit durch
den Sieg der Demokratie und nicht durch die J^Xirsten erlangen. Vor drei
Jahrzehnt n waren die ^hen noch beschränkt; kein Jude durfte mehr
als ein Ilaus eigentümlich besitzen! vom aktiven und pa ßiven Wahlrecht
v/aren sie ausgeachloi^een, und jetzt können sie sof^ar die höcliste
Staatsx'^/ürde bekloiden« Im Jahre I8OO machte noch ein Dr. mod. bokannt,
daiT^s in seiner Badeanstalt zwei Zimmer für die hiesige Juden^'-ohaft
bestimmt seien und kein Christ in ein Judenbad und kein Jude in ein
Christenbad eingela sen wjrdej auch das Weir,szeug sei für beide Teile
gesondert gezoiohn t; und j-tzt gibt es keinen Vergnügungsort, keine
öffentliche und. geochlossene Oesollschaft, \vo die Religion eine Schei-
dewand macht, keine wisnenschaft liehe, gem. innütr.igo Anstalt und köine
merkantiılif3 tische Administration, vfo die Juden nicht mit ihren gei-
stigen und materiellen Kräften für das GeneinvA>hl mitarbeiten. Das fri
^ohi Aufblühen des Handels und die allseitige Wohlhabenheit in unserer
Stadt haben alle früheren Clegner unserer ■iaanzipation zusohanden ge-
macht, und sie machen notgedrungen das Geständnis, dass die Stadt
das an den Juden begangene Unrecht eui sich selbst gebücüt habe. Mit
diesen v/onigen V/orten haben ^e die gegenv/ärtige Stellung der Juden
im staatlichen und sozialen Leben unserer Preistadt, und Sie werden
es ganz natürlich finden, dass für uns die Mes.'iias frage ent^johieden
ist, und früher oder später wird diese Frage in allen zivilisierten
Staaten auf diese Weise gelöst v/c^rden.
• • •
Zwei Jahre später hebt östcrreldi in der Verfassung von,
1S67 und nach weiteren zwei Jahren der Norddeutsche Bund in
dem von Wilhelm I. und Bismarck untcrzeidineten Gesetz vom
3. Juli 18^9 alle aus der Vcrsdiicdenheit des religiösen Bekennt-
nisses — nur dieses gilt als Untcrsdicidungsmerkmal der Juden —
hergeleiteten Bcsdiränkungen der bürgerlidicn und staatsbürger-
lidien Rechte auf. Die optimistisdie Zuversidu, mit weldicr diese
Ereignisse von <ier deutsdicn Judenheit begrüßt wurden, kann
nidit besser illustriert werden als durch jenen Brief, den Berthold
Auerbadi unter dem Eindruck der Nadiricht, daß die Judeneman-
zipation im ungarisdicn Reidistag einstimmig angenommen wurde,
am 28. Dezember 1867 an Jakob Auerbach geriduet hat und
der in die beziehungsrcidien Worte ausklingt: „Ich bin oft so
reizbar feinhörig, daß es midi berührt, wenn ein Blatt in meiner
Kirchheiras (I804 - I889), uroprünglioh Vertoidiger der
Orthodoxie, ent\vi ekelte er sich unter dem I^influss von
Abraham Geiger zu yinem radikalen Anliänger der Reform.
Leopold Low, a.a.O.
•
t
II. Der neufi Fni tus
#
■^
/
Die innere Wandlun,^, die aich coit Anbruch der Aufklärun£;cGpochG
in der deutschen Judenheit vollzog, wurde sichtbar an der Umf^eGtaltun^
•X-
des jüdischen Gottesdienstes. Israel Jacobson , L^ecklenburc-ochv/erinscher
Geheimer Jj'inanzrat, v/urde z^jm i&ponenten dieser Reform, Im Jahre lolO
vrurde in Seesen, im V/estfälischon Köni,^:roich Joromes, untor dem Geläute
der Kirchenf^locken und ßoteili^pjini'^ d.ör staatlichen Behörden der erste
"Sempel" des neuen Kultus ein,';e\7eiht. Zum erstenmal wurden von der
versammelten Gemeinde Gebete in deutscher Sprache gesprochen, zum
erstenmal ertönten Orgel und deutscher Chorsesang in einem jüdischen
Gotteshaus, Berlin ist nach dem Sturz Napoleons die nächste Etappe
der Kultusreform. Dort richtete Jacobson vorerst in in seinem, später
c
im Hause des Bankiers J^ob Beer, des Vaters von Giacoma Leyerbeor,
den neuen Gottesdienst ein. Zunz predigte hier, und l^iedrich Schleier-
macher erschien unter den Zuhörern,
Aber die Neuerer stiessen auf zv^eifachen Widerstand: die jüdische
Orthodoyie und ihr extremer V/iderpart, die im Jahre l822 in Berlin
entstandene "Gesellschaft zur Beförderung des Christentums unter den
Juden", erblickten in dem reformierten Tempel eine Gefahr für ihre
'Bestrebungen und erreichten, dass die Schliessung des Tempels durch
eine Kabinettsorder verfügt vairde. Ein Brief des Aufklärers Josef^^^
Uuhr an seinen Onlcel Jesaja Tugendhold, den Vater des Sekretärs der
V/arschauer jüdischen Gemeinde, schildert dieses Ereignis,
» ■
■^■
■r
'1/
^Ai*iim ) Joseph Muhr an Jesaja Tugendbold .if^v". .'l.
• ./•' - Berlin, 2?. April 1823^^1; ,
^. ; loh bin der nicht mehr, der ioh n^oh tot einiger Zeit war, Weim^-
^ - t « *K-» -.1.,- .(».•■^^Ä,-«.'. ...1 Itt\ \ ' t
ich mich fruier für^das Wolil'meiitier Brv|4Qr^ der Söhne iß raels,
gemo auf^reopfert habe und tätig tmr, sq ist seit kurzem aller Mut
und jede Kraft von mir gewichen und ioh liabe die !<lrfahrung gemacht,
wenn Gott nicht das Haus baut, so war die Mühe der !*'rbauer vergebens.
Seit 8 Jahren wurde hier ein Gottosdienst üins'eriohtet, der Ihnen
v/o hl vom Hörensagen bökannt gevrorden ist. Nach Ö jährigem Böütand
unter Kampf und Qualen ist er gediehen und wahre Gott jsfiiroht, wahrer
Glaube bereits bei zartem Fördern im Herz der Jugend g#wäp|Belt.
•T
Plötzlich ist durch die Gesallsohaft, welche sich vereint hat, die
Glaubensgenoösen zum Uebergang zum Christentum 55u bewegen, gewirkt
worden, dass wir den Gottesdienst in der Art, vfi& wir ihn eingerichtet,
.".^v; *■'"'*-' 'v '*r«
vj».:
,.*.
,.','
i; •• ■■■ ,
> *ii.
^1
Israel Jacobson: (1768 - 1828).
.#•
Joseph Huhn lang jähr it';?er Vorsteher der jüdischen Gemeinde
in Berlin und Mifbegründer der Berliner jüdischen Reform2:emeinde,
/
B.Weinryh: 2ur Geschichte der Aufklärxin,:; bei den Juden, Monats-
schrift fiir Geschichte und Wissenschaft des Judenturnß. 1935^2-
3. 150/51.
/
■1,
?
oesoieron müssen. NatHrlich wirkten diejenigen, die Glaub önSi'jenOosen,
i., j.j^die von diae©» Gqtteödiönst irrigarweise ©in Nachteil für die Religion
■"•i "bofüTchtoton, ihreraeite mit, um daa 4li^e zu störon, Gott möi«re ihnen
.■ ' r ' ' ,••
'■* ,,,i^^Q 3ündQ vergjabQnt Dein© ^^W^törer \jM VervAister v/erden aus Dir
Wenn einmal in später Zeit die Akten über diüsen Gegenstand bekannt
tyerden sollten, so v/ird man erstaunen und es nicht glaub on wollen.
v;*^^
■Rrst in Hamburg fasste die Reform nach harten Kämpfen Wurzel. Dort
entstand I8I8 der nouo Tempel und I819 das neue deutsche Gebetbuch.
Es ist Israel Jacobson gewidmet:
Ist CS uns j'.clun[;cn, dieses Gebcihuch und den damit vcrhundcncn
Gouesdieasi in Ihrem Gelsie zu i;eMAhen, so mö-en Sie es als Ihr Werk
hcUMchten, [•)cwi\ einer Pllnn/e, nvo/u Sie in v/ciier I-'ernc di;n S.vmcn
aus-;osireui;^inui v/cini es Ihnen die Trendc gewahrt, die ein r,clnn[;cncs
Werk mit sidi fülnt, so mö-c Ihnen der All-üii-c die noch größere ge-
wahren, dieses gouselige Weil; sidi immer mehr und mehr in Israel
verbreiten zu sclicn . . . ^
Im Jahre 1820 v-xirde in Leipzig für die Zeit der Lesse ein Gottes-
>
dienst nach Hamburger Llust.er eingerichtet. Ein Bericht des österm/chi-
schen Generalkonsuls in Leipzig, Adam Müller, an den Fürsten lietternich
hierüber ist erhalten.
( ) Adam Müller an den Fürsten lietternich
9. Februar 1826
Der reformierte israelitische Kultus
besteht zu Leipzig nur während der Oster- und Miciuelimesse, wo ihm
jedesmal für die Dauer der Messe von der hiesigen Universität ein
lokal eingeräumt wird, das nach der Messe v/iedcr zu akademisclien
Vorlesungen dient. Außer zwei oder drei eleganteren jüdischen Fa-
milien des hiesigen Ortes nimmt die Leipziger Judcnheit an der Re-
form keinen Anteil. Zwei jüdische Kaufleutc aus Hamburg und Altona,
weld-.c um die Zeit der Messe anwesend sind, haben die Entreprisc ge-
macht, die Ge.sang!iüv-]icr der I Ia:-ah-;ger Gcii'.rindc cin;;cfühit u;id d:n
jedesmaligen Prediger versJ rieben .. .
Xr I>i'. Caosar Seli^^anni GaEchichte dar jüdischen Refornbev/egnang
von Mendelssohn bis zur Gügenwart, ii^ankfurt/li.. 1922, Ö.öß.
J
Abor mochten auch die i'ünlicirnischon Gereon don neuen GotteüdiGnst
Zurückhaltung; üben, oo (3ntfalteto -or sich dennoch durch die Toilnahrao
der LeGseheoucher und die Litv^drlainc hervorra^';ender jun^^er Prodii^^er
derart, dass er weit über Geinon unmittelbaren räumlichen \/irkun,^ckreis
hinaus für die T-hitväcklun;; der Reform eine un.'coahnte Bedoutun,:^ gewann.
Denn der improvisierte Leipziger Gottesdienst war es, der eines der
^rössten und nachhaltigsten i^-irei^^nisse, die sich in der Geschichte der
Reform zutru^^en, entscheidend beeinflusste: die Gründung des Wioner
Stadttempels,
grosse
Nachdem im Jahre I690 die Wiener Gemeinde durch die/Vertreibung
zorstört vrarden vra,r, hatte das Häuflein der "tolerierten" Juden und
ge
ihres Anhanges die Grundlagen für ein neues Gemeinwesen/schaffen, Zu
Beginn der zwanziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts gingen die
tatkräftigen Lenker der wiedererstandenen Gemeinde daran, ein würdiges
Gotteshaus zu erbauen und dessen Ritus nach der Art des Leipziger
Gottesdienstes zu gestalten, den sie bei ihren llessebesuchen kennen-
gelernt hatten. Der dem Kreise der Leipziger Prediger angehörende, aus
Kopenhagen stammende Kanzelredner Isaak lloah Uannheimer, dessen mächtige
Seredsamkeit den Repräsentanten der V/iener Judenschaft, llichael Lazar
Biedermann, beeindruckt hatte, vAirde berufen, "um die innere ""Einrichtung
und Verbesserung nach dem Geiste der Religion und den Bedürfnissen der
Zeit zu treffen, sie zu leiten und mit dem rechten Lebensgeist zu
beseelen." Die V/ahl konnte nicht glücklicher sein: l.annheimer schuf
in der V/iener Gemeinde eine vorbildliche Pflegestätte der gemässigten
Reform-, den naöh seinam Schöpfer auch "Mannheim er-Ritus" genannten
"Wiener- Tempel-Ritus", der durch die organische Verbindung überlieferter
und zeitgebundener I^brm wesentlich dazu beitrug, die von zahlreichen
Gegensätzen erfüllte, auGserordentlich differenzierte Wiener Judonschaft
vor inneren Erschütterungen zu bev;ahren,
IÖ26 fand die Einweihung des neuen, von Josef Kornhäusl im %ipirestil
erbauten Stadttempels statt. So fruchtbar I.iannheiraers hier aufgenommene
Wirksamlceit \7urde, er selber empfand das Erreichte nicht als Erfüllung
seiner Ideale.
IsaaJc l'oah Mannheimeri (1793 - 1365). V::l. dazu S. [
' 1"'
/'
'/
f '- ( ) Isaak IToah Lannhoimer an Loopold Zunz
31. Oktober lb26
Hein V/irlnin^Gkreia ist hier der nicht, den ich früher als
meinen höheren Beruf mir dachte,
• • •
V/iedergehurt eines zerfallenen, aufgelösten Volkes, V/ioderher-
stellung dos reinon Gottesdienstes, der I^Jinheit und V/ürde unserer
unv/issenden, verwahrlosten Glaubensgenossen, das v/aron v/ohl so
die Ideen und Träume, die uns beschäftigton, an die denlce ich" nicht
mehr, v/eil ich nicht mehr daran denlcen darf, so ich nur irgend
sonst was Gutes 1 eis ton v/ill^ Ich füge mich in den Idoenlcreis
meiner Umgebung und tue, \ms mein Beruf von mir fordert. Das
wissenschaftliche Streben ist auch beendigt, da mir meine Geschäfte
weder Zeit noch Ruhe lassen. Ich gebe Stunden in der Schule und
predige - das ist alles,-'
Die von Zunz erst drei Jahre später geschriebeno, durch den Bruder
Heinrich Heines überbrachte Antwort ist im gleichen Ton gehalten.
( ) Leopold Zunz an Isaak IToah luannheimer
13. März 1Ö29
• • •
Mit meinen reformatorischen Träumen ist es zu Ende; eine
Institution nach der anderen ist in Staub gesunken, wie ein
Tüchtiger nach dem anderen unter die Nicht Juden.. •
Doch ist es vielleicht im Süden anders, und der Tau des
Geistes, auf diesen empfänglichen Boden fallend, weckt viel-
leicht noch schlummernde Kräfte..,
* * r
Am 20, April 1Ö29 vorsammelten sich im Gotteshaus die Vorsteher
und alle Gem.=indemitglieder, wo ihnen der Aktuar Josef Veith die
"Statuten für das Bethaus der Israeliten in V/ien" vorlas, die dann
von allen als bindend unterfertigt vTurden.
Ueber das vollbrachte V/ork und den geregelten Gottesdienst berichtet
Mannheimer seinem Nachfolger im Kopenhagener Rabbinat,
Der BriefWLiO'dsel zwisohon Isa/ik Moa Hannheimor und Leopold Zunz,
Hrsg-, von M, Brann iind LI, Roseminann. Monatsschrift für ttm
Gefschichte und IVisr:' enr? chaft des Judentums, 191? • S. 298.
a.a.O. S. 302.
%
^
) Isacüc Noah Mannhoimer an Abraham V/olff
V/ion, 22. Juli 1829^
/
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[Vicn, 22. Juli' 1829.] ... Den Gottesdienst in seiner Rcinlicit '-^'^^ A^-^'/U^i^'/,^
herstellen, die Mitglieder der Gemeinde, Volk, Fr.iucn und Jii^,end, für /^-^^
denselben /u gewinnen, ist der eine Zweck, .luf iScw wir) hinwirken. l''^i'^^ r
Dazu dient uns als Mittel:
1. Die N'crcmlatlnnv.; der l.iiiir'Aic*. Wir beten olinc ni',in 'o'.r.r Ab-
nnderunr; von „Herr der Weh" bis „Alenu" [Sclili)ßgeb.nJ, aber sar;ou
keine Pijutin; (synar,oc;aIe GeviiJue]/, auf>.'r Neujahr nadi eiiKr beson-
deren Auswallt U!ul die KKv;eIieder am 9. Ab [Ta;; der TcmpclAersiö- ///^'j<f^ (--'<'■<: ^C.
rung], ebenfalls in einer v;edran.;icn Auswahl... ^ ,/- . .. y j\^\i,i//^')
2. Auf iüie 1-orm ^a, Goircsdionsies~nHi Ordnung, pünktliche Q^- f' ^ /-'"'^^ ' - - 7^
n.'iuif;keit und l'eicrliclikeit bei allen l'unluioiicn wird strcui'.c f.esehen.
Der Gesang ist sehr erhebend, der Chor besteht aus zwölf Knaben.
Der Vorbetcr nuif> woriwörilidi vorbeten und, wo er singt, sich an l--^
bestimmte Melodien halten, größere und feierlichere Stellen werden / <^-' l(C
drei- oder vierstimmig gesungen, (\x er außer dem Chor noch zwei Ge-
liilfen Jiat. Unsere Konijx)s!tioncn sind größtenteils Mcisiersiückc des
Kirdiengesanges, wenn idi auch in lliicksicht des Stils nicht ganz zu-
frieden bin. Ich wünsclic mehr Choraliiesan", weniizer fi'urierten Gc-
sang . . .
3. Die Verbindung des Gottesdienstes mit dem häuslichen i eben
ist eine unserer cifrii-sten ]>estrebunL'cn. jede reicrlichkcit im häusliciicn
Leben wird nadi vorgeschriebenen l'ormen abrrb.alten. Idi betiachtc
die sogenaniite Seclsorr.e als den heilii-Men Beruf, halte sie noch' holier
In Ehreni-als das Lehramt und die Predl.":!. Von der Geburt bis zur
Grabstätte soll die Religion den Menschen ermahnend und beruhigend
begleiten . . .
4. Die Predigt bei allen festlichen Gelegenheiten als das lebendige
Wort Gottes, aber lebendig muß es srin, lieber seltener, wo nur kräftig.
. . . Deutsche Gesänge haben wir noch nidu ciiv-eführt, ^\•ohl aber
deutsche Gebete bei allen feierlidien Gclc-enhcitci und vor und nach
der Pretiigt, aber 'lur für den Prediger, nicht als Gebet der Gemeinde,
auch dahin strebe ich. Die cigentlidie 'J'elila [Gebet] kann dabei immer
hebräisch bleiben als Xulius. Ks ist aucJi dabei nidu viel gewonnen, l-
wcnn liicrin eine Abänderung geschieht, und für die volksiümlichc
Seite des Judentums viellcidit viel vei^oren . . . " ,^ //].
U
Auch aus Mannheimers Brief an Zunz läest sich seine wenn auch
nicht uneingeschränkte Genugtuung über das "bisher vollbrachte Werk
erkennen.
( ) Isaak Noah Mannheimer an Leopold Zunz
Franzenshad hei Eger, 11. Sept. 1Ö29,
Zu den 3000 fl. c. m. 2 aüerliebste Buben — eine gute Frau,
schöne Wohnung — eine liebe Gemeinde, die mir Gott segne
— zu dem allen das BewuStseyn, daß ich nach Kräften dsA
Meine thue und nach Pflicht und Gewissen verfahre — meine
Arbeit gelingt und gedeiht — (wie Samenkörner im Moorgrimd
und Sandebnen) und glauben Sic -- ich wäre bei allem dem
zufrieden — so recht froh und freudig — ? nein — und wieder
Ziml interessante Briefe Iviannhdimers , Lonatüschrjft für Goschiohte
und V/i3Benschaft des Judentums, I87I. S. 276ff ,
Der Briefwechsel zwischen Isak Noa Maoinheimer und Leopold Zunz,
MGWJ 1871. S. 305.
- 1917
%
nein — und warum nicht — ? wie pcsagl — weil — n^rD
noch immer nicht kommen will —. Ich habe Rcforschl —
Vpr: Nr T,3 — c-^rzz T,w2 - ich brinpe es nicht her
aus! und nun frage ich — was will unscrcms? Lesen Sic den
§ Ihres eignen Schreibens: „ein Institut nach dem andern ist in
Staub gesunken wie ein Tüchtiger nach dem andern unter die
C\";y" — Und wenn nach jahrelanger Mühe und Aufopferung
meiner schönsten Lebensfreuden nach ewigen Sorgen und
Säubern — der Rumpf wird ohnehin alt, und muß jährlich ins
Bad, um ausgewaschen zu werden — wenn dann — auch von
hier aus — eine solche Stimme Ihnen entgegentreten sollte —
und das geschieht gewiß ~ «in Institut nach dem andern etc.
etc. — ich höre die Stimme aus der Ferne herbeikommen —
über wüstcsLand dahcrschreitend ('riya::! bv yt'pü Cnrrn ^y i^lD
und in Wüsten und Einöden hineinschreiend — und es wird
dann nicht einmal ein Herz mehr klopfen — und kein Geist
sich entsetzen ob solcher Kunde — sondern sie werden die
Köpfe zusammenstecken und werden sagen — was thut mer
damit! Mctalliques loo 1/2 — Bankactien 11 70 usw. — Soll
ich im Prophetenton fortfahren — auch dieser Götze, den sie
anbeten, wie Ihre r'ZX den {'CS'ir^ v'ipr haben angebetet -^
wird niederstürzen und zusammensinken in Schutt und Trümmcj[,
— und sie werden auch den kleinsten Segen Gones, — den
sie aus Mißverstand für den größeren hielten, und aus Un-
geschicklichkeit in den großem nicht umzusetxen wußten —
als er noch im Curse war, sich aus den H&nden schwindea
») IIL. 3,8. ») Daniel xx.ji.
MoBAtitcfarift, 61. jahxxaag. 21
^
T
sehen — und was ist dann — Gottes Volk? — kein Geld — 1
und keinen Gott? II und — kein Volk — ein Messer ohne 1
Stiel und ohne Klinge —
Wie sehr sich LIannheimer dennoch der Bedeutung des gottesdienst-
lichen Neuordnung hewusst v/ar, "beweist, dass er sie in unmittelbare
Beziehung zu einem der wesentlichen Ereignisse der jüdischen Geschichte
"brachte: zur Gesetzgebung Esras,
( ) Isaak Noah Mannheimer an Abraham V/olff
f
[.Wien, 4. Ju!ii 1830.] ....Die Rc])i;Io!i ui^d Moral gcv/Inncn beide
an Rnum und Tiefe in der Gciiiciiidc, und es können die blindesten
Zclütcn und die .lufgcklärlestcn rreidenk'cr nlclu .iblcu?,ncn, dp.ß dcni
JudenUnii in lilesir'.n" Gemeinde eine kräftige Siiii/c lier.inj^cwaciiscn
ist. Mein innii;stcr Wunsch und mein kräftigstes Wir];cn gclit jetzt da
liin, das Gewonnene zu erlmlten, und icli leiste p.crn Veiziclvi. auf jcd
t: •. J A J_i ^ A..^ -n-:..«:«. ,-. :j. ...' .k. i7
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Dr. ll.Roaenrnann
, J.K.Mannh.imor, söin LeT^sn und V/irkan. Wien
und Berlin 1922.
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D.is clir/lc;c, was ich nocli d.i/.u um niöduc, Hslicr aber so [;3nz
.iiif ciV,ciic I Lind nidn ^cwa^ji liabc, wäre der dciitsclic Gesang,, be-
sonders der jiin[;oren Gcncralion wc^,cn, da mir die Gemeinde bei unse-
rem Gouesdienst 7.u untrilij; ist und selbst zu Nveiii^; beschäfti^;t. Idi
habe midi jeciodi schon länj;sl überzeugt, daß mit dem einseiligen l'-in-
j;elien in die neue Zeit nldus gewonnen ist, die Jugend versdmiälit das - ■ 7^^r
Neue, so CS ilu" radi wenigen Jahren ist alt gcwordcn^wic ehedem das
Alte. Mine Krstarkung muß da sein, und zwar eine Hrstarlamg des
Glaubens.
Auf eine Orgel würde ich nie rechnen, und wenn auch alle äußeren
Emwcndungcn dagegen aufhören möchten, ich gestehe, es ist der Orgel-
ten der christlldicn Kirche einmal zu sehr zur Eigcnlümlidikcit ge-
worden wie der Glockenklang, al? daß der Jude nicht daran einen An-
stoß nehmen würde, ofl'enher/.ig, in den fünf Jaliren, da ich ucf Orgel /^
bin cntwölint worden, würde es meinem eigenen Gefühle nich; mehr
recht zusagen . . .
Dieser neue jüdische Gottesdienst in der Seitenstettengasse \7urde
zu einem Anziehungspunkt auch für die nicht jüdischen Kreise Y/iens,
Dies war nehen llannheimer dem jungen, "bald zu Berühmtheit gelangenden
Kantor Salomon Sulzer zuzuschreiben, dessen Wirksamkeit jene des
grossen Kanzelredners harmonisch ergänzte. Zu den Verehrern Sulzers
gehörte neben dem Dichter und Erzbischof Ladislaus v, Pyrker auch
Franz Schubert, der ihm nach einem Priitagabendgottesdienst schrieb.
( ) Franz Schubert an Salomon Sulzer
Verehrter Meister! Die Yerhcrrlidiuiig Ihres Gottcsciicnstes, der
Ausdruck begei.stcrter Andadit h.'t midi bis ins Innerste crsdüittert.
Nodi nie habe idi ahnüdicn Sdimclz gefunden v.ie in Ihrem Me/^a
voce, so demütig leise und dodi so klar vernehmlich.
Ihr Franz Schu'hcrt
"Am nächsten Sonntag" - so berichtet Sulzers Sohn Rudolf -
"erschien Franz Schubert in der Seitenstettengasse und spielte Sulzer
sein neuestes, unter dem Eindruck des Freitaggottesdienstes entstan-
denes Lied vor - es war die »Allmacht* • Sulzer sang die Komposition
sofort vom Blatt, und so entstand eine innige Freundschaft, welche
bis zu dem zu früh erfolgten Tode des Meisters währte." Rine der
schönsten Früchte dieser Freundschaft vra.r Franz Schuberts Vertonung
des 92. Psalms, Der Name Schuberts wurde dadurch zur gross ten Zierde
der von Sulzer herausgegebenen "Schir Zion".
'1'-
üaloinon Sulzer: (l804 - lö9l)> Reor/^anisator des 3ynaeogen^oßan^;s,
Oberkantor in 'Vien.
Eudolf Sulzer: Franz Schubert und Salomon Sulzer, Beuas Wiener
Journal, 9. März 1933.
^
Selbst in Hamburg, v/o die Rofonabowe^n,^ am frühesten zu sichtbaren,
dauernden Erfol^jen geführt hatte, empfand man Mannheimers V/erk als
eine wesentliche Leistung. Hiervon zeugt ein Brief, den der Prediger
des Hamburger Reformtempels, Gotthold Salomon an Mannheimer richtete.
( ) Gotthold Salomon an Isaak Noah Mannheimer
Hamburg, am I.Juni 1Ö30
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1lebli(f,flcii .V")offmmrtcn, bie mit ber neuen %iU\v lu mlrerlmid^tnr'dfl&Brt
niiri) tif, b.ifj b\i mirf) für bif Moljv-r inth^ißjii^v-^rHttTanriiiUbc^rui^i^^
in bcr ,\ol,ie bmrt) C'l'ir£jiuIil^uf^t''Tnr5'1IJn inlfc^atiii^fii lorrbiii,
lüie GiiJilkd-4H4rTTrnT?nnJ^1procf)en ^.ibeii. Uub »um iur »iWuiitmortuiiij
9Hie ^^r (5rf)rci&cn {ibcr[)aupl, fo f;abctt mii^ bie 9?ii(fjrid[)ten über
ble bortine (iimi(i)tuiij in bcr Gj)UiVV^fl< ft'^'V^ bffonöcrö unb aiiffl nii« '
flcnfbnifie iibcrrnf^ljt. Xa^ baö (Müttii3[)aufl <\\ua' bei iinpüjniintcfu'n
CicbAulie f(i, U\i \d)9U\ 'ä\\in[l'u\}ti\ '4tlottern; baf; Gic ade il XA\\t
Vrcbi.icit; cibaiifn, lu't^riftcrn, ^tnivi|'ti-n n)ulite ii^ a\ul), ba{} bcr bortiit
idmtüc ein waljrcr Q^dic\\i („Srh/.") jiir bic mafifalJh1;cn Ofjrai ha Süit-nec
fei, blieb mir aurf) iiicfjt unbcfaiuit. Viber bay tcc Weift beiJ ^>errn b. i.
bcr CMeift fcljtcr Jyiiimmif,fcit ami) bdö Vtbea, ^a3 ^iniö« uiib ,i;amilicn«
leben biird;bvin(\e, biif; ber ü'raiiiiiinr nile bic Söie^e unb t<.\i (^^rub burc^
baö lebeiitij^c *l\Joit ber ^{elii^iün flfiüeil)ft unb i;leiil;)inn oeifKiit loirb —
nein, biU'üa nnifjie id) nidjlfl; uub bafi in bei- bciti^jen GonrtQoje beulf (f)e
(Mebeto neuirtjlet nnb beutf^c li^ariilc eiiiftefüf)ii lüctben, bcibc ui) ni^l^t
lieüljnt, lüie nu'iibc id) fünft ein fo ineifmiitbijeö in ber (^efdiic^tc Ici
Iflr. Shihud cppifieinadjenbfd (Srei(|ni'j in bcr ^Jlorrebe jn uteineu ^fft'
l'iebiiit.n unbenil)it (jclaffcn l)aben! D, bay iJ) l^l^ven «Iricf nicf)t uin
fiai^ie lil^onate fiui;er ((Clj^bl ijahcl lü^cin £(ben unb meine S^onebe
l;iuen un %\ii:>U bebeutenb (jeijcnncn, (Sie (juier, bofer JUJann! — 1>a
obu' bic 'Diujc nun fo flehen, fo \i^bc\\ (bie atn )ueui,\ften UifaJ)e Ober
r^f)ic (iitefluuii ju flaiien. UUie? Gic ftef^en oereinjelt? ^viben Gie
ja eine fji;i|>((Ue QKiiuiube! 5^'önuen &ie ja jcbem feiubUcIien 'IWln^ipc
mit )l)lc\i eiitnefluen ,,liiu'aronii luyJH'küncnu uelecli", mäljaiib mir
f^ium iiber ein rsraiinciu einer (ikn;eiube bißpunieren fünncn. Clt) fJA<
fauiir; beim in biefein »"vro^vucule ift fenic üinbeit; {^rei()eit flenu.i, aber
feine Cilciitljeit; riu ^Jcil lafit bic ^iuber foiifirmieren, ein imbeer SJeil
ift bni]c(jen; Sivauunfjcn uon nnlerer -reite fnifcn feiten oor; bau 'Jiiiihefeft
bet neuiicboreiien iliuiben ift (^erabc niit)t fel;i- nnjic^etib; blieben nm C-hnbe
»uurbeu nüd; {\^t niit^l ,]e[)alien; in ber 'i^iuftion felbft fi^^ bie 'iliifidjltn
iH'iidiiicen unb uon eiuoiibcr iibineidjeiib, ttee eine '-^luvflelier ift j.ir bnS
5ilüri»iiiiofd)i eilen, ber anöerc meint, mir uiiiren frfion ja meit nnaneieit,
t'fi füuute unö feine (iU*meinbe n>i(f), biunni fuiuben unv mleiii ba. 5el)en
tiie, l'iebfieel biiS nenne id) oereinjelt fielhu, bar» lU'nne id] ein ;|eifiüi^elt
S'Jeif. Vliur bn3 ^Ininc ift nuiliilid) felir bebeutitib uuii feiieu'ireiti). „'•llUr
miiien loeniiifieuo in lorö bie fu^^e;l^e iliv.tje"V C^i'tt oebarme fit) bf8
Giedt'.i unb ber ^SieiKi'! ^l'Jeiner l'lnjnljt nad) ift ber Sie,), bev ',V)nen
Leuntftclit, jueit flröf.a- unb wmfaii|iveii();e, benn fobalt) baCJ'^rinjip bet
Sti'fornt bjrt anerfiinnt fein rairb — uab ber Öeifl loiib U>jI)1 bic
tvonn firf) erfd;aflcn uub cijiuini^en! — ja nnib ^brc ?i)noßOi)e 'Jloriit
i;;eiben jür mo liiere ilöuirtrcicf)C. 'i lb cr mi rV — vtrif irni fotreinutnunfeu .
ihiil lueldjer Woi.uinöe foUcn roir uulJ oeiftöntincn? .äJJ.in läfit fid) mit
xuvS, aii Jleprfifentiuitcn einer mobernen i\irrf)e", In Rar f,:inc Unter«
I;a.ib(;mf,cn ein, jo n•ieüd>-^il5"tT^ilTA'abinet jebe5miil ftanbfjafi meirterte
mit yJiipjJjuav-i5«m'nlerl)onbeIn, bu ea benfeloen nie M iVaifer anerfannt
i\f (fU i , — läJ t 'i t X > > > ptu ^^H^u-fj>getV4uig-uuf^c-üiiü<t-najud^euJ( — Xu lidnrr
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■ 1
Briefe Gotthold Salomons an Isalc IToa Mannheimer, Von Habbinör
Dr. M. Rosenmann, Wien. Jahrbuch für jüdische Geschichte und
Literatur. Berlin 1919« 3» T^«
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Diooe Voraussaco Salomona bowahrheitoto sich. Die von l-lannheimer
geschaffene Syna^o^o vmrde bald zu einem in ganz Oeatorreich befolgten
Vorbild. In Pra^ und Pest entstanden 'schon in den dreissiger Jahren
Synagogen nach dem Wiener Küster, die durch die Persönlichkeiten ihrer
Prediger - Michael Sachs und Lob Schwab""- tiefen Einfluss auf die
Judenschaft gev/annen und selbst wiederum als Muster für die neu-
errichteten Tempel in kleinen Gemeinden dienten.
Von dieser durch die Macht eines zentralen Vorbildes charakteri-
sierten organischen Entvdcklung, die der neue Kultus in den österrei-
chischen Ländern aufv/ies, hob sich das Bild der Kämpfe ab, die in
Deutschland um die Reform der Liturgie ausgetragen werden mussten.
Zum zweitenmal wurde Hamburg der Schaupltz eines erbitterten "Tempel-
streites". Der berühmte "Chacham" Isaak Bemays stand in diesem
Konflikt, der im wesentlichen den Inhalt des neuaufgelegten reformierten
Gebetbuches zum Gegenstand hatte, den Vertretern der Reform Gabriel
Riesser und Gotthold Salomon gegenüber. Aber der Kampf blieb nicht auf
den Bereich Hamburgs beschränkt.
( ) Isaak Noah Mannheimer an Leopold Low
27. Dezember I84I
Don Streit über das ncwo Gc-
hcibiich in H.i:n!y.i:-^; /wischen 'J'cni;ie!^;en-.ri:Hle und Bcriinys wert!-.;
Sic ,111s den Zciiun.;cii kennen. Ich bin von crscercr um eir. G'>!t.Khicn
an-c^.in-cn worden und habe dem Herrn ])crnays bedeutet, drAl er und
5cines,;!eic!ien, die r,leidi.;iilil:; und siumpfsinm"^; c«; m;tanf,esehen h.-ib-.-n,
v.-ic T.iuscnde und wieder Tausendc dem Gotteshause slcn cn'.v.o'cn,
am wcni:;sicn das Recht hätten, denen i^-.'.cnüber, die zuerst der Auf-
löv.m- im lleili-;tum Hinhalt r,etan imd der Gcs'-.'t/- und Ge.^i!'mup.c;s-
losi[;he:t eine Schranke j;cxoi>mi, die Gkuibenshclden nir.chen zu wollen.
Ohne das Gelteibwch in seinen Details /u rechtfertl'ien, stcllie ich im all-
gemeinen die Grundsäf/c auf: daß die lunführung der deutschen
Spraclic In den Gottesdienst cil.uibt sei; die Abstellung der Pljutim
und Sclidvoth [Klai^elieder] jeder Ger.ieinde zustelle; daß sieii da; sclb.-.t
auf viele Stücke Im Geb.nbud) bc/iehc, selbst auf soldic, die bereits im
Talmud als Ausdruck der religiösen Gesinnung; ihrer Verfasser vor-
kommen; daß nur das Schema [Höre, Israel!] und die Berachoth
[Scr.cnssprüchc] und die 'rcfilla [Gebet] der Integrierende, unerläßliche
Teil des Gottesdienstes seien. ,*^
•
* Michael Saohsi (I808 - I864), von I836 - I844 Preclif^er in
Prag, dann in Berlin.
*^ Lob SohTvab: (1794 - 1857), 183^ Prüdiger in Budapesijt, Als
Teilnehmer an der ungarischen Revolution I848 vmrde SchY/ab
drei Monate im öofängnis inhafti^jrt,
*^* löaak Bernayst (1792 - I849), seit 1821 Oberrahbinor in
Hambur^j.
Leopold Low: Gesammalte Schriften, 5« Bd. o. 100 f.
So stiess Bernays auf einen fast einmütigen Viiderstand, und der
zweite Hamburger Tempelotreit endete mit dem Siege der seit dem ersten
mächtig erstarkten Reformpartei. Aber die Kämpfe um Inhalt und Sprache
der Gohete fanden dadurch kein T^de, Um dies ging es auch der Mehrheit
der drei Rabbinervers ammlungcn, die auf Anregung Ludv/ig Philippsons,"^
des Gründers der "Allgemeinen Zeitung des Judentums", in den vierziger
Jahren in Braunschweig (1844), Frankfurt am T.lain (1845) und Breslau
(1846) zusammentraten. Als auf der bedeutendsten dieser Tagungen, der
Frankfurter Rabbinerversammlung, die Grundfrage der hebräischen
Gebetspraohe aufgeworfen wurde, schieden sich an diesem Punkt die
Geister. Bezeichnend bleibt die Haltung des Dresdener Oberrabbiners
Zacharias Frankel, des Gründers der "Monatsschrift für Geschichte und
Wissenschaft des Judentums", der nach der Debatte über die Frage,
ob die Beibehaltung der hebräischen Sprache im Gebete notwendig oder
nur ratsam sei, noch vor der diese Notwendigkeit verneinenden
Abstimmung die Versammltmg verliess,
( ) Zacharias Frankel an den Präsidenten der Frankfurter
Rabbinerversammlung
18, Juli 1845
• • •
"iv \\ m Vu'r^axM^^\ : tic 2?iaitn iiät tcr ?)f a b b i 11 c r v c r ia n\ nu
lun^ ^ufdMc^ tafür, ta'j taö bcbr. Oicbct nur raibfam fei,
tie ViurV,abc tcx .^Kabbinrr, cö allmjil;(iv^ i^ai^ jii cnrfi'iiifn. —
^H^n einem foId>eii 513efd;IiijTf ivcid;c id} nidn nur nad> einer
^Jßerfdiierenbeit t)cr 5Iniutf, fcn^erll nnd) rer Sl^erfaMerenbeit
t'cr iieIl^cIM ab. X^iefer (ikift, ber io viele UMd)ai]e (Sic*
meine iinbead)tei lafu, t>cx tviö, iraö in jctc (Scn\cincn O^e^
\vid)t Ulli Sivah iMt, ta^ .^^iftorifd)C, rcrträncjt, ifi in mei^
nen »^iijqcn iud)t ber ^er GilMltuii.], fonrern ter ber ^niiö*
riing öee vc^fttiv-hiftorifd^cn ^u^fiuhnnii?, tai? id^ bir ^*er^
fammluHij laut al^ tao mciiiijje crflärte. Xiefcr (i^cift mup
nun jiu]Ieid) ben ferneren 53efd)(üffcn tcr 33erfauiiulun9 jc'Dc
Öfiltii^fcit in ben 'CUu^en 3«*nc^f ber fid) auf bem pofttis :I;i<
ftorifd^en Sranbpunftc brnnbet, e:it;iebcu, ba, wie id) eben»
falii> ber '^crfainmlunfj bcmcrflid} mad)te, cö niit)t allein auf
b'ad ciimnubgrben, fonbern auf baö 'üJJotir» ber 'JJbftinimuncj
anfomme, um nur njer fd^on voriger mit fid} abv]cfd}(cffcu uuD
bled eine formelle i^eüäti;]un;] \udH, tzun in einer aü.je*
meinen l^IbTtimmuni^ dnc fclieinlMre SBeruhi^nnc] finben. —
iHui? riefen O^rnnben fel)e id} niid: vevanlafu, nid)t nur qe^jen
c\>i:\cn 'i^efd^lufi laut ju proieftircn, fonbern ju^l^^'id) ju
erfK'iren, raf; mein >3tanbvwnft ein qaiii anberer .al\> ber ber
2ifii.uunilunv3 fei unt) id) in ihrer IVitte nidjt cip unb ictimmc
luben fann.
'.'■ T. •
♦ Ludmß' Philippsohn: (löll - I889), Rahbiner und vi..lseitiiQ;ür
SchriftßtellGr; IVortführer für die Rechte d^r Juden, f j3-t±Q±Q
die Reohtsstallung der Juden in Preusüsn und ver^-zandte sich
für die Juden in Spanien, Rutiüland und der Türkei,
** Zacharias I^Yanliel: (I8OI - l875)> sait I836 Oherrahbinar
• in Dresden; I854 Direktor der. Jüdioch-theolo.-^i ;chen Seminars
In Breslau.
*'^^ ^hrrTtCTksd±H Präsident: Rabbiner Leopold Stain: (I0IO-I882).
Protokolle und Aktenstücke der zweiten Rabbinürversammlun^j,
J^'rankfurt am liain, vom 15ten bis zum 28 tön Juli 1Ö45»
Frankfurt am Main 1845. 3. 08/89.
//
Allein trotz der Schärfe doc Goconsatzea zvdochen Frankol und der
Hehrheit der in Frankfurt vornaramelton Rabbiner müssen denson grund-
sätzliche Gegner ausserhalb der Rabbinervorsaramlung gesucht werden.
Noch vor ihrem Zusammentritt hatte sich in Berlin die "GenosGenschaft
für Reform im Judentum" gebildet, deren Jbrderungen von Prankeis
positiv-historisohem Judentum noch viel weiter entfernt waren als
die Kompromissen zustrebenden Beschlüsse der Rabbinerversamralung,
Das Haupt dieser Reformer war der geistvolle Redner Sigmund Stern.
Von ihm und seinen Freunden Bernstein und Simon rührt der am 2. April
1845 veröffentlichte "Aufruf an die deutschen Glaubensbrüder" her,
der mit Rocht als die Verfassungsurkunde der Berliner Reformgemeinde
bezeichnet vairde.
( ) Aufruf der Reformgenossenschaft an die deutschen
Glaubensbrüder
f[Bcr]in, 2. April iS.;/.]- Unsere iniicrc Rcli-Ion, der Glrailv:
unseres } ler/cns, ist iiiJu nu'hr im lilnkl.ini; mit' tlcr äußeren GciiAl-
tun- des Judentums. Wir wo\\:n positive Rcli-ion, wir wollen Juclcp.-
luni. Wir halten fest an dem Geist der Ilelli-en Sdirift, die wir :ih -^^^ ....;■<,/ /'-.W;^''
ein Zeugnis der -üitlicl-.en OlVenkirun- anerkennen, Wir halten ^"^ ' /y^x^y/.',,'. ,.-,;,' ,.^<^,./-
.m allein, was /u einer wahrhaften, im Geiste unserer Rcli-ion wur- ^^-^^ ^ ^^ .
zelndcn Gottesvcrelirunf, gehört. Wir li.ilten fest an der Übcr/cugung,
daß die Gottcslchro ^c^ Judentums die ewig wahre sei, und an der
Verheißung, d:S^ diese Gottcsleh.re dereinst /um Eigentum der ?,My/cn
AIcnsc.Mieit werden wird. Aher wir wollen die Heilige Schrift auffassen ...
nach ihrem göttlichen Geiste, niclit nach ihrem IJuciistaheni Wir können
niclu mehr beten mit wahrhaftem Munde i;;i> ein irdisches Mcssiasreich,
das uns aus dem Vaterland:, dem wir mit allen l."..:nden der l.iehc an-
hängen, wie aus einer I"remdc heimführen soll in unserer ^h-vHter .^ /^,/^; y, ■//■"r.r< *V<"'/
7 k^^/^ /^r.^Vf >/^/-^'tc^.//^, <i[Icimatland. Wir können nicht mehr/ einen Kodex als unveränderliches
^i/cUfi /i ^ ^V^^. /C^/X-Gcset/budi anerkennen, der die Aufgabe C.c^ Judeniums b-.iehen laßt
/.^'^'^^ ,/ // ^/ ./ in unnachsid;tigcm l'csthahen an l'ormen, die einer längst vergangenen ,-,^,^, ..-..,. „^
' ' l'y^^' ■■'^'''•^V,^./, ' ^ '-'■ ^^j^^j |-j;j. i,,„..,cr\ntsJiwundenen Zeil ihren Ursprung verdar.ken. Durch-
' '^''^ drungcn von dem jieiligen Inhalt unserer lleligion, können vir sie ;n
der angeerhten l'orm nicht crh.alten, gcschv.-eige auf unsere Nadikoin-
. mcn vererben/ und so — zwischen die Gräl^cr unserci- Väier uiul die -" ^ l -^.f
Wiegen unserer Kinder gestellt. — durch/ittcrt uns der Posaunei^-uf
der Zeit, als die Letzten eines großen i'.rbcs in der veralteten b'orm
auch die Ersten 7.u sein, vvekhc mit uncrsduitvcrlichem Mut, mit inniger
Verbrüderung durch Won und Tat <^z\\ Grundstein des neuen Baues
Ic'cn für uns und die Gcsehlediter, die nadi uns konnr.cn.. ^
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Simon Dubnow. Die neueste GöGohiohte des jüdischen Volkes. Berlin 1929,
Bd. IX . S. 108/09.
Eine noch schärfere Sprache gebraucht das Programm, das im
Revo lutions jähr IÖ4Ö in der alten Gemeinde Worms, in der einst der
grösste Talmuddeuter Raschi gewirkt hatte, von jüdischen Reform-
freunden verfas st wurde.
ff
( ) Programm der Reformfreunde in der jüdischen Gemeinde
zu Worms
[Worms, 23. Juni 1S48.] ... Wir müssen Walu-hcit und WürcU-
im Gottesdienst-, Übcrcinstimnuinj', /v/isdKn Glauhcn und Leben ci
streben, leere Formen entfernen, dem Geiste des Judentums neue In-
stitutionen sdi.ifTcn. Wir dürfen nicln mehr mit dem Munde um die
Rückkehr nadi Palästina b:icn, während unser Her/- docli mit den
stärksten Banden an das deutsche V.itcrland gekettet ist, wahrend das
Gcscnick drsv. 1' i mit dem unseren un.-uf löslich vcibundci'»» was uns
lieb ur»d trutr, N\>n ihm uniscidosscn ist. Wir dürfen nicln um die Zcr-
s'rTunj; <! i Tempels in Sack und Asdic trauern, \vKhrend wir län^.;st
ein .mdcr^s, uns so teuer i-;cu-ordcncs Vaterland bcsit7cn. "Vi'ir können
alljährlich der Zjrstörunr; des Tempels gedenken, aber wozu eine
'i'rau.r hcut!!;ln, die län^;st nicht mehr Im Mer/cn hafu:, und Klage-
lieder um c'iWC r,csdi:duliche Tatsache ertönen lassen, in ilcr wir die
liebevolle 1 laiul Gottes preisen? Wir dürfen unsere Kleinen in der
Kclij;ion3sJu!lt' nicht mehr mit einer Masse von Saf/.uni;cn behcll!v;en
lassvn, die der lebendi;;e Geist des Judentums als toten liallast üb.-r
Bord wirft, nicl'.i niehr in einer toten Spradic beten, während "V7ort
uid Klar.'.' iin'ercr deutschen Miittcrsoraclie uns ebenso vcrständlidi
als lieblich ur.d darum allein j;eeir,nct sind, uns zu unserem Sdiöpfer
zu erheben. Es mufi endlich dieser Widerspruch gelöst, diese Todsünde
der Uinvaluhcl: aus unserer Mitte verbannt werden. Dem ccJitcn Geiste
unseres Glaubens muß ein neuer Tempel auf der alten Grundfeste er-
baut v/crden, in v.-elrhcni Vcri_;nngcnheit und Zukunft sidi versöhnen,
aus wclcheni wieder ein ]ii.;i.i dücli frisdier und freier Lebenshauch für
unsere strebsame Jugend ausgeht . . .
Im Geiste dieser Aufrufe entstand die Berliner Ref orm^jeineinde ,
in deren schon I846 errichtetes Gotteshaus als erster Prodiger
der konsequenteste Theoretiker der Reform, Samuel Holdheim, einzog.
Durch die von ihm - in Fortführung der vom Grossen Sanhedrin gefassten
Beschlüsse - "bejahte und neugegründete Unterscheidung zvd.schen den
unabänderlichen religiösen Geboten und den durch den Verlust der
nationalen Selbständigkeit aufgehobenen politischen Oecetzen wurde
die Loslösung der Reformgomeinde vom historischen Judentum wissen-
schaftlich genehmigt und besiegelt. Der bis auf vereinzelte hebräische
Sätze deutsche Gottesdienst dieser Gemeinde, dem die llänner ohne'
Raschis (IO4O - II05), L. Zunz Veröffentlichte eine Raschi-
Bio,::;raphis in d3r ZüitGchrift das Oulturv-iraina 1823,
ProßTamiTij Programm der Höforrafr^unt in clor jüdischen G.5m.inde
V/orms, als Flw_jl)latt üvilhütändif^ er;.:'ohi8nen.
•
t
/l
KopflDedeckung "beiwohnten, dorn der Schofar und sogar der Sabbat durch
"Rinführung des Sonntagsgottesdienstes entzo£;en vmrden, "blieb indes
auch innerhalb der deutschen Reform eine icoliertei Erscheinung,
III, Der Geist der Reform
Die "Reformbo\ve^n,s verlieh nicht nur dorn nEUEnxKultus ein neues
Gepräge, sie v/urde auch für die jüdische Lehre zu einem revolutionie-
renden Element. Die Preis^'^ahe der jüdischen Recht so rdnuni^: zu^naten
der Landesgesetze, die Durchsetzung des ererbten Glaubens mit den
Ideen eines aufgeklärten Humanismus - diese Umwälzungen stellten den
Grundgehalt des Judentums als geistige Macht infrage. Um die Klärung
oder Ueberwindung dieser Problematik ging es in den Kämpfen der
Reformer und Orthodoxen, aber auch der Sekten und Parteien innerhalb
der Reformbewegung.
Abraham Geiger'fiel die historische Rolle zu, der Kristallisations-
punkt und das Symbol der Reformbov/egung zu werden, Mit dreiundzv/anzig
Jahren, von der Universität Bonn, wo er mit einer Dissertation über
die li^age "Y/as hat Mohammed vom Judentum aufgenommen?" den Doktorgrad,
erworben hatte, als Rabbiner nach Wiesbaden berufen, trat Geiger an
die Spitze der Reformfreunde. Schon im Jahre 1Ö35 erschien das erste
Heft der von ihm gegründeten "Y/issenschaftliohen Zeitschrift für jüdi-
sche Theologie", die allen Richtungen offen sein, alles wissenschaftlich
Vorgetragene aufnehmen sollte, "ohne sich darum zu bekümmern, welches
Resultat sich aus den einzelnen Aufsätzen herausstellt." Die
hervorragendsten Vertreter der Y/issenschaft des Judentums, Leopold
Zunz, S.J.Rapoport xind S.D. Luzzatto wurden Geigers Mitarbeiter.
In dem Briefwechsel Geigers mit seinen Freunden - insbesondere
mit Josef Derenbourg, dem später in Frankreich ansässigen Orientalisten,
so\7ie mit Moritz Abraham Stern, dem Mathematiker und ersten ungetaufton
Universitätsprofessor Deutschlands - spiegelt sich der Geist der Reform,
die Geiger vertrat,
( ) Abraham Geiger an Josef Derenbourg
,, . ^ Frankfurt, den 2, August I832.
[Frankfun^i. Auf,ust 1S32.] ...Ich war verflossene Wodic mit
meiner Mutter sp.i/.icun und ließ niir da von ihr erzählen, wie in
jener guten alten Zcii, als die Juden hübsch uodi in ihre Gasse cin-
gcpfcrdu waren, das Lohen, die Sitten und Gebräuche waren, und ich
fand nidu nur durdi ihre salbun[;sreidie Er/ahlung, wie glücklich sie
und i'irc Gh':i.h':-o>:n;i;cn sivh darin füliltcn und mit v/elchcm Schmerze
sie, selbst bei vollem Bcvcußibcin, daß das Aufgel-.obcnc und Ab.;clvOm-
inone keinen rclirjöscn Gruiul habe, sidi an das nun Vermißte erinnere,
sondern auch, v.-ic wirklidi ih\s damalige Leben der Juden ein gcscldos-
sencs, ein in sich ein:j;cs Ganzes war^ umi wie durcli die Wegnahme
mehrerer GHciicr und/Sdiranken eine für sie lierzzerreißcndc Dis-
sonanz, entstand, so /faß sie sich an jedes kleine noch gerettete Brett
fest anklatr.mcrn . /
{//.u-^'zL /4: ^"ti^'^uciUic^ /^<:^ j
%
A-braham G.dseri (I8IO - I874).
*^ Derünbour^! ursprüa^lich DemlDur^ (18II - l895)» Seit
IÖ39 in Pariß, 1877 Profei-aor der f^Ioolo des HauteB !*rt:.udefj,
*->'* M.A.Stern: (I807 - I894)
^^ Abraham Güigers Briefe an J. Deranboiirg (l333 - 184^.-).
ETQQm von Lud^vig: Gei^^ör. All^. Zeitung: deß Judenthums,
Jg. 60, Berlin I896. Nr. 6. S. 66.
$
z
( ) Abraham Geiger an Josef Deronbourg
r>N
V/iesbaden, den 30. September I83;
• • •
Ich glaube nun, dass das Judenthum jetzt in einem solchen
krampfhaften Zustande sich befindet, so vrie es allen eine
lange Zeit abgeschlossenen \ind dem Einflüsse des allgemeinen
Portschrittes unzugänglichen einzelnen Gemeinschaften geht,
besonders, wenn man noch dazu nimmt, dass die kirchliche
Judenges ellsohaft ein durchaus aus fremden Landen mitgebrachtes
fremdartiges Religionssystem überall zu bewahren gesucht hat. -
• • •
/Mr^^x aj uHlt, -4^' }, \ \ l 1 n ^ hn^lH 'lM/^ Cb nun Me ^J^itiir bf3
.''t',ii\rn '"vibruKiniiiS lüiiflid) jo iu\\[\\\ \t\, eine a^cDoliitiün in ov»
iinflfii, UU5 ifl eine JYvnac, bie id) cbcnjo auf '-i^oiturtal, Spanien nnb
jliilif >i.iu)fnben niüii;le ; luo nid)l annm fle|unbf, nnd}()aUli\envntt
UüiljiL.hiii ift, um bie idjnievjlidje Cpevntiüu ficflvcid) bcüclien \\\
foiuien, 'ti([ rtfljl bei ^övi)ev jn (^linubf, nnb jcine einzelnen ^totje
tcljrcu boitljin, luni luü |ic flnionunon fiiib, nnb lueibeii ^n oubcrn
.(^ovpcni Dcnucnbct. 'iDnö i^^iibenlljnm. \txmx, dlo bif ^.lidiaioii ber
VJiinovilat, ninf; jdjün einen lufit lin)tifiern OJeljoa in i'id) dabcn, ba
Die. Jüfini and) bloö lelifliöie Vlbjiljiici'una immev if)ren teioiibevn
OjviMib l;nb.'n nni[;, ber iniit bor ^JJkiotilnt ab^ujuenben, bio bocö
übcrnfl aU bic 9lorni nienjdjlid)a- iiü(if)rl)cit bdrnd^tet luirb, uerniilnnt.
*KU)rcub oljo 3. 5i. ber (\l;ri[t [id) lüeiter flur ni(t)t llbev feinen
O'ldiiDcn jn fra(ien l)at, roäljvcnb er, niöae. fcnic ilfeliflion nod) jo
jvijlrd;t lein, uon il}r ßonj nnbcviiljrl bleiben fann, ba er a(5 Ulfenjd)
bi''f>3 2ta(itci lebet nnb in biefeni Staute anfftlliö fnft nlle ^K'uidjcn
C:l]»[teii [inb, fo \\\\\\\ bcm Snbeii immer ^übiidjeS ementfjumlict)
uu-nii bn ja nur bio l'iebc i\\\\\ :,Vibentf)nni iljii nbljnllen fann, uutcr
tci- MVi'iiQc iw [ein, cv nnift feinen (Minnben, al5 enie Uebov^ennuurt.
bcihi :.>-i^rüuben, eben lueil er uon ber ^J)^'ljrf)eit abuieid)l ; Ü)ut er bic3
iiif' t wwli l\\\\\ er' es nid;l. fo bcf)nnpiei er, eä [tei)e a(5 ein frinitfjiifler
lauer jt iinljercr 'i\<'\U\\ Da, belicir.'lu|Iüfnnftblo5 üevjöaerl luerbe. —
' ?ie Slcllniirtunn. bie ber^^nbi-, fobnlb ernnj Me'^nben, bie fid)
•i>t!l M.Mlj fel)r \([\\\\i evijalteu lucibi-n, luiden null, einncl)uicn laini.
nb UMvUid) einninunt, ift eine .vucifadje. (^nliucbcr er mill nun
ben ber ^Keuolulionnr fein, luiH biejon lliiiftnr,\ be-> mit ber jcijiaen
^fit UnbevtriirtlidKU i)erbciiii()ren, ober ei mill ber l)eiIenbelI^'nfd)on=
rei'ub fiui, fefte, (\enieflene (^hnnbliiaeii leiten, Mi 53efle()enbc biejen
al)C nnb niU)er ^n bvniiien, Teulnnaen, bie baranf I)iii,\niüeifen
ijeincu. üinindjen, ond) n)ol)l bic il3löBen nunnfjefi iBefte()eiiben wai)-
»)fnen, b, d; n)irb er iidj freuen luenn ibui ber (^rfte^ÄU .^ilfe
toüMiit. Tic (Slcllnnn bey (Giften ni ben jiibifdien Okmeinben iniiunt
oei '^<oifK()or, bcä .»^meitin^bec OJeifilidK ein. So lüie aber ein jeber
'''»^PiiiMi'iidr üuevfl fdjen nnifj, ob er ond) bie Ä^räfte juni lim:
'V 11 !,;ii, uiiü .v.iK.i' ob bic ÜJiiilel entmeber bnrd) bie bereinirtlc
""".na bei} örüf;ten jOeiiS über bnrd) bie ^Iii|\f)eit feiner Huter^
I) i.i KU (vnüiieno fiub, fo mic er ferner fef)r Uured)t Ijiil, )i)enn
nlifi ^'aiii dtljcit ober böfenyiiillon 'iDerieniöen !laat, bie feinen Vdu
' ditni tuiiirafi' fi"^i fc'^ fic-eben burd) bie befteljenbcn 3^erl)ü(tuiile.
•■ .<)>n ;umii|i [ie nun einmal ^a Icbui QeiuÖljnt finb, i()m nid)t uad;>
a.a.O. Nr. 9« S. Ißj^l^^
\
\
/
'iiiJ'.ni \m\t\\'. fo iimn mi) i)\a I lüo bnö W\\[\d)t uiilcviioiiuiicn
"c>ß«'ii iiiib jimiv mit fo iiH'iiirtfi .maiifiiin] »uie iiiöi\lid;, b.i ble
i.^"!if tiiflo Midjt Ucibifiieii. CTer (^WiiilidK aber I)(U liiiiiioifoit lUiö
o-'^i '4Mi.ti(iiiüriöimi3 iiim llniVfvfiU»^Miiii4 h-v D)«ciiiii}ciiveliaii.u Oiu»
i'' fi' aba- fl.'ftiiiii niif jenen; feine iii>irlfiini(iit ift bie (HeüiMiimirt
unb bei' .Qrci3, in beni er lebt, er niuf? bn^ev nn biiG Sil'[fc()ci;b>
inimev nntnüpfc" uiolleii, icbocf) bicfeä, \M fö nun cinnuU biuil)in;v
i;ii1)tirt obci- iJ;;ibIiii), fi-rnratifliiii) ii. j. lu. ift, mit ^lillf.UiKMivn
üba'iieOen, .vitDiileii, lucuii eu tiuin, b. \). U'ciiu et ni.ijl iiirlh-u
niiifi. fein ^^ilr.iiifii üu Dcilietcii, fte^cn folilic j4jabliil;en !,\atl)i!i. .v
m Ofclbe üieljcii. M) l)i\ht nlfo iiiemato olü meinen 'S\\>cd, hf-.
tvOiljU't, iuni ',VibeiitI)iuii ^n füfjvtii, oiulj nid)t bie ;^ubciun (Mini! u
SU niodieii, ob^leiil) 'J)!!, niiliivlul) in nnjevev (Meanib, mcilcr niJi.i
i'orT^iriiedft (\\i fold)e, foubem fie \n\]\ allaenieinen \V)?ciifdjentl)nnie
I)iii,\nfiif)i-eii nnb b.v^ :,^nbcnt()unl immev üon bcifeu *Jlnfii1)tcnJ^ji
biudibvinrten, um <-"' ^«i>ii il^i^'f^' 0<'l)^'" »^'c f* tV'Ot. ober id) uicm
biiuii, biiH iil) luforberl I)iil)C bic ,Snt. bii (SJotl ein^iii uub fiin Vuimc
einjirt f^'in mirb. '^^d) blinke niif Teilten uiib JiU'rtninben bei [iit;
jelbfl. nnf .Qiailiflnnii bo3 liBilleu*^ nnb Ülevbnnmnirt ie\\lid)en Viubi
finiia, biunit bie V>oiib(nn\] beni (^iebud)len enljluw'ge, unf Ciin^elieu
in fid) fellt[t, in ba5 :,'\niicic be<j eii^iien .Vvr^icnS, \m fidj einem
ITseben jener bolle (3dMilj nnb jene tiefe '^K-bentniifl be5 ^Dienid)enleben5
cracl)en ipirb, bcnniK l)ieqn biiy '.Vibenlliiun, \]([}i uon i()ni iui3 .\nv
beal>)u1)tiflten IHertcl. iiiit)t ober lum einem di nmtjr an^fnoninienen
Snlie ^n einem jiibiidien hU'brandic, beficn .v>eiliiibnltnn^\ id) emlifcljlc.
id) rtf()e uon i()Mi inifr, uu'il id) \\\ ^Viben )in-fd)e nnb '^nbeii \i\
yLiieiifd)en nindien unll, nid)l ober, U)eil id) in il)ni bie Ijodjjte iJlU'i5lieil
i)eii'f;re nnb 'JJ{enjd)cn ^n 3nben nuiiljeii null. (^-5 \\\d)[, fouiel \d)
midj uod) nn^ niteii ^^eilen eriiineie, einen tontrabittinijcben mib
einen (oiitrüren (MertenfiH», 'I^n t)ii[t t>ei ^ildjtjnben biejeii, id) iei:eii
im 3inn, molil luillenb. bon ti h\\ iljiii nidjl tonnnt, niid) für oie
jei'.ifle SMlbnnfl-jflnfe nid)t lommen fotl, ober ' \\\ il)ni l)in(eilenb.
Süenn \üir nljo üoni etimbpnnfte bei 0)ei|ilid)en inis in ben mr
ämuenbenben Mitteln niii^t fel)r iierjd)ieben fein fofiten, fo uuidjt boii)
bie i[^irnnbibee eine loefentliitie '^tcr)d)iebeiit)eit in bet ^kNiulumd bcr-
feltJen, foiuie ber uon m\\i\\ ßebotenen .^^iljo.
Im Jahre I838 wurdo Goifjer als Rabbiner nach Breslau "berufen.
Hier trat jodoch dem kühnen Neuerer die durch den Rabbiner Tiktin
und dessen Anhang vertretene Orthodoxie entgegen. Der von diesen
Kreisen gegen Geigers Anstellung geleistete Widerstand, der fast
zu einer Spaltung der Gemeinde geführt hätte, verzögerte den Amts-
antritt Geigers bis zum Jahre I64O.
* Tiktint ( - 1843), Vorkämpfer des orthodoxen Judontums und
schärfster Gegner Geigers, lö24 O'berrabbiner von Breelau.
1/
(
) Abraham Gei/^er an Josef Derenbourg
Breslau, 22. November I84O .
^ '^ 2Ba§ i[t bn§ (Svbt^eil bcr
53lcubeI§foI)uid)en ^eviobe für bn§ Subent^iim ? pr ben (Sinüclueu
I)öd)[t Dortreftüd) in i()ren Solflen, I)Qt fie baS ®anje erjd^üttert,
ol)ne il)m ein 5^eiie§, (Sejii!ibe§ 311 geben. 5Ö3Q3 i[t bQ§ 9lejultat
ber 2:enipe(in[titiitionen ? ©ute unb fd)Ie(3^tc ^rebigten, don benen
jene bie ©injelnen erbauen, aud^ biclc§üleben Don unb über 3uben=
t^nm ücranloffen, ober bennod^ \\^ gctt)iffermo&en ein aQeS, e§ Dcr=
fd)öncrnb, onflammern, ol)ne bie religiöie Öejammtanjci^auunQ unb
bie bariiu§ ^erfliefeenbc religiöfe ^raj:i§ al§ fanftionirt um*
3uge[toIten. 3)ic gebilbete ^JJenjdj^cit niufe unb meiß fid) iw \)t\\m, [ie föirb
scn>iul warion. ^"^ ^^"^^ öel>ären, [ic ^Qt bie i?ra[t bajn, n)är)renb tüir ba[tcl)en
vcrscMcJcncj. Sc muffen unb tüorten. 2)a§ frei(id) ift bann mieber ba§ Sröftenbe,
f'jc.scsjlvnfjc j)c bojj üon ücrfdöiebcnen ©eiten nu§ für jene neue epodje fleiuiitt
im>^i\inv\rc derben müfete, biefeS buntlc 53ett)uf]tfein ^ölt aud) bie Snben
><nUL.-.os, du fr j^,^^,„j„g„^ bQJj fie uidöt für ein onbere§ 5öeftebenbc§, fonbern
•^c,c-^ für ein 2öerbcnbe§ unb 3ulünftige§, bn§ freilid^ nid)t bloö
fie ciflcin angebt, gu mirten Ijaben. ^ufer^-^ei^-gt^fd^ttfr ju
(yährend Geiger in der Folgezeit im Kampfe mit der Orthodoxie
die Porderxing eines offenen Schismas vertritt, setzt er auf der
anderen Seite dem ungehemmten Radikalismus seines JVexindes M.A,
Stern und des von diesem ins Leben gerufenen Frankfurter Reform-
vereins entschiedenen Widerstand entgegen.
(
} Abraham Geiger an Leopold Zunz
Breslau, 4- März IÖ4I.
üebrigcns bin ich im Augenllick-e •weit weniger gestimmt, Geschichte
zu schreiben, als Geschichte zu machen. Was vermag uns hei unserer
inneren Zerfahrenheit zu retten? Ich weiss nichts Anderes als ein
Schisma. Wie vermögen wir durch die langen Jahriiundertc der
Weltgeschichte noch icrner den schmutzigen Schweif, der angehängt
ist, mitzuschleppen? Alle Kraft reibt sich auf in lauter Lappalien,
ohne dass etwas Gescheidtes herauskommt und herauskommen kann,
und nun, wie lange noch? Die ganze Masse wird nun und nimmer
herangebildet, die wird nur durch ein weltumwälzendes Ereigniss
zerstört, was sie aber nicht wird, wenn die bildenden Elemente ihr
imaer frisches Leben einzuhauchen suchen, diese aber gehen zu
>
•
•
Abp/Sara Göigsps Sriefe an Dorenbourg,
a.a.O. S. 283.
Abraham (jQ±p;eT* s Nachgelassene Schriften, Hrsg« von
Lud\\dg Geiger. V. Bd. Berlin I878. 3. I55/56.
Orundc, weil immer um Lachorlicho. ^ircfcilscht und niohtg Gcdiorron.,
erzielt werden k.nn. E. ist ein hoher Verlust für die kränze Jst^
Entwickelunc: des .luhrhundeil., dass die frischen und freien iüdischl
üraac sich nicht frei entfalten und den Höhei>nnk't dor Wissenschaft
mitbestimmen kOnnen; daran hat aber weniger der Staat Schuld -
denn zu jüdischen Stellun.frcn müssen sie nur durch den -anzen
Zustand des Juden: hums gelangen und in ihnen den Wissenschaft,
liehen Boden behaupten können -, als eben die Lage der Juden
die sich noihwenaig trennen müssen, damit der eine Theil mit der
Zeit, wie es auch dem Katholicismus uothwen.iig widerfahren muss
ganz und gar zernagt und aufgelöst wird, der andere aber, selbst ij
einer Kleinheit, mit an wissenschaftlicher Herrschaft Theil n^'hme
wie es das beneidcuswcrthe Loos des Protestantismus ist und sicher-'
lieh noch in hüherem Grade das des biblischen Judenthums sein
müsste. — Solche Risse haben immer die Weltgeschichte befreit
denn während sie die reale Einheit eines Theiles aufheben, be'-rüuden
sie eine ideale Einigung der Welt. Und ich habe die feste^üeber-
Zeugung, dass es dahin kommen muss und möchte auch daran mit
wirksam sein können! Das macht mich etwas schlaff für die Zu-
stände, wie sie jetzt sind.
) Moritz Abraham Stern an Gabriel Riesser
Frankfurta.M. , ^. De,2renib9r 1042
1. Januar 1043.
Wenn ich frage, was mich verpflichtet, für das Judentum und
dessen Verbesserung zu v/irken, so muss ich mir sagen, dass
dies keineswegs in einer religiösen Sinnes Verwandtschaft mit
der grossen Monge seiner Bekenner liegt, da ich sicher und seit
langer Zeit ebenso entfernt von ihm bin wie vom Christentum.
Ich kann nicht einmal, wie ]>u undy^ndere, sagen, dass ich durch
den Glauben an einen reinen Monotheismus mit demselben zusammen-
hänge.
• • •
Es ist meine Pflicht, die Interessen der Juden zu wahren; das
ist mir Grundsatz, Die Interessen spalten sich in zv;ei grosse
c
Half ton, deren eine das Politischo, die Eman^ipations frage,
umfasst, während die andere sich auf das Sittliche, die Reform,
bezieht. Die Emanzipationsfrage hat sich, der Natur der Verhält-
nisse nach, zuerst vorgedrängt, sie ist, soweit sie dem Gebiete
des Gedankens angehört, vollkonmien erledigt.
Zoitsohrift für die Goschichte dor Juden in Deutschland. Hrsg.
Ludwig Geiger. Bd. II. 1888. S. 67 ff.
des Christen-
thums, das dem
Gewissen eineni--
so weiten Spie '*
räum las st und
zii dem die In-
differenz
christlicher
r vard in ''Irfällung
_ gehon üo sicher wie"
der Kampf um .[''reiheit
und Recht in ''luropa
zu einem gliücklichen
'Jnde gebracht werden
wird.
..csundc l.uft gcistP-cr I-nsch;:, wic sie seit Spinoz.i in i,
thums ein= ,l„ • „ , .
und in dem f^e-^'"'* verschrumpft . ^^
räumigeren des f ' ^
Chris tenthuns
i er "bis jetzt durch
ien geistigen und siti
liehen /arth, den der
'Dmancipationskampf
hatte, ein lebhaftes
Interesse am Judenthun
nahm, nun, nachdem auf
dem Gebiete des Gedan-
kens für diese IPxage
nichts mehr zu tun
ist, in einer nicht
geringeren Verzweif-
lung,
te^e^de^^JudeniHcIbcndcn Haufen ;u"vc;.-^;: ^ c;;:;drun; ""^'"^'^''^^^"' ^^^^^
»scrc Sduild vcrdumpft
zu der sich alle übri
gen Gründe nur wie
die körperliche
Hülle verhalten.
aussteigt, ohne nur zu merken, dass m an seinen Ort veränd ert ha,'
(
) Abraham Geiger an Moritz Abraham Stern
Breslau, 25. August I843,
Mit Freude und zugleich mit Betrübniss hat mich Dein aus-
führUches Schreiben erfüllt; ich erkenne iu Dir den rüstigen, an dem
ideellen Fortschritte eifripat tiiciinehnienden Freund, ich werde eine
Anzahl Männer gewahr, die gerne zur Läuterung des Juden thums
mitwirken wollen, und doch sehe ich viel Unklares und Unwürdic^es
sich mit einmischen. Was Dich betrifft, so packt Dich das Jung-
hegelthum und Du folgst ihm, und l)ein Streben nach Ileform des
Judenthums äussert sich in einem , Verein der Freien." Da trennen
wir uns nun entschieden. Ich bekenne es offen, ich verabscheue
dieses Junghegelthum mit seinem .Subjektadünkel, ich verabscheue
jenes gemeine Ankämpfen gegen uile Dcmuth iu der Menschenbrust,
gegen jedes Bewusstsein eigener Beschränktheit, gegen jede Ahnung
eines Hohen, obgleich ich manche Leistung desselben, wie sie zu-
weilen in den Deutschen Jahrbüchern innerhalb des menschlichen
Gebietes hervortrat, mit Freude begrüssie. Ich bekenne ferner offen,
dass ich nicht dem Pantheismus huldige, dass ich einen ücberschuss
über die Immanenz statuire, dass ich ein Unbegreiriiches über uns
anerkenne, dass ich dem Gefühle, das sich zum Abhängigkeits-
bewusstsein steigert, sein Kecht einräume und nicht verkümmert
wissen will, dass ich die Leugnung der Keligion als einen Irrthum,
als einen gefährlichen Irrthum verwerfe. — Meine ileform des Juden-
thums basirt daher auf anderen Grundlagen, und so sehr ich auch
gegen Eure drei, meinetwegen auch gegen Eure fünf Artikel, nichts
habe, sü sind theils unsere Fundamente andere, theils ist daher der
Abraham Geiger' s NaohgelasDane Sol^lfton. a.a.O. 3. 16?/ 68.
Ausdruck, den Ihr gewählt uiid den ich wählen würde, ein sehr ver-
schiedener. Ich sage: 1) das JudcnUium ist die ursprüngliche Aeusso-
rung des reinen religiösen Bewusstseins, wir halten an ihm, als be*
rufen, dasselbe in den verschiedenen Zeiten darzustellen und es über
seine Bekeiiuer hinaus auszubreiten, lest, wissen uns mit ihm einig.
2) Das Judenthum, als berufen, in alle Zeiten einzugehen, musste
auch in die verschiedenen Standpunkte der Zeiten eingehen, seine
Aeusscrungen den verschiedenen anderen Auffassungsweisen anmessen,
diese müssen von seinem Geiste getrennt werden; namentlich hat das
lange Mittelalter es incrustirt, und wenn wir auch aus dieser Id-
cru.-,tation gleichfalls die tiefliegenden Pulsschläge des Geistes zu
erkennen uns augelcgcn sein lassen mögen, sie haben doch diese
Hüllen, wie sie im Thalmud und in den Kahbinen hervortreten, für
uns keine normative Bedeutung. Wir sind vielmehr ver])fiichtct, das
Judenthum als wahrhaft religiöse Macht in unsere Zeit einzuführen
und die Aeusscrungen uns anzupassen. 3) Das Judenthum, als be-
rufen, 'Wcltreiigion zu werden, aber hervortretend innerhalb eines
Volkes, das es g^anz durchdrang, muss von allen volksthümlichen
Elementen, die es nothweudig in seine Aeusscrungen aufnahm, ge-
sondert werden; wir halten namentlich das Judenthum nicht ab-
hängijr von dem Glauben, dass seine Bekenner einst wieder eine
politische Einheit bilden werden, wir bekennen vielmehr, dass wir
dem Lande, in dem wir leben, innigst als unserem Vaterlande an-
gehören. — Dies ungefähr ist meine Fassung, die eine Position hat,
ohne dass sie beschränkte, zugleich aber die entschiedenste Ne-
gation. ~ ' Du w a rst nun g r ^tn mich üiemlith >uisic tltig in Deiaefr
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Geifer zweifelte nicht an dem Sieg seiner Sache, wie der folgende
Brief an den Prediger Uax Lilienthal, eine Antwort auf eine Berufung
nach Riga, zeigt.
( ) Abraham Geiger an Max Lilienthal
I 1842 oder 1843.
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ilit dem tief empfundenem Danke für das hoho Wohlwollen, ]
dessen mich Se. Excellenz der I^Iinister der Volksaulklärung zu wür- |
digcn die Gnade gehabt, verbindet sich bei mir das schmerzliche \
Gefühl, mich dieses Wohlwollens nicht durch die That würdi^' er- - 1
weisen zu können. Wie schön ist die Aussicht, in einer geehrten .]
Sicilung, als Diener eines Staates, dessen Herrscher wie höchste ..■!
Beamte mit so liochhcrzigen Gesinnungen auch gegen meine Glaubens- • j
•brüdor erfüllt sind, für Zwecke wirken zu können, die mein ganzes i
Streben erfüllen und denen ich gerne mein Leben widme! Wie be- J
trübend ist es aber, einer solchen freundlichen Aussicht den Rücken ' 1
' wenden zu müssen! Und ich muss es. Es wäre undankbar von "I
*" mir, sollte ich Ihnen nicht ganz unverhohlen meine Gründe angeben, ']
mit der freundlichen Bitte, Se. Excellenz zu ersuchen, in denselben
gewogenst eine genügende Entschuldigung für das Ablehnen eines so
grossmüthigen Anerhieleus finden zu wollen.
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Von der in diesem Briefe angedeuteten Berufung' nach Riga oder
Petersl)urg ist mir nichts bekannt; iah Verdanke eine Abschrift
dieses Briefes dem Freunde meines Vaters, Herrn H. Joachimsohn
in Breslau. £'Ludvn.g Qeiß-er^
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Sie wissen es, gechrtestcr Herr, dass der Mittolpunkt der fort-
schrcitcndeu Bestrebun-en der Juden in dem letzten halben Jalir-
üunderte und drüber Deutschland war und ist. Es war, seitdem ich
nur zu denken begonnen ~ und ich habe frühe schon mit möglicher
•iviarheit und Entschiedenheit über diese Gegenstäude zu denken Vor-
anlassung gehabt -, mein innigster Wunsch - ein Wunsch, der sa
enge mit meinem Leben verknüpft ist, dass meine Kraft sich brechen
^nd meine Freude schwinden würde, wenn ich ihnjc aufgäbe — , am
■echten Sitze dieser Bestrebungen, soweit meine Kräfte nur Tcrmögen,
Anthcil zu nehmen. Ich habe mich mit Ernst dazu vorbereitet, ich
habe manches Bedenken, das weltliche Rücksichten angeregt, nieder-
geschlagen, mancher Widerwärtigkeit mich ausgesetzt; aber ich habe
festgehalten an dem unerschütterlichen Vorsatze, ein möglichst wirk-
sames Organ des Fortschritts unter meinen Brüdern zu sein. Dem
Herrn sei Preis und Dank, er hat meine Bemühungen überreich
gesegnet. Niciit dass ich mir schmeichelte, es seien durch mich
bedeutende Erfolge für das Heil der Juden errungen worden, allein
ich wurde als zu denen gehörig betrachtet, die in den Vorderreihen
stehen, wenn es gilt, wahre Relidon von Aberglauben zu scheiden,
das Judcnthnm von Schlacken zu reinigen; zu denen, die mit leben-
digem Sinne begabt sind für Wis-^enschaft und deren Vermählung mit
Leben und Glauben. 3Icin Name ist zu grösserem Ansehen gelangt,
-als meine schwachen Leistungen verdienen, und ich darf holten, dass
fernere schriftstellerische Versuche weitere Förderung bringen werden;
jLuch meine äusseren Verhältnisse haben sieb, Gottlob, erfreulich ge-
staltet, und meine Stellung ist eine einflussreiche. Noch ist aber
Vieles 'zu leisten, selbst im Vaterlande, das der Brennpunkt des Fort-
schritts ist, und ich sollte da ohne Priichtverlctzung aus ihm mich
■entfernen dürfen, um einem anderen Lande meine Kräfte zu weihen,
xvo erst die Nachwirkungen unserer Fortschritte fühlbar werden sollen?
Sollte ich nicht lieber, wie bisher, .ein Schweif des Löwen" bleiben?
Könnt^e ich die freudige Gewohnheit, auf der ganzen Reihe der be-
reits geschehenen Entwickelung fortzuarbeiten, aufgeben, um nun von
vorn zu beginnen? Und wie undankbar wäre ich gegen die Brüder
im Vaterlande, die mich mit so vielen Beweisen ihrer Liebe und
Anhänglichkeit beglückt haben; wie undankbar gegen die hiesige
Gemeinde, die viel gekämpft und gerunjren, bis ich der Ihrige werden
konnte, und die seitdem niicli in der iierzlichsten Weise fesselt! Und
darf ich es gestehen? Ich liebe Deutschland, trotzdem dass mich,
den Juden, dessen Staatseinrichtungen Verstössen; tragt die Liebe
nach einem Grunde? Ich fühle mich mit seiner Wissenschaft^ seinem
ganzen geistigen Ernst« verwebt, und wer wird den Nerv seines
Daseins ungestraft durchschneiden? So rauss ich denn bleiben in
Deutschland, das mir wie unseren Brüdern für die Bemühungen,
immer mehr in sein Staat^leben einzugehen, dasselbe vornehm ver-'
schlicsst, muss kämpfen nach zwei Seiten hin, gegen die Zurück»
gebliebenen unter den Juden und gegen die alles Jüdische ignorircndc»
bevorzucrtcn Glaubensparteien, und muss mit sehnsüchtiger HofTnung-
abwarten, dass uns das als verdientes Kecht werde, was undorswo
ychon als freiwillige Gnade gespendet wird. Aber um die freudige
L^cberzeugung bin ich doch reicher geworden, dass in einem Lande,
wo so viele meiner Glaubensbrüder wohnen, der ernste Wille der
hoben Behörden vorhanden ist, diesen die Wohlthaten der Bildung
und wahren Menschen werihs angedeihcn zu lassen, und dieser Wille-
ist mir sichere Bürgschaft für den glücklichen Erfolg.
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Der politische Optimismus, der aus diesem Briefe spricht, sollte
im Verlaufe der nächsten Jahrzehnte noch auf manche Probe gestellt
werden. Aber vor allem musste Geiger bald einsehen, dass er die
Kräfte des alten Judentums unterschätzt hatte, wie aus seiner Aus-
einandersetzung mit Leopold Zunz, dem Vater der V/issenschaft des
Judentums, hervorgeht.
( ) Abraham Geiger an Leopold Zunz
• Breslau, I9. März I845.
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Während ich auf Nachrichten von Ihnen mit rechter Begierde
^rartc, luich darüber wundere, dass Sic mir nicht einmal den Empfang
des vierten Hüftcs meiner Zeitschrift anzeigen, wächst meine Ver-
wunderung; noch mehr, wenn ich von mehreren Seiten eriahre, dass Sie
Ihr Befremden über mein Slillschweig-en gegen Sie äussern. Es muss
hier ein Misaverständniss obwalten, das ich nicht crrathen kann, das
ich aber jedenfalls durch Brechen eines weitern Stillschweigens meiner-
seits zu beseitigen versuchen will. Vieles ist seit der Zeit, dass wir
\ins ge;:enseitig Nichts mitthciltcn, vorgegangen. Manches, das in die
Ooüonilichkeit gedrungen. Manches, das blossen Privatmittheilungen
angehört, und wie gut wäre es, wenn wieder einmal der mündliche
Austausch der Gedanken einen genügenden Aufschluss geben konnte.
^lan steht da aus ziemlicher Ferne einander beobachtend und schüttelt
die Kopfe und wundert sich und — entfremdet sich auch zum 1 heile.
•während sicher ein offenes Gespräch die rechte Aufklarung gäbe;
Ich bin überzeugt, wenn auch kein Wörtchen davon zu mir gedrun-
gen ist, dass Sie manchmal die Stirne über mich gerunzelt haben»
weiss ich auch nicht worüber, und ich will es nicht leugnen, dass
ich auch manchmal ganz verdutzt dastand, als ich das Eine und das
Andere von Ihnen erfuhr. Dieselbe zutrauliche Offenheit von Ihnen
•erwartend, und in der Voraussetzung, dass das freimüthige Wort
Ihnen angenehmer ist als das versteckte, will ich auch ganz unum-
wunden aussprechen, was mich befremdet hat, nicht als wollte ich
tadeln — weiss ich ja, dass bei Ihnen das Wort und die That aus
•einer gediegenen Gesinnung entspringt — aber um Aufklärung, um
^in freundlich belehrendes Wort über Ihre Gründe bittend. Zuerst
kam jener Aufsatz im Wiener Kalender^), die Fruchtbarkeit des Te-
fillinlegens erbaulich entwickelnd; ich habe Ihnen, wenn ich nicht
irre, schon früher meine Verwunderung über diesen Aufsatz ausgedrückt.
Dass eine jede Ceromouie eine tiefore Bedeutung aufnehmen kann,
dass sie von einer solchen nicht ganz leer ist, ist ohne Zweifel: aber
sollte diese, die auf eine falsche Erklärung von Bibelstellen sich
stützend rein . im Am>.letunwescn ihre Anknüpfungspunkte hat,
unserer ganzen Anschauungsweise, dem gebildeten und ästhetischen
Sinne ganz fremd ist, wirklich fruchtbar werden können? Das Todto
bleibt todt, der Geist, der ehedem darin war, wirkt in anderer Weise
und unter anderen Formen fort; aber es selbst wieder wecken wollen
ist ein vergebliches Bemühen und würde, wenn es Erfolg hätte, nur
traurige geisttödtende und entsittlichende Folgen haben. — Darauf
folgte das Gutachten über die Beschneidung [Ges. Sehr, ü, 191 — 203].
a.a.O. s. 180/84.
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ich war mit dem Ecformverein nicht einverstanden; er war m scmcm
Streben nicht klar, in seinen Acussorungcn nicht redlich genug, und
statt auf besonnenem Wege für die Gosamrathcit nicht in so raschen
Sprüngen zu wirken, griff er mit der Beschneidung Dasjenige an,
was immer noch als Grundnerv des Judenthums betrachtet wurde,
dessen er aber nicht Wort haben wollte, sonst jedoch die Dinge
müssig angaffend. Allein mit solcher iJntschiedenhcit Xür die Be-
schneidung Partei zu nehmen, weil sie stets in so grossem Ansehen
stand und noch stehet, ich muss gestehen, das vermag ich nicht.
Sie verbleibt ein barbarisch blutiger Akt, der den Vater mit Angst
erfüllt, die Wöchnerin in krankhafte Spannung versetzt, und das
Opferbewusstsein, das sonst dem Akte eine Weihe gab, ist doch nun
einmal bei uns geschwunden, wie es denn, als ein rohes auch keine
Befestigung verdient. Mag immerhin das religiöse Gefühl mit allea
Fasern sich ehedem daran angeklammert haben, jetzt hat sie zu ihren
Stützen bloss Gewohnheit und Furcht, denen wir doch keine Tempel
errichten wollen. Und die Stellung, die Sie überhaupt den Reformen
gegenüber einnehmen! Sicher wird in der Praiis bloss allmählich
das Abgelebte auch entfernt werden können, die Fieform hat auch
nicht genug gcthan, wenn sie bloss wegräumt und nicht vielmehr
den hohem, ihatkräftigcu , der Idee sich hingebenden Sinn anregt;
aber wahrlich, sie irrt und wirkt nur nachtheilig, wenn sie mit
morschen Bauti-ümmern das Gebäude herstellen wiU, wenn Becrriffe.
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die aus der all^rcmcincn Auffassung der Zeit gewichen sind, weil sie
in frühem jüdischen ßewusstsein lebendig waren, noch jetzt ihre-
Geltung behalten und neue Früchte hervorbringen sollen. Und die
Literatur, welche die Prinzipien erwägt, den Geist wecken und vor-
bereiten will für das erwachende Leben, sie wird auch immer For-
derungen stellen, welche der möglichen Verwirklichung in der Gegen-
wart vorauseilen, soll sie nicht eine Dienerin des Bestehenden sein;
warum also die Bitterkeit gegen das scharf einschüeidcnde Wort,
das doch in unseren kranken Verhältnissen so höchst Dothwendijr ist,
warum nicht lieber den Mutli des Mannes achten, der den Verdäch-
tigungen und Kränkungen sich aussetzt, um der Wahrheit — min-
destens wie er sie auffasst — die Ehre zu geben? Ich bekenne es
Ihnen, ich liebe Holdheim innig, wenn ich auch nicht jede seiner
Behauptungen unterschreiben, nicht jedes Verfahren für zeitgemäss
halten kann; ich liebe ihn, weil ich in jedem Worte den Eifer einer
rediichen üeberzeugung, der höhern sittlichen Anschauung erkenne.
Und Sie mit Ihrer Geistesfrische sollten sich mit einem Male gegen
das wogende Geistesleben abstumpfen, Sie sollten in der Vergangen-
heit nicht ledidich die Geschichte des Geistes, sondern auch die
Xorm für unsere geistige Thätigkeit erkennen? Es war dies eine
Erscheinung, die mich tief schmerzte; ich beklagte den Verlust eines
Mannes für das immer kräftiger sich regende Streben, eines Mannes
wie Zunz, ich beklagte die Möglichkeit, dass auch der frischeste
Geist zu einer gewissen Zeit sich abschiiesse, mir bangte, offen ge-
standen, vor mir selbst. Und nun kamen noch PrivatnachrichtcD
hinzu, Sic hätten mit einem Male streng koschere Wirthschaft ein-
gei'ührt tmd was daran hängt. Ich ehre Eücksichtea, die man in»'
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Leben ru beobachten bat, und würde, wenn Sie dies etwa in Ihrer
Sicllung al3 Seminardircctor, unter den Vcrbültaisscn, wie sie nun
einmal sind, für angemessen erachteten, nichts Bcfrcmdiichcs darin
finden; aber es wurde hinzugefügt, Sie hielten dies prinzipiell.
Dicht wegen Ihrer Stellung uothwendig, man müsse einziehen, sich
an das Bestehende anklammern und dgl. Da kann ich mich nun
freilich nicht wieder hineinfinden. Gerade jene Speisegesetze sind so
etwas durchaus Geistloses, dabei das gesellige Leben so sehr becin-
trichligend, und wahrlich die innige Menschenverbrüderung geht
doch nun einmal über die Auffrischung eines separatistischen, sehr
gebleichten und sehr zweifelhaften religiösen Gefühles, — dass ich
Allem mehr Werth beilegen könnte als diesem von der Mikrologio
bis zum AVahnwiize ausgebildeten Zweige der rabbinischen gesetzlichen
Praxis. Da stehe ich nun, mich selbst fragend: kann wirklich Zunz
dadurch zu nützen glauben, kann er meinen, dass auf diesem Wege
ein gesundes, Geist und Gesinnung weckendes, Thateu förderndes
Juden ih um, das dann auch natürlich ein wahrhaftes Menschthum in
sich schliesse, erzielt werde? Aber ich frage und frage, und soviel
ich mir Ansichten nach verschiedenen liichtungcn hin zu entwickela
suche, ich tinde keine genügende Antwort.
Goiilobl es ist vom Herzen I Es hat mich gedrückt und gequält,
bis ich Ihach selbst gesagt habe, was mich ängstigt. "Wenn Sie
noch die Gefühle gegen mich hegen, die Sie mir in Berlin gezeigt
und die auch in Ihren Briefen angedeutet waren, so werde ich eine
Antwort von Ihnen erhalten. — Uebrigens höre ich, dass wir uns
büld eines Werkes von Ihnen erfreuen werden; ich werde ruhig mit
dem Publikum warten und weiss, dass wir jedenfalls etwas Gediegenes
erhallen werden. Eine andere Nachricht, die ich zuerst durch ein
Privatschrciben erhielt und die durch die I). A. Z. besiütigt wird,
t'.Tichtet, dass Sie in Verbindung mit B ubo und Mu hr im Auftrage des
Ministers Eichhorn oder gar unter Vorsitz dos GK. Brüggemann
einen Entwurf über Cuitusangelegenijeiten auszuarbeiten haben [oben
S. 180]. Die Sache ist an sich crireuiich, nur müssen andere Gemeinden
des Staates es sicher bedauern, wenn sie ganz übergangen werden.
Gefallen lassen wird mau sich freilich heutigen Tages Nichts, und die
Bitte, uns keine Fesseln anlegen zu wollen, die wir unter keinen
UnistäLden dulden werden, ist gewiss eine gerechte. Üb Sie die
Biscretion nicht überschreiten, wenn Sie mir etwas Näheres üijcr die
Angelegenheit mittheilen, kann ich freilich nicht sagen; dass Sie aber
bei meinem Interesse daran mir durch irgend welche Mittheilun?
einen grossen Dienst erweisen würden, brauche ich kaum zu sacen.
Und nun genug für heute! Weiss ich ja nicht, ob dieses Schrei-
ben eine Antwort erhält oder — ad acta gelegt wird. Ihrer Frau
Gemahlin wellen Sie mich bestens empfehlen, sie bleibt doch meine
Freundin, wenn sie auch streng darauf :?ieht, dass das milchige
Messer nicht das fleischige Tischtuch berührt und selbst wenn sie
dio Haube bis zur Nase rückte. Wir sind übrigens milchig und
fleischig. Gottlob, gesund, uns schmeckt das koschere Mittag- und
Abendessen, und kurz wir bcünden uns wohl als gebenschte jiddische
Kinder. So soll es ganz Jisrocl crgehn und bifrat Machas 'im ischtau
ha-zcnuoh, omen! ^)
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( ) Leopold Zunz an Abraham Geiger
Berlin, 4. Mai 1845.
Aus Ihrem Schreiben vom 19. März d. J. habe ich mit Vorpiüfrcn crscben,
dass Sic mich nicht vcnressen haben, aber dass Sie es bedauern, dass ich stehen
pcblicbcn, riickwirts (rcj^anpcn u. s. w. Nun, wenn Sie mich nur nicht in Verdacht
haben, icli hätte mich für einij^e hundert Thaler verkauft, wie jrewissc Frankfurter
sa?en oder drucken — da ich Nichts lese, so weiss ich es nicht ccnau — so bin
ich pctröstet. P^ür das Ungiück des Stillstandes kann ich Nichts iind werde ich
mich sehr freuen, wenn Andere mit ihren AnfrrifTen auf das Judenthum und auf
Alles, was mir von je her thcucr war ~ meine Schriften seit 1817 sind die un-
widerleglichen Zeupren -- der Menschheit und den Juden wirklich etwas, um das
es sich lohnt, eninpcn. Eine Rabbiner-Ilierarchie verabscheue ich, eine Reform
mit milchdinpcn Paragraphen verachte ich, einen AnprüT auf das wehrlose Juden-
thum aus cmem antirclijriösen Standpunkt überlasse ich Denen, die sich darin
pefalien. Die Norm für das Rcliplüsc kann nur das Religiöse, das Gemeinpühi^o
und in Icbeudiper Ucberiicfcrunq; Hochgehaltene sein: aber dem höher gebildeten
Geiste (Maimonidcs, Abcu Ksra, Mendelssohn) ist es pcgeben, auf dieser Grundlag«
zu bauen. Uns müssen wir reforraircn, nicht die lielipion: Bestehende Missbriuche,
nach Aussen wie im Innern, Laben wir anzupreifen, nicht ein ererbtes Ileilipthum.
l>as Geschrei pcpcn Thalmud ist bereits die Siellunp des Apostaten.
Sie sehen, ich stimme weder mit lioldheim, noch mit den beiden Stern i
vielleicht auch nicht mit Ihnen. Ueber das pan;.e oder zerbrochene Israel hatten
wir schon vor C Jahren mündlich pcstrit;en; dass die Zeitrichtunpen diese DivcrgcM
schärfer pczeichnct und in den Vorderprund gestellt — dafür können weder Sie
noch ich. Man bedaure mich, aber wer mich verdächiipt, ist selber ein Lump.
In diesen mir fast mit Gewalt abpcdninpenen Erklärunpen, die allerdinps »uf
dem Papier kurz aber schneidend werden, liopt mit ein Grund meines StiUscbweipcn».
Aber nun sei pcnu;» von diesen Dingen pcsprochcn und verbandclL Mich
liebet die Wissenschaft immer mehr an, je mehr um mich her Thorheiten pemacht
werden, Narrheiten, die uns cmiedripcn und Nichts einbrincen. Schreiben Sie mir
lieber von Dingen, über die wir uns in früherer Zeit unterhalten.
In '2 Tapei'i ist eine Sonncnfinsterniss , 2 Tape nachher Generalversammlung
der Reformer hiersclbsi und 2 Tapc darauf wird wohl iu der Synairopc gcpen sie
poprcdipt werden — was ich, sub rosa bemerkt, nicht thun würde, wcni::stens
milder. Uebricens danke ich für Ihren offenen Tadel, und ich bin an Aufrichtigkeit
nichts schuldig geblieben.
Grüssen Sie mir Ihre werthe Frau: die meinige empfiehlt sich Ihnen bcidcr-
scitic, und nun ist genug geeifert, und os schliesst mit alter Freundschaft der
Ihrige. , _^.^-
.'üji^if T.d.-uT'i.i--.- -■■■;
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a.a.O. S. 184/85.
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In ßoinem wlasenschaftlichon Hauptwerk "ürcchrift und Uobor-
setzungen der Bibel in ihrer Abhängigkeit von der inneren Entwicklung
dos Judentums", Breslau I857, versuchte Geiger, die aus seiner Zeit
geboren© Idee der T^Intwioklung mit dem Geist des Judentums in Einklang
zu "bringen. Das Buch ist Geigers Glaubensbekenntnis, das er in dem
Brief an M.A.Stern auf die knappste 5\)rmel gebracht hat.
( ) Abraham Geiger an Moritz Abraham Stern
Breslau, 9 »August 18 5Ö.
'^4^'-- ^'' t"-. 9- -An^^^^f^i-fvjJLj .. ])ii hndcst am Sdiiussc meiner
Vo;-.> ' [/iir „Ursc]irlft"]y({cn Deismus (oder Theismus) s[;\rk .iusj;c- |
spro.licn, gl.-ubsi, i\li sei ' \vo!il erst I^ist geworden, und meinst, es
trenne uns n.ich dieser/lvielnung eine breite Kluft. Dafs ich je nlclitj
Dei5t^^,cv.-05cn, wiißtc/'ich niclit. Icli eliro in dem Mensclijn den sclh-
Mändi-cn Geist, der/mir hocli erhaben ist über allem Produkt und Ex-
trakt dorMaicric/i;u-l des feinsten Ncrvengeädcis, dieser hohe,,mir Ehr-/ / //
fiirclu cin^ö^^c^y^e M^'ii^chcngeist ist mir aber dodi in seiner Bc^reir/.t- '^''
hcit sov.olil A'i. audi in seiner Ahnung des Uncadlidien Tnirgc für
seine Ab]i:-:i;^j^,I';!;cit von dem Gesamtgeiste, ^qw icJi mir, wenn ich an|
ihm C^<\\ Qc-i',: erkennen soll, niclu der Vorzü^^ ^c^ Geistes, der Sclb-
ständi-Uft d.-. \Villens, der sp.mnkräfiigen 'jfatigkcit entkleiden darf./
So w.>/, so bin idi Theist, finde in dieser Überzeugung nicht etwa ein
Kul^kisscn, dessen ich niclit bedarf, sondern die Ergänzung, dcn|
Sddußstein meiner ganzen Ansdiauung . ^jj
a.a.O. S.
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27/28.
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IV, Alter und neuer Glaube
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Das siegreiche Vordringen der Aufklärung und des Reforragedankens
"bedeutete keinesweg den Untergang des alten Judentums. V/o hl ging das
von Geiger in seinem Brief an Derenbourg vom 2, 8. 1832 hervor gehobene
"ein in sich einiges Ganzes" allenthalben in einem anders beschaffenen,
räumlich grösseren Zusammenhang auf, wohl versank derart, was vom
"jüdischen Mittelalter" im Bereich der deutschen Kultur noch übrig-
geblieben war, immer mehr im Strom der modernen Zeit, aber die Kraft
des jüdischen Glaubens war nicht gebrochen.
Nicht bloss einzelne, auch ganze Gemeinden und deren Führer leisteten
dem um sich greifenden Zeitgeist Widerstand, Eines der lehrreichsten
Beispiele hierfür bildet die nach der Y/iener Judenvertreibung ent-
standene jüdische Gemeinde in Eisenstadt, "wo unter dem Schutz einer
dauernd bewahrten Autonomie sich ein jüdisches Eigenleben in seltener
Ursprünglichkeit zii erhalten vermochte. Es spricht noch heute zu uns
aus unzähligen, von Bernhard Wachs tein^ mit vorbildlicher Sorgfalt
gesichteten und ans Licht gebrachten Urkunden. Die folgende Probe
beleuchtet die selbst im Revo lutions jähr I84Ö dem Reformgeist
trotzende Haltung der Gemeindeältesten von Eisenstadt vind den benach-
barten Geme±den.
( ) Die Gerne inde»3tte&tem der fünf Gemeinden des Oedenburger
Komitats an Philipp Bettelheim und Samuel Brill
jlyi, WW Nach Preßbiirg!
DcbciiDiirfl, 26. 3uiiil8l8.
SBoIjIflcbiircnc §crrcn
IM». liottclheim = J>.'im. IJrilll
Sil bcr iiutcim Ijcutiijcii aIII;icr nctroffciicii Si|)imn bcr
5 i[r. Conmiiitäten bicje» Dcbcnbiirgcr Conütats, bic bic (ir»
ucnninuj Don Deputat ioiicn 511: bcUorftcljeiibcii S3cr[nmnt(itiifi
in ^c[tl; 51ml l]kk Ijut, Juurbc ciiiiiiiitljin bcr 22uu[c() nu5i]c^
jpro(I}oii, nii (5hci: iÖ3ü()Incbüreii bic bcüotiuifrfjc iüitte 511 [tcKcit,
ba[j 8le \uvS biir(I;3^)fcc lücrtl)cii ^^cr[ou iubic)cc^Jliii]clc!]onfji'it
ücrtrctcn, rcsp<H',t. bei bic(or ilkratl;iniß für mvi baä iiBoit füOtcii
möflcii, uiib ^)l)T oitcciaiiiitcc ilMcbcr[iiiu uiib ^^illJQljiintcit
Inüt mi iiiil;t 5iuci[L'Iit, bnf{ bicfc Mission ^{)ncn milüintümmcu
jci). Vlllciii übfllcic!) luic Hon 3[)icc Sicligiöfität übcr^cuot fiiib,
fo Fjcifjt c§ uiiö bic[cc luicljtigcr SQJümciit bciinocij 511: ^or[i(()t
(uub lomit Qiicl) ii^cr^ciljiuu] uctfpridjt), 8ic [oI;c ju bittcir,,'
Ijaiiptjiuijlicf) onf .(Sr()nltiuig uii(crcr l;ciliöcii Kcligiou Qfjc
^(lujiMimorl Qccicljtct äu \)ahc\\, (0 \)a\i Ucform ja md)i im nc»
tinnflcii ftattfiiibc ; [oubcrn luit cdünrtcit uou SÜ^cr ©laubciiß»
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Wach£3t3in! (1868 - 19}o), Hißtoriker und 3il.)liograpli,
Direk-cor dor Biüliotiaak d^r iHraelitiüch.n Kultuü^yemeinde
in Wien,
|fc*4E«WÄiMM Urkundön und Alctcn zur GeachichtG der Juden in
"Risonstadt und den Siebe ngeciGindon. Bearbüitjt von .Dr. Bern-
hard v;achstein. Wien 192Ä (Bd. l), I926 (Bd. Il) , '8.1, TT. S^^^/2i,
W^ÄlgVv b4^.I1. \j^.V^83/Ö'4 :-
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fülle, bafj Sic bei jcbcH Uürfüiiinicubcii C^cflcnftanb, (o aii|
'-ivcrU'ijuun bcr iKcIifliou mir im uiiiibc(tcii »uürreu föuiito, .mit
^liiibiclung.nner Energie cutflcncutrclcii niib iiacT) ftcäftcn nb«
I)altcu Uiorbcu. %^ iüir 3ljiu'u aber nml) junleid) ba^ |c0mcicf)cl-
I;aite öeftänbuiö madjcu müden, bnji iuic iou[t reinen tncfjtincru
routitlcrnbcn lUiann ^u bic(cr Mission Icnncn nid Gucc 2üüI;(*
(geboren, bic Vlbtcnbnnfl bcr Dcputiition jcbodj ((ljlcunifl[t flc*
f(l)cljcn lolf, lü [liil)cn ioir nn§ nnj 3l)rcu betrauten ratriotismus
iinb jinb babei audj (o 5ubrin(]li(lj, bic auöocfcrlifltc ^öoümadjt
511 bic(cm ^«l^orljttbcu 3l)ncu aulieflcnb (ofllcid; ju übermitteln.
9iJi)nc bcr ipimmcl bie|c ^J3ül)n jnm aUöcmcincn (^lücf
iinlorc'r Station Ici'tcit, bn[) bic ftn öcrijanbclubcu Dbicltc bcn
öcmünjdjtcn S^^Cf^ cclanQcn möflcn.
Eisenstadt, Pressburg trnd andere alte Gemeinden am östlichen
Rande des deutschen Sprachgebietes "beherbeugten auch die Bollwerke
der von der Reform heftig befehdeten überlief erungs treuen Talmud-
deutung, die rabbinischen Akademien (Jeschiboth), deren Ruf noch
immer lernbegierige Hörer aus nah und fern anzog. Hier lehrten die
grossen Rabbinen, die zu Beginn der Aufklärungsepoche aus der deut-
schen Judenheit hervorgegangen waren. Hoch wirkte um die Zeit, als
Gotthold Salomon im Hamburger Reformtempel die neuerungs freudige
Jugend \im sich sammelte und den jungen Heinrich Heine unter seinen
Zuhörern sah, in Posen das Haupt der Orthodoxie, der I76I in Sisen-
Stadt geborene Rabbi Akiba Eger, dessen weithin anerkannte Autorität
ihm die Bezeichnung "Papst der Juden" eingetragen hatte.
Sein Zeitgenosse v/ar der in Prankfurt am Main 1763 geborene Rabbi
Moses Sofer, der im Jahre l803 in Pressburg seine bald berühmte
Jeschiwa gründete. Sofers Glaubensfestigkeit und die jede Neuerung
mit äusserster Strenge ablehnende Haltung gehen klar aus seinem
Testament vom 24. November I836 hervor.
) Aus Moses Sofers Testament
« Im Namen Gottes. Donnerstag, 29. Ki.slew 5597.
Da der Mensch nicht weiß, wann seine letzte Stunde sclüägt,
ist es stets die Zeit, für Gott zu handeln. Verbreitet die Tora,
um das Haus unseres Gottes aufzurichten aus seinen Trümmern.
. --/ni ■■-.
t
*
Gotthold Salomons (17Ö4 - I062), ß.it I818 Prudiü'er der
nsuber;ründeton G.nioinclc in ila'/iburg.
-;t*
Akiba Egar: (I76I - 183?), iler Junger:-.
Tt^-H-
Jos chiiTn,: Talraudho cbo chul c ,
f
Saloraoy Schreiber: Der dreifache Faden,
I. Teil? Rabbi Moses üofer. S. 143/46. Sephür-Verlag
Basel 1952.
"1
)
Ihr, meine Söhne und Töchter, Schwiegcrfiöhnc und Enkel,
und deren Kinder : Höret auf mich und ihr werdet leben.
Neiget euer Herz nicht zum Schlechten, zu handeln wie die
Männer der Sünde, die Neuerer, die sich von Gott und seiner
Lohre entfernt haben. Wohnet nicht in ihrer Nähe und meidet
ihre Gebellschaft. Studiert nicht in den Büchern des Rabbi
Moses Dessau (Mendelssohn). Dann werden eure Füße nicht
straucheln immerdar. Erforscht die Bibel mit dem Raschi-
kommentar und den Pentateuch mit dem Kommentar des
Nachmanides. Und al?o lernt mit euren Kindern, denn Nach-
manides ist eine Hauptstütze des wahren Glaubens und durch
ihn werdet ihr klug wie die Weisen, die da hießen Kalkal,
Darda und Hcman. Wenn ihr, was Gott verhüten möge, in
Versuchung dos Hungers, des Durstes und der Armut geraten
solltet, dann seid standhaft in der Versuchung und wendet euch
nicht Götzen zu. Die Töchter mögen Bücher in der Landes-
sprache lesen, die mit den Traditionen unserer Weisen, ihr
Andenken zum Segen, übereinstimmen, aber keine solchen,
die diese Voraussetzung nicht erfüllen. Theater soll euer Fuß
nicht betreten; fern, fern sei dies von euch, ich auferlege
euch ein ausdrückÜches Verbot. Dafür wird euch vergönnt
sein, zu schauen Gottes HerrUchkeit und die Freude beim
Aufbau des Tempelheiligtums, der bald stattfinden möge,
in unseren Tagen, Amen.
Und so Gott euer Hörn erhöhen und euch seine Gnade
zuwenden wird, wie ich erhoffe, erhebt nicht euer Haupt in
Stolz und Anmaßung gegen irgendwelchen anständigen
Menschen, fem sei es von euch ! Seid euch bewußt, daß wir
14?^
h^/f^ f. r5~A ^Af,H-
Söhne Abrahams, Isaks und Jakobs sind, Schüler unseres
Lehrers Moses, Friede sei mit ihm, Knechte des Königs David.
Unser Vater sagte: t Bin ja nur Staub und Asche»; unser
Lehrer sagte : « Wer sind schon wir ? »; unser König sagte :
« Ein Wurm bin ich, kein Mann. » Und der König, dessen wir
harren, wird als armer Mann in Erscheinung treten, auf einem
Esel reitend; was berechtigte also zu Stolz und Ucbermut ?
Stärkt euch, wappnet euch, mit Eifer versenkt euch in die
Lehre dc5 e"wigen Gottes. Erweitert, verbreitert die Basis der
Tora in der Ocficntiichkeit. Auch wenn ihr wenig zu bieten
habt, stellt das wenige, das euch Gott gegeben, in den Dienst
des Gesamtwohls, mit Anspannung aller Kräfte und mit
Einfalt des Herzens, sodaß der Heilige, gelobt sei er, eure
reine Absicht anerkennt. Ohne rscbengcdankcn dienet der
Ehre Seines großen Namens, gepriesen und erhoben sei Er;
kein Schmeichler kann vor üim bestehen.
Hütet euch davor, euch bezüglich eurer Namen (Sehern),
eurer Sprache (Laschon), und eurer Kleidung (Malbusch) an die
nichtjüdische Umwelt zu assimiHeren. Als Merksatz hiefür
diene euch der Bibel vers : « Wajawoh Jakow ScnALEM », « Und
Jakob kam ganz, unverändert ». (Die Anfangsbuchstaben von
ScHem, Laschon und Malbusch ergeben Schalem).
Macht euch kvinc Sorben. >vciiii ich ruch krin Vcrniöficn
liiiitrrhiPse, denn dor Vater der Vkaiscn erbarmt sich der W aisen,
nimmt sich ihrer mehr an als Vater und iAIuller und wird euch
nicht verlassen. Es fehlt Gott nicht an Macht, mit viel oder
mit weni^ zu helfen.
Gottes Lehre diene euch nicht als Spaten, damit zu praben,
als Mittel zu irgend einem Zweck, und panz besonders hütet
euch davor, von Ort zu Ort zu ziehen und für Geld Predigten
zu halten oder zu sprechen : « Nehmt mich als Rabbiner an ! »
Vielmehr bei Namen soll man dich rufen, an deinen Platz
dich setzen und das dir Gebührende dir geben. Saget nicht :
Die Zeiten haben sich geändert; denn wir haben einen alten
^^ater, gelobt sei Er, der sich nicht verändert hat und eich
nicht verändern wird.
Er, Beständiger
Immerfort
Vermag euch zu sein
Schirmender Hort
Segenspender
Von Hohem Ort.
Moses Safer von Frankfurt am Main
Langes Leben in Gottesfurcht cuchy meine mir so teuren
^litgUedcr der berühmten Gemeinde Prcssburg^ der prächtigen,
der mächtigen. Gott schenke euch Segen aus dem Born seines
Segens. Ihr seid mir seit dem Monat Tischri des Jahres 5566
(1805) mit Rat und Tat beigestanden bei der Ausbildung
lausender und abcrtau«ender Schüler, die die Lehre in aller
Herren Länder getragen. Gott sei Dank dafür. Unsere Gelehrten,
große und kleine, sind Früchte der Lehre, reine. Ihr habt die
Jeschiwa in Weisheit und Einsicht nach bestem Können geför-
dert, so den « Dienst am HciHgtum » "willig auf eure Schultern
ladend, vor allem die Verpflegung und Versorgung der Tal-
mudjünger. Euren Kindern habt Ihr gehörigen Unterricht
angedeihen lassen, und die Erfolge bUeben nicht aus. Und
sieh', ihr steht heute in der vordersten Reihe der berühmten
Gemeinden. Niemals mögen die Kräfte der Zerstörimg zu euch
Zugang finden. Dringend, dringend empfehle ich euch, den
Rabbinat^sitz nicht mehr als zwei Jahre verwaist zu lassen,
^md nur ein Gelehrter möge ihn besetzen, dessen Gesinnung sich
bewährt hat und der seit frühester Jugend in der Lehre Mose.-»*
(der schrifiHchen) und Raw Aschi's (der mündlichen) durchaus
bewandert i?t. der ferner nicht mit dem Freidenkertum lieb-
äugelt noch in der Sprache der Völker seine Predigten abhält.
Ein solcher würde sich auch nicht lange halten können, wie
ein Schatten würde er verschwinden. Die Predigten sollen so
sein, wie ihr sie bei mir gehört : Aufgebaut auf den Erzählungen
unserer Wci-en. Er soll ferner die Vornehmen nicht bevorzugen
und keine Bestechung annehmen, weder Bestechung in Form
von Ehrenbezeugungen noch Bestechung in Form von Schmei-
chclredcn: sondern bescheiden und demütig sei er, und die
Tora trage er ins Volk. Die Institution der Talmud-Tora-
Kasse und die Lehrplanordnung soll nicht tangiert und nicht
verändert werden. Wer da schädigen will, der wird selbst
Schaden leiden, wer aber stärkt, "wird stark und angeschen
werden. Auch die Gebets- und SjTiagogenordnung — wie sie
war, so soll sie sein und bleiben fürderhin; fern sei es von
Pronsburg, 1Ö45.
CrerOohte sind ini UralauJi", daco Sie sich entüchlossen haben,
künftij'Thin in der ungaricohcn Spracho s'.u predigen, obv>;ohl
diese Gerücht emaoher es gut VTissen, da?33 Ihnen koin liencoh
glaubün YTird tmd da^c sie nur darauf abzielen, Ihr Ani^ehen
au schädit^en, Aln ich davon hörte. \7ar ich gans erstaunt
und habs lebhaft dagegen prot.jütiort, dacs man £cegan einen
öo fiomraen Lia^n, de^tien ganzus Streben darauf gerichtet ist,
die Relirrion zu erhalten, den Verdacht äuasert, da3B er ^ ^ i
gerade jützt das Gegenteil tut. Sollte man Sie jedoch von iHj /
irgendeiner Seite dazu gezwungen haben, hoffe ich, daoö sich ''>' '^ ^A.'
noch ii'onug Laut.- finden wf^rdcn, um di^^sen -Einbruch seitens
der Regierung r^bzuwehren. r' — '
• • •
T
S
jedem Mcnschrn, etwas an der liauart der Synagoge oder
am Gcbctprllual abändern zu wollen. Vver etwas ändert, möge
verändert werden zum Scklechten; kein Unglüek aber treffe
die Gerechten. Und Du Gott, erhöhe das Hörn Deines Volkes
in seiner Gesamtheit, und der Gemeinde Preßburg im beson-
deren, gewähre Reichtum. Güter, Ehre, Länge des Lebens in
Furcht vor Gott, bis der Erlöser Schiloh kommt. Amen.
Meine Töchter und Schwiegertöchter ! Hütet euch, in eurer
Kleidung der jeweils herrschenden Mode nachzugeben, sofern
diese unsittlich ist. Fem sei solches von den Nachkommen
meines Hauses. Erst recht verbiete ich euch ausdrückhch,
Haarperücken zu tragen. Gott wird euch Gefallen und Gunst
fmden lassen. Erziehet eure Nachkommen, Kinder und Kindes-
kinder im Geist der Tora, yde der Ewige unser Gott uns
befohlen für alle Generationen.
Moses, der Obige
Rabbi Moses So fers Sohn, Rabbi Abraham Samuel Benjamin Sofer,
Oberrabbiner von Pressburg, war ein gewissenhafter Vollstrecker
dieses letzten Willens.
( ) Rabbi Abraham Samuel Benjamin Sofer an Rabbi Pessaoh
Prankel
So sehen v/ir die Vertreter der alten Ordnung in steter Abwehr gegen
die bis in die entlegensten Winkel des deutschen Siedlungsgebietes
vordringende Reform.
Jedoch gab es auch Stimmen, die das Bedürfnis nach einer Synthese
der alt jüdischen Gläubigkeit mit dem aufgeklärten weltlichen Geist
vertraten. Längst waren innerhalb der vom Strom der deutschen Kultur
erfassten Judenheit Kräfte am Werk, die nicht nur die Werte des über-
lieferten Judentums gegen die Umv/elt zu verteidigen, sondern dem in
Schrift und Tradition vorwurzelten Glauben den neuen Geist einzu-
schmolzen versuchten. Samson Raphael Hirsch, Rabbiner von Oldenburg,
.'/
erhol) 1836 in seinen unter dem Poeudon.ym Ben Uaiel veröffentlichten
"Neunzehn Briefe über ^aö Judentbii" die Forderung? nach einer
"Erhöhung der Zeit zur Thauroh" anstelle der "Nivellierun^ der Thauroh
nach der Zeit" und wurde mit einem Schlafe zum Wortführer der sich der
Herrschaft des Rationalismus widersetzenden Neo-Orthodoxie. Die Ideale
der Emanzipation wurden hier in einer von den Aufklärern nie geahnten
Weise gedeutet, wie folgende Stellen aus dem sechzehnten und siebzehnten
Briefe Ben Usiels ^ B^jan^in zeigen.
( ) Bon Usiel (S.R. Hirsch) an Benjamin
Secl)3eljnter ©rief.
Sic fracjcit luicf; um mclue 2Iuilc4;fcu uBci* Mc gcacje,
t):c ici^t \o ütolfacl) bk öomutci* Iv'iucöt/ ul3cr „Gmau^ipa^
tioii"; ob tri) iiu Q)cl\ic taS SiiöciUinut? \ic fui* m'oQÜd),
fuc il3fiic;;t t)a[;iii sii lu'c^cn, fui* iuuufcr;cuöi\)Ci*t iTe ddjtc, —
%\d) bciM iicacjciüoniiciKu i^ccjriffc bc^ ^iibcwtiimß \ii\b
6ic, liclKi* 53oi;ja:uiiT, ii'cc bauw Qcmxbcn, G^ \inb
3?)ücn 3«'^*-'iKl öcfoiuukni, oh baß Qtzchcn bciiuid) cdid)
bcwi Q)c\f:c bciS ^iibcninnvS ßcinail fei, b<i aS einer ^iiu
hiirc^cnmc^ dn awbCLCß nwb ^oßicic^iii^ üom ^i{\):ocU
(jcfiviüc i;aJ)cfvh;io; ob rouufcrjcui^rocrt, bei U\d)t biml) bic
$rol;e iHiriUU;ci:uui) 3"lTi"OcIi5 Gic}ciurimUci)^ci( üoinuifc^t
rocriJci: tbixwtc. ^d) ac()fc 3r;i'c 6^mpcl ui;i) feile ^i)iicix
meine il\\\\d}t s. m. mit. — - „Oh im Q)cifli baS ^iibcntnnvS'^,
— Slli^ 3'fÜ'«>^J ^ic ÖJ-'öß»-' $ü3ani)cvfcf;v;ft buvd) gelten nwb
Golfer antut, iwri) ii)m bn:d) ^ixnülöi)ii ciU ^^\\id)t üeiv
imbct:
*) „^auct S^hn\ct xmb U\^\ct cucf; :üc^cl•; piKautcf öAiv
,/iCn iu\b c^cwic^ci 'd)xc^':\ui)t; lu'f^mct ^rauci; uut) icujjct
„66f>i:c iini) S6cvfcr, unb iicl)mct für eure ööi)ne ^yraiiei;
„Ulli) cure£M;(er cjelJef ODMuiicrn, t>u|j i"ie (jcbAren ööDue
„mb Söcf;fer, u:;i> ben;;c()rc{ cnd) öor(, uut) mindert
„cuci) vdu)t. lUib |7rel)ef für öaiJ SBof;I öcr Sfaöf,
,,baf;ia icf; cnd) oertricbcii, nwb hitct für \ic innx
„S^czviif beim in i()rcm Steile wirö cucf; i'^eil/' —
3encjJ 3i*5^J'''^l't'>i3»-'ii uuö S3efcr;rAnfeu iu bcix Söal)i:eu
t)ei^ i!e5e:ij5 ölfo uicr;t iuefeiUltcI)e S3ei)in3un(j DejS diolüjj;
■üicimeljr ^flia^t, foüicl nur immer m6ölicf;, \id) bcnx ^taat^
-awinhii^Qctn, bct unjJ auföcuommeu; btß Qiaatc^ "^wcdc
-^u fbzbcnx x mb ba^ eigene SBof;I nid;t öciwnnf-Don bc^
Sarason Raphel llirschj (I808 - I888), IÖ5I Rabbiner der Ortho-
doxien "IsraölitiK>ohb^n Reli^lonögöSöllschaft" in ?ranlcfurt/M,
Ben XJsiöl ( S.H.Hirß oh ): Hounsehn Briefe über Jucl nthum. Berlin
1919. 3. 93/97. .
.?-
an ^tc (cUwUw i|t ja ciml), i\'iu i:>k\\ic \^cß ^wtciUum^
mI^ofc5a^cf, niö^ncr); boiiu joncj^ frur;a-c, fdbjtoiu^i()c
eitiofoiiK'K-n i^^ar ja iV.icf; nlcr)( $18ofcu unb niir;f 3iuoif
\^r !3oUefumIicr)fcit SÜTfOcli^, mau ja aucT; mvc ^rutcl
jur JofuKcj fciiicj^ öci|ti<3cii 53ci'ntU 9^ic luar £anb iinb
a^ciVu fein (iini(3iinöör>aiu\ foniVm Mc öomdufaine 5aif^
ijabc iVr Ziyinvöt); bmun ja aucf; eine Ginf;olf nccf;,
iivT.u aucf; fcnt uom i?aiibc, — nnb t)anim nocf; ^1nf)cif,
tucnn aitci; iiDorall in ^cc SculTi'cuuncj auöoburöci-f;
(ucunc mau bk\c (^m\)c\t, t)chv, c>» mit) ^ij, nicf;t i^oiufcf;
„vBoIf'', mm\ mau i^ou Mcfcm ^cutfrOcu ÖBoKc tat! CDJcvf^
mal öomoiufamcu ^obcn^ iü(l)t ju (ccuucn ocnnaj));
h\^ fic 6oft einmal aucf; aujjcflicf; aljj 5}üir auf clnent
53o^cn iknvinijjcu unt) Mc ^etjuc iVi* SOauröf; tuicbcc aljJ
^H'injii) ctncj^ eta^Mcß ba(ld)ci\ mi'bc, jum ^)l\i{lct m\b
jur DfKnrnu'uuö ©offcj^ nnb tcd 93?cufq)cn6cvuf<l —
eine Sufuuff, bic, ald 3icl bcö (3oU-S Qcftcdt, ücrf;clpcu 1(1,
at^ci* ja n\d)t (dftcj t)on uusS öofon^cif lücröcu ^alf, nur ci*^
Tjon't; unt) ^u bor luic crjo^on roci*t)cu, t)a0 juic bann \m
Wide hc\\c\: „SifKOoI" barJTcacu m6()cu aliJ ba^J cfjTcmal;
eine Sufunff, t)ic ja §aut) in S^anb <id)t mit (fcr;eIJun3
bei: ^((Imeufcf;f;eit juc Stnücrk'ubcrunj) unfcc öoff, bcm
C'Urcinon! (fkn Mcfor rein 3oii]i(jcu S^ifur bcv ^oU^f
n'imlic^feif ^l\\i'o(:hS f;aU>er ijl eo^ öarum aucf; u^cra« jun;
iuntcen Cf!;rc:;(u0 an euiutcn faf;ij); nur öarin j7cf; Diel^
lein^f fcf;eibenö, baj}, ivaf)rent> anbere etwa bk ©ufer, Me
bcr Gfaa(»5^ivca- fici;er(, Q3efif} unt) öeuujj in t\:elfe(?er 55e^
bcufuncj, <[{ß bci^ $6cr;i7e acr;fen mocfjfen, c^ fie fel6ec
jTefiJ nur al^ mtkl ^ur Gifüiruna baS 8}:enfcf;cn]3erufjS
rH'(racf)fen fönne. ~ Unt) teufen Sic ficf; einmal b<i^ mb
foIcf;e^ unter Golfern fieiiüof;nenben, fein 3t)eal erjTrc^
l5enben Siffrocl^! Sebcr 5MU"Oc.tefof;n j)cacf;fefor, n;ei(^
i-oirienber ^^eifpieIi5prie{Tor t)er öcrecf;ti()feit unt) 2teDc; —
nicf;t 2nTf'^':J^""^ — i^^^ i!)i^^ oerbofen — al^er reinetJ
?D?enfcf;enaim unter bcn 5^^6lfern i^erbreitent)! 2BeId;ec
S^cM jum 5^»^^K?)J^J^f ^»-^J^ ?^?veufcf;f;eif55er^ief;uncj, itjelcf;c
5?eucf;le. unt) 6tal> in bc^S 0!)^iüelalter^ nacfjficjen Zucken,
lüenn SiiT'^«^^^^ 6unbc nnb bor Sollet 21>af;n bicfeiJ Q3ilt>
te^ öolüß i;:cf;f jurücfi5et)r(^n3t; ii^cnn in ^Tattc einer nur
öcmalt unt) ^efif} nnb ©cnujj eriTreknben unt) uercjot^
fernt)cn, nicr;t feUcn t^on SSaf;n umbunfeUen 0}ienfcl;f;eit
ftill nnb offen ^^iOnfcJen c^cUht ijciiUn, b\c in 33efif} nnb
(3cnn^ nur ^)V\ttc{ faf;en, Öerecf;ti}}ieit nnb £ie5c c^cqüx
alle vll'elf ju üben, t)eren öeill, i^on ber 5ef;re 5Ä?af;rf)cit
unb ®eidf;eit erfuttf, nur menfcyUcT; öcrabe, ijei"nünfft()»i
5fnfic5fen'öcf;cöt nnb in lebenbiöom £a(fi)m5oI für ficf;
unb anbete tcreiiMßt f;atlel — - 9(ber e^ fcf;ein(, bafj ei'{^
burcf; bie r;erbe Geite bei5 6o(u{3 Siiu'oct ^u biefcr mil^
bereu erjojjen tuerbeu foH. — ^^cnn er|"t öolüj] fo auf^
c)ofa|3t nnb Eingenommen, \m c^ foll, tucnn in £eiben
Gott unb 2:f;aur6f; als5 alfeinißc ilfufjjaBc bc^ 2chcnß ße^
fat3f, unb m^^cvc ^nlk nur ali^ ?»}^iffel (ic\d)^ii}t, nnb aucf;
im Clenb (Boit ßebienf; — bann — toic oom 6taubpuuff
ber vöofier immer — Dom 6taubpunft bcß ^nbcntnm^
bann Dielfeicf;t reif für bie nocf; örof^erc ^rüfuujjoTcyuIe
bes5 Gfuci^ unb ber ^Tdlbc in ber 3cr|!reuuncj. — 5Saf;ec
rtiirf) fi*!!!«» Svrarti». ^k miß aeböfcn ^rivcrbuna ber äußeren
^■'■>^/-.4>.^
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^^floöc {c'mcß 6cijTot5 ir;m l^crfm^mcl*^ freie Gnffalfunjj
foincjJ cMcu (if}araffcrj5 bcfcr;ranft, nwb jiic 6cI5|Un-r;al;
t\\n(i mancfjc feiner 3nbiiMt)nen auf ^ecjc r)in(jejmnu^
(icn, Mc fivilicf; oom 0cl(Tc ^eö SubcnüimiJ crfullfc
•??^Aiu]cr aiuf; in folc^cc S^ot nie t^efrefeu \)\tUn, nnb bk
if;teu 33cnif f ief i^ectcfien, an ivelcf;cc f^oOen ^3rufun(j nbec
ir;rc 6c5)iuacr;e öcfc(;eifei:( ijl. — Scf; fe^nc bk Gmanji;
V^tion, — roenu icf; fer;c, mic if;r r;eutic)cn Zac^cß fein
öciftt()ed ^rinjip, j^enn aucf; nnr ein iuaf;n(}e6orenci5,
cnfi}Ci)enftef;f, fonbevn nur Den ' CD?enfcr;en crniet)ri()enl)C
S3efiX^fncr;t nnb felDilfucf^ficjc Gnö^erjiofeif; ~ nnb wie
T/ier S(cf;(unj) bci^ 9ie(r;(i^, bc6 03?cnfcr;eni:ecr;f(!; ?D^^nfrf;
untec 0);^eufcr;en in fein, unb bic Qtnftcr;f, ba^ ©oKe^ bie
Gebe fei, nnb iuec nur bcn Stempel a\ß fein ^inb fri\9e,
fceubii) mn allen aU Q3rubci: öt^Kr;fe( werben foK, —
tuie biefei^ Siec^if nnb biefe 6e)7nnun(j cf;nc ©ewalt, Mog
burcl) bic .^L-nft ir;rer inneren $ll>ar;rf;eit, ba^ Opfer bec
uiebrißen ©eI6ff^ nnb ^c[\l}\n<l)t forbert; — nnb 5et)rnJ3e
freubig, wo biefeiS Opfer 3e5racf}f wirb, dß eine ^D^or^en^
rote wieber erwacfienben 03ienfcr;aim55 in bcr ^1^n\d)i)c\t,
— eine 53orftnfe jur Clnerfennunc) Q)Ottc^ ciU bc^ dU
einigen 5perun nnb 23aferj5, aller ^\Mifcr;cn alj5 bcß ^ilU
einen 5vinber unb fomit 5:n'iber, nnb ber Grbe alS allen
öemcinfam non (3ott i)erllir;enen 55obend ^ur Söcrwal^
UinQ navf; &oncß OBiKen. Ü(6er — für 3 ffroöl -- fecjne
icf; (le nnr, w^cnn Dor altem in STfJ^'^*?.^ ö^e'cf;je!ft3 ber
waf;re (3cl(t orwacr;( ijü, ber, nnaM;.\ni)i() üon (Smanji^
pation ober Dycr;femau^'pafion, auf (2rre'cv)nni) bc^ ^\\f
roclbernfes^ f;;nav5ette(, <in\ unf:re ©elbiloereblung, ben
öeift an^ bem Si^^^-'i^^iun in b:e Gemüter ju pflanzen,
auf baji er ein ^chcn in foIcv>em öe"(Te gebare; — icf;
fegne [le nur, wenn SMl'^'^'rJ ^i^ Gmanppation nicl)t aliJ .
(Snbc [clncß 53crufj5, fonbcrn aU eine neue 6eife feiner
SInfcjabe, <\{iS eine neue ?rufnn0,nnb cilß eine üiel fcjwerere, ,
"-A
1
<\IS bie be^J Srnaej5, cntijcj^ennimmi; — aber ia) trauerte,
— wenn fo wenig 3»lTi''^(^ l'^cT; felkr Begriffe, fo wenig
feinen Oeift n:er;r r;a(te, ba^ cß Cfntanypation a\ß (5nbc
bcß 6clü(j begrüßte, ali5 r;6ct;fte55 Jiet fcine^S gcfci;icr;tli(l)en
5.Vrnfi5; <ihS £eben5?ermacr;Iii-f;ung nnb at!l2Ä>eg jn gr6l3erer
^>eilfiC55^ unb öennffeiSfuIIe nnr fic i^crgotternb jcigte,
bci^ cß bcn Geift feiner 5:r;aurö5 nic^t begriffen unb au^
beni Gotuß nid;t:5 gelernt; — aber ici; trauerte wehmütig,
\'ocnn '^\\\\:o(:l foweit fid; iv^cfennen follte, (imanjipation,
i)on ungercd;tem £)ruae bef:eiten Ütaunt für ^c{ii}cßf
xn\b Genufi'eö|"treben nic5>t ^u teuer erlauft in I)aben
glauben foUte bnrd; wiUfürlict^ei^ 53efc5nciben ber £r;aurü^,
bnvc5 wil(furlicr;e55 ?Jfufgeben nnferer £cbcniSfeete.— 3»^^'^
muffen wir werben, im wahren 6inne ^nbcn, üon ber
Zl)antb^ Geift burc^brnngen, fie dU OncIIe bc^ ZcUni
aufnehmen; — bann wirb aucf; ber Geift bcß ^nbcnf
tnmß (fmaniipatiou freubig begruben aU eine nun
größere S$af;n int (SrfüUung if^rer ^uforberung/ ■— juc
ajerwirtlicjnng ir;re<^ ücben^bilbcj^.
T"
/
Stcl)3cl}uter Söricf.
Sic r;aBcu 9iccf;e. ,^ic <iC[ni^c ^'c^c bot Gnuinjipaftoit,
i\U hki imfor i\uijorci5 Öcfd/id imuVW kl•u^;l:c^^, hcf
xn^)n im S'ubonfum mir ein niUci'öcoL'bucfCjJ Sufcrcffc. —
Äic 53oIfci* i\)Cl:^cu fi'uf; o^cl• fpvU ficf; curfcf^cibcn ühct b-k ■
^^'^W jiüifcr;cu Stecht x\\\b Uiti'ccf;f, jmiR^cn ^33?oufcr;nc(;fcit
unb Uamcnfc<)n(r;foif, — uut) bad crfle (fn\)acr;c» t^ciS S5c^
lünjjti'ciui^ cincj5 cMci'cu, I)6r>H*cn ^cntfjj dö „ftnl&ßu"
unb „öciucjjcu", bie cvjlc ü'CuiJcrunö IcI)cuMi)crcc 2(n^
cifcumiuö Q)Ottcß <ihS rtKciniöcn ipci'i'u unt) SJafcttJ, unt>
bei" (ii'bc als5 i-^ou 3f;nT aUcn ?D;cnfcf;c« (jciuaf^ufcn r;ciIi()C!t
S3obcnsJ ^itc (fiufolfiiuj) if;i*cö CDiCufiT;cnkrufiJ — wirb
ubci'ad feinen 5(u'JbnicJ pnbcii in Gmanjipation oKcc
llu(cl•^n'IC*(c^, — aucf; in Gmanjipafiou bct ^nbci],
C'lbcc luic bad au(jci'C ©cfcijic! uku'f;aiipf, ijc (ic mcf;c ciii
©c^c^cncj^; uub iuof;( niCijou mir kifrrt(jcn bajit^ ahct
<i\\ xiwb für ficf; macr;£ ftc uniJ nicr;( öiojicr, n\d)t Heiner.
Gin an bereit S'^I ift «"»^ t^oröeftrecff, beffcu GL'rcicf;an(j
(janj in unfereu 5'^anbcn: bai^ ber 53eceblnu() unferer felbf^^
— baß ber SJ3eri*oir:licl)un3 betl 3*ibenrumi5 burcf; 3«bcu.
£)ie'J fur;i't UU55 ju ber grage, bic (Sic mit „DJcfonu" Bc^f
ieicr;ncn.
CÖciüifj, mein ST^enjamin, ii^ir (tnb nocf; lon^c \\\d)f, mß
mir fein feilen; iinb i^er(3(eicf;eu Sie b(\^ Scknöbilb, bn^
nnsl bic Xf^inri-f; jnm 23envirf(icr;en auflTellf, ancf; nnc
cinmol nacf; ben büiren Uniriffcu, bic ia) 3f;ncn einmal
in 53i'iefeu öoicicrntet, mit unfeivm iuiul(ic(;eu 2chcn im
einzelnen nnb ^anjen; Sic finbeii bie ci):o^cn Scr;ri(fc,
bie mir nocf; jn f:in f;aBen, bcn 3l6fcanb, bcn hiß jni: i^ofpc
ju crHimmen uni$ nca) tv^'oorftefjf. llnb bar;er — Sieform !
i'^tnaucjearDeiiet mit allen unfei'eu 5\raften, mit 2(uf^
öcbot aKes^ Gnteu nnb Gbcin, f/tuanöearBeitet jn biefer
5?6f;c! — Sieform! — <J(6er i()r ^icl fanu i\U\)tß anbetet^
fein, ahS 53ert\)irllic(inn() bcß ^i'bcnfumi^ bui-cl) ^wbcn in
unferer Seit; 2?ei'tuii'Üic5nnij jeneiJ cm;\c\i '^bcalß In bcn
m\b mit bcw oou ber ^c'it öe|TeUfen ^erf;äUuiffen; Cir^
iicf^ung, (ii'f;e6un(5 ber Jeit jnr Z'()m\):ö^)1 — nicf;t abec
S^äüellicrung ber 5:f;anr6f; nacf; ber Seit, Slbtraönncj bed
G3iü;"eIiS ^u bei* glacy[;eit unfere;^ MKwß, — SBir '^nbcix
I^ebürfen ber Oieform bni-cr;i5 miebererfanntc, öcijlijj cr^
fafife, mit aller Saffraft t>enoirnicr;fe S'nbenfnm; — ühct
jened ewi^c, üon Gott alle 3»-'i^'» fm* aUc Seit nnjJ anf;
(jöftedfc 2>orl\lb Ivbarf ntcyt ber Sieform bnrd; uufere
^ekndernuU-f;(iif;nn() cijirebenben S6f;ne btt Seit. SiJ
I - rt ma^yTi-- ^ ■ ^ ^-
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<i:cf)cu (Die ^cu 6f^;a^cu ^cc Seif. UufcmUnii^ uub
^'ifsfouiUnijS i5C(J 3'»^*^J^^»in«^; i^aki ciu Den (iw^cix aurf;
in unforc §ut(cn clu^rlnöon^co' 6(ivbcn uacf; Öcnuf^, nlj5
^c^ £obcuj^ SicU •— UnfoinUnij5! 'l^o ifc jofjt ^cl• Siibc,
^0L• ficf; fclbcc fcnnf, fcnn( Snf^aU uni) 33ci5cnatn() feinet
Gofcl;ic!iJ, — 3nr;alf uni) 35ciVufun3 fcincjJ Q5ci'ufi5?
$00 finb Mc 66r;nc 3i(Ti'oc(j5, in bcmx S3rujT t)ic Zone bct
©oiyi^j^f^vicfc unö ^Cl5 ^i'opf;cfcnwor(cj5 t6nc(cn, mxb tcucn
ÖcifiS crlcncT^fct iOi\rc — icf; fcf^wci^c Dom @ci(^ — aucf;
nui* ul^cc bcn Unifauij if;i*CL* SifÜ'''''?j^'pnif^t? — ^'^^^^ ^^J|5^
iountnij5 düi* altem! %<iß b<[\>oix feinem S'fudevu nacl;
^efannt lüirD, foic iDcni(} voii't) cj5 erfannf, nacf; feinem
S'nnei'n? ^o\x cinei* (Seife t)ie ci'jtcf;enben (fbaüßpflicfpfen
(jofannf -- xmb off d-S öei|l(cfei5 opus opcratum Begriffen,
oi)cc fnj^ ald 3hnu(effenfram juc ^(5roef;i:uncj i>t;D[tfcr;ec
l'Uvi c^a• ium ChtfKut niiji'iifc^et: helfen! 53on anderer
6cifc $flicl)fen bct Gerecf;fij3feit nnb Zichi a(;^ eine 9lU^l•if
ne5cn ^em Jn^^'n^inne, ntcf;f im S^^^^^^fume liejjeni)!
llnb nun b'w unecfannfen, nur <\U ^}'enfcr;enqualei*ci hcf
öi'iffencn ^viifouberunücn bcS '^nbcwfnmß im i^ampfe
mif ^(nfoi'bentnöen flnnlicr;cc H{1 bc$ ^^Ja^ens^ unJ> bec
Svtelv\ mif 5(nforbevuui)cn bei* öemacf;licr;(eif uni) ^^M(i)f
lUi)k\t, — roie foKen fie uicr;f erlieöen in tiefem i^ampfe,
ba Mefe nur bnucf; öeijt ul3eiMuo.oen wcxtcix (onnen, mxb
t>oi* — nicr;f ba \\il 5(n Mcfem ^'nneni fer;U c^, am 53e^
öviff bi^S '^ntcntwuvS nacf; (i)cfa;ict wwb £cf;i*e — wnb baiv.
ani5 an Üiebe «u .ifuion, — bcwi adoiniaen Gejienj)ci\)icf;f
jVjKu Oiei^e i^on innen unb anfson; — \u\b Gemaf;rnni)
b'.efeiJ Ijnneni bafjei* unfoi* 3'^'^ '•'i^'^ »i'^'*'' aUeinijKi^ i'^'il.
^\'i\\Ioivf;eu 6ic bamif bk ivfonnievcniVn ^Vii'i'^'^^i'i'O»''»^
bct Seit! — Siicnen 6ie feinem! ^M)tc\x Sic aUe! —
• • •
Der überwältigende Eindruck, den diese neue Bibeldeutung in der jüdi-
schen Welt hervorrief, kann an der Sprache des Briefes ermessen werden,
den der neunzehnjährige Heinrich Graetz, der künftige Verfasser der
"Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis^Äu/'Oegenwart"
(1653/75) an den Autor der "Neunzehn Briefe", seinen späteren Lehrer,
gerichtet hat.
*
Heinrich Graetzs (1817 - IÖ9I), HiGtoriköP, Verfasser dar
elfbändigen "Geschichte der Juden von den ält.^aten Zeiten
bis auf die GRgrmwart" (I853 - 1'375)
•
( ) Heinrich Graetz an Samson Raphael Hirsoh
16. Dezember I836.
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, I
Ew. H. W. ahnen es wohl nicht, daß ihre göttliche Epistel auf
Hundert Meilen ein Herz gefesselt, das wie von manischer Kraft an-
jrczogen, unwiderstehlich zu dem Verfasser derselben hirtflattert. Wenn
diese y.t'i r.T.za, dieses vom Schmutze falscher Ansichten vereinigte
Judenthum der erstaunten Welt ein wunderbares, nie gesehenes Aleieor
scheinen, so sind sie mir, ieurigcm, nach Wahrheit strebendem Jüngling
ein helles Sonnenlicht, das mir die Dunkelheit erleuchtet, und mir den
Abgrund zeigt, in den er unwiederbringlich gestürzt wäre. Ew. H. W.,
der Sie die Motive des zeitigen Strebens unsrer Glaubensbrüder und
die Ursachen des grellen Abstands der Denkart unsres Saeculums von
dem der Vergangenheit so sonnenklar dargethan, werden den Kampf,
der in einem Herzen zwischen der geerbten und durch eine schiefe und
schillernde Talmudhermcncutik gebildeten Religions- und Weltansicht,
und einer von profanen heidnischen, sogar antijüdischen Autoren
her\'orge hohen und jener schnurstraks zuwiderlautenden Zeitgeistes-
ansicht rege wird, erklärlich finden. Ein solcher dauernder und ver-
wundender Kampf hätte bei mir bald der Irreligiosität das Übergewicht
gegeben; schon schwebte ich an dem höllischen Rande, ach, unwieder-
ruiiich verloren — da erschienen Ew. H. W. Briefe, wonach ich sogleich
hastig griff, jede Zeile, mir ein reuender Engel, gierig verschlang, und
welche das Eis des starren schrecklichen Skcpticiämii? von meinem
Herzen schmelzte, und meine Gefühle und Gesinnungen in rein und
acht jüdische verwandelte. Nein, der todte Buchstabe vermag nicht die
Entzückung auszudrücken, die eine solche höchst wunderbare, von der
allgütigen Vorsehung gesandte schnelle Rettung aus dem Labyrinth des
Geistes und des Herzens hervorzubringen im Stande ist. — Schon die
Anklage schien mir aus dem Herzen geschnhten, und die allmählich
sich entwickelnden himmlischen Ideen gössen mit jed-jr Pagina lin-
derndes Öl in die vom heftigen Kampfe noch blutenden Herzenswunden.
Ich erwanete nun nichts mehr, als daß die kultivierte Welt, Juden und
NichtJuden, nach Lesung und Erfahrung dieser Schrift und Anerkennung
ihres Menschenberufes und Daseinszweckes diese himmlischen Ideen,
an und in das Herz mit Enthusiasmus gedrückt, sich um die Fahne
der Thauro versammeln, einen V'ereinigungskreis um Ew. Hochwürden,
als den Meister, bildend, und alle Leidenschaften, Wahnbegriffe und
Irrthümer vergessend, so die Allverbrüderung beginnen werde. Wie
erstaunte ich nun, als ich später las, wie viel noch die bleiche Mißgunst
und der gelbe Neid über Personen, die noch dazu Repräsentanten
des judenthums zu seyn vorgeben, vermögen, daß sie die heiligste
Sache des Lebens und der Wahrheit so schnöde behandeln, einzig aus
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M. Brann: Aus H. Graetzens Lehr - und lYander jähren,
Monatsschrift für Geschichto und va^^ nschaft des
Judenturas. L9l8. S. 258/59.
%
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dem Grunde, weil sie sonst ihre als Irrtlium erkannte Denkart dadurch
-aufgeben müßten! Nein! Ew. H. W. haben recht, unser Jahrhundert
ist für solche hohe Ideen noch nicht reif. Die Geschichte Allrichterin,
der diese Momente nicht verborgen bleiben werden, wird sie als eine
wohltliätig wärmende Morgensonne, die auf die Aurora hundertjähriger
Kultur gefolgt, bcgrüCcn, und die Nachwelt wird einsehen, wie mit
Unrecht einige Reformatoren aus Unkenntnis unjüdischc Pflanzen in
den Garten des Herren einsetzten und den ***w' beschneiden wollten,
da doch ein Gärtner sich vorgefunden, der die verdorrt scheinenden
Aeste mit Geist befeuchtete uhd ihnen frisches, erquickendes Grün und
neue Blüthen entlockte, die nur auf eine erforderliche \X'^ärme hoffen,
um die schönsten, saftigsten und Icbenvollsten Früchte zu tragen. 0,
welche traurige Niedrigkeit der Zeit, wo die Wahrheit in ihrem strah-
lendsten Lichte verkannt wird ! Ew. H. W. mögen mich nur nicht für
arrogant halten, daß ich vorgäbe, ich hätte die ganze Tiefe der Ideen
crfaCl; ich gestehe vielmehr ein, daß noch viele Stellen, die meinen
blöden Vcrstar.desaugen dunkel scheinen, welches mich um so mehr
betrübt, da niemand auljcr Ew. H. \X'. vermögend ist, mir wahres Judcn-
thum und wahre Talmud-Exegese zu lehren. Ach, darf ich die Kühnheit
aussprechen? Wenn es mir vc:gönnt wäre, in Ew. H. W. lichtvoller
Nähe unsre heilige Thauro, wie Ew. H. W. sie uns reichen, die das
Lob Dawids im igten Psalm verdient, aber nicht eine Kleinigkcitsgrübclei
und Disputationsfiiucrware ist, zu erlernen, damit ich wahrer Jude von
der Thanro Geist durchdrungen werden könne. Wie würde ich dann
jauchzen, mit der reu geborenen Tiintiro frohloken, und mit Freuden
die V^orschrift unsrer erinucliten Weisen') 2"::* ^rsr, ni*::! TD.
rrv TS -Tr.r: rrrr ,— ^r::! erfüllen! Soll denn Ew. H. W. glück-
, iicher Ercund Benjamin allein das F^ccht haben, Weisheit und Erleuchtung
aus der unversiegbaren Quölle Ew. H. W. zu schöpfen? Und jedem
andern soll sie unzugänglich scynl Nein, Ev/. H. W., der Esro unsres
Geistes-Golus, sind berufen, jedem Lehrbegierigen ihre Geistesfülle
theilhaflig werden zu lassen, um an diesem Stabe das hochaufgesteckie
Ziel des Daseyns besser hinankiimmen und den Talmud als Lebens«
vorschriit, nicht al? Futter bringende Wissenschaft, studieren zu können.
Ja, ich bin es gewiß, der gruUe Mann und der ächteste Jude unsrer
Generntion wird sich eines nach Wahrheit dürstenden Jünglings erbarmen
und mir auch einen Strahl Ihrer Erleuchtung vergönnen. In Demuth
erwarte ich also, daß Ew. H. W. mich einer günstigen Antwort würdigen
werden, den Verleumdern zum Trotz, die hämisch ausrufen: »was hilft
das Wort, die That muß lehren»! ^^ndH\;lij^re«ißA&edaaiK.a«fxlciL-^
1) Aboth VI. 4-
Diesem Brief folgte eine Einladung Hirschs an Graetz, der sich
bald darauf nach Oldenburg begab, in das Haus Hirschs aufgenommen
mirde und dort als dessen Schüler bis I840 verblieb. In der
Zwischenzeit erschien - 18^ - Hirschs neues Buch "Choreb oder y<
Versuche über Jissroels Pflichten in der Zerstreuung", das vaeder
grosses Aufsehen hervorrief und Hirsch viele neue Anhänger zuführte.
Andererseits hat seine später vertretene Pordenmg nach Trennung
der Gemeinde, die sich um ihn geschart hatte, von der bestehenden
Jüdischen Gemeinschaft ihm viele Gesinnungsfreunde, darunter auch
Heinrich Graetz, entfremdet. Dennoch hat Hirsch seinen Plan verwirk-
licht. Das Austrittsgesetz vom 28. Juli I870 ermöglichte es ihm, die ^
im Geiste der "Trennungsorthodoxie in Prankfurt a.M, gegründete
"Israelitische Religionsgesellschaft" und gleichartige in Berlin,
Königsberg, Köln und anderen Städten entstandene Gemeinschaften von
der ührigen Judenheit loszulösen. Die von Hirsch ins Lehen gerufene
Richtung hat sich auch in der Folgezeit erhalten und weiter entfaltet,
wenngleich sie eine Minderheit gehliehen ist.
Religiöse Prohleme bildeten auch den Inhalt der zwischen Michael
Sachs \md Moritz' Veit gewechselten Briefe. Michael Sachs, gehören
1808 in Glogau, gewann frühzeitig Bedeutung als sprachgewaltiger
Prediger und lürneuerer des hebräischen Schrifttums. Nachdem er zehn
Jahre in Prag als Prediger gewirkt hatte, wurde er im Jahre 1847^
als Rabbinatsassessor und Prediger nach Berlin berufen. Er bekämpfte
dort aufs schärfste den Führer der radikalen Reformer, Samuel Holdheim,
und bewirkte durch die Ueberzeugungskraft seiner Predigten, dass
Holdheims Reformgemeinde auf einen verhältnismässig kleinen Kreis
beschränkt blieb. Zu seinen wichtigsten wissenschaftlichen Leistungen
gehört das V/erk "Die religiöse Poesie der Juden in Spanien", 1845»
15r war Mitarbeiter an der von Zunz unternommenen Uebersetzung der
Bibel und verfasste Gebetbücher, die sich durch ihre sprachliche
Schönheit auszeichneten. Der mit ihm eng befreundete Moritz Veit
war von 1^39 - I849 Aeltester (Vorsteher) der Berliner jüdischen
Gemeinde und später Mitglied der Nationalversammlung und des
preussischen Abgeordnetenhausesi/'^'7<v'
Sowohl Sachs wie Veit vereinen in ihrer Persönlichkeit deutschen
Humanismus mit jüdischer, in der Ueber lieferung verwurzelter Religio-
sität.
( ) Moritz Veit an Michael Sachs
23. Febr. - 6. März I840.
Ilüt bom ^Iniüna- ^Utonit.'in habe id> .'ino 1 "j":üuMao Unter-
l\'^llU{"^ diii idncm f opha schabt : .'in Zlumn roni ticfücn i3lt.f ,
ron vuu'r IPafbcit ini6 ^llik'^o, ^io nur ^^o roifo ^\vu.U lobcnf.-
Kmacu Iuui>^oufon5 K'in f.mn, nur uvir ^uuviU-n, alf- ob id^^6cn
alt/n bvwol borto — aber bei alloiu ^em foin ^llininor, tVin Uumn
^cr vTbaf, fon^om eino (.^clcbrton Tiatur von xbcciUv rd}önhc\\, fo
i^cal, ^af? fio buvd^ bw ^cvxdmuuy mit bor irirHid^tVit (idi ic'mb-
UWcs ba-übrt, Aläd>(ani {voh\inft fiiblt unb fio orft nad> foinon U\\'
Aus ■ rittsgosatz: Durch dioses Ges tz mxTcle ein Austritt aus
der Synago.-ri'ön,gemsind0 olm« Austritt aus dem Judentum ermög-
licht, allerdings mu:öte eina nirklärung ab^^egebon ~,V8rden,
dacG dor Austritt "auß reli^^iösen Bedenken" 8rxol:;;e, Die
Aus L^etr.'! tonen konnten sich nun zu neum selbständigen
Synaß-o /jengemeinden zuöa,rQm-3n3ohliö;3sen, Ss oind nui* xünf
Auötrittögemeinden - Berlin, Franlcfurt a J.I, , Köln, Wi.^shaden,
Könir^sberg - gegn'lndet v/orden, S3it dem neuen allg.preu;;^.
AustrittB^^]:e3etz vom 30. XI. 1920 C5ind auch disse EinGchrän-
kun{:?3n aufgehoben«
lliohael Sachs und lloritz Veit. Eriet^vechsel hrsa'« von
Ludvdg Geiger. Pranlifurt / II, I897, S. 30/3?.
/.-
Zliiiii
li.ttoM .-^;lno^olt hal\Mi iiK\iMo, l>opor n* n.-i> mit ibr niiLifU.
''!^"-' ^'^y.! -'*^'^"^'"^^»^'» .>^» iliin habvMi, iiiii c^io f K-lIiiiu;, Mc or ud>
{;ü'bt, für__irabr 511 IwiUn. £r bat IwiiiitninV roin Ju^c^tbl^u:
nn altor sLa[mll^ift, bcn cv alf. 'Kiiabo iiiina i\Tobi-t».\ irar ü'in
"iobror, tiuiii mitj^to ibm in :!llIoin, um;? er üüto, Kod>t Cscbcn, nur
nid;>t in ^cl• Ialnanu^'n^lln{s.
^ ^r will luiiulii) liorrihilc dictu niU boni €nbc anfauAcn,
Mo "u!^on follon nd> über ^io beut ^n ^i.iao wsülti.-so (OriuiMa^sC
^of. Jll^v•Mlbl^n5. orflärcn, boror ^or ftaat fidi um ihre rcli^sicfJn
^lnadv,VsOul)citou bofünimorl; unb Mofo ^rfliirun^ will er "nid>t
einmal burd) 3crufuna cinor im €6ict rom \\. lUäv^ \S\2
rcrlVrowivMion 5yno6o bovboifübrcn, fie foll rioimcbr aus bem
jnnern 5cr O^emcinbc borror^-sebon. irio cjej'aat, ironn id^ nidn
ic'uun ^baraftcr im (öroneii imb o3an5on beurtbeilto, (0 uniröo id>
eine toldn' ^'riumutbuiK; für ^\clonie, bem l)obno Ser ^"{rombon äbnlid)
baiton, bio ron bon (nofauaonon forborn: finaot uns oin tio6 von
b^'W iLioboru ^lSiouf•!
irir; bio iv\Y untor bom Pruof bor luibinotforbro rom jabro
\S2.') fdnnad^ton, naoi) bor bio l^olijoi barauf cid'>t:\\ foll, bajj
in allon aotto=-bionf:lid\Mi PorridMunaon baf- alto liorfonunon
frrona aufrodjt orbalton irorboii foll, unr follon oino froio vSr»
fläruna übor bio O^ruublaaon bof- ^suboiiibumS' abaobon ! 3"
früboron ^?^oiton bat man unf« aoaoi]5olt unb rortriobon, Ijout^utaao
mad^t man uumö/äid\' ^Inforborunaon ^m uiif-, mij;t uns- mit
frombon ^]iaa]5ftabon, oin aäfiiao? proh'ufiof-bott, in ba? man unf-
oinfpatmon irill. ^1od> obo man uiir- an5ufanaon erlaubt, follon unr
am >£nbo fein!
IPo ift jomalf oino ^voaoiioration oinof' i?ofonntniifei- burdi
iboorotifd>o I'^ora;if-foranK;;u boarünbot uvM-bon unb nid;>t riol«
mobr burd> bio f:illo Zllad^t bor bofforon o"^eifier, bor fidi taufenb
jnbiribuon \n feinen IPorf^euaon irablt unb am Cnbo s.md^ bic
^•joinbo bor IPabrboil ^u feinen aen-'oibton Pionorn orböbt. ZÜs ob
man roin f taat i\"rluH.;to, baj) er of übernobmen follo, baf- juben-
ibum 5U reformiren 1 IT-.ir bio iSinberniffo freier Sjitunvf hin/» foll
er fortid^affen, juir bio öTräaer unb ^£oiIor biefer »^utundhina, bio
Kabbinen, probiaer, tebror, I^orftanbo al? foldio anerfonnon unb
bureii biofe ^Inerfonnuna mit bem allo;onu'inon CDro>anifmu» 60»
rtjjtei rorfnüpfon.
ilbor oben biofe I^orfnü^nun^s ifl or, bio er fürditet, er
unll feinen rerbünbelen feiuu'ii, er mill im Torauf- UMffen, uvbin
all biofe ftrömunaen rubren n\'rben, um mit rollor fid)orbeit
ein neuer Sloiuont in fid> aufiiebmon .su fönnen. ja, bu lieber
inott! Peine ."Sufunft forbern fie eulbüllt ^u feben, ber»or fie ba?
notbmenbiae, unerlä))hv-lie I^erf ber tneaennvirt rollbrinaon. Paf-
finb ;"ure ^lufroben unb um fo lael\'rlid\*r, alf- man nid^t ,^uaobon
irill, ba(; man jonof- aefürdMeto o'^ift fd>on lün^sfl irn teibo l^at unb
nod> immer nidit baran fro;'irt ifi: bio f trauf; iSonaftonberaifdK'n
Ixräiiun'o rubren aen-if; nid;»! baron ber. luir bio aofet}hdio ^In«
ortennuna feblt, oino f ad^e b;r ,\orm für bon f laat, oino Kobens-
fraao für baf- jubonibnm, baf. alr „prirataefellfdiaft", nno or ron
unfern (^ofoiion anaofoben uürb, nid^t ojoboibon fann.
ronft fao;to bor Zlünifler fehr riel (y)utof- ; bio ^äd^TÜdifoit
bor l^oorfdv-n Xompelf , bio riülonfarton^ilbaabe boi'm lieben IVTraott,
bat or trorfiidi bar^joftellt; ia, ohne fie 5U billiaen, orfiärto or jene
berüvd^tiato NTarinelf-orbre alf- auf einem rornünfti.jcn, jenen iTbor«
beiton abironbiaon jnftinft bof. "Königs» l)cri>oryOv>anyon. IDonn
nur nidit ba» Kinb mit bcm Babc pcrfdjüttct iporbon wäre! ferner
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(\'fIac;to er fid> über b^w lUc\\\c,cl an trifKJiMmfilidicr ^^chaiiMiiiu;
^o^ ju5oJitl)unii., luiiiu'ntlidi .Sof- 5o{smati)d\'ii ^boilf.," iroriii id) ibin
mir idniwd) \v\^cr\yi\dy,^n fonnto, \Na id>'loi6or wMo Csi\>);\cn Ivräftc
partoi ül\'rLiiu-n Uhc.
l\od^ eine .^ll^cro übcv ^lu-iifdu-u .iohvMkSo ,\or^a•lIlK; irir6 ein
Mo ju\mi hior 511 *Lan6o ^soiiuidu, iibor c^ic 'id> roräoitcni mit
rirodfii|; ^iiKimnu-ii ^sotomiiuMi bin. Z'uw eben c\nc,däuicnc neue
Vcnun-^idiL^n c^cyn (noi.;n' iiik^ ^io rorlniiiMmu;oii üI\t ^a^ ^Toinim
^^'=- rorfäiiaa-f. vsalvu ihm ^11 .s^r ^v-lviupliiiü; ^liil.if;, ^io imu-ro
niu'ini.'sfät l\-i ^oll jiuSoii l\c\w ferne beiieie V^eiivebunc^ aiiffonniuMi.
v£iiu' .SiUiridVUtiK; i\'rlan{-sOii fio ohne o"^:!!!!-!!!:.; I jd'> iielWe ihm
^oll inneren J^iviei\^e[U bev f laatf.roli^sioii \\\\ 'obSeid^ bev licnic,
bev cbevite is.mbei-b\)d\^\ unb allo Zliaditiaoii unb ^u\;icror eiuf ü'e
vei-eibet )eijn unb im (n.Vsoiifal} 6af. in iinoiiMid) ridÖ o■^onK'ilI^o^
.v'rriiKiK' jju^oiitlium unb lief} ihn bie o'^oiüof-nuid^t l\'iiniiiborii, ^io
boi ^i;K•r ."^oriVlittoriin^s oiuo joldu* ^Sinboit or.v"iUu"ii fomito; ja ev
mu])\e am >£iu^o ,^u{;oK'bvMi, iSaf; Sor "SirioHMlt iiii-nuilr im Po.-siua,
loii.'^v'rn in ^;r rvluuoiVii *\'bi'iif.v.M\'^»iuiK-; bv\;riiiu'^d unb b,\bev weil
Iv'id'tor .uir.;u.;U'id'on |\'i. €r l>at moiiUMi ^'jromiutl), ^oll id> Mr- bw
n\nlKb)U' tobv'ii; f hu; b oit immor nu-br tViiiuii [evne, ibi .;nl
iiiJK-sonomuu'n nnb mir .>'iu*rii oiiu'ii l'viei poll ,\rv'iinMd)iift
.\o"d>rii'boii."
( ) Michael Sachs an Moritz Veit
17. März 1840
jbro 2hI^icll5 bat nnd> iinoiiMidi itUoroffirt, unb ivai- ric
bomorfon, iü fo^ ivabr, )o buvd->du^ auf. 6om :ruirfc .^;r rad^c
acfd'ö^'ft, ^an rtid>tr bin5Uv3ofüat l^or^on t:nn. V)dlUn r\e aber
aud> ^v'm Zlnnifrcr 5U (.Oute, " u\ir unforo KabHiuT, Prv^iacr,
Kefcrmatoreu, ^^^j'^Ii^. iCutbor?, vTalriiif — bei aller fritifdieu
unb auatomifd>*rt Oefdnd:iid;fcit reracffcu o^er uidn aelernt — ober
nid^t iviiien uv^llen, ^ai; ^ie Ivben^iae i^eipeaun^, ba? 5uefeu5e,
puInre^l^e tebeu, fid> nidn in J^ormeln, nid>t ^urd> üarre ilb«
ftraftioiieii, ludn ^urd^ boble ^beoreme bannen, beraufbcfdnrören
o^er abtö^ten iai"(e. fie uvllen 6urdi d\'inifd\0(na!yK ^ie i^efranb«
tbeile ^e^. 0raanifmuf erfenr.en, unb meinen, ^urd^ iiefe ■>£rfenntni^
^ar• €eben ery-uaen, nadifd-iaffen 5U fönnen.
ITabrbaftia ! lieber alle ^ie ^\;tua^Co^iee^ mit ibren illinurien
obferriren — alf- auf eine ^\^rmel fd^^rcrcn, uv mir im Zluöseublide 6e:?
^lu5lVreei\'nf ^af• l^lut erüarrle, alf- f^rradi' id^ eine €üae auf, alf u^iber-
leale mein Ieben^iaes• oraaniid\'r (nefübl ^en nüdUernen, rem trcdenen
^en"Ian^e 5u(an;mei;aeleim:e]i >£a]ion I U'^arum üellen fie fidp nidit
mit ibren Ixraften un^ ^Sinfidnen in- lutdins ros'? irie eben ^ie
perfonen unb rdd'>en iinb, wie fie ^iefeIben rorfinben? ^Uadien
fie'f ^od^ alle, alf- märe ror ibnen aarnivi^lf- 5aaeirefen !
>£rn neulid; faat' id^ in ^er pre^iat : I)af dan^,e liefen un^ treiben
im beuliaen jfrael aebe von ben\ falle (T^iob) auf-: „irirfinö von
d:\tevn unb uMffen nidMl" Pie cnef^d^id^te flubiren fie alf ein jfolirte:^,
Tutoren unb r^üdv'rhtel eruiren fie mit öerfelben ^en.;ftlid;t-eit tpie
u\'ilan^ ^ie ^Irifdnmafrerbälrniffe ron boborbecholov. I)af nennen fie
minutiös, aberunnial ibre Ilr.h-oloaie ift bie redete! (5i:bt es ein
3u^c^dbum — un^ ieij bitte mir auf, baf? man ef. iiidit in schema
jisracl, — irie mir einmal >er T^au^nmann Inire; faate, 6em id^'f aern
binaeben lie)) — rerMinne unb bieien '-Srtraet alf- Sie ^Sffen,^ be5eui^ne,
bie feit jabrtaufenben in lebenbiaer, h-dftiaer relbftiiviniiat-eit fidj
_^u einer <£i:tera:ur, bie immens unb rielfeitie; ift, une nur iraenb
eine — unb 5U einer eonfeauenten tebensanfid^t fid> beraufaearbeitet
— fo tretet in bie f ;?uren ein, bie ibr febet unb bilbet es mit feinen
Kräften u\'iter fort! aebet ben erlabmten C^eiftern fdnrune^, ben
,•;.,■ -.".TTTT^
a.a.O. S. 34 / 37.
•
mattvMi Uniu'ji lüwn, .\'n orLibnu'iuS.-ii 'iimccn flärtV, Iculci c\mi
rd>oo^ cV-r t.-bro auf, föi\\'rt Ta-boraonof. aii'^ tutt, ^iobct .Non
.vaanbuiu cV-r iriiK'nfdvift, :IV.USuik; biiioin imb fo ' bcm o3aiKoM
neue rärto 511!
Pjr fü^^onl\^■;i|tor altor KabbiiuT uül>t mit. vwr uidM^
— ^lo pbiMlvoIo{;io ron ^Sa- ^rfiarrinu^ iiub Va-h'^dwuns.}
aud> iiidit !^ P.if hahd für cud\ b.r^u icib ibr ja eben, icbcn 11116
(5ent unb ,\'nid\' in ^io CoMofiaMt 511 briiu^on'! ftatt 511 bdcben —
frttifirt ibr, ftatt 511 hdicn unb ui boilön, or.säblt 'ibr uns eine
^cuyxd^U bcv Ix'ranfb.'it! cSjo nuif; cVt :ir5t fonncn, aber nid^t 5cr
Patient, irie 6er irie6er aefunöet, alaiiH cv's citd) acrn auf':j
IPcrt, 6a|; er früber falfdi beban6.it iror6en un6 6äf; ibr 6ie
:iref^hilare un6 rv4';^ofralef fei6: ^Nbr niad^t e? cud^ jum (nefd^äfte,
bier un6 6ort eine uniu6e f teile aiif3ii6ecfen — n^ariim 5eiat' ibr
nidit anf 6ic aefun6en ? — ibr fudu-t 6ic ränräd^en bera'ii> —
nmrinn nidn lieber 6ie l\raft un6 6ie ',^'ülle 6er Porban6enen räfte?
jdi rermiffe an Zud^ :\e6Iid^feit 11116 €iebe, £iebc, f^inaebun^j,
Uacbfidn -- blin6 bin idi mabrbaftivj aud? nii^t! — aber es ift
eine {;ute Sady, 6ic in fii? ftarf w^enu^ ift/ um foldic 2(ftcr^ebiI6e
511 übertrin6en un6 auf-5ii)diei6en. ISabt ibr für 6af jntereffe, für
6a& ibr ftebet, feine tiebc — fo laffet csl cf irir6 fidi fdion fclber
belfen, un6 aeuM)) ir>ir6 6ie iiatürlidie IV'ilfraft 6es 0raani5mus fo
riel :bun, alf 6ie friefniütterlid\' rfl'-'{»e eine:? abaünftiaen ilr^tef,
6e:n ef^ nidit uni 6en patienten, fon6ern uui feine vLbeorie un6 6en
lladurei? ibrer Kidniafeit 511 ibun ift ! —
03eben Sie ^Idit, liebfter Peit ! ob jemair ein Propbetenmort jet^t in
einem an6ereni rinne eitirt u''ir6, alf- inn iraen6 einen i3elea für eine
Liebliii^vf-nieiuuiKj ab5uaeben! rie irer6en alf JSeuaen für öaslIeaatiDe,
Peftruftire berbeiaebolt — 6en aeiraltiaen Zcn ibrer leben6iaen 6liit,
ibrer aläubiaen, feften, eifernen ,^^ll^erjld)t, 6en erfennt man äfibetifd>
irobl an. — £oirtb, i7er6er, vStd^born baben'f. aetban, alfo 6ürfen
irir'f- nadnbun — aber 6iefen fvininiuöi 6er cneaemiiart aeben, 6ic
in ihrer ^llattber^iafeit ibn uiabrbafti{> braudien faiin — nein!
Das iü mvftifd> ! Iraf- 6ie Iv-rren für einen Pünfel baben ! IPenn
fie nidn für 6as. reine IPaffer 6er ^luf- 06er ^Ibfläruna foraen —
märe länaft aanj j- ^'^^»•'^ "' ^'finfternii; ! - „Pürfen unr ]e6ernc
fdnibe am Jörn Kippur traaen ?" tebeiirfraae 6ef- j"^'"'"^^?^"^-/
erörtert in einer lanaen pre6iat am rerfobnunaf-taae!
„^lieine an6ädniaen .'Subörerl iei}t ifi 6a? Jvibr 1S4.1). IPir
muffen rernünftia fein un6 irollen l^üraer fein! Pa 6ürfen irir
6urdi nid)tf. auffallen ! rebet, (.nott irill ein reines- l^er5, einen
baurVad:enen rerfian6 1 'Zv tebrt fidj nid;t 6aran, ob .Sure ^üije
mit ^il5 06er i£e6er befeinibet iin6, riebnebr 6aran, 6a{; fie naeii
feiner fün6e aeben! vSua-e Tviter u\iren 6umm ! fei6 flüaer
un6 erleud^let un6 Riebet foaleid> rtiefel an! fonft fei6 jbr
0rtho6ore, ^"{anatifer, IV^eri-beiliae, ^ormaldubiae! Pann fei6J^sbr
^llvfrifer, ,'jinf:erlinae, — 6ar- reine "Mi6euibum 6a£- lautet: (Tbue
Ked)t in:6 fd\'ue rueman6 ! Pann braudn jbr f'einen Terfobnunaf"
taa! Pann irir6 6er cneift 6er s£vleud>tuna um un? un6 in unf.
fein ! tlllfo möa' e? aefd\-beii ! ^imen ! ^Imen I 2lmen !"
jft e? ein IPuii6er, ireiin 6em afd\u-auen llibilifimis einer«
feitf. 6er tolle i^irfd) mit feiner pbilofopbie 6ef fdnildian ^Irud^,
mit feinen ■-ri6auf; un6 ^ni5n^au{; in feiner pbilofovbie 6e5 ^afdilidi«
madn'iis entaeaeneilt? un6 bcvv ZlTen6eI be(; — ebenfallr ein Ter*
treter 6er reinen Penfaläubiafeit liraf bätte irobl iV'ael 5U 6em
fauberen ITorte aefaat? tiefer fd^önen liateaorie 6er neuefteu
iü6ifd\"n Keliaionf-pbilofopbie?) — breitet in feinem „jfraeliten"
6ie „aefuii6en Zlnfidnen", aeläuterte oeariffe auf, 5U Hun un6
,'Vrommen 6er 6ummen 3^'^^'"' 5" 6enen id;> 5. 3. auwl^ a,eböre.
I\'rr i}ef; fennt ^irar irabrfd\'inlid> faum 6ie i?ibel, nod} nv-niaer
c6eift un6 jnnalt 6er ireiteren litterarifdv'u »SntUMvfeluna. 3"^^M5 —
er unrft vrai^iifd^! — (D 6a=- ift eine faubere IPirtbfdKift! IPabr«
bafiij;! 6ev ^Innifter bat ^u'd^t! — Pie »"r^eloten nennen 6ief.: IPefen
(Öottef; id^ nenne es: aeiftlof-, 6umni, närrifd\ unnül} !
Podi u>05U 3^?"^'^^ 6ies- ? ^]iün6lid) muffen mir bas erörtern!
jd? fürd^le, 6a{> id> j^?"*"'" unreritän6lidi bin! jt^^} ^^^'^^ ^^^^^
/;
vli\'il\*nf-, iric ct- l'if-h.n- c^c\ib\ werben, b.if- wcd} ein c,\\i Zhc'xl
VoUc[u\'id\'V rafto, ^urd^ pjr. ^\l•iv^lan^cl•f• f :ii6fdy4-cibon ^'J^^^^'^if«^'!?
oiiiöiv'fübrt, in fidi träat. v£r ift i^odj halt n\iuv nid^ii als : Kcli^ion!
nun ja, man braudn fio wohl — tbcilr als ^luttcl 5ur i^äubiaunoi
^os pcbcls, 5um ■l{c^cl• ^cl• Pimmu-n ini6 öaim, — in aciriffon
ta^-sv'u ^os £cl\'us. Per Ol•^v'ntlid1c !lUonfdi hat (ic fir uu5 forttJi
an ndil I>cr Ivluac ivci]}, was Mo c>^rcv"fo acfdilaacn! Zlbcr 6as
Tc^If — 6as Toff — für ^as niüffon irir fein.
iras tbut ^as Tol^f T ZUU ^aac, faat ein an6eror: jwij bin ein
Ivluaer un^ nimmt mit ^iheil an bcn IvTathunaen. Pas Parterre ftcüt
fid) auf ^ie l^ühie ! lOo fin6 ^ie f diaiifpieler ? IVo 6as puMifiim ?
^»{ür iren lrir^ aef^ielt ? — Öeniia 5aron ! IPcnn fie nud? nur rcdit
^erftdn^en ! cneift uu^ toben, ein böboros. iboollcs Zllomont überall
5u orfennon, ^as 5rfannto aus5uf;:rcdien, bas j"^^'"^^?""^ ^" feiner
Zluid^t un^ l^ür^o als eine ^Inleiiuna ^u biefor heberen ^^affuno;
^es *£obens ^arsuftelIen — feine jnfiitutionon als tlusbruot' feiner
J^eon, feine cnefd^d^to in ihrer bolohronben, erhobonben ^llavl^t, bic
riimmen feiner o'^oiiosmdnner in ihrer tiofaefdicv'ften, tief ere;roifen6on
"Ixraft, feine ■il^o^eutuna für ^io cneaenu"'art, bio bor (5ej;enaMrt für
uns — 5um l^ounifitfein 5U brinaen, bas fud)' id^, fo ireit Wott
helfen umII in mir felber un^ in bon i?üd)ern unb ^d^atycn bcr
IPeisheit meiiios r*e^Ifes — bor ZHatiher^iafeit unb 0hnmadit, bcr
l\newdnfdiafl unter bem l^anne eines uiaterieUen aobau»enlofen iTreibens
bon l^orolbruf 5U anbror höherer ^Irboit, jur Huliuii^ oMcrer luäftc
entaeaenfdiallen '^u laffen — bas ift mein i3oruf, un6 idi hoffe 5U
(.^^ctt, aaiij umfonfi fiohe idi nid^t ba\ —
V/ährend die Rolle, die Hichael Sachs als einer der grossen Gegner
der Reformbewegung gespielt hat, bekannt ist, geriet der ebenfalls der
konservativen Richtung angehörende Rabbiner der oberschlesischen
Stadt Beuthen, Israel Deutsch, in unverdiente Vergessenheit, In
dieser starken, gläubigen Natur sind die besten Elemente des tradi-
tionellen Judentums mit unvoreingenommener Weltoff enheit vereinigt ,
TCr war ein geistig überlegener Mensch, in dem richterliche Strenge
und verzeihender Humor sich harmonisch ergänzten. Dass er Abraham
öffentlich
Geiger wegen dessen Angriffs auf die Orthodoxie/_entgegentrat,
bleibt eine üJpisode in seinem äusserlich ruhigen Leben. Eine Reihe
von vortrauten Briefen an seinen Freund, den Kaufmann und Lehrer
Abraham Muhr in Pless, den "oberschlesischen Judenkönig", wie er
Yfegen seines tatkräftigen Eintretens für die Emanzipation genannt
v/urde, gibt ein Bild dieses Charakters und zugleich Aufschluss über
seine Haltung, der Muhr positiv gegenüberstand.
Die von den Brüdern des Briefs ehr eibers, Abraham und David Deutsch,
\ > i
herausgegebenen Briefe stammen aus den Jahron 1Ö37 "bis 184^. Obwohl
die Briefe Abraham Muhrs nicht erhalten sind, bieten die Erv/iderungen
. >,:..' :'■
4.
53
Israel D -utsch (I8OO -• l83f^) .
** ■ Abraham Muhr« (178I - IÖ4)) .
*"* Briefes Proben au£3 dorn literarischen HaohlaBse des Hörrn
Israel .Deutsch hr«{^, von Abraham und Dairid Deutach.
. Gl6ivdtz 1855.
'/
•
/:
Deutschs Einblick in die von Muhr vertretenen Anschauungen
( ) Israel Deutsch an Abraham Muhr
Beuthen, am ll.Tischri 5598,
(10 .Oktober 1837).
• • •
Ich habe nur ein Heft der G-schen Zeitschrift gelesen, und
weiss genug, Bequemlichkeit, ungebundene PYeiheit, Neuerungs-
sucht und der alberne Drang alles nachzuäffen, sind die Motive
ihres Treibens, und nun wird Alles aufgeboten, das Heilige
lächerlich zu machen. Hier sieht man Unglauben mit Fanatismus,
der Waffe des Aberglaubens; mit der i'ackel der Aufklärung
will man das ergrauet e ehrwürdige Gebäude der Religion in
Asche legen, und auf dessen Schutthaufen ein modernes Judenthum
aufführen, ein Judenthum, das eigentlich nichts anders als ein
schlecht korrigirtes Christenthum, ohne Christus und Apostel,
ist.
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) Israel Deutsch an Abraham Muhr
6c5r cucrlfjtT /icuiiö!
(l\\Y.\q ivivk: c? ;v,'r ir.c.^I:^, tcr 53canlirortun{j O^^-cä unfan^t u:',^ In«
V:Itr:id;::i Sdn-cibcuJ eine 3Ju:;i:c tcr ?3ii:[;c ju iritmcn. ^d) I>al'c jene:
2r:;rc;l\-u iüd;t, ivic 3ic i.\-iuuitl;ctcn, iiad; '^ro TO ['"! tcrurtlicilt, 'jicU
n*.:!jr I;^^: ic'o cu ivol ai::DcroaIu-t. 0}u"öc c5 ium Scircifc ticr.cn, ta^ ?Jicn«
f6:u, K^cnji fic QUtc uu^ cMc t:ltfi(Mcn ll'cilcn, i;nmcr K-frcuiitct fein ft^nncn,
füren aud^ il;vc ^Infid;tcn wci) \o abircid}cut> unb i>:r[J ictcn.
SDir fuib, iric id; rjaii'cc tvivin ciniv^, taij tao S»i^cnlln:in t^anirtcr liege,
tcr .^*r;Iic t:trn-ic uub '.rfr.iid^cn ivir cifvig taltigc Sicilcninvj. ?}iciuc5 Cnadn
tcu* iraltct I;icr nur Sd^ivVt'C i!u^ Qroi^v.niv.ncj cb; mcn torf bei[>cv nur fiär«
Icutc 0?;ittcl ünivcn^cn, tic ?cI\'Uvi\ciftcr cvmuntcvn, unt tic !3cncn;n3 unrb
r.id;t ciivblcitcn. Wintere HnöCv^cn U'ollcn ^ircl'o: nnb 53rontjd;atfn ül'craU
jval'vnclMr.cn, glnnK-n, ade äiijjcrcn GUictmafjcn niüiTcn cImk aUc 2d;cnun3
cS;;criOnr.r.cn u^cvt'cu, v.m nur tao .^crj ju retten. ?iter unvt) taö fd;UHid;e,
rvaufc .^crj nidt bei tcn geföhrüdcn Cv^cratiencn inUevIicijen? —
2c.6 ^utrntlnr.u i;1 cnl'.reter unmitlclbore, Qi'ttlid^c CftcuKirung/ rbet
i\\ c5 nidt. Cmh (ev-tevn J^rdlc k^I,nU qv ber 03iübc ^ar nicM, taccn jn rc^en,
•l:r.^ lU'.r tlun'icl;t fann id/ö nennen, ircnn oc'i'iii''^ tvVo c\crinö'le jeitlia}c CMücf
fiv.er 'Vidi.jicn ci'ir^'U u^clu,'c fid; aly öottlid; auoo.ibt, rhic c5 ju fein. ITviö
(i«3cnt'itd^ moralifd^ C3ute (;al>cn fc jicnilid; alle Oieltsiicnen {;enKin; c6 MciM
fi6 brdHT teiuabc cjicids cb tic eine nKl;r lhuvaf;vbe{ten ju glanben gebietet,
c^{i tic anterc, ivenn lhr.ro.bvI}cit tic alKieuieine i23vi|lö aller ifl, unb am (5"ntc
$etcr trd; fo ^nel «■\Kuibt, alo il)ni \\\x Sal.u-heit ju l;alten belicM. 3l1 «^'cr
fca5 ^iii'fii^l^^'i" Cfienbanniö, fo i|l ci ycrnehmlid) ta^» CSernioniellc, ireld;c«3
im C^cfcCiC allentOalben rcrl}evrfujtnt i|l; bay !r^cöinatiid)c i:nb 0}icranfd;c —
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a.a. 0. S. 32/35.
G-i3olien Zöi-bschrifts "IViss.nscliaft liehe Zeit:.ohrift für
ri
^jüdische ThoolOt^^ij (l835 - I838). rirs;'^^ A'brahxam QigoT,
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iw fehl. 3i"l alH'v taö CSTcnuMiirllc (^öKIiific CiKnt'OiVun'; , [o l'ctavf Co feiner
5ru'nn!r.it;^jnV.\i-c, v.nb fialt aller 'JlV(Viincn(c ill c-3 iicmiil, u^cuii unv UMifcn, C5
i';i Icr ^\?illc tc- ^IH'.rciicn. Csutcnlbum ol>nc Ccrmonifll i|l bal^cv ein llntinoi,
ein jrrtumvtcö (Meu^r.l^, u\Mdu'C' niebt iMiüiu^t, nid)t fd)mü(fct.
Sic S^cc, Csntnilhnn unb C^cvnuMiifll ju Ivcnncn, u\iv ül>crrninvt tcm
nCKUicbntcn 2vil;rlu:nt cvt yrrl^cKilten. Unler allen Seelen, tic eo unter Suben
OC{icl\^n, i]! mir niri;t l'cfannt, taf; jene of'cc je aufiviand;t, inctmel;r i)! tiefe
?3ianmc rein d,n-i|llid), ee» i|l tic Celu-c teii ^anlu^S ^cr jcbcd; er]! einen ....
jur eütnK (vcuii^cn lafjt, um vcn; Ccvmcuicil entlctiat ,ui fein,
S»u^ \c[^t fo alfejcmcin oclaufiii ocunn-bcnc, (uHlnridui^je'^'oovt ,,jci(^]cniä|V'
unll mir aufba? Gcvmcnici(c ö^'r "id;l kniffen. S)ic 3cit ilcbt nid;t fiill, Imt
von euuej Kt ^^crantcrune^en I;cvooveic(n'ad)t. S^on ?]iiofd;c Imü^ ?)uilcad;c aber
dl ein 3c''^'«^l^"^;''Hlt ocu mein' rJo taufcnb SaM'cn, eine 3cit lu'd^rt Ocirc^^t, U-.
tiUtnn^jo-- i'.u^ v\ntanejnir;i^cU fi:v ta-' Sut'cnlljum. 2)ao jütifd^c ÜJcid^ Init
turd^ taö C^il eine totale Unnräljung erlitten, Mediation bangt lu^m vcvfif.i'cn
Ginfliiffc cX\ ^r^cnn Sfitumiläntc je auf reli^iöfcö i*ct'en Ginfiiif} I;abcn ti'U:
\\c:\, nr.:[;tc eo \\d) tamal5 am auv^cnfdicinlirfjpeu aupevn, aber ivir finten leine
(2vur 'oou irejcnb einer jcitjjcmäjicn Dieform; n^ol fmben unv Inngcöcn, bap
o?;aieariu fagt: Ti") :^-)nn ir.iX r.^i t:;wX n^r H'^/O n-)*in nir
S^'i/ ^iViU CcrcmonicU, alö öoltlid^c Cjienbavung, übcrr;aupt jeitcjcniä{j
fiCnanut n^ercen, fo tüvftc c5 Qerabc jc(^t in feiner 3cit [ein. ^Ibjjefckn vuni
nllen *')rtr^ün V^r*^, bic Scbcr nun uad; 23cquemlid;{cit, ^(nfid^t unb vc=
lioiiöicm (i)efüM untcViUlcgcn fud;t, MeiM mcincö Gvad;tcu3 aufniicmadjt, bap
baö CScrnionicK übcvlnnr^^t ein uationalcy 33inbunejomitteI aller fübifebcn 031au:
bcuv.^'^^n^'^ ^J^^^f'^ Y''^) ^ibßcbcn foU; \\U\)i minber bcabild^tie^t e?, ein Slrcu:
nuuiji-niittcl, in religio fcr .^inftd^t, \)on anbern Ölaubcnvjjcncfjen ju fein,
^cniebr nun ber Subc fid; {nncrlid> jum Diid^ujubcn bingciCßcn füMt, jcmebr
er von bcjuiclbcn ^Id^tung, fSoMu^oUcn unb büre^erlidjc ÖIcidMlcKung ocnicjjt,
jemck ift er in öcfabr, feine ^uaicnalität ju rcriäunnen, unb mit anbern Q^öU
fern fvurloi' jufammcnsufcbmeljcn; unb ba i|"l ^<\ö CcrcmonicK, alö auijerlid^eü
?Ibjci6iU unb ir^arnunvjfinittc! bei {cbem 3d;rittc, cjerabc C[\\ Tvt unb 8teUc,
ba if: eö eben, wo eS feine ciejcntlid^c ,<;iraft, feineu u\ibrcn ?^tut>cn bcfuuben
muf;. Sie Siid;tiejlcit ber in^bauptuuej evbellct jur Öcnücjc auo eben bem bart-
nauio.cm ^i^ibeiftreben eje^jen ba3 (SevmcnicK, baö \\d) je(?t fo altejemein fnnb^
Qibt. ODian benuibct |lrf}, jebco äu[;erlid;c Scid^u^U; baö ben ^itbcn bescidniet,
ju \>evbunncn; bau CScvmonieU i'i aber eicrabc taruni ba, um ben oubcn viu[;er:
lid) Fennllier) ju maeben.
Zu) babc bicrniit mein Giiaubcnvbcfcnntnif; frei unb offen aboelce^t, obnc
iebo6 über benienivvn ba5 ^Inatbciv.a auviufpved}en, ber firi; für anberß über;
jeuf^t I;ält, in fofcrn er uiebt anmafienb c^tmuy \]i, feine UcberjeueiunQ Qluberu
aufbringen ju roollcn. Unter ben obiraltenben Umfiänben, iro alle v^liref^en^
mad;t, aIleö^vircf^cnrcd;t unter ben^ubcn aufijcl;ört, u>o man baber nid;t mebr
•) 2}?>ircc:6i 3, 23,
••) X\c tcw tiMifcf'cn ©cbotci; nutcrijclcj^tcn ?(l'fid)lcn.
— ) ^cr. Q, 1.
5. 2).
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hc\r.\, ur>^ iriv K=n:u-n xwhu:^ \(\c[(\\: -jVn^X Cw^D '^'X "li'r* u-cun man
nur o.r.J^ unö unicivC« ^^i?cf,cö i\c!;cn Iäf;t.
^)U\\ U\m\ miu; ci:u^u CI'Kiirantcn einen ^tocI:nin^tt\vcn \\.UUm, meinet^
U'Cjjcn! man muf} j-M-t mit tcm ^vin^l^clcn [ai]cn: '"j'Z'Zoh 'm: Ti u.[. u».
O.iiuj} man ild/c' torf» knljuta^ic ßefaKcn lapcn, fobnlb man ^Inftanb nimmt,
einen f,cf;Mirtai Spaicn 511 cjicn, füv einen .C-)cncI;Icr nnt> yinivifacr jn gelten.
•Jlbev maln-lid; 16 Inn [0 fin|ler niebt, nnuifcl^c rem .<3evscn \o mand;c ^I'er»
l\'nenr.U3cn; nur tac« y^.ciUc^Q will id) r^cfc^cnt nnifen; nnt» fürunihr, n^cun fiel)
nur tic mcitlid;: ^T^cifA wuH cinmiid;t, [0 nnvt» fid; al(mal;li{; £:vtnun(j mib
Vetren cntnncfcln. S;>:d bc6 in ^^eutl^en ba^^ .C-)amanHon*cn I'cinabc ganj nnb
ßar mtfi]cb5vt, wwt'^ man vcr t^vcifjig Salven für öcttipö cjel^alteu Kitte.
Sicht man aber ba:- 3;veiben nnb Jckn ber jübifd^n Oiefcrm^o^i^t'^iner,
fo [olltc man ö^^^n^^n (mit ten ^UuMlcIn jn refcen) „ba? .^-^inimelrcid,^ fei nid;t
niel;r fern." CSC» fcMt n^citcr nid;tC», alu bajj man Crgel unb (fbcvaloicfang,
'prebi^t nnb öel'ct in bcr ?anbci>i>vad;c ein[üf;vc, ba n^vb Oieligiöfität nnc
C3ray K'roennadifcn, 2:uOiCnb nnb lln[d;nlb n^crben bcn ü^ven ['eflcigen, bic
Vafier at'er aü: '.\Tp;:::unen unb fiicl,icn. ii?ontc 03ott, fic [vn-äd;en n^al;r! —
:0;d) {icfiel^c gern ein, b:.t) bico UIUco feinen Taigen Killen fann; al^er baö Q3ckt
ift ja, mcnn mir nid>t bic 'Jvabition f;övcn, nidit einmal ein pofitirco öefe^,
unb im 3nbcn:I';;m ßar nicbt mefentlid; Ocßrünbet; mic foll nnb fann nun
tiefe? alle au6bnu1lid> »^cl'otcnc nnb ocr^otenc ÖefcfiC cntl'el;rlid) madicn?
21'cnn nnr Co aber finrcit o;el>va6t haben mcrben, bem öcttci-bienftc feine
f^'eilic nnb ^Vbeutun^ bnrcf) Trc^el, ^hcx n. f. m. ju ^cben, aU'bann n^erben
nnr crjl bavfcniojc haben, nwo jcbc rfnifilid^c S'Lnfcjcmcinbc fihon ^i^hvhnns
bertc hat. Sinn nn^Ken nnr bic (5vfal;nnu"j jn ?iathc jichcn, n^eld;en
anc,enfälli>3en, nu^I^'Ithäti^ien (finfaifi bcr öere.vitc nnb öcnvnhetc CJcttCo^
bicnfi hei nnfcven chr:illid;en ^^rnbern heriun-hvini^t nnb hcriH^r3ehrad;t hat.
((f'i' verficht \\d}, baf; nnr lum ber ?)iaffc bic Oiebc fein fann, ^Inc^nahmen nnb
ernten feine Tiegel k^I^cw). On^ht nid;t ber 53ancr, vow Crvgelflang nnb (fhor^
c\i\u\\ci^ c\ani crhant, fehv antäd;ti{\ in bie (2d)enfc, fvUift nnb prügelt ftd; I)alb
tcbt; geht nid;t in-ben '^täbten r>cn ber 5'iivd;c ber fSüfüing 3nm (Spicltifd^c,
ber ^ll-olIüOiac inö ^i?intelhauu.
•; il'iir;]|du'.iJ, ^H'v.^r>nvrvniri'!eit, J'C.^icbt fiel) öuf bcn tr.Iür.ibifrf'c:; ("v:i:;bfa^} 7^
ir.T!} HT H*-"!'' 'rX'lw** 0!vacIiti)ii>eOM\iiil«eih''.-\ciiP|fcii U'crfcii diiicv für bcö '.Vii.
bcva (■^'\ici,v;ii\ntvo!i!:igo:i v>civ.:mnn-{IitO gcm.Tffit; jotcif) liuv, Jvcnn c6 in feiner SOJac^t
«icfi.'ii'.tr.i, Mo llcl'cvtrct!;:ig ju lünbcrn. 0. ^2 rieb. 27, 2.
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— 35 —
Hub alle bicjciiüKn, bic tariKis^liiT; Alöiüij uub (ilaa( Ictvürjcn, t>cfi!c!;cn fic
nicM bai» Ci^ctlcc-KiiuV luu'cii |lc nid;t (5.(;ov, Slx(\(l iint' 'J.M-cbiv^f, VzUw \\q uidn in
tcr ?au^Ci'|>RcI;c? — Hut tao fmilcvc ?3ii(tclaltcr unb Mc IcvücMißtcu Cscfuitcn
I;altcii fic n;rf;t öcvctvltcu C^ottcöticnfl? Tico kirci|l [attfam, caf! C^bor uub
K^Ttaujcl niif't tic unjcHIvircu ??iiltcl fmb, bic ^aftcr Quc^suvotlcn. ^iI\t anbcr--
feite- irarcji bic 3i»bcn ju jcbcr 3fit — lulcuu^l)! chnt c^cxcc^iUcw (^^ottcrticnft
— :\icf;t ircuii^cr fittlidj iinb vcllgiöo, aU il;vc ri;viillid}cn ^^rübcr. Sr^cr ihicn
tic3 fivcitiü mad;cu umU, v^cvlcumbct fic. iTic S3orunu-|c, bic mau ihtcn mit
ciuiv3cm ?iccl;tc mad;t, fd;Io3cn inö faiifmäuni[d;c J^ad), unb fijit) golc\cu ibrci-
ln'iriicrlid;cu 8tcllimö; at>cr ?3ia^iöfclt, Äcufdjijcit, 51Bcl;ltI;ati9{cit uub brc^l.
I>ibc» fic frül;ci' mehr aly jc^U, uub mcl)r alw nllc Dicfi>vml;clbcn ucucrcr 3cit
^cohid;tct. —
Scbcd^ unc gofagt, ifl c3 ju u^ünfd)cu, ba(j bcr öottcobicufl ö^vcoclt, uub
mit Qcliörijjcr 3cicvlid)fci"t I'Cjjaucjcu u^cvbc, fei cö nuu nuf ircld^c ?lrt cd n^ellc;
c5 u^iib QCiini} UH>I)I(I;ä(i5j unrfcn, nur muij baö Öcbct nid;t tÜIIcC^ fciu; co
fviuu uur U'ic jcbcS pofitii^c ?icIi(jiouf'ijcfc(} bcad;tct u^rbcn.
iTcm CScbcr Imticu fic Uurcd;t ßctbau, iubcm id) uuu beim 5'iadiid)Iaf\cn
öcu\abr unirbc, bat) jener Sa^ «'"'^j N7I1 TmDX '1 l^b*ir\r[ by 9iir,uid)t
im (5cbcr auf^jcuemmcu ift, ivorübcr fid; freilid) 'jITO ISD HDriD /^D
unmbcrt. Ucbviöcuö uu^Iicu unr c5 ju Qwk fd)rcibcn; bcuu co un'rb uid)t [cblcn
ou nubern StcKcii, )\>o fic mit mcbr dliil)t ficf; auf^^allcu fönnen.
X")abcu fic fd;cn, ober u^crtcu fic balb, ju önuilcu bcr iübi[d>-tbeclcüifd;cu
^afnltät i.v.nmcb.rr') ^tT; med^tc cicvn, um'c bcr Sfh'-itc bei '"Ji^IO ßcrabc
bic Icfteu i)() ober 100 ^balcr ciiifdüifcn, cu fdiciut mir aber, irf; bin fd;ou iu
alt, um jcuc 3cit abuMVten ju tcuncu.
Saffcu Sic mid; nid;t fc* lauQC auf ^Intirort u^artcu, aU id> öcuMvtct babc,
^u antanirtcu. Sd> bin jetU vjauj allein, unn'bc öcunfj lauijc Stauben baben,
ciu Sd;rci&en ihmi ^bncu wix'b bic auQcncbmftc Uuterbaltuucj fein
$I;rem 3ic I;od;fd;al;cnbcu grcuub?
. 3. Seutfd;.
Sdylilcn 3ic mir t^d) ^cföllii^il bcu ju^citcu Z\)cH vcu (Siccro'ö
?L
<c.
0)fiid;tcn. yicCaw (^k uad; 2)rc;'b£u öefdjricbcu?
S. C.
•) n^!} ?fnfan;]MMi(f>fiabcii filv 'l'"^n r<'2, cntli.^ftcnfc C^tpffcn j« bcin C'")VJ
tcm Duü'l'iücr Oocl ^ivlco, Oi.it'Hiicv 511 ilvi^fan,. IcHc im 17. O^i^vBiinbcrf.
**) 2;ic S'-'f""!] ^•>** oiibcnHuinu^ Vr«^jcftivtc banuilö tSamiuluiijjcii inx C'vvic^tim^
einer iiltijd)«tl;ccloßiü^oii Jafnltät.
•*•) Sic cvicvbalid)c 3.11)1 jum Ocbct. S. 2).
' ' 5'
/
^ '^ i. ( ) Israel Deutsch an Abraham Mühr
Beuthen, am 9. Sohehat 5599»
(24- Januar I839),
• • •
— 50 —
au ^H■'v^iu^c^u^;^ ; aber um'c 3ic rcrf>t wahx UmcvUn, i|l eine talt'jc 5h\lircvt
Mc lc\ic. <Sc und id) tcnu awd) uiu;! läiu^cr mit bcr ^Intircrt ji'gcrn, n^icivcl
bei Csl'vcm i\lüu:ii-lu*n Öci^a6tr.i'~c ivcjüjjcr ju kfürducu \\c\)t, tajj Sieben Sm
S^-t}Jan.3C mit tcn "Sn-Un eine 5 im fever ©cifcu au: H'^li N:*in ^C
Tp""!*!'^ NIT^^rpi X.-.':;n ^nD.*^. SSiv Imku uuö tcö 5Iu!-brucf3
''TXT:;* yZ')D- \<l}on ^ rft K-kicnt, uub am C^nt^c crft [cI)C idj'uud) »er?
aulaf]!, bicfni '^I;:'>;:ruct tctinivcn lu niüncn, ta id) uad; meiner ^Infirf;! ganj
elnM'5 andere'' tinunitev i\-vr:cl;c, ul-5 tacjenige, ba-o Sic tamit beicicbnet ju
fiubcn iM;cinc:i. l^i}ir [üuti;-;c:i :v.'.:'.Iid; du^ jn'cifacl\'u Ur[ad>cn, entircbcr auiJ
Sit^'.väu^c unt l\itc;i[v"^;»Tfr, b. K ivir glauben unb crfcnnen, tei faltcm iölute,
ta-j Süni:I>i[tc einer iV";'']cn .^'^r.ritlung, ütcn fic atcr bod} auo CSiijcnnu^,
S3crc\nüo,cn i:. ivc;!., ober aber unr fünbiscu mit falter, nilnger Uel^erlccjung
ouv Un;J:.uI':ii, OUcidn'initiv-if.i: f^cr {lar C[\\v Ji^erad^hmg cinci^ OK'fet^Cy, wir
lehnen \u\v vVeid;fam mntlnril!:.'; ßccjcn C3e[e^ unb GJe|et>f,eI'er auf. Crilcrer
ilVein wN-lH ic^tever (in :*':;*£} iric VtH faoen: **jmnDn iVvX Z'^CD.
^ie TieknlH-riimnur.)«^ ^N"'!'* [:\[ entu^cbcr be^cidMien, baf; rou einem /XT^**
(aI[o ein ^**^"£:n ^X"Tw") ci;:v br.fj »oou einer V{u|lclmnn{\ oci\cn ein jübi:
\i\)iis (^\!it> bie Oiebe i|1. C^in TX"»*:;' ;*':nD vi aifo uid;t iH-.n ^i'.bentlnmi
nuvvjeiV.;Ionen, fcnbern ein ^X"'!**' bcr fi^ bic nniibunlhViC Uel\'rtrelnn»'i eine5
cber uiebrer )ribi!cl;er Cu'fet'c jn 3uv.tlbcn fomnieu Jäiit. Si?cr nid;t mcl^r jum
Subentlnuu C[i\}hi, tann u>oI ein r*^**iD al^er fein 'rNlw* [ein; am u^enijfien
aber i]! tiefer ^lu-obnuf mit bem cineu iTet^ero ju ibentifieiren. Semit lutfc
id; nun 0I;ven5I>crunnf »•\vör;:cnt!>ei(i- jnnutv3cnMefcu ; aber fem fei Cu ycn mir,
je jn bendn'ln, am meniiVlrn aber möd^tc id;, in i^ertranli6er, freuub[d^nftlid;cr
?3iittbcihnui, anbevc O.^efinnnnojcn au:fpved>en, al-^ bicjeuiöen, bie id; UMvKid;
kcic, felbjl u\''nn mid; prenacr 2abel treffen müfitc.
Hub fo mnf5 id; frei nnb C":n beleiuieu, bafj id^ X-)ervn 03 — , ,^reijeuarf)
unb Couf.T— jn\\r für fel;r öclebrtc, ßebilbetc nnb öefdudtc ^^."'läuuer balte, furj
für ?nico, u\"i? Sic iu;mer uvUen, nur für Feine — S^i^f"- o'''^) r^'^c I;icr
uidU von ber 'i\-vfönlid;fcit bicfcr ?}ivinucr, tcnH"\Tn-c! Ci- ifi Ieti>3iid> eine unffeu:
[dHT[tIidH'0}Jciuuni-^, bafj nämlid* bicicnijjcn, u^cldjc fid; UMVlIid; juben Qkunbs
iä^xw biv'iir D.1Januev bcfcnnen, unb bavnad; luinbeln, nid;t unc 3i»^»^" cjlanbcn,
uidU wie Si'ben leben.
Unb :rcnn ee- fencu O^Iännern freifiebeu \c\l, i:-"l nZ'Ü' VKr\l'\ri \int>
alle Ti^wTT'M 'üZn yorcber unter ibvcm vIniofopb;!d>cu0.iiifrc!fi^^>bfeOiei.nic
pafilven yi Ir.ffen, unb nad; il3vlicbeu ju muilevn; fo nn'rb C;" \m^ and) unU-
'*).^;e:na3<;.,2. SD. S).
V/.. . • 'fl;..!',rT>: >,^
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'^•- ..■■;•
a.a.O. 3. 50 f,
f
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u-
— 51 —
ucmmcu McH>cn, cl^cn jene .[^cnniHH- bcm Wilvcffcp unfcrcr 23ctrodilitn(^cu
(ein ^^H(ofcv^iIcf^cy O.^ifroiici^ Kit uufcr (5iucT iiidU, aber in1i\T(!;liini^en irirb
nuiu uuö brncnllid> nidit al>|>ve(I;cu) vnnlci tefilivcu ju Kiifen, ir.ib iiad; imfcrcr
fdiUM^cn (5"ir.!ui;t ein Urtkil nu'?äufpvccT;cn.
S^iii; jene .^•)crven bic Sratiticn leugnen, fa^cn [\c unumuntubcn, nbcr niic^
mit il;rcm Q)Iaul\'n an tic G5öttlid;feit fccr miD ficfjt cö cilnu-mlid) au?. SBic
fönntcn fie, Jrenu ci» il;ncn bnmit Cvnfi irarc, bic irid^tiöpcn rill'D» *Il*n
rf'r.'O *Ij'n") ror»n:: onf Cyrunb at^efc^macttcr ,f)iHH^tc[en, bcren \h\\)C[\U
l\ufcit i^ncn feit]! cinlcud)tcnb fein nuifj, ciiiföd;pbcn UMffen ircllen, imb
fcld; ein vefovmirtcy SiJ^ci^thim, nlö bn6 allcinfeliömadjenbc, ber 3uben(^cit
öleid;fam aufbranden? 2I?aIn-lid>, baju {jcWrt ein fel}r lueiteö Okuuncn.
Ücutc, bic \\d} crfred;en, bic TiD /nn ^OIDn „c?:ecntrifd;c Slluficn i^crs
In-eitenbc Äöpfc" J« fdnm;^fcn; ?cutc, bic in bcn SJBcrfen unfcrcr Äon>vljäcn,
alö 'jX-i;;» [::x ^pihl ^22'D1 nur äöVptifd^c ginflcrni^ ju crMicfcn tox-.
flehen; cnblid; Ücntc, bic fid) nid;t cntMoben, (Stellen ouö bcni Salmub ju rcr?
fäl!d;cn, unb ju 'oerbvekn , uni bcn Tiid;tv3elelu'tcn irre ju leiten; »renn fcld>c
Cxnitc nprf) auf Scfu^iuncj iinb n;ilbc5 Urtkil 5ln[prud; l;attcn! — SRcin, n.>ahr=
lid; U'.n eine foKf e ^cleran^ ^cncibc idj D^ucmanben.
Sd> un'infd^tc, <3ic Kitten ba» neucpc SerW^en bc5 DIbenburQer dUHU
ncri«, W'titclt: "Tr^D: ^b)r<Dl cbcr „0}ii:II;eiIunoen ciwv ^cn 23ricffn bcd
$3en nficl" v3clefcn, «Sic u\u-cn bann öcirifj ron ber 21>al>rkit biefcr '{vacta I^in=
lauijliu) fil'crseußt. 5a biefc ?cutc, bic bay Siit^f'^tl'i''»! ju rcrfcd;tcn fid; rüf;r
mcn, fmb in ber !2:.I>at bic Indien ^cir.bc beö nml;ren Subcntinnn?. Sclj.lefc
Hibriijcn^^ 'H 'TH r^2rL\n 'hnO :.'D cii'D") u^ic foiojt; CH n':;V:;
nnx p^-£D -T'rx »'H [o rmn [\n^:; "tü^i^n nnirü cnpizn
-iDiD nT nn 'V:i*r ^£30 ncx n":;o odx ::x cns: n2»n Vtd^*
\L**r;:cni t^d '/^p*:; mir. Nu-ii »n^oniDD ")=jirn pi »niira
r.vicn IT TiVaD r^7nn wX-i-.-;':; -oixni ^z:)r,'2) pi-;i* [va r.*-;v.o
ji::: rr u:*d nr.\*i x\-!':; ;£:";*x 'it nnir. n^-^D n^^i o-ins»
!''•>* :n-!\--n "s^c Vtn n'r7*:;o "inx -d cn.-.nrii uni*i:n unb
finbc benuuid^ mein Uvtl;cil nid;t 5U Kirt.
$6 K'I'C eiuft in einer :rcra[dMli bic Steife bcr C'jH n^O"lX*, \vc man
ba? r.1^'*:;"! bev^ :*'i"l (bcr bcd; bicfclbc Ts^^w ivic bcr D-H tlnit) nid)t anf.-
finbicj mad'en fann, baljin erörtert. Sir fönncn nänilid) !?lUe'3 unbScbco juni
tVöcnftanbc nnferer Untcriud;un{i madien, jcN-n Sn^ifel auöfpredu'n unb bar-
über 5?cIeT^nin3 iv'rlauöcn; nur bürfcn unr r:'. I anmaficnb unS au bem .C^eilis
öe;i yer{;reifcn, ircil cö unö un'oernünftiv^i fel^ciut; brirfeii bal;er nid;t ahirtbeilcn,
•) 5H\ ?:5r.'.r'.-.iu t'cn ^Uu üK' Cfui, rc('ic int 12. oaf;vi;'unbtvt niib n\n- r.'tf; UxiU^mt
t.
50 —
Ion, irrnn er i^cn feinem ^n'thtm ul^cricuöt un'ivbc, iinb iviü^tc er uid>t, ivie
^cfnllcr-o 6^c\)\i ^?iror, alle Sc^^H^mcn kn^crrufcn, um tcr UclHTjcugmig
cnK3Cv3cn ju treten? iTii^viitalioncn ircrtcu alfo usilniid; nid;t jur Jl'crriänH«
c;i:u3 fül^rcu. Co betraf uiv1; tu Ckriiu3crev, cU l\c (Erneuerung i?on TiX*!**
rrori jr'-l II^'l^'C u^cnn t-ic Ticclr{j:n üKn-jcuat iverteu [eilten.
v^ic ircvfcu tcm vl:cn Uficl UnreMid;fcit i>cr, fliautcn in tcm *i\U i^cn
(*Cn rn*I*2 einen 23clcv3 ju finten, ta^ man im 3ictlifaIIc ba§ ©cfeftums
c^d:cn fann. 2^icfer G^ofi^f'*'^"^ jctcd; if! tereit§ ocn tcn C*p")wD rielffilig
erörtert uferten; (id} tonnte eine Qnnjc ODiensc Citatc nctiren, u^cnn id) f)pjien
türftc, taf) 3ie tic ^^iül;c nid;t [d>cuen un'ir^cn, [cld;c na6ju[d;Iacjen) aber gc«
(c;;t ^a^ ]*cn rn'Z'2 irirtUd; al? Ilmv3cl^unv3 (HDX'n) ju bctrad^ten u>ärf,
[p bcuHiil Mefer ^nll n^cnicjftenci nid;tv ; tenn tcr tolmutifd^c Gruntfa^ —
m\'^ ivir br.rfijcn uuo ja auf talmuti[d,^cm 2?ot*eu — /V-!jI3 STt^H'^XlD»
')":D NDT;*D f^ijt tentlid;, t^i3 ta'^ &c'n nur einen 5Ifi tcr ^villcn^erlläs
vr.ns, fein TCil tcfifen ju n^cUen, ancrtnet; tic nnrllid^e 5Se3[d;Qnunä turc^
33crfauf ift alfo nur rablnnifdjc SInrrbnung; (j^ü")"!) tiefe ^Incrtnun^ nur
unvb unh3an.3cn, nnr^ aber tic ^Incrtncr fclb|l t^pu i^crn bereiu im Dletl^faUe
nac:;scGcbcn. fpitx (ijlt alfo tic DJegel: "j nCX CHI IIOX CH.
Sa chcw yün ^TJ1Z'> umc unjäMicjc antere tAlmutifd^c SJ^lf'^rretaticneu
l'C'.reil'cn Hnlönglid;*, tflf; fcrd;c n^rllid^c llebcrliefcruncjcn, unt nid;t n^iUfü^rs
lid'C, fi\3cnanntc G■manei^'lti^ncn te"' G3cif!c^ fmt. (5ö uv;re [cnft tic ungcs
Täu!v.lc":e Snccnfc^iucnj, tajj fic einerfeit^, ^jirtO'Z^ri piw*X"in ZT^ 'j^?
(iu[ T'i-O rctiicircn, alfo tem Q3ud;fial\'n ^uunter, Crlcid;tcrung unt Jjreil^cit
ju bcju^cdcn (dienen, u'ät^vcnt fic antercrcfcitö [p iMcIc er[d>n*crcntc unt bc*
fd;r:;n!cntc ^jroipr-i z'^D (nio yüH m'io") r.jVin 'Pixin n^^x
CIjNO rCDn riy •*)-:* ^ yiZr^Z u. tr^l.) nnmtnctcn. (5in ipId;e-5 5?er*
fah-en ftunte man nur Unilnnicjen jumuttn^n, umö aber jitcr ^i?aI;rKnt?freunb
v^e:i tcu "iV- /r/H V-ZH ni6t tcban^ten UM'rt.
3f;rc ^Inaire in tcr 0uimcn5nn3clcv3cnl;cit^) ])cii, \vk tic mcifien 05e3cn:
p.änte ihre l'id;t: unt 3d>iltcnfcitc. (r-^ ifi I'ctrfi^cnt, ju [el;cn, unc 5»tenlM§
n-i.tcr nr.jfcimt, ur.t \\6) Inntcjibt; co ift at'cr unetcr er[rculid>, in eincni (Stallte
ju leiten, n^p ein C^Jtc, tcr 53clH'rtc gcöcmUer, tic 5JBal;r(H'it fp runt unt un*
») ^Vfatf'im 4, 2.
-j „5x^0.^ tic ?ii-.lHncji fliijjrcibKct, löiKtcn fic Ivictct tcfciti^jcn."
^) 2. 5?. 11^?. 12, 15.
^) i!?cvt\-ii;]:in;]J3c[c'^'C iiiib ?Iii(Mbnnnj)rn.
■•) C.^ c\.\i'.:\cn u;n tic tanialiiic 3c»t f'» *3l.Mtf;]cIf^<, \vc{d;cS teil Guten vcit'ct, fi(^
nicr:;üiiji>c i'Jr.ntcn Iciyiifijcn.
2). :J).
." ■ , ■ ; — 57 —
ccflraft fageu tarf. t'Iuf tic ?[nlu>prt te5 53ifd^pf?, tic fic mir mitjutrcilcn
i'crfprpd;cn, iM'n id} fcbr Qcfpannt.-
ÖPit er[\iltc Sic; id) Inn nad; SBcarüpnnö tcr STn-ißcn 3(^r
-. • .■ '* . _ Sic I^pd;[d;at^cntcr ; ■
■•■••••■•• ■ •'. ' 3. T(\xi\d).
, 5?cut^cn,fim20. JamufWOO. (2. Suli 1839).
f
• . ' 5cOr lucilljcr J*rcimb!
S)ic crpcn Seilen Sl^rc? öccl^ricn ?ct^ten mu^ uub unll id; mit StillfcfMvcis
Qcn iibergefcn, uncivcl c§ D'Jptf; tl>ätc, ir^cnt eine neue -^^uitcric ju bf|prcd;cn,
ta tic lM'vI>cri3cn, oesenfcitiijen klagen ju nid)tö [übrcn. Sic „Allagen eineS
Suten, ireld;c ju unfercr 3cit Inut gcu^prtcn, jint aucb gar nid^t geeignet, H^
fiUr 9uid^af!mung ju enrcdcn. Uebcr^^aupt fd>cinen unr, u\a? eri^cnrä^mtc Äla«
gen tctrint, gar nid;t i'crfc^victcnartigcr 0)icinuug ju [ein. 2Bir fmt 5Seitc gc:
rcd;t, mcil UM'r Seite ricricid;t Hnred;t Traben. Z^), für meine "pcrfen, HH
Sbren .Allagen unt Jjpvtcrungcn grf|jtcnthcil5 Gcrc6tigfc:t ivitcrfal^rcn lajicn;
idj n\irc sufricten, ircnn man tcn meinigen in el\m tem O^Iatjc GvcIht geben
u^rlltc. Sn meiner ganzen 53iMiPtrHf pntcn Sic feinen [Vi: '"C"-^* v.nt aui^
ypm *::j: 'ulpT — einem CvImIücTc rrn meinem 2?aicr [. !}I. — \\\\\\^t i^
aufu*r tem r.VIw'O nur mand;mal, w^nwx xi) ta:u gcftimmt V\n, taS [d;cnc
*).r.T*l*X ^ZIZ, ypm fZ C"). ,,(3'i iil nid't genug, U'cnn man für fein cigc:
ncu .$5eil S'prgc trägt, man muij, man feil, jumal alo Scdfcrger, tal;in unrs
fen, tat) tic ?)cii3lnäu6c teim 2?plfc allgemein nl'gcid;a|]t n\'rten. ' ITiffeJ
unt Glcid^ci^ ivertcn Sic mir UMln-fd>cinIid) rermcrfen. 5U'cr id? Fann meine
llebericugung nid;t aufgebfu, taji tic 0:i?arime, ter man ic;-t iMiItigt, tafj man
nämlid» rrriicH, tcn ilnelen ju hird^Kiuen, onfialt i!;n l\I;u:v.m ju löfen, tic
rermerfiidM'ic \^. OicImuch Sic tem gemeinen ?3iannc feinen jVi: n***:; unb
all tai' Un:ri[cntlid;e, meran er K"^ngt, unt mi: nid;tcn KiK'n Sic ilm rcligiefcr
gcmad;t; Sic irertcu nur tac^ Aint mit tem ^^atc aU'->id;üttcn. Gicnc O.^li^r
UaxuU, rtcr rielmcl^r fcue Ucbcvlatungen, tic unr nun alä fd-ätlic^ erfcnnen,
fmt nid;t ren K-ute unt geilcrn, fmt nid;t nnc tic ^ilsc, in einer Tiaci>t ent^
panten. Sic fmt eine turdi Sal-rljuntertc nllmälig unt langfam ange[ci;-tc
•; Tiefet M{>r;or tem ??. m. K ??. jiißcj.f'vifK-nc C-^iVuH Ic.]! tic rcufic fuiiif tem
??. 3c!.'::ta ."^'.rcivt, ci:-.::ii tcr nn-5jc;ciii:':ic;;*!c:!, f)M:ii';Vc:t :"'i.UIi::cr tc> 12. o.^.^l^Kn,
tcri*, u:c::f er d^ 2\&ut n:;t H^ciirfir tc^ t>cluv;;:cn ^mt'C? ,/i::vti" uf.: lcn;!':];t \%
I-ct. (3. tic icIifjiLfc 'l'rcp.f tcr Ontcri in 2'v5"icii Vrn Dr. il'?. 3wri';'!, S. ?r>C'> ?t:ijn.)
s
Die inzvnLschon orschionenon "ITounzehn Briefe" Bon Usiols ^,S.K.
Hirsch) finden "bei dem reifen goistesvorv/andten Israel Deutsch eine
bei weitem weniger begeisterte Aufnahme auf bei dem Jüngling Graetz.
( ) Israel Deutsch an Abraham Muhr
Beuthen, am l.Ijar 5599.
(15. April 1839).
• • •
Ben Usiel ist eine Erscheinung der Zeit, er setzt Extreme
Extremen entgegen, Sie wissen wol, ohne dass ich*s sage, dass
ich, als Orthodox, mich mehr zu Ben Usiel, als zu seinen Gegnern,
hinneige; indessen hätte ich doch Manches an ihm zu tadeln;
besonders halte ich es für unklug, dass er in die Schranken der
Zeitung des Judenthums getreten.
( ) Israel Deutsch an Abraham Muhr
Beuthen, am 20.Tamus 5599«
(2. Juli 1839).
• • .
Aber ich kann meine Ueberzeugung nicht aufgeben, dass die Maxime,
der man jetzt huldigt, dass man nämlich vorzieht, den Knoten zu
durchhauen, anstatt ihn behutsam zu lösen, die verwerflichste
ist.
C
©a5 fa^cn Sic 3. ö. ta^u, ircim ein (Shxiii tic ^'dtcn qI3 cmancipa«
tipnJur.fälng crtlart, ircil fic buvd) tcn Ölaukn an 'jn^wOn T^XO uicmalj
cinkimifd; ircitcn, i:nb t^ic 23üv3crpf.id;tcn crKfilid} erfüllen fönntcn; ein fogcs
Hur.nlcr ll^crlhcitiijcr teö Suteulhnr.? r.ber cntc^eonct, tajj tein ücruüuftiscr
unb ßclnfbeter Su^e uur,nui;r cnif;Iiif^ an n'"':;wM rx'D bcnft; jener SSunfc^
unb 6(aiitc Ictc mir nocf' i» t^» Klopfen finilcrer Crll^^cbcfcn fort.
S,I>ir ivcllen i^on ter ■Xi?cinunciö\>crfd;ict>cnr>eit bco u-''D"l unb *')hl^2
C"'p^* S^«»i cilM'cbcn, n'cllen nid;t untcrfud;cn, c1) jener 03IauI\'n nicl;r ober
v:c\\uyx jum Sl^cfcn be'5 0nbcntlntin6 c^chi^xt; <i^cr i|l cf» bcnu iraf^r, ba^ bct
Glaube an rrL'^2n TN^D im5 rcvbinbcvt, bic ll^urgerpfadUen ju erfüllen?
Gcu-i^ nidit! — 2?^.!^;tc iwan a\\o bic Önmbfät^c ireöreugncn, um jener lügen:
raflen !23enanrluni} cnfvV\Kn:utrctrn? —
Xcx trcilcnbc unb cvl>ebcnbc Ojlaube an n'Z'Cn r.^'2 iff e5 aUx, ber
in tcn fd>'Pcren, ycviur.u3uir;-cacn Seiten tcu :i:rucre5 unb ber 23arl'arci, t^a^
Subcnthum crbaltcn; er allein i]! e?, ber uuiercn 33in-far)ren 3al;rfnu;bcrtc lfm--
turd; bcn ???iul; unb bic sixait «jcrlief;, C3ut unb 53Ir.t ju cpfcrn, ber Jnranuens
vcvM) ju treten, unb bic I^cili^c ^ilclic^iow a\\^ bem 3dMfiln-ud}c ju retten; jener
tcfclißcnbc OJIautc allein rirmod;fc, \\\M u>al)rlid; aUc ^MnIcfopI;ic unb alle
incbcrnc Sdu^n>jci|lcvci uinuucr i^ermügcn irerbeu. Sicfen Olauben nun, bem
ivir fo^ielc-^ i^crbanfcn, ber 3;a(n-I;unbcrtc laufl unfer panier, unfcr2:aliümann
•■•) yiiaijr.cnibci? i'd'At bcn liicffiai'ijrniikii ju bfu Gfciit'cni^ariircfn, jrri'O im Hefa*
x\m tcfii-citct bicP, unb hdU il;n nur für einen fccunbärcn nndf)iicjcu Glauben;- [aü« (53cr-
gtcic^c okn 3. 47 %\n\. 1). 2). ©.
CO —
Gl
Ä
3ur imaMt-liif cn 53cbiiu3inu3 öcnmcf^C)/ »"t» einen Srommcn nennen trir 1DH
iiid;t (JinfuMcr. iirn'uu ivir ciud) tic i^ejcid;iiuno ::*TnD pntcn; [o tinU
ticy mir f.^3cn, bvitj fic vcm {;cnu-incn ^)U\\\k ficf» fcuteni, unt ifl jener ^lu5=
tnicf nur ein G^e^jenfa^ reu iHNil DA*.
Sd; f>itc üOcr tiefeo 2l;ema in meinen ITerafcfu^t pft Qefprcd;cn, iinb unter
entcrem einen ?)^itraid^ fcnnv^t: ''JT^T) '2 / D '*:v.}D ^13* »VnD D'^nip.
2jIzr.'J:;npD .17:737 r.':;i1p '':s\ .r-)cilicj!cit ip atlerbinaö bcr 5luf«
[dnintn^ jum .^immel, tav Streben, (yolt ähilid; ju iverben; al^er uid;t barin
fcKcn unb founeu unr Öott nadjalnnen, bajj unr iiu3 ren ber Seit iinb allem
Srbifcf;cn öäujUd; Icvrci^en — *:V3D AZ^ — eine folcl^c .<i)eiliv3feit i|l nur
!crvcTlc[cu Sc[cu in holderen Spl;ärcn befd;ieben; — TV/Vt^l ^r^'^jY^p
Cir-'I/TipD — beni 5)?U'nfd;en gcnücjt e?, fein irbiid;eo ?eten nad; öC(t(id;er
SScrfw-Jjrifl ju öcnie[)cn, unb tic ööttlid;en Öel^cle mit finblid;er Sieh ju erfüKen.
yVA no wH \-0n3':; r,X1 iNir. VnXT V2X \L*\X 5>aburcl; nur ^ci^
liaen irir unfcren 51BanbeI.
5d; öfaul^tc ferner, bic ^(nbcufung biefey G5runbfaOc>5 /T'TI "IDXOD ju
fluten: ^).' -Vinn jD NCr.7 poi'ü V)y::r\ \ü niv cn^:; d'^x'
ITav ^cilivjc Cvfer ivurbc juuir t^om QottIid;en 3e»cr rcricl^rt, aber aud) irbi--
fd;ey üi'"»:^ turftc nid;t feHen; ein Ic!nreid;eü 23ilb, to.^ ^^immIifd;eo unb 2r=
bifcl^cy gepaart bay 0ctt ö^^f^'^l^iöc ^n'^'c M^- »^i^^t? i'^^ mcnid;Iidien .^erjcn,
bem 3ctf(id;en Elitär, auf ircld;cm I;eiliv3C (i)(ut ftcty Icbern fcU, mu^ tic irbifdjc
^•lar.unc nicmal3 ßanj erU"fd;en. Unb fcmit bfirftcn inclleid;t AVi auc^
tiefe ?}Uinun{j au?3efvrcd;eu I>al'cn, u^enn fie unter anbcreni fagen: '2E'D»
•:nn^ vn n7 ::^:::i t-i nn: ^rx c::npnD 'n 'i^h ^r^A) bemiMn>er
u.».
'I'
C5efav3ten pel;cn tic Reiben I,ner inni /'TH angegebenen ^Infidtteu epenbar in
SDibcrfprud;; benn irenn il^ \\\\\}x, i!r"i:i Z'üZ'A [ü IIV ^wN*:; D:>X
(o ift bic IJpöfagung fom Srbifd;en nid;t rerbienftlid;, unb baber aud; bie Cf)Cs
lofigteit füubbaft. 5labab unb ^llnf;u babcn bemnad; burd; bie eine' ober bic
anbcrc .r-^anblung-Mvcifc Unrcd)t begangen.
£ad;en Sic mid> nid;t cu', id; u^ciö ivol, «Sie lieben bergleidjen %\\^\i-
guuQcn nid;t unb belegen fcld^e nur aU^ubart mit einem l;od;|1 unglimpilidjen
') Gcina 1, 1. 3. i»iaiin. Tiifd;itc Ihtxa, ?lOctiit Oam .^alfipnriui ?l6. 1. §. 2,
•) 5K?citrici r. 21.
^ 3.33.2.1?. 10,3. ' ' • . '
*)GrutiuC3, 1.
••') CtcntafcU'n, bcd) tic onbcrc ??;ciiiuitg i::i X» 1 fintet pd) bafcltf ui(f)t; alfcirt
•'.,' fintc fic im Onltnt ju edicinini 021. 5). 3>.
Flamen. ^Ibcr id; babc fd>cn rft erflärt, ber STarfd'an, neun er \\'.i:\ ein T^arr
ip, gibt nicmaly feine Gicgcfc für baare ??irm;c, unb bcbicnt p.vf^ ibrcr nur, um
eine Sbec nid^t gauj nadt binficllen ju m'rTcn.
^lutrrcrten Sic nur balb, unb rcd;t »oicl. Z^i.) bin \K^^i {-anj allein, meine
%xm mu^tc in'ö <3ab reifen; unb fo lebe id;, nnc ein inaufncr, ganj cinfam,
unb bcbarf meT;r aly je angenebme Untcrerbaltung. Gctt crbc^ltc 3ic! ■
•. :: • IT-er 3i;tigc
• •..:.. .\ . .3. S'cutfc^.
53eut^en, em gcfttage tc<5 ec^alja im Oa^'rc irnCX hv 'I!X "^'^J = (C-'-OO)
. ; (11. ecptcmbct 1SÖ5).
• • •" '• ' '" '" ' 8cOr lucilöcr cfrcunö!
©aö 2?atum fd;cn irirb obnen fagen, bay ic^'i febr befd;ä[tigt bin, unb
tc^> null id; nid;t Icingcr jögcrn, Sbr irertbcv, iüngfiey 3u;rc;bcn ju bcantrrcr»
tcu. 3^> ii'C''iJ bie i?^iu<3C!Un;b£n mit ntd;ty angcncbmcrem au'jufüUen, cl3
burd; Unterbaltung mit ^hnen. 3d; merbc natürlid; furj fein muffen, tra5
S^nen aber gerabc nid;t unlieb fein bürftc.
3brc crfien Seilen micbcrbplen Allagen über ba3 2?e!fagen'!iicrtbc in un«
(crem leiber rernad^läfügtcn (5uUu3. !ll>{c Sic irii'cn, tbcile id; im f3cfcr>tlid^ca
obren Unmulb unb tu rielcr .^^infid^t m6.) ^brc Sünfd;c; bemnvV.■f^ aber bleibe
id) bei m.ciner ^tn|ld;t, jcben gcn\iltfamcn Eingriff eutfd;icben jurüc! jii u\if:a.
tüuf 3bre Sr^^OC jctcd;, cb U"ir bic (ümrilligung jebey llnmiffenben abtvartcn
feilen, crUMcberc id;: n^ir muffen bie Ginunlligung 5}erienigen abiravtcn, bie bei
ber ?}i äffe für fromm unb facf^verjlänbig gelten. 5(^> \^W gelten; beun c3
bleibt fid; gleid;, ob bem rnivflid; alfo ijl, ober nicf't. iTic ^)\^\\\i. ifi ei:; nnllcn:
Icfer .Jlör^'cr, ber nur mit frcmLcn klugen fiebt, mit frcn;ben Tbrc:: bJrt, unb
nur nad^belet, loaö ibm ihmi J'enienigen rorgefagt unrb, ircld;en er 53crtraucn
fd;cnft. Soll nun eine 'Dici:en'nv3 cingefübrt ir erben, ebne bic 53illigung IT er:
jenigen, ircld^c ba-S Urtbcil ber ?}.\a!fc lenfcn; fo h^irb bicfc ?icucrung, unb \\\\xt
fic nod; fo gut, bie O.^aifc ni6i erbeben, nid;t erbauen; fic unrb rielmebr nur
tic (Fcnecffion jur llebertretung barin erblicfen, unb Feine S6ranfcn fcnncn.
Unb bann, offenbcrjig gefagt, ijl c3 benn ben £^rtbobc.rcn ju ycrargcn,
U'cnn fic ber ?ieform cCA^^'vi fmb? Sagen Sic, Juertbcr i^rcunb, brvf) felbp,
tiiic:n.tnb barf fcrbern, für anbcreS ju gelten, aly für b.v5, um? er riVräfcutirt.
Sl'er aber faib jene X-)elDen, u^cl^c bic Cultuvreform rcpräfentircn? —
Q^dy^x Sic bort jenen bcd'gelcbrten .pcrrn Soctor, unc er am Sabbat^
com ??afu'tifd^c auf tic ^Tanjel eilt, ba^^ o^Uiii Öefic^'t \\.\f^ fircngcu Siegeln ber
— C4
63 —
nMc^cri1cK-"n? Mcfcr nur irirb ^a\\m unb alle rcliöii^fc Q5ihoU, bic auf Gnth^s
nmvj mancher C:cr.üiTc S^cjus ^n^cn, jum 5ül?rcr in bcn .^imnicl iroHcn, ^in«
ÖCv^fu eivjcnr.v.t^ u:ib .<^a^|ucI^t ju I\'id;nügcn [ud^cn. Gin anbcrcr i|Vi>pn kd'
tur u^cnißcr jur .f:\*.I^|i'att Gcnciöt, I;at jcbcd; mck .^aug ^ur Scqucmlidpfcit.
einem fcld\-n irirb C5 leidster, jcbcn unrcMid>cn 05cirinn ju cnlfogcn: er fann
\\fi) al'cr bc? ur.crlciul-tcn finnlid;cn ©cnunc-5 nid;t cnvahrcn. Sicfcrnnrb nun
in iBcfrcn bc? ?}]cin uub 5}cin fircng rcligiöö I>antclni qHc^ Slnfccrc aber für
unrcrlMnblicf', für albern au^jugcbcn fud;cn. 5)icG5cfcnid;^Qft irirb natürlich mit
Cct^tcrcm iufricbcn fein fcnncn. 5Bcnn'irir aber bic inbiinbucUc SKcIiaiöfitat
53cibcr unteriud;cn, fo femmt Mzi auf cin8 ficrauö — ein 2:aufd>bQnbcI. 3c»
bcr tQu[d;t \\i) bTlS ^iebfic ein. eic n^cllcn ein Scrbct bcö *)i:''^ fennen,
ircld;c5 unlcrfai;! bic r.("i::nn rnZ'^' als 2aHcQU roizn r.On aufjus
bänäcn: aI5 hälfen fic bie? 33crl>rt ki Ginrid^lung bc§ :D'nO ju ^lep U*
rücfIld^liöcn nuilen; aber mcincS iSiffcng irirb im 1)1^* [PlVv^ ba8 5Iuf()än*
^cn ber rO"Ij"iri r."l'J.*y als 3;ablcau nirgcnbS cnraf^nt. Gliraß bcm ganj
5UbnIiAc5 aber pr.bet \\6) •*)NOn nynD Q r^'^yo 'S* '^D u^'H miS*
eo geringiügig bcr öcgcnPanb au(f> ip, fo ßlaubte icf) boc^ bicfc Scricfjtigung
bcr 2?cbrbcit fd;u!bi3 ju fein. .-•••■ .••/. •- : ./•
. Sn S^rcn ^Icu-icrungcn über tcn OJIaubcn an einen n**^^' bcr ba fem*
mcnfrll, fagcn 3ic unter anbcrcm: „ivicn^rl id) einräumen fann, bafj cuc^ \i)on
ireld^c für bic Seit ba n^aren, 5D^cfce, (3p fr ate?, D^uma." 5^icic3ufam=
men'tclhin^cn fann ie^ nicf>t billigen. iTfirftc man auef» 5ebcn, bcr auf ba8.
.<:eil beö C^^^cr.'d'.ru »rrMlb^ligen (Einfluß gc(iabt, ba5 'Präbifat U'Z'>2 beilegen,
unb — ) w*"ii;7 Tr::^b 'n "CX nr„ aia 23eleg anfübrcn; fo barf man
bi<d; ben bimmchvcitcn UnlcrfdMcb jiriid>cn einer mittelbaren ober immittclba*
rcn Senbung, r.rif^cn bcr ^lue-fübrung auf natüvlid>em ober übcrnatürli(f)cm
:r-cgc nid;t überfcbcn; unb ircnn wix bic Beübung rOiofio nid^t mit 3rf;iircr8
?:;:acn betra(^^ten — ma5 ein gläubiger Cuibc nidit fann, nid;t barf — fo fann
unb barf aueh ???cic5 nid;l mit Scfralco unb Ttunui in eine unb biefclbc din-
biif gcbradjt irerbcn. Gin n'Z'ü, unc 5^nna unb :3cfratc3 fönntcn auc^
05—, iireuunad; unb Gcnfrrtcn fein n^oncn, ba aud; fic bic Suten ücu ber
eclai'crci bej Cermrniah^^ienpcS ju befreien ocrgcben. Scf) ermartc aber
feinen anbern rr'Jld aI5 einen bem ?}U-^fe5 äbniidjen, einen unmittcbaren ,(55c«
') „ed'::I5\:n cri:cfV' tcr tcUnnic ftiiliiaf.CTcbcf \>on ??. ZcM •'^»•rC/ borür^mtcm
5J:Hincr bc6 IG. O^Jlrrunbcrti«. ...
**) JocrfnfKr :::::5 f-.-ri vcr[d:Ticbcii finbcn, ::' J fir.bct fiifi nidifü, binacgcn H'D; ""b
cw'b ta i[{ irc-.i:- c;:f p, .M ju iMnrailcn n(ö auf CH'^^N* ?:0 im "^ p'D. ^cr«
fanbten, mit übermcnf(l>Iicbfr 2?cgeiflerung au^gcpaltct, bcr feine Scnbuuß burc^
3cid;cn unb SBunbcr bcusM; niefit cln>a, ireil id; nnmbcrfüd,\ti9 bin, nein
unigcfebrt, iveil c? baS SJunbcr aller ilBunber n^ärc, in unfern 2:agen ebne
SBmiber ctiraß au5jurie^ten. • • ■
?iuma unb ScfratcS ^mttcn einen auf^ nni^crnunft cntf^n-ungencn Unglaus
bcn ober falfd;cn ©lauben ju bcfäm^fcn; fjc burftcn nur bcr S[}enr.:n[t (Eingang
»crfcf^QÜcn, um il;rc6 Siege? getrip ju fein. 3n unfern 3:agcn bingegen, tro
man bcr Vernunft entgegentreten mu^, fmb anberc -^Sancn nT^big, irclc^c bie
S?crnunft bcfd;ämen unb in i^rc ©d;ianfcn jurücfa^cifcn.
3d; erfiärc hmiy* yr]'VDD x^:*) cnn-xo cn\. cn-inx ^ai
cbcnfo unc n^ü (nnc /"Tn oft genug erllärcn) S.'Oabrbcit unb tRcIigicn rer»
breitet, mit bem Untcrfdjicbc, DrTII^X n^ar an fein bcftimmtc? -Srlf gcn?icfen,
er mar C^l^ [IDH DX, er f^at aber feine Cebre ni d)t biircf) 3fid?cn uub ©unbet
bcfräfligt, er u^ar bieg ^^^nlofcp^; il'VÜ bingegeu hat u^cl 3cid;cu unb SSunbec
(jeübt, feine ?el;rc über aüc 3Ji^ci[cI bcwübrt, mar aber auf ein gcjri|]eß 2?pI*
tcfd;ränft. H^wD aber mirb beibeS rcrbinben, er urirb bie 2?abrbclt aflgcmcin
verbreiten, in bicfer v^infid;t H^wDO X'I/'j er mirb feine 5c^)rc burel) nbcmatür«
lidjc 23unber eoibcnt mad;cn, ba^cr DUI^XO ü)l\
- ^^xc 23cmcrfunQ, bap mcbl^abcnbc ?eufc feiten unb ungern an TiXO
n^wCn bcnlcn, i|l nur ju mabr, aber nid;t neu. Selben bic Diabbincn fagen
in a^iibrafd; T>21 r\y^\ ]1Y H 'HirO PXl'O X7 u*1:D r^ZZ''' XM
nri'n xt n:o r,XÄO iVx ncx ^'ph p wi üZ'Z "cn: nn
5d; mup ncd; mancbc fünfte 2bre5 occbrten (2d;rcibeno vorläujig aud
Scitmangel unberübrt laffcn, benfc febod;, fo Öott n>il(, riellcid^^t in S^^funft
fcld;c 3U bcfprcc^^cn. ^\t SSünfcf>ung nDV^D r\ÜT>n unb in Grn^artung
balbigcr ^Intirort, ber S^rigc ... . . '
. . . • . • 3- 5:cutfc^.
i^cutl^en, cn 5. f.iticir üCCO. (12 ^nctciubcr 1S39).
Scfjr lucrlOcr J'rcimö!
"*V»».
U-V»"» f^iTi^n
^ciVx \\n, maß .XV:':; feinem ec^nllcr r.Tl.T n Ichtc: 71X1 P^^^U
••jxViTn ob XV21 X»27V^X."n. ?:Qan mujj ben C3enujj, bcr fid; bar--
bietet, nid;t bavum i^erfdneben, n^eil man hiy.i, bicfen Genujj in 3»''^^''^ft I'^IK^
imb bauernber ju gcnicfjen. SIDir leben, tra5 bau S^ü'id:« betrifTt, nur in bcr
•) 0:I!"t2iiOcf.3S8.
••; err.lin LA, 1. .
25. ©.
9
leugne, r.nb cl•tl"^tc, fontcrn, ta{) er co bnnl> ^^Mi'jiüimcj unb flctc Grinncrung
ön C3ott lucik uub Iiciligc. 5>vUiuii lun ji'bcm Ojcnuffc irocnb ein rclioiJ=
[c? CK-t'ct. ^r^r c\cniei;cu aU ^yZ'irC r.:j'7?20" .jIcirfM'-m Knlicjc ^IcR.
*)•):: xp r.in: [r.rrü iit xp *d d^ihd. s^ic dMu]h^n iii bae^ ^inbcmit.
tcl jirifd;cn 3cclc imb ÄCvpcr, ein i^crüln-uufiopimü, wo .^immcl unb Crbc
ficl> fvcuublicf^ lH'f,cöucn. iTaniin iil civA^ at^3cic(;icbcnf?.\ilcilf rieben, CS'belp|l9«
feit u. bn-J. (ivicu^cl bic (Sbriilcn bicS rou frükreu jübifcl^cn Scttcu cntlel;nt
ju baten iibcinrn) bcm unikcn 2»t>enthnn [rcmb. noni HHD bcjcicf;ucn
unr üK^ bic cr|1c unb uncl)tiijilc ^jHU'O» ©ic Gl;c unvb bcm .^-)o'[?cnpricflcr
zur.unerlässliciien Bedingung getnaoht , und einen Frommen
nennen wir Gefährten nicht Einsiedler.
• • •
( ) Israel Deutsch an Ahraham Muhr
Beuthen, am 5. Kislew 56OO.
(12. November 1839 )•
• • •
Od; l)cih bicfcu HCSJO ganj na6 ibrcr S[Dci|c, aber bcd)mit einer ctn^aS
tcränbcrkn Scnbir.iij 311 cvfiärcu gciud^t. ITcr Subc ficM nämlid; ju Öott
in an\'ifad;cr ScjicMinij. Grtlcuo aI8 öcfd^öpf juni SduH^K^. ^n bicfcr
^infic^U thdU er mit a\im vernünftigen 03cfd;öi.M'cn bicfclbcn '^^f.idUcn, biejcnlijcn
nc;n:Ii(f), ircld^c bic 23crnunitrcli5icn öcinctet, unb ireld;c gröürenlbcilu in ben
•••jr.ll'O yy:: bc^^incn fmb. 3Jl^citcnöaU^23cIfinm.<3crrfd,^cr(^'^::: Ci')
nid;t uncman iinö ccricnmbct, einen 9iationaI{jctt ju babcn, fonbcrn, fo tt>ic
c« bcr 53orfct^unij ßcfäUt, v^irr'fc^;«^ "'«^ mcruIifd^c Oabcn unojlcic^ ju ccrt^eilcn,
fo ßcncl e3 ibr aud>, ein rcrilc^enc» .^äuflcin au3 bem Staube ju jiel;cn, unb
c5 Jur (rriief)unä bcr ^ciUz \o lanjc cIj 2:r5v3cr bcr SSakl;cit ju u>äF?Icn, bis
bic iH'r^ciycnc3cit!fmmt, *'")):') n")1"lD nS^i; D'0>» bx "JSHX TX. ^n
•) Sal<«itl) 118, 2. • '
••) TAic in tcir.cm Zl^cxU Gltarim nimmt nämHcf) brci C?faubcnfartilcl an 1. TiX^l'O
•n, 2>:fcin e.^:!cvs. 2. c*D':;n ?o rn^n, ü'^ttia^c cncnbcnina. 3. u;:u*^ ^2V,
5?c:::'r.ur.3 ur.b 5?c;lrafiir.>j. (S.'oirarim L SlH^^nitt 4).
•••) Sie 7r.::4nbiici;«cn Ocbctc, (5an(|. 6G 1. . • ; • • '
9*
') ocrcmct Ol, ^— o.j, rcrjjicicve U'iCijiua 2i, 1.
2). 2).
8-
//
— GS —
bicfcr S3cjicTnin3 lum l\it tiefe? S3Mf t^efonbcrc ^picf;{cn, n^irf^c fluf Mefc Ola^
ticiuilität InnUKifcn, iiub fic erhalten; ba^cr awi) bic!2:l>ova bic mcificn Öebctc
auf Uni'O rx*l** jurficifarirt. Db")> n ^"nn erinnert unö ot3 Öefd^af^
fenc an r.VTI*:; TOÄO, InnßCßeu q13 Untcrtl^ancn an •)rtV;.'D'r m'D.
23eibc jufammcn mad^cu tcn Subccjriff bcr o^njcn 2:bpra. Sic Grfatjrung
Ici^rt icbpcl> jur G^cnügc, ba^ nur feiten bicfc bcibeu Jbeilc ju gleief;cr 3cit
^ 9cl5öri3 Qicidi öcivürbi^t irorben. 53alb fmb r^V/ZZ' ocrbcrrfcljcnb unb
' • TtVr Dw ycnuid^Iäffigt, balb umgefc^rt; (Sir ^abcn öelcöcnkit ßel^abt, in
i bicfcr Scjic^^unQ einen SSenbcpun!t ju erleben) aber nur bic StuviUung bcibcr
': ■ 2;I^eiIc fann un5 ölücflicf) machen, tpm t>börifd;en unb mptalifd^cn Ucbcl crlofen,
"ipi r>)riya -n h^T:)' jnoro ^'^otx; nämiicf? \:;nn = r.v^2'^
; , uWjn unb cni'o r.x'i** = r.vro*:; u. f. w. '
,3ic fvivjcn ferner bei bcr S^amenJanjcIcgcnBcit in ^arcnt^cfc: „nncber
öni(I;t einer iniij'^crfianbcnen Stelle: ")UDZ' l^yl? nVu h^'". ^d) mu^.bier
um 53clc[^runjj bitten. Cficnr;crji3 gcfianbcn, ic^ öerilc^>c bic etellc nidjt an--
bcrJ, al5[nid;fiäMirf>;bcnnbcrg)]ibrafc^ffl(jtI?icrbci: ]'r>nj p;'D*r^ piNl
....;• •'. " .pp /D p;*D\^n pINI
• S» nciiercr3cit Mbcn^ubcn unb!TZid;t{ubcn t>iel ocn^lmalgamircn Qcfpro! '
d»cn; qKt id) baltc mid> fcfi übcrjcup,t, ba|} eine bcr mi)t uiuindjtigflcn ^bfidjs
ten bcr Z'i^oxa and) bic i\\, cl'cu ta^ ^Imalfjamircn ju Dcrl^inbcrn. 23ir fönncn
cilü ^^^Unfcfun, ül3 StaatS: unb SBcItbürgcr unä nähern unb lieben, üI5
Sdf aber muffen unb feilen luir fo lange ciufjerlic^ getrennt bleiben, bio e3 bcr
SScrfcInrnj^ Ocfällt, alle C3Ia«bcnßbiffcrenjen inncrlid; unb Qujjerlid; aufiul;cben.
SlTnircn bic Sfvaclitcn in COliiVaiin mit ben Urcinmcbncrn jufanimengc:
fduncljeu; fo u\\rc bic ?ll>fid^t Gcttcö, jene ju u^iHD TC'TCO ju ergeben,
' . yercitclt n^crbcn. Sic Csfv>.icHtcu batten bcTanntlid) ju jener 3cit feine Gers
mcniaIcJcfct^c; SpcrfdMebcuI,Hit in CUauben3mcinun9cn über ijl ju fd^n^ac^
tao ^Jlmalgaraivcn ^u ycvbiubcrn. -yiamc, Sprad^c unb 23crfdnrä(jcrung u^arcn
bic ciny.'\cn ?3iittcl, \\>i\d)i fic uni>er:nifd>t evimitcn fonntcn. Sicu fmb nun
bic un"n.i vni L:r::h) cd*:; i:*:; nt:; oVx:: piin*:; un2i '}
riV")i*2. 5i}ir I^abcn hcul^utanc D^^ittel genug, bic ^Rationalität ju erhalten,
aber eben barum fmbct man ^luriofj an bem GermcnicII, »eil man fcben äu^er»
lid;en Untcvfd;icb, bi5 auf bic CJIaubcu'JavtifcI 5?crnid;tct iviffcn irill.
Gin Ouimc iil ba» Unn>efcntlid;pc, ein 91id;t3, bap u^ci^ id) ii>cl; einen
aunaUcnben O^micn, bcr unu.^ränfungcn ober 5^ccfereien sujicbt, tcrmeibcn, ifl
nid}t5 Ucbcica. SBcnn man aber f^att SofcpI>/ Sc^^ann, f^att Sfaaf, Gbuarb u.
bgl. bcifjcn mill; fo nnll man uid;t qI5 Su^c crfanut fein; unb bieS i\i, meines
♦•) aViiilra rabia 5, 32. 5). 3).
I
?
c^
p
— CO —
Cracf^fcn? mcUcic^t flrcjcr aI5 Sucf^cr unt ^Betrug, bcnn cö i|l Scrlcumbuna
rc5 CJIautcnfi, c3 i|l niedere {^ciflhclt, man r;at bc-n Q3?iitr; nidjt ju fcacn- i*
bin cm Subc. IT^cr 53crunbc jcbod;. bic unö gramen aufbrinscn iria fcUcn
u>ir mit D^cd)t unö cntöcöniilcllcn, bcnn jene bcabfid^tist ni(f;t bic (5rl)al(una
uuicrcr Tcatirnalitat, fcnbcrn fielet barin eine Surücffctjung, bic tuir nid;t rcr-
bicncu. 2Bcnn c8 unö Q&cr frcijlc^t, SHamcn ju tt.är;rcn, n^arum foUtcn »it
tcibnifcf»c biblifd;cn ücr^ic^cn?*) — .,.,..
• • •
( ) Israel Deutsch an Abraham Muhr
Beuthen, am 16, Sohehat 5^00 .
(21. Januar I840).
.' N
(5«o \\xC^ ^N^'ncn übviijcnö meine Clnfid^tcn in 23ctrcft bcr GuKuorcfcrnt
I;iuläu{;lid> tcfannt. Senn alcr mand;c bcn Örunb \\\x ERotInrcnbicjfcil einet
Dvcfovm barin fud;cn, baniit nid;t bicjcnigcn, mcld;c fc^icn bcm 3nbcnt(nim ents
frcmtct fmb, bcinrcKicn ganj entfa^cn, [0 mö(f)tc id; in 23crfud}ung fommcn,
anö ct>cn bicfcm fönmbc, für \z%\ feine Okfcrm ju unm[d;cn. S^crjcnicjc, bcr
fid; iH'^n bcn Öruubfa^cn feiner iKcIic^ion Icofacjcn fann, weil if;m bic äußere
Sern; nid^t anivnd;t; einen foId>cn verlieren ij! n^ahrlid; ÖeuMnn. 2)ic 3u-
bcnl;cit nuifj fid) ron Sd;Iacfcn reinicjcn, fcU \:^x> ^ubcntlnnn rein unb lauter
I;e^opr{^c^cn. 53cten ijl u>a^vlid> nrd; nid;t Oklißicn, r'OTO 1:TX TDD
•j")j;") n")in. S)ao Snbcnllnun tccjnüöt fid; nid;t mit leeren 'pl;iIofcpl5emcn,
mit fciHni gcbved^fcltcn, n^cIjHlinQcnben ÖIaubcnol>efenntniifen; eß perlangt ein
tKitliäfJiiJC?, poctiid^cö Ccben, bafj alle .^banbluncjcn burd;brin(jt, Öei|l unb
v^u"r;\*r iunißil rcrbinbcnb, Öeiil c[)nc 5^vm unb OJiateric i]! ilMU fo fremb,
als öciülid^e Sc^rnr il;m juiuiber ift. Sa8 3nbentl,nim i]! cin^nilitut, baä
fivenfjC Crbeni'rccjeln yerfd^rcibt ; u>cr fid; biefen nid?t untcrmcrfcn mag, m5gc
fcin-^-^cil immerijin anberoii^o fud^en; im^n^cnt^mm mirb er eß nimmer finbcn.
iTic 3tarfc unferer Ccnfefficn beruljet nid»t auf ber Quantität il^rer öclcnncr,
fontci-n auf ber Qualität beS 23ercnntniije6 Z''y:i''JT\ ^2D D2D"ID N7»
•7''''1 p'^*n fdjeibc fid; inimcrl;in, u^ov fid> fd;cibcn fcU, \i^% UebngMeiDcnbc
irirb nur um fo compacter ircrbcn..
• • •
( ) Israel Deu-tsch an Abraham Muhr
Beuthen, am 12.Kislew 56OI
(7. Dezember I840).
fcükri 3«tc Ijattc 8<«'J «»t'vcn nrnaVli" ein« (djJncn CtI;rco, cmcn fltu=
„cn 2ul.t, eine« fromme» Seh,, eine,, «»'*'^'' 7" ^;?»;"/- *,9';. "',';;
Cr t.e.lte feinen eiaenen Jitel, unb füljltc fid) b»t-ei flUullid,. ai.i.ä .bm
Pcn irbifd-en (Sfitem .«j.if) i.nb SeMct-funa cnläosen, fanb tr rei(I;i(Ij evfcjl
i,n.(Sinirad, in feinem ©tauten, in bem cr^-bcnben Scivujlfein, für fernen
«MÜl-cn SU leibai. G5 aelüPete it,m nid.t uad, «11^ CSlircn, »ürten unb
ascranuaungen, »on benen et ouSaefdjlofien u-ar. Se^t ip eS anberS; ben
.fvmmtl Ihm bcr 5ube u^eaaeu-orfen, uub bic Crbc will mm, iljm oud, f^rc. .3
ncidicn in bcr 2ueU-.l> fiftt er «id,t, unb bic Sauben im iaufmann.fdjen ©arten
finbif-m Krfdjlrnen/eiue OSorenu mag er «id.t, «nb jum Saron nnU man
Im aud, uid;t mad;cn, ölaubcn (-at er ui(t-t, unb man aDt .^n um beä ©te
fr>-9~^
•) Tic "i'pvtc bc5 JJ^cvf.-.ffcviS fuib al(crbi!i;i5 I'oIjor.^ijjciuMrortT), jcbod,» jnr Steuer
tcv ilis.ilnlicu t.uf nirf'i Vvnlcfnricjicn »vcvbcn, taß \6cn jitr ^c'xi bcr ü)ii|(^ina c& tci außer«
Vi'.-.fn:'.;iu'Cii Guben üHidi \\\\x, fiA uirf^tjüt-Udiic 9JnnKn leijufcßcn. 0. (5^itlin 11.2.
c' -:'."! roc wZ f.TriVJ'y:; th' D':; h^yv' nn- cc< ifi tie? ein muirocu
filu-i* ,v-<i''''!'. iübcui cc< iiuf bic ^\i(ari;»al» inffnirt, uiib ^M fuT^ev mel^r CHUMcf't nl? l'fcßc
.»^ii'-'i'S eiiu'Oiil.ie bct? Inliinibi^ \\(C[C\\ bicUcbliri»(oil ifl mir Jtii(»( bcfouut. ^»u'^jltd^cr»
jva': t::v!!C c;:i UntcvfiVicb fein äUMJibeu ii^'iU'ijnufl ni(Miitbifrf)er !)i\v.iieu ^on \>cx\\ I)crcin,
lII•,^ \y'du-:v in'vuuifii'uii^ bcä jübi|(1(|cn9^'lmc^lS mit cinciii uici^liilbifrf'ct!, Jcornuf allein
f;Jj bcr 2}JibvafiJ) ju bcjicOcw fc^cint. 2>. S.
^^ ^
( ) Israel Deutsch an Al)raham Mulir
Beuthen, am 16, Sohebat ^^PC^-,
(21. Januar 1840^1
• • •
(So fnit Sl'ncn ütvißcnd meine ^Infic^^n'm 23clvcff bcr Gultufrcfcrin
Innläuvjüd) l'cfannt. -Bonn cilcx niniK^bcu förunb ^ur Dlotljircnbiofcit einet
Dicfovm bciriu [ud;cn, bamit nid;t bicjcnigcn, wclcfjc [d)c>u bcm 3ut»cntl>um cnts
frcmbct fmb, bcmfcltcn ganä cntfncjcn, fo möd;tc id; in -Scrfudjima lommcn,
aiio eben bicfem Cjrunbc, für jc^t feine D^cfcrm ju ivün[d;en. derjenige, ber
fid; i^cu bcii^Orimbfä^cn feiner JKeliijipn loofacicn fnnn, weil if)m bic äupcre
Scrm.im^'t anfprid;t; einen foId)cu i>cdicrcn ijl n^al;rlid; Ö5ciinnn. 2)ic 3us
^fc^nt^it mufj fid) ron 8d;KicIcn rcinicjcn, fcU ba3 Su^nitlnim rein unb lauter
' I;eri>cvc\cku. 53ctcn ifi wahxlld) ncd; nid;t Dkligion, ::)Ü'VÜ IjTX TDD
•j'':;') min. Saß 3u^c»tlHim teönOöt fid; nid;t mit leeren yf)ilcfcpl;cmcu,
mit fd;ön gcbrcd; feiten, u^ol)Iflin3cnbcn GilaubenC^bcfenntniffen; c8 oerlangt ein
unb
•) l'vcb. 28. 9.
••) 5. 53. Tl. 7, 7.
••) %^l 50, 5. (S. auc^ ©an^. 110, 2.
SD. a>.
UMVD mir um 10 ccmpocrcr rccrccn.
jmb,
baS
i?9C
Den.
ncr,
iinbe
• • •
( ) Israel Deutsch an Abraham Muhr
• • •
Beuthen, am 12.Kislew 56OI
(7. Dezember IÖ40).
/<wUli>i«^«WviM«*1)'-'nfi <^ä 'f «Ilf'Wiigä jcjt eint Pjlimmc 3"t. Der
'frütuvc Sute l!o.ttc mn »"tcvcn mn='71i'' eine« !d,Cnm CSiI.vo(j, omcn Bru=
ncn eulat, einen (tommcn ZcU, einen Ämtern jnm Gitmn u. tal- ""^r-
Gr kttc feinen eijenen 5ltel, unb füIjUe f.d, baki jlndlid,. SiiOä .^m
oon irtiid-cn ©Olern .5.13 «nb S3er(.d;tunä entje-äen, fant er reid; id, ev[eM
im .fiinimel, in feinem ©lauten, in tem crljel'cnKn Seunt.jtiein, fut feinen
CManl-en ju leiten. CS sdüücte il)m nid;t nod; «Ken G!>ven, Sürben nnb
Scronüesunaen, i'on bcnen et auJoefd^Ioüen mar. ScDt iff.cä e.nter5; ten
.fiimmel t>at ter Snte me9äemorien, nnc tie erbe unll man ilnn aud- flve. .3
r,ad.en in ber 2udal. f.pt er nidit, «nb bie Sanben im tauimann.idjen ©arten
finbiJ-n, .evidjl.ffen/einc »benenn mafl er nidjt, m.b 5»m fflaron »tt man
t,„ a,d, «id,t mad;en, ölanben I;at er «id-t, «nb man I,a„t .l;n «m beä ölau=
>^
{\]\^ UMlIcn. So foll er Cl•|^H^ t^l^cn, \vo ?.\Milh I;cvncl;mcn, um tic UniMUcn ^ ^
Sic at>cr allcö 3?ofc [eine c\ulc ecite hai, c^laxihc id; aucf), tai; cten bcr:
c;Icicl>cn 3inücni>ci[un(\cu dniilUdKrfeit? bcu Csn^ni nuö feinem Jvauiiic UKdcit
• ivcitcn. ar^enn er umfouil flcHvcM I>at, bai'> Csut'cnHnim jn rerncf^len, [o irirb
iOm uicl;(ß fitvig Mcil'cn, alij cf» uücter ju [cfHH'^cn. 25cv Subc u^irt immer,
fo IciW^c er firf; 3»tc nennt, fo iveniß er m\6) cm feiner D^clicjion glanM unb
^alt, fo iMcl er aud; (5I;viftli(fKö luid^ifit, fo brei|1 er fid> ju ben 31idUiutcn
bränot, ober fo lH'fd;cibcn er fid> nnbevn mag, bennod; al8 ^ute surücföefe^t
bleiben. Stellen fid; brd) nod; I;cntc bic i^crfdncbcnen d;ri|ilid;cn (Jcnfcificntn
feinbfelig ciuanbcr gegenüber, ivicu^ol fic fid; gcgenfeitig nid;t ba^jcnigc rcru^crs
fcn, irnö fic alö 23onranb beß Siittcnt^affeö i>crfd;ü^en, unb nur bnö CJIcicI^ge-
iridjt bcr materiellen Ä^raftc, u>eld>cö ein breifjigjä^^riacr Äricg I,^erl)cigcfül;rt,
ücrljütet bic Unterbvücfung bcr einen ober bcr andern (Sonfcfficn; beraube ^in:
gegen fann bcr 53ii[J3unfl unbbcrSntolIcvans, bcnuifinctmitUcbermad;!, nid^t§Ql5
Öcbulb cntgegcnfctjen. IDcrSubc, bcr bat;er nid;t fd;u^ad; genug i|1, feinen Olaus
bcn gani ju perlciigncu, mufj {larf genug fein, um mit Sfirbc cntbcbren ju*
Ji^nnen. Sßafl man il}m mit Unred;t »orrcntl^ält, er mu^ nid;t barnod; fcufjcn;
ilolj auf feinen ©laubeu muf) er fid) über bad iilcinlid;c crl;cbcn, unb cö mit
OJIcid;gültigfcit, u^enn aud; nid;t mit isevad»tung, betrad,^tcn. &)\'c i>erbicncn
ift nnrllid^ (31)re, gcel;vt fein i|l 3^\i(\\l, gar oft unel;vlid;. :£)er .V)alb)ubc fd^iron»
nnc baö OieI;r, u^urjclt nirgcnbi', unb UMVb am Gnbc, a>ic bic Slebcrmauö in
bcr Jabcl, nirgenb? alß ebenbürtig anerfannt. 23oI möd^tc id; gern Xiai 6nbc
bcr jetzigen Sirrcn'im 3i»^c"tbumc erfd^aucn, ju erleben f)onc id; fic nid)t
•)nrti* xb") 1:N"1X' unb (niltc id; jene 3cit nid;t für bic cvnn"infd;tc|lc. ßjcbe
Gjctt, H^ bic Scnbnng fanft unb pl;nc Sturm I;crbci3efüf;rt werbe!
5d; merfc, ba{j id; finftcv unb I;in^od^onberiid) U'crbe; idj iriU bafter nur
fc^^Iicpcn mit jenen fd;önen Sorten : ;-).C\xr IH 3*rC *0 O^O C^X'^H V^"'
n: nox' 7XT;:;* /i* cir:;i ..
Die Verbreitung des Reformgedankens hatte inzwischen auch in dem von
vornherein der Reform zugeneigten und sie fördernden Abraham Muhr die
noch vorhandenen konservativen Neigungen immer mehr verdrängt. Deutsch
reagiert darauf mit einer klaren Definition seiner Auffassung.
( ) Israel Deutsch an Abraham Muhr
t
Beuthen, am 6. Adar 5604.
(25. Februar I644).
• • •
Sic Crtcbofic ^cii, tro& bcr Scrfnöd^erung, SSerflcinenmg unb fcnpigcn"
Snucctiscn, mit a^clcbcn man fic überKnift, bennod; burd; Sal;rtaufcnbe bcn
^urn bcu^ubcntbumä gcfunb nw'o fräftig crbaltcn, u\ibrcnb bic 9icoIogic burc^
einen Scitraum oon faum j'.rci S/Cjcnnicn i[;rc« Sirfcnö fd;cn bicfcn ^crn ju
rcrnid;tcn bror;ct, u^a-S bcr .<tümpf Sf^f'^ ^i^ Oicfcrmfreunbc (nnlanglicJ) bcfun<-
bet. 23enn aber im Q3erfauf ter 3^H, mand^co Jjrcmbartigc in bic DrlI;obc?ie
fid; cinjufd;Ieidien, unb Öeltimg ju s^erfdiancn geirufjt; fo bebarf c5 bccU^cgcn
feines Stürmenß, fcincö gcnuiltfummen, 2II(e5 erfd;ütternbcn fcureipenS. 2)ic
öllmalig fortid;rcitcnbc Silbimg, bic mit bcrScit allgemein burd;bringen mup,
nnrb fd;on o[mc Ocraufd) jencu J^rcmbavligc aupöfen; cÖ n)irb fpuricö ocrs
fd;nnnbeu unb nicfjtö jum öegral^cn übrig bleiben. iDic „^(utonomic"') ^abc
id) nodj nid;t gelefcn ; bod; fcnnc i6 ihre 2;cnbenj au9 bcn jübifd;cn Sournalcn.
:>
^u"irjlicf> Um mir äufolli^j ein 23Ialt tcc* l'cniivKli^cr „Sivaclilcu"^) ju Öcfidjte,
b(\3 tiefe !?lutoncmic bcf^^ricfit. ^i^Oic fuf; tiefe [rommc .<bnut freuet, top man
mm eine 5lnleitimfl l)al^c, ciKcn ScfMiuiy mit nllcu 9voP, bor feit O^^pfifl Seiten
bcm Suteutlnimc onKebt, mit ßiiter D?ianier tueöjiifcgen. Gö \\t tiefem guten
03iannc turrf; cru\ibntc ^lutonomic iric 8d;u^H>en i^on ben Jlugen gefallen.
5clU fieM er cö riar, bafj ter Si^eg, tcn er H3 je^t auö Ieibli(f;cn Dlüclfic^tcn
t^crfclgt, üud; am bcquempcii imt ful^crilcu jum .^immcl ful;re.
(Sntlicf) meinen Sic, man n^erbc öcn ben Diatbincrn forbern, burd) Se«
le^rung baS Solf immer mel^r jur Gmnnjipatipucrcifc fjeranjubilbcn, unb ba«'
burc^ mirb ein Gonpift cnt|}el;en u. f. n*. So \c\)x man gcn^cf^nt \\i, bicfe
Sprad;c t?cn ^«benfeinbcn ju \?crnel;mcn, fo fonbcrbar Hingt Sic im 5}?unbe.
ciucS Sufecn. Slcifc jur Gmancipation! ! 2)ie »crmiffe \d) ganj unb gat
nidbt. Sinb ia bic Sieger in ben amcrifanifdjcn ^lantagcn, in ben 5(ugcn je«
bcft cbicn t)}kufd)cufrcunbc§ reif jur Gmancipation, unb bic 3ubcn mSrcn c8
nic^^t? — Sft bcd; bic d;riillid)c^leb?, bic. man in ben JRinnpcincn, bcmSSic^e
glei(^, liegen fiet;t, or;nc 2ruSnaT;mc cmaneipirt; unb bcr ^\it>c xoäxc nid;t reif?
3:äufc^en \mx unö bod; nid;t! Unfcrc CJcgncr, bic eine fc&Ienbc JReifc oorfd)ü&cn,
feuncn fid^rlid; !einc ariberc JHeifc, alö — bic üaufc. 3u bicfer über tt?crbcn
bic prt!>pbo;:cn J)kbt)inev unter feiner SÖebingung ben 3Bcg baf)ncn. 2I(^, tt>as
rum muö bcr Glaube, bcr nur Siebe unb (5inlrad;t fliften folltc, ju allen Seiten
5}eranlaj|ung ju .^afj unb S^vicfpalt geben? — 5lbcr Sic ^abcn ganj icd^t:
moö nid;t fd;aten fann, ba3 Fann aud; nid;t nü^en. SBoö wäre QJIaubcn auc^,
wenn ba5 ©cgiaubtc nid;t anber3 benibar märe
')U2 id'p* D'pni: 'n 'Zii Dniy»
Z& ^of^c, Sic merben bicö Sd;reiben in eben bcm Sinne lefcn, ttic ic^
baö Z\)x\^t gclcfcn, nämlid; aI8 einen (Srgu^ frcunbf(^aftlid;cr Sichtung . .
. S^^cö ergebenen
. ■• . 3. 2>cutf(^.
y^
Ende I846, laiapp vor dem in das folgende Jahr fallenden Tode Muhrs
Deutsch starb im Jahre 1Ö53 - bricht der Briefwechsel ah.
( ) Israel Deutsch an Abraham Muhr
Beuthen, am 29, ICislew 56O7.
(18. Dezember IÖ46).
Gin ©cctor Seit in 5?crlin I?at ben Cinfall, er fcnnc nid;t beim „C^ott
3frael5 .fd)ui5rcn, n^eil bieö einen „5^aticnüIgotl" corauGfcfpC. 2Jian »irft
jivar burd) bicfe ^cTjau^lung einen Stein auf bic ganjc Subenl;eit, n^eldje feit
^ül>rl)unbcrlcn beim ©Ptte 5ivael6 fdjiyßrt; allein man mill ben SSonrurf bcö
^artifuIarißmuS, ben bic jjeinbc bcr Gmancipaticn ücrfd^üecn, mit G'clat ju«
rücfn>eifen. CDt^gen alfo bic ^ütrcvtcrn im Grabe mit Sdu'mpf unb Sclnnac^
bebcdt merben, trenn nur iI,Te Inimanifircntcn, fccmc;^plitiicf>en Gnfel ein 5Icmts
d;cn erlangen, unb fei c5 — baS cineö ?tad;tn^äd;ter5. — 5Iber c8 fei barum,
^err Seit wci^, wai er unll; jetenfaHö n^ar ter ^Hotcf^ cvigincll. 5lbcr balb
nnrb ein .^irfd;bcrgcr 5»^c iuficivt, bcr fid; iiiclleid)t fein Cebenlang n>cber um
einen Tcaticnal; ncd; um einen Univ'crfalf;crrgctt gefümmcrt, auc^ er proteftirt,
unb verliert er beSbalb aud) feine Sd)uIbfovberung, \o ^at er bod; bafür ben
Grfafj, \>Ci^ in ben Scitungen baoon gefpvüd;en mirb. SSic gcfagt, id; für mci«
« •
t
11
2) 3ed)ci. 37, 8. \ ••" ' :'' . . '. . . ' ,' •
») 2k ^lutoncmic tru Dr. 3. .C^cttieim. ■
*) ©er öiraclit bei 19. 34vl)unK'il?, S>^m^'^\^ vcbia»vt tcn Dr. .^«ü i« CcnöPfcIb.
2). 2>.
!!
CSnMid) meinen Sic, man n^crbc ücn bcn JKabbincrn forbcrn, burdj Se«
Ic^rung baS Solf immer mcf^r jur Gmanjipalionfrcifc ^cranjubilbcn, unb ba«
burc^ mirb ein Gcnpift cnl|lcl;cn u. f. tt». 6p fc^r man öCJi>c()nt \\i, bicfe
Spracf;c »cn 3"tenfcinbcn ju t?crneT;mcn, fo [onbcrbar Hingt Sic im 5}?unbe
cinc3 Sufecn. IKcifc ^ur Gmancipation! ! 2)ic »crmifje icf; ganj unb gar
ni(ibt. Siub ja bic Olcgcr in bcn amerifani[d)cn ^lantagcn, in bcn klugen je«
bcö cbicn t>3Jcn[d;cnfrcunbc3 reif jur Gmancipation, unb bic Subcn trSrcn
nid;t? — Sil ^cd) tic rf;rift(id)c^IcbS, bic. man in bcn SJ^innpeincn, bcmSÖj
^ki6), ließen [Kl)t, c\)\k 5rii?nar)mc cmancipirt; unb bcr ^wtc wm ni6frcif?
2;äu[d;en unr nn3 bod} iüd;t! Unferc Ocgner, bic eine fc^Ienbc JReifc ojy^d)ü^cn,
fenncn fidKrlid) feine anbere Dicife, qIö — bic Saufe. 3u biefer Aber »erben
bic orll^obc;:cn J)^\bl)incr unter feiner SöcbinQung bcn SScg bahnen. 5Ic^, tras
rum mu^ ber ©laute, bcr nur ?ictc unb Cintrad;t (iiften \dUj/, ju allen Seiten
SGcranlanun^ ju .^ajj unb 3^^nc[palt geben? — 5Ibcr Sir fjaben ganj rcc^t:
n?a5 nid;t fd;abcn fann, ba3 fann aud; nid;t nützen. 23^6 wäre CJIauIjcn üuc^,
ipenn baS GJeglaubtc nidjt anbcr3 bcnlKir tuSrc /
*-p2 )zh' üyr^ 'n *dii' ün^:;»
SA ^offc, Sic werben biefl Scf;rciDcn in c^en bem Sinne lefcn, tbic iäf
baß ^\)ü^i oclcfcn, nämlid) alö einen (5rv3up frcunbfc^aftlid;cr Sichtung .
3^rcö ergebenen- • .
. • .- . .. • / . 3- JDcutfi!^.
Ende IÖ46, knapp vor dem in das folgende Jahr fall enden Tode Lluhrs
Deutsch starh im Jahre I8 5 3 - "bricht der Briefwechsel ah.
Israel Deutsch an Abraham Muhr
Beuthen, am 29. Kislew 5607.
(18. Dezemher I846).
^in Soctor Seit in 23erl;n ^at bcn GinfaH, er ft^nne nid;t beim „©ptt
SMS fdjmören, meil bic8 einen „SRaticnalgott" Dorau^fcte. dTian »irft
l\/a: burd) bicfc ^cl;auptung einen Stein ouf bic ganje Subcnl;cit, roclc^^c [cit
)ah^unbcrtcn beim (yplle S|vael5 fd;iv5rt; allein man irill bcn Sßornnjrf bcö
^arlifuIariÖmuS, bcn bic J^einbc bcr Cmancipaticn oorfc^n'itsen, mit Gclüt iu»
riurmeifcn. a)iagcn alfo bic ^Ktrorbevn im örabc mit Sdnmvf unb Sd;mac^
bcbcdt n^erben, mcnn nur i[TC Inimanifircnbcn, fcümcpcliti[d;en (Jnfcl ein Slcmts
d;cn erlangen, unb fei Co — baS cincö 5riad)fmäd;tcr?. — 5Ibcr cß fei barum,
^crr Seit meiij, n>a5 er u^iü; jcbenfallö n^ar bcr ^xok\i crigincH. 5lbcr talb
unrb ein .<])iv[d^bcrgcr Subc inficirt, bcr fid; iv,cUcid;t fein Ccbcnlang n^cber um
einen Tiational-- ncd; um einen Uniücrfal^crrgott gefümmcrt, auc^ er proteftirt,
unb öcrlicrt er bcöl^alb aiid; feine Sdmlbfovberung, fü ^at er bod; bafür bcn
©rfalj, ba[) in bcn 3eitungen baoon gcfprod;en lüirb. SDic gcfflgt, id) für mci»
\y
ncu.3:r;cil Inn ju ircnig rcij^ar, unb fnfic c3 bar;cr - üicHcidjt mit unrcQ;t —
ron bcr läd^crlidu^n 6ci(c auf, unb trenn id; oucfi Q}?anrf;c5 an bcr normirtcn
Oorm bcö Subcnclbcc ju ml^lüaigcn pnbc, fo ^alte iä} bicö nicf)t für rrirf;ti3
ßcnufl, um bcßbalb ju prctcjKrcn. •
Jagcö fcaroufi
^c u>clt iror mein ScT^rcibcn {jcbjcljcn, alfl id) Reut 5I;r GccIjrtcS, cnl*
taltcnb bic ?l^[d;rift Sl^rcC' ^^rctcilcS cr(ncH; Sie ücrlanflcn außbrücHid; meine
cufrid^tiiic Meinung, b. \\, tric eic IiinjufcC^cn, tabelnb. Sc^ freue mid?, oon
3lMicn fp gut Qcfannt ju [ein, inbcm fic i>cn mir eine tabcinbc OTcinunß aI8
tic cufvid'ticjc roraiiöfctcn. Sic fe!)cn, grcunb, icf; bin 3f;rcm ©un[d)C iuoors
ßcrcmmcn. •)n::\X »:X1 IXnp» DTO n*ni. Sd; mup Sl^cn jcbod) mit
eben bcr ^lufri^ti^rcit, aly cö mein Sabel trar, ocrfidjcrn, bap id; Sic burc^j
au5 ni6t [äMg baltc, au8 anbcrn D3iolipcn al3 üu8 innerer Uebcrjcugung iu
pvelcftircn. 2Ber ba SdMr.erj [üMt, bcr f[v>(jt, mavum aber ^tfagen vcrQnlajfcn,
irenn Sdjmcr^ nid^t Sffül;lt ivirb'? — Sic füHcn fid) ücrlett unb protcfiircn
barum; bic G5cmcinben bingecjen, bie fciu23cbür[nin jum^rotcflc füllen, n^arum
fic üu[|la6flu? — ^aö u\irc meines (5rad;tcno, ?.^?obcfud;t. , ;
■ßaß bcn ^^rctcft i'elb|l betrint, fo billige id; bcn Ic|j(cn, ücrircrfc Ijingcgen
fccn erilen X'i)Q\l bcffclben. 2)er „GJctt Siraclö" ijl fcineSircgS ein SRatienaU
ßott, fcnberu ber Qöott, btr burc^ 2fracl ber sanjcn cioilifirten Seit !unb«
geircrbcn, bai-}eni{jc bcd^flc 33cfen, bas einig einjigc, Dor^erfcI;cnbc, unförper»
lid;c u. f. »., unc bie Ccbrc SfracU i^n Dorpellt. Gö [diliept alle beibnifc^cn
öcgrinc rcn ÖPtt, bic Srcifaltigfcit unb baö Jjatum auß. 2)cr „SlUmacf^tige,
Sinnüffcnbe" fagt bei n^citem baS nid;t, ivaß „QJctt 3[rQcI»" [^gt. SBarum
ülfo ba5[euigc jurücfn?eifcn, ti^aS un8 jur f;öd;pcn Q^xt gereicht.
fyK '^i%H fß-nr4d KoZLe^ CouecrxoM ^jjZ ^B
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Im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts v/urde . durch eine Reihe von
welthistorischen Geschehnissen der vordere Orient in Aufruhr versetzt
und die Stätten, von denen die Geschichto der Juden ihren Ausgang
genommen hat, in die Sphäre der europäischen Politik einbezogen. In
die Zeit zwischen I83I und 1839 fällt der Kampf, den der vom Sultan
Llahnud II, abgefallene Pascha von Aegypten Kehemed Ali goQQn die
Türkei ausfocht und der mit der Unterv/erfung SyrienSj-einschliesslich
des damals dazugehörigen Palästinas, unter die Herrschaft Aegyptens
endete. Als jedoch Hol|ned Ali durch eine neue erfolgreiche Offensive
die Hohe Pforte seihst bedrohte, griffen die verbündeten Mächte H]ngland,
est erreich und Preussen zugunsten der gefährdeten Türkei durch eine
bev/affnete Aktion ein. Im Oktober I84O setzte ein englisches Geschwader
nach Einnahme von Akk;;^ eine englisch-österreichisch-rtürkische Truppen-
macht an Land, die unter dem Oberbefehl des deutschen Generals August
von Jochmus Palästina zurückeroberte und im Februar IÖ4I in Damaskus
im Triumph einzog«
Die durch diese Ereignisse hervorgerufene "orientalische Präge"
eröffnete völlig unerwartete Perspektiven für Palästina. Unter den
staatspolitischen Plänen, die man für das plötzlich zu internationaler
Bedeutung gelangte, verwahrloste Land zu entwerfen begann, tauchte
mitten im Zeitalter der fortschreitenden Emanzipation die lilöglichkeit
einer Rückkehr der Juden in ihre alte Heimat als ein ernstlich zu er-
wägendes weltpolitisches Problem auf. Insbesondere in England nahm die
Bev/egung für die "Restoration of the Jews", deren Anfänge bis in das
sechzehnte Jahrhundert zurückreichen, einen realistischen, auf unmittel-
bare Verwdrklichung gerichteten Charakter an. Ihr führender Geist war
der tiefreligiöse Philanthrop Lord/^snley/fSpa^Eer~Siebenter Earl of
Shaftesbury, dem das Verdienst zukommt, alS' erster die Idee einer völker-
rechtlich gesicherten Heimstätte der Juden auf palästinensischem Boden
durch eine an Lord Palmerston, den damaligen britischen Aussenminister,
gerichtete Denkschrift aus der Sphäre der Utopie in jene der Politik
verlegt zu haben. Fast gleichzeitig ging von Oberst Charles Henry-
Churchill, der dem Stabe des Generals von Jochmus zugeteilt war, eine
andere weitblickende Initiative aus. In der richtigen Erkenntnis, dass
der erste Anstoss zu einer Wiedergeburt des Landes Israel von der
* Mehemed Ali;: (1769-1849).
•^-^^ Augast von Jochmuc:(l8o8-l88l), Ohsf des Generals t.r.l);^ der
tfirkisoh-.nglisoh-österroicMßchon Streitkräfte ßV3£:9n Svri ;n,
#
;
Judonhcit ausgehen müsse, untornahm Churchill, mehr alc fünfzig Jahre
vor dorn Auftreten Theodor Herzls, in einer in Damaskus (gehaltenen Rede
und in Briefen an Sir Kosos Montofiore, das Haupt der britischen
Judonschaft, den Versuch, die Juden der Welt zu einer ,fremeinsamon Aktion
zu hestimmen, deren Endziel die Wiederbelebung des jüdischen Gemein-
\Yesens im Lande Israel sein sollte.
In dieselbe Zeit fiel die unter dem Namen Damaskus -Affäre bekannt
gowordeno Justiztragödie, die ebenfalls die Judenfrage in den Mittel-
punkt des Öffentlichen Interesses rückte. Am 5, Februar I840 war in
Damaskus der Kapuzinermönch Thomas de Sardegna samt seinem Diener
spurlos verschv/unden. Obwohl der Verdacht nahelag, das 3 beide einer
Rache von Llohammedanern zum Opfer gefallen seien, entstand das Gerücht,
die Juden hätten den 'S's^ki^ und seinen Hausgenossen getötet, um deren
Blut zur Bereitung von llazzoth für das bevorstehende Pessachf est zu
ver\7endon. Der französische Konsul Ratti*i:enton, der diplomatische
Vertreter jener Macht, deren Gunst sich Mehemed Ali erfreute, führte
gemeinsam mit dem türkischen Gouverneur Scherif Pascha die Untersuchung
gogen die verhafteten Juden, unter denen sich die angesehensten Mit-
gV'ii.der der Gemeinde befanden, und schreckte nicht vor der Anwendung
grausamster Foltermethoden zurück, deren (c^ualen zwei der Opfer erlagen.
Die Berichte über diese Schrecken versetzten die Alte und die Neue
V/elt in Aufruhr, li'icht bloss die breite Oeff entlichlceit, auch die
Parlamente und Staatskanzleien bemächtigten sich des Falles. Es kam
sogar zu einem gemeinsamen diplomatischen Schritt von England, ester-
reich, Preussen und Russland, deren Vertreter an Kehemed Ali eine ITote
mit der Aufforderung richteten, er möge, "erleuchtet von dem Geiste, der
klar erkannt habe, dass der seit Jahrhunderten gegen die Juden geäusserte
Verdacht, llenschenopf er darzubringen, ^ eine haltlose Verleumdung sei,"
eine der europäischen Art der Rechtspflege -entsprechende Revision des
QQgQTi die Juden anhängig gemachten Prozesses anordnen.
Das Ereignis erschütterte die gesamte Jüdische Diaspora und führte
allgemein zu dem Wunsch nach Selbsthilfe. Eine von der Deputierten-
kammer der englischen Juden nach London einberufene Konferenz beschloss
im Juni IÖ40 die liJntsendung oiner Deputation an den Hof l.:ehemed Alis,
um die Sache der verfolgten Juden von Damaslcus zu verfechten. Im Juli
1840 trat die Deputation, der ausser lloses Montefior'o'und seinem gelehr-
ton Sekrotär Dr. Louis ^ij^nt^' Loewe, der schon um diese Zeit berühmte
französische Advokat Adolphe Cremieuz und der aus Deutschland stammende
* Sir Moöes MonijQfiore; (17^>4-Iö83) , die repräßentativt^te Pernön-
liclilr.öi-b in der jüd. Politik des 19» Jahrhundert.^:!, li^lhrondes
Mitf'3:liecl der sefardisohen Gemeinde in London, "vvo seine F?amilie
sich in der Mitte des 16. Jahrhiinderts niedergelassen hatte.
Setzte sich fi'xr die verfolgt an Juden in aller Welt oin und xiTurde
ein Vorkämpfer jüdisohor Interefüsen.
** Louia Loewe; (180 9-1888), Orientalist| unternahm nach der Reise
nach Damaskus weitere Reisen nach Russland (I846 und I872), naoh
Marokko (l863) und Rumänien (l867). Gab die Tagehücher von Sir
Moses Montefiore heraus« Diaries of Sir M. and Lady Montefiore,
1890 . ^
^t^*
Adolphe Cr^mieux:( 1796-1860), frai^Jsisoher Minist ^r und Politikc^r,
Setzte sich fflr die volle Oleichherechtigung der Juden ein.
>
. / ( -
Oriontalist Salomon llunk an^^ohörten, die Roice nach Aogypten an.
Nach mohrfachen Audienzen hei llehomod Ali gelang es den Delegierten
schliesslich, ihn zur Freilassung der gefangenen Juden zu bestimmen.
Llontefiore hegah sich sodann in Begleitung von Dr. Loev;e noch .nach
Konstantinopel und ervnlrkte bei dem jungen Sultan Abdul ^^asoip-iä./ die
Vorkündung eines foierliohon Manifestes (Hatti/ Sherif) zum Sohutzo der
im Osmanischen Reich lebenden Juden,
Diese Geschehnisse bilden den Hintergrund für das erste Aufflammen
dos zionistischen Gedankens innerhalb der europäischen Judenheit im
neunzehnten Jahrhundert. In rascher Folge kam es an verschiedenen
Punkten des Kontinents zu Kundgebungen eines wieder erwachten jüdischen
ITationalbe\msstseins, Bereits im Jahre 1Ö34 hatte Rabbi Yehuda Alkalay
von Semlin seine in diesem Geiste verfasste Schrift "Schema Israel"
veröffentlicht; im Kriegs jähre I84O begab er sich sogar persönlich nach
London, um eine jüdische Kolonisierung des Landes Israel in die V/ege
zu leiten, in demselben Jahre, in dem Scimuel David Luzzatto in Padua ,
seinen Brief an die jüdischen Gelehrten in Deutschland schrieb. Mkt^
^'ünTer den Juden des deutschen Sprachgebietes - in Deutschland und
esterreich - ^j^jS^ der Gedanlce einer nationalen Wiedergeburt um jene
Zeit mehrfachen und beredt on Ausdruck gefunden./
lloritz Steinschneider, der in späteren Jahren neben Leopold Zunz B-^^uc
z^Ö"c.#^to;^;?5M^'^^Ö CAü^li^iu der Wissenschaft des Judentums 'g/>^^<^L<^fi ^ war,
ZLOixSzü;: als er, zv;anzig Jahre alt, in Prag studierte, der Mittelpunkt
und Organisator einer auf "die Wiederherstellung der jüdischen Unab-
hängigkeit" gerichteten Studentenbewegung. Sie nahm ihren Ausgang von
Prag, vra im Jahre I836 ein dieses Ziel anstrebender Verein gegründet .
vAirde, Im Jahre I84I folgte eine analoge Gründung in Berlin. Die !2:'4tU'^
/i^ccv dieser frühzioniö tischen Studentenverbindung - wohl der ersten
dieser Art - stammten zumeist aus Bähmen iind Deutschland, Die Kenntnis
ihrer ITaraen verdanken v/ir den Geheimakten der österreichischen und
proussischsn Polizei, da die Tätigkeit der beiden Vereine den Verdacht
staatsgeiälirdender Umtriebe erweckte. Der aus Böhmen stammende Ado^4^—
Benisch war neben Steinschneider das tätigste LIitglied des Prager
Vereins und, väe Steinschneider, im jüdischen Schrifttum sehr bewandert.
S
Salomon Munk.'(l80 3-1867), ü'berBetzte die Petition an den Sultan
ins Türkisolie. Da Judon in Preunsen ktin Stautoamt 1)f;kl?;iden
durften, wanderte Muiik nach Frankrüioh aiis, Zunäohst Hauslehrer
"boi Alphoiise und Guntave de EotlLschild, Äiatalo^ibierte er I838
die hel)r, , arain., sp?, imd sra'b, Handschrift n der Pariser
Hational'bi'bi'bliothek. I865 i/urde er l^aohfolgor Eenans als
Professor für Fe"bräiöch am College de Pranoo«
**
Yehuda Alkalay; (1788 - I878), Vorkämpfer der Zions Idee, Ueher-
siedelte nach Palästina und 'bemühte sioh um die Vereinigung der
aschkenasischen und sefardisohen Gemeinden.
^^^
Moritz Steinschnoiderf (1816-1907)1 Orientalist und Bihliograph.
1852 - 1860 erschien sein Katalog der hebr, Bücher der Oxforder
Bibliothek (Catalogue Libror. Hebraeoorum in Bibliotheoa Bod-
leiana), der seinen v;-i ss ans ohaft liehen Ruhm begründete. üJr
gründete und leitete die Zeitschrift "Hamaskir, Hebr. Bibliogra-
phie" (1858-1882).
**** Abraham Benißoh;(l8ll-l878).
Um das Jahr I83Ö gin^ er zum I.iodizinatudium nach Y^ien, aber auch um
einon Vorein nach dem ?td.qqt TiuGter zu gründen. Ihm schloss sich der
ehenfalls in V/ien Medizin studierende, aus Mähren stammende V/ilholm
esterreicher an. Aus der Zusammenarbeit der beiden Freunde ging
ein Projekt zur Gründung einer jüdischen Kolonie im Lande Israel hervor.
Als sich im Jahre I84O Adolphe Cremieux auf der Rückreise von Aegypten
in Wien aufhielt, verschafften sich die beiden Studenten Zutritt zu
dem berühmten Mann und überreichten ihm das Manuskript ihres Projektes.
Cremieuz fertigte die unbekannten jungen Leute nicht als phantastische
Schwärmer ab, sondern würdigte sie einer ernsten Antwort,
( ) Adolphe Cremieux an Abraham Benisch und Wilhelm
esterreicher
Metz, IÖ40
fi'nii/iisisclien Israi^Iitcii, die in Frankreich ein so
teures Vaterland besitzen, i'iililen weniger als die
iii)i-ipeii auf dein ganz(Mi Erdenrund verbreiteten
Israeliten die Notwendigkeit einer solchen Kolonie
in Paliistina. AIxm- es kann kein Zweifel bestehen,
dal! unsere Wünsche und Sympathien denen unserer
iiiiid(;r fülj^en werden, die zu einem so erhabenen und
niiizlichen Zwecke, den sie verschlacken, sich in das
Land beg'eben werden, wo unsere Ahnen so niiiehtig
waren, und versuchen werden ein unserer Epoche
würdiges A\'^erk zum Wohle der Zivilisation zu
s( liaffen. Die ganze Welt hat jetzt ihre Augen gegen
den Orient gericiitet. Webber Art die Losung der
.S( hwi(U'igkeiten auch sein wird, die sieh aus der
Politik in Aegypten und Syrien ergeben, so ist doch
evident, daß \on nun an der Orient auch für die Ge-
schichie selbst des Westens schwerwiegend sein
wii'd. Sie Wahlen den geeigneten Moment, um Ihre
Ideen zu propagieren. Aber vor allem wüiüle es not-
wendig sein, dal! diese von den Ministerien der
Ilauj^tstaaten genehmigt Averden, denn man benötigt
für Ihre zukünftige Kolonien eines wirksamen und
vor allem europäischen Schutzes (protection).
N
.M. Gelber s Zur Vorgeschichte des Zioniaraus, Wien 1927. 3. 204.
•
4
r
/ • , ■ i.
/ '"
Diesem Brief war oin Empfehlungsschreiben an Montefiore "beigelegt.
BeniGch begab sich jedoch erst im Jahre I84I nach London, wo er dauern-
den Wohnsitz nahm und das bis zum heutigen Tage bestehende führende
englisch- jüdische Organ "Tho Jewish Chronicle" gründete.
Die im März I840 in Berlin- erschienene, mit den Buchstaben "C.L.K."
NGu-Judaea^ /
gözeiohnütö Oohrifl) 7Sit\vurr aum V/iedöraufbau eines selbotändigon
jüdischen Staates " hatte einen gänzlich anderen Charakter als die von
Steinschneider und Benisch angestrebte nationale Richtung. Auf eigen-
artige Weise ^vurde darin dio später mit dem Schlagwort "Territorialis-
mus" gekennzeichnete Bestrebung mit der ebenfalls erst später (von
Achad Haam) entv/^ickelten Idee eines im Lande Israel zu schaffenden
geistigen jüdischen Zentrums verbunden. Der anonyme Verfasser der
Broechüro trat für die Wiedervereinigung des jüdischen Volkes in einem
schv/ach besiedelten Gebiete Amerikas ein. Dort sollte eine "aristokra-
tische Republik" geschaffen v/erden, stark genug, um von dem Oberherm
Sirriens die Stadt Jerusalem mit einem dazugehörigen Weichbild zu er-
werben und die heilige Stadt vdedererstehen zu lassen als einen Wall-
fahrtsort für die Judonheit wie ihn die Christenheit in Rom und die
Mohammedaner in Mekka besitzen.
Der mit "D.V.H." gezeichnete Aufruf eines uhbekannten Autors aus
Konstanz, in der Zeitschrift "Orient" a^ 27. Juni I04O veröffent-
licht, kommt dem, was sich gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts
als politischer Zionismus entvackelte, am nächsten. Die einzige zeit-
genössische Parallele zu den darin entwickelten Gedanken ist in den
offenbar völlig unabhängig konzipierten Kundgebungen des Colonel Charles
Henry Churchill zu finden.
(
) Aus dem Aufruf des Anonymus (D,H.V, )
Constanz am Rhein, 11. Juni 1$40
Die Araber, durch Mchemcd Alis gewaltigen Scepter geleitet,
haben vor unseren Augen dem sinkenden Throne Osraans den
letzten Stoß versetzt, keine Macht der Erde wird dessed
völligen Einsturz verhindern. Schon lodert die Flamme der
Zwietracht im Herzen des Reiches, in Adrianopel und Smyrna
stehen sich Christen und Türken kampfgerüstet gegenüber.
Will Israel allein die Hände in den Schoß
legenPl Die Ereignisse im Orient sind der Finger des Herrn,
dort eröffnet sich uns eine Wirksamkeit, dort wird sich unser
Schicksal entscheiden! Oder wozu anders hätten wir mitten
unter den nordischen sprach- und stammfremden Völkern so
manches Jahrhundert hindurch bis auf den heutigen Tag
unsere heimatlichen Sitten und Gebräuche, unsere Strafe und
Religion so unverzagt gegen alle Stürme gewahrt, als um durch
* Aoh.-:id Haamj (1856-1927)5 "Ei:a r aus dem ?olk©", Pö.;uclonym für Usoher
Ginz"berg, Hebr. Sohriftstellor, L^ohöpfer des ;^eis-fci-Gn Zionismus.
Der Orient, V/ochensohrift, Loipaig IB4O-I85I.
N
.M. Gelber« Vorgeschichte des Zionismus. S. 263/66,
/
eine ärmliche Emnnzipation nnpclockt, in ein Nichts aufzu-
gehen? Aus Erbarmen oder habsüchtiger Spekulation wirft
man uns nach unendlichen Petitioniren einige auf allen Seiten
beschnittenen Vergünstigungen zu. Wer ist*s am Ende, dessen
Gnade wir solch magere Gaben zu verdanken haben, dem
Volke, das nie anders als mit höhnischem Auge uns als Nach-
barn duldet?
Beim Volke und seinen Wortführern ,sind
w i rheutenochebenso angefeindet, alsirgend
einmal. Sehet in die Staaten, wo das demokratishe Element
Ucbergcwicht bat, Haß und Verachtung, aber kein Wohlwollen-
Ais Fremdlinge werden wir geduldet, nirgends gesucht,
nirgends geliebt. Die Verschiedenheit des semitisch-südlichen
Urstammes von den blonden Abkömmlingen des Nordens ist
zu unvertilgbar in Körper und Seele gezeichnet, als daß je
eine Ausgleichung möglich wäre. Wir sind keine Deutschen,
keine Slaven, auch nicht Welsche oder Griechen, wir sind die
Kinder Israels, Stammverwandte der Araber, welche ihre
ruhmbedeckten Waffen vom Kaukasus bis an die Säulen des
Herkules getragen.
Das Gastrecht bei fremden Völkern in Anspruch zu nehmen,
zwang uns unsägliches Unglück, aber nicht ewig sollten wir
unter ihre Füße getreten, des heiligen Namens — Vaterland —
entbehren.
Wir hätten ein Vaterland, das Erbe unserer Väter schöner,
fruchtbarer, dem Verkehr wohlgelcgener als manche der ge-
priescnsten Striche des Erdbodens umgeben vojL Schluchten- I^^IA'^^
reichen Taurus, den liebliclien Gestaden des Euphrats, den
Hochstädten Arabiens und des felsigen Sinai, zieht sich unser
Stammland längs des Mittelländischen Meeres hin, begrenzt
von den turmhohen Zedern des Libanon, dem hundert kleine
Flüsse und Bäche entquellen. Fruchtbarkeit über die schattigen
Talgründe, Wohlhabenheit über die genügsamen Bewohner ver-
breitend. Ein herrliches Land! im tiefsten Busen des Meeres,
das drei Welttheile verbindet.vüber das schon die Phönizier
unsere Brüder ihre zahlreichen Flotten bis an die Gestaden
Albions und die reichen Küsten der Lithauer sandten; nahe
dem Roten, sowohl als dem persischen Meere, den ewigen
Bahnen des Weltverkehrs auf dem We^e von Persien, Indien,
an das kaspische und Schwarze Meer,x das Zentral-
handelslandzwischenOrientundOkzident
'"Jedes Land hat seine Eigentümlichkeit, jedes Volk seine ihm /
iunewoIitieDde Natur. Syrien und die es umgebenden weiten
Flüchen, einem geregelten Ackerbau ungünstig, sind ein Land
des Durchzuges, der Vermittlung, der Handelskarawanen. Kein
Volk der Erde hat seinem Berufe vom ersten Entstehen an so
treu gelebt, als wir, .wir sind ein Ilandclsvolk, geboren für das
Land, wo wenig Nahrung nötig, diese dem nüchternen Be-
wohner fast freiwillig von der Natur geliefert wird, nicht aber
für die schwerschaff igen Fluren des rauhen Nordens.
In keinem Lande der Erde sind unsere Brüder so zahlreich
als in Syrien, in keinem leben sie als geschlossene Massen so ^ •
unabhängig von den Umwohnern, in keinem bewahren sie so '
treu den Glauben an die Verheißungen der Väter, als an den
schönen Ufern des Orontes. In Damaskus allein wohnen an
60.000.
Der Araber hat seine Sprache und sein Stammland be-
hauptet, am Nil in den W^üsten bis zum Sinai und jenseits
des Jordans weidet er seine Herden. Auf den Hochebenen
Klcinasiens hat sich der Turkomane ein zweites Vaterland er-
fochten, das Stammland der Osmanen, aber Syrien mit Palä-
stina sind ledig. Seit Jahrhunderten das Schlachtfeld zwischen
den Söhnen des Altai und der arabischen Wüste, den zur See
hcrauswogenden Abendländern und dem halbnomadischen
Perser, hat noch keines sich darin festzusetzen und seine Natio- f . .
nalität aufrecht zu erhalten gewußt. Es gibt kein Volk, das den
Namen ,3yrer" in Anspruch nehmen könnte. Ein chaotisches ^
Gemisch aller Stämme und Zungen, Ueberbleibsel der Wande-
rungen aus Nord und Süd, stören sich im Besifz des herrlichen
Landes, worin unsere Väter so manches Jahrhundert den
Becher der Freude und des Jammers geleert, wo jede Scholle
-f
mit tlcm Blute unserer Helden getränkt ist, wo ihre Leiber
unter den Trümmern von Jerusalem begraben liegen.
Die Maclit unserer Feinde ist dabin, längst scbon bat der
Würgengel der Zwietracbt ilire gewaltigen Scharen nieder-
gemäht und immer noch regst du dich nicht, Volk Jebovahs?
Was steht im Wege? Nichts als unsere eigene Untätigkeit
Kein Pharao wird unsere Wallfahrt hindern, keine Legionen
uns dcsn Purehgnng sperren, Haben doch einst die Chrisie»
mitten durch feindliche kriegsgeübte Völker den Weg über
die Dardanellen sich zu bahnen gewuflt, warum nicht wir, die
%■ wir nirgends Feinde haben? Glaubt ihr, Mebemed Ali, oder
^, der Sultan in Stambul werde sich nicht überzeugen lassen,
' daß es für ihn vortheilhafter wäre, der Schutzherr eines fried-,
liehen und reichen Volkes zu sein, als mit unendlichem Ver-
luste an Menschen und Geld die ewig wiederkehrenden gegen-
seitig angchetzlcn Aufstände der Türken und Araber zu be-
kämpfen, von denen doch weder die einen noch die anderen
das Land in blühendem Zustand zu setzen vermögen.
^ '■
y
\ Aufierordentliche Anstrengungen bedarf es nicht, um Syrien ,-j
wenigstens unter egyptischer Herrschaft in Besitz zu nehmen- ^ ,
Haben doch die Serben und Griechen Unterstützung gefunden,
warum nicht auch wir, die Freunde aller Moparchen Europas?
Um Afrika zu zivilisieren, vergeudet Frankreich Blut und
Geld! Indien blüht unter englischem Szepter, die Horden der y
Mongolen lernen den Ackerbau unter Rußlands gewaltiger
Hand, wird sich keine Regierung finden, um Syrien
der Alles verheerenden Anarchie zu entwin-
den, um dort eine Hochschule der Humanität
und Bildung für das Morgenland zu errichten.
Unserer Lehrjahre waren lange in allen Ländern vom Nord-
bis zum Südpol. Kein Gewerbe, keine Kunst ist, die wir nicht
geübt, keine Wissenschaft, in der wir nicht glänzende Vor-
bilder aufzuweisen hätten. Wo findet ihr bessere Verkünder
der Civilisation für die wilden Stämme des Orients?
Volk Jehovahs, erhebe dich aus deinem tausendjährigen
Schlummer! Schaare dich um Führer, hast du ernstlich den
Willen, so wird ein Moses nicht fehlen. Nie verjähren
die Rechte der Völker; nehme Besitz vom Lande deiner
Väter, erbaue zum dritten Male den Tempel auf Zion, präch-
tiger als je zuvor! Vertraue auf den Herrn, der dich Jahr-
tausende unversehrt durch das Tal des Jammers geführt, er
wird dich auch in deinem letzten Kampfe nicht verlassen.
Di OS er Aufruf 1)1161) nicht ohne Widerhall. Viele junge Juden trugen
ihn vd.e ein Amulett ständig hei sich. Englische und amerikanische
Blätter brachten den V/ortlaut in Uehersetzung. Innerhalb des deutschen
Sprachgebietes schenkt© ihm der schweizer protestantische Theologe
■X-
Samuel E. Preiswerk, der sich schon früher für die Wiedererrichtung
eines jüdischen Staates in Palästina ein/^esetzt hatte, besondere
Aufmerksamkeit, Preisv/erk druckte den Aufruf als "ein merkwürdiges
Zeichen der Zeit" in seiner Zeitschrift "Morgenland" ab und trat mit
groGsor V/ärme dafür ein, dass die Juden ihren Anspruch auf das Land
ihrer Väter geltend machen und die Kolonisation Palästinas in Angriff
nehmen sollten.
Preiswerk: (1799 - lö7l), Pfarrerssohn, stiidi-rta i. .Basel, TubJn^^Dn,
^rlan^:? :n. 1834 Prof. ir> GeYil*/; I843 Pfarrer uiid Privatdogont in
Basel. HGraus3:eber «lor Monats 13 clrrirt "Das lIor^.inland" 1838 - 43,
f"
. *- *-»^ UV.'* — V
r(ioti!j6^?«^iiÄt)6i^al^l^r/ ßie £p?03se Wohrheit der deutGchen Juden/Von den
^Ü!ftC*^C4.
"bo^öisterten Worten des unbekannten Autors keine Notiz, Auch die
jüdischen Führer übergini^en den Aufruf mit Schweigen oder vervrarfon
die darin vertretenen Idee, Seihst "Der Orient", dessen Gründer und
Herausgeher Dr. Julius Fürst dem von Steinschneider gegründeten Verein
nahestand, enthielt sich vorerst jeder Stellungnahme zu dem von ihm
veröffentlichten Aufruf und brachte sogar e^^ne ablehnende Antwort aus
dem Leserkreis. Uhrst im Jahre I84I kam "Der Orient" im Zusammenhang mit
der von Charles Henry Churchill in Damaskus gehaltenen Rede und anderen
öffentlichen Kundgebungen der Anhänger der "Restoration of the Jews" -
Bo'.vegung auf den Aufruf aus Kon^r^z zurück und bezeichnete ihn be-
vAindernd als den Ausdruck eines namenlosen Gefühls, das "in jedem echten
und rechten Juden schlummerte". Allein "Der Orient" v/ar keineswegs der
Sprecher der jüdischen Allgemeinheit, deren Repräsentanten sich zu dem
Plan einer Besiäelung Palästinas nicht anders verhielten als fünfzehn
Jahre früher zur Gründung der Stadt "Ararat". Ein schärferer Gegensatz
zu den Absichten eines Churchill oder des Anonymus von Konstanz als
die Kritik, die Ludvn.g Philippscn, eine führende Persönlichkeit der
RGforrabo'.vogun-:, der Einborufor der Rabbinorvorsammlungcn, in der von
ihm horauQgogebonon, violgolosonon "Allgomoinen Zeitung dos Judontumo"
an diüoon Plänen übto, ist kaum vorstellbar: eindringlich v/arnto
Philippson die jüdische Jugend vor der Idee, in dem verlassenen Winkel
Syriens eine Kolonie heimatloser Juden zu schaffen, die zwischen dW^a^J-
Lloslems und/Aegyptern keinerlei Aussicht auf eine Zukunft hätten.
Er erklärte es als Pflicht der Juden, der Gegenwart Rechnung zu tragen,
die es ihnen zur Aufgabe mache, "tätige Bürger im Staat zu werden und
an der Llenschheit teilzunehmen," <
Längst v/ar diese Pflicht dem deutschen Juden zur zweiten Natur
\ ,. gev7orden. Immer mehr v^urde die ^ogenwart zu dem Element, in dem er
-• , lebte, die Zulcunft zum Traum, dem er nachhing, und die messianische
Hoffnung der Väter au ein^^r Chimäre, Aus der Fülle der Urkunden, die
diesen Tatbestand bezeugen, seien hier Stellen aus zwei Briefen
Abraham Geigers zitiert, die er anlässlich der Damaskus-Affäre schrieb.
«
Julius MrB-b: (1805-1873), Orientalist, Lexilcograph und Biblio«
ßTaph, 1864 als erster J\ide in 'Lc.±j>7Ag zum Profennor für Oricnta-
lisolie Sprachen ernannt.
Lud^TTiff PhilippBon: (1811-1889), KablDiner und SohriftntrJ-lor.
Gründer und Herausgeber der Allgameinan Zeitung des Juden tiims (I837.
1922), MitTsegründer dar Hoohoohi^lo für die WiGsensohaft des Juden-
tums,
9
( )
Abrabam Geifer an Joaof D6ron;^l)ourg
Brerilau, 3. Aii^-uat I84O.
/ ' ^
ömmtnert. ^iimt luiub imbere tt)iifeiifd)nftlicl)e C^ntberfiiiuicii iiind)cii^.
oii[ feiner üieife, unb bic§ luivb bereu iuid)tici[tcu (5ri]cbniB leiii.
SDenii im ©anäen jd^eiiit mir biefelbe eine ftnii] jiuedloie, fuft
l)arlelinön)ei[e. Söf] [ran3öfl[d)e nnb englifd^c Suben iljrcn jiibifdjcn
©inn in ber 9lrt beiueifen, i[t mir nid}t outiaHenb, aber \m{)\ bon
ein Snbe, ber nuf bem Stiinbpuntt ed)t bcntjd) = iübijdjer 53i(bnna
[tcl)t, if)neu [id) nn|d)lie[jt. ^d) tonn mid) nninlid) nod) immer
nid)t mit bem (Gebauten befreunben, M>^ foId)e 3:()aten onS rid)tiQer
©rtemitnife ber iünl)rcn ^nteceffen ber S»iben()eil nnb be§ Suben^
ll}nm» enüprin(\cn, üielmeljr in jenem rein Irnbitioneüeii, Ijalb
nationalen, l)alb bloa (^eiubOntcn 3nfammen()nnge beiirnnbet [inb,
in jenem ganj abstraften (iJebnnten, „ein ^ube i\\ jein", oi^ne
meitere ^nrd)brinflnng üon bem Snl)alle beffelben. 5)ie öffentlidK
ÜJ^einnng in ben gebilbeteii l'änbern, luo ^nben ii)o()nen, luiub udii
joldjen an§ bem Ciienle ober bem Cccibente uorcicbvadjten 5ln:
tdiQeii gar ni^t ober än|?er[t luciiig af[i]irt, nnb mit einic^f^n
3eitmig5artifeln ift bie 6ad)e abgemad}!, ol)nc ban ^<\^ ^eben eine
<&pnr baüon bema()rto. So i[t benn bie Sad)c nmioiuenigev eine
allgemein jiibifd)e ^ilngelegenbeit, oly gerabe bie ü^üller, mcldje bie
Ceitnng ber SlBeItaiigelcgen()eit in .^änben l)aben, andj bievfiir \im
%^\\ angeben, joiuic benn allgemein iübijd) l^IoS bcv.^ genannt
mcrbeii tanit, ma§ nnter ben ^nben üovgcI)t, ii)cld)c bie t)i3()cve
6Dl)äre ber 3>iben an§niad)en, alfo luiebernm bie ^ubcn nnter ben
gebilbelen Sööltevn, namentlid) '4}eii()d)lanb?, beiieii bann fpötev bie
i':ljt nod) niigebilbeten nad;eifern nnb fid) anjd)lieBeii lueibeii,
mal)renb ba§, luaS nnter beii ^nben nniiüilifirter l'anbcv uorgeOt,
ein üerfd)tüinbenbe» ÜJionicnt i[t, felb[t menn e« bort üon allgemeiner
53ebenlnng märe. ?lber nnd) ba§ i[t e§ nid)t einmal, ey i[t tcine
aflgemeinc zarali, luie ber mittelalteilidje Siini nnb \Hn§bind luar,
ea ifl eine einzelne ^Billtiiiljanbliing, bie anf bie Siellniig ber
3inben in 9(egi)ptcn feinen GinfluB übte, bie geniorbeten Snben
mecft aber 5leiner mel)r auf. (53 i[t eine Jdjöne ipanblnng ber
.^nmanitiü, [id) anc^ einzelner ©ebriidter an.\nne^mcn, aber eine
jiibi)d)e ^frage i[t c» nicbt, unb mad)t man [ie i\\ einer jold)en, fo
uerriidt man ben 6tanbpnntt nnb üeriuirrt ben fiel) l)eranbi(benben
©inn ter Suben. %q^\ ber franiö)ifd)e 5^onfnI Ütatli ^Jienton ein
SumD ift, leibet feinen 3^uei[e(, nnb e^ be[tätigt [id) l)ier bIo§
mieber bie (5r[al)rnng, baB bie enrDpüi}d)en l^ebanliner [d)Ied)ter
[inb al§ bie eigentli^en Orientalen, luie benw bie mei[ten blo§
iuiBerlid) iTnItiüivten im Umgänge mit gän^Iid) Unfnitiüivteu [id)
al§ meit niebriger [te[)enb bemei[en. ®ic ^J^oralitöt öeä 5lonjeiI=
prä[ibenten ttjifl ic^ tua^rlid) nic^t bertl)eibigcn, obgleich c» evf(ävlid)
i[i, nnter ben gegeniuiirtigen Um[tänben in ber ^erfon be§ ^fonjulä
ben [ranjö[i[d)en 6infln[j nidjt fompromittiren an moflen. hinein
iüa§ niifjt \^\\^ gan^e Sperren bagegen ? gür ben Orient ift fein
anbereS ^n\, al§ luenn bie bortigen 9?eid)e iierfci^eflt nnb 3ei[plitlcrt
merben, nnb für bie Snben fein anbere», al» menn |ie nid)t blo3
al§ 2;nbibibnen, [onbern al5 (Senofjen bc§ Subent^umS auf bie
§()I)e ber iTnItnr [id) erf)eben, alfo ba§ 3ubent()nm geiftigeä Sit^iw
onnimmt. 2B«^=lt)irtt jn- bem -einen ober onberen jener jübüdie
^/p
( ) Abraham Oeigör an Josef Dörenbourg
Breslau, 22, Bovember 1840,
• « •
Auf die Damascus -Angelegenheit noch einmal ausführlich
zurückzukommen, ist niinmehr ohne Wert,
• • •
Mir ist wichtiger, wenn die Juden in Preussen Apothoicer oder
Juristen werden können, als die Rettung sämtlicher Juden in
Asien und Afrika, an der ich als Mensch Anteil nehme. Du magst
darüber anders denken, mir aber glaube, dass dies meine redliche
UeberzüUgung ist und mit kleiner ganzen geistigen Anschauung der
Dinge aufs innigste verwachsen ist.
a.a.O. S. S84«
'-/ IC ?^i du
i/CC
■ \
Mit /^rutora Hocht hat Hu^xd Biobor aus den Aeusserungen Heines
über Juden und Judentum eine "confessio Judaica" zusammengestellt.
Mit Stolz, ja mit Trotz bekannte Heine sich zum Judentum, wie jener
Sohn des Rabbi Israel von Sara^jossa, der Namen und Würde seines Vaters
dem Judenhass der ihn liebenden "SennoraV A'b?ru§nfp'iä°&iä^^®^^* Gleioh-
zeitig überschüttete er die Lauen wi,e die Streber^aHii sich selbst mit
längst vergessner
Hohn und Spott und hob Themen/ jüdischer Ueberlieferung ans Licht,
der deutschen
Daneben aEbött galt seine Liebe der deutschen Sprache und,/ Lands chaft , '•
nicht minder aber
/Hellas und T^ropa, Er war, wie Friedrich Nietzsche es ausdrückte:
"einer der letzten Grossen, mit denen Deutschland Buropa beschenkt
hat."
Im Dezember 1821 erschien mit der Jahreszahl 1822 der erste Gedicht—
band des damals zweiundzwanzig jährigen Dichters: Traumbilder, Lieder,
Sonette, Romanzen; darin: "Die Grenadiere", der "Belsazer", das Sonett
"An meine Mutter". Die Llaurersche Buchhandlung hatte dem Dichter als
Honorar 40 Freiexemplare zugesichert. Ein Exemplar ging nach Weimar
mit folgendem Brief;
( ) Heinrich Heine an Johann V/olfgang von Goethe
Ich hfillc hundert Gründe, Ew. Exccllcnz meine Gcdichle zu schik-
kcn. Ich will nur einen erwähnen: Ich liebe Sie. Ich glaube, das
ist ein hinreichender Grund. — Meine Poclereycn, ich weiß es,
haben noch wenig Werlh; nur hier und da war manches zu fin-
den, woraus man sehen könnte, was ich mahl zu geben im stände
bin. Ich war lange nicht mit mir einig über das Wesen der Poesie.
Die Leute sagten mir: frage Schlegel. Der sagte mir: lese Goethe.
Das habe ich ehrlich gelhan, und wenn mahl etwas Rechts aus
mir wird, so weiß ich, wem ich es verdanke.
Ich küsse die heilige Hand, die mii-'und dem ganzen deutschen
Volke den Weg zum Himmelreich gezeigt hat, und bin
Ew. Exccllenz
cehorsamster und ergebener
^ II. Heine.
lr-20r-Deer-l-&21-.- Cand Juris.
Der Brief blieb unbeantwortet.
•K")t
**"X-
Alle hi-r ziti3rt3n Hoine - Briefe üind der folf<:enden Ausgabe
._ entnoriTiien: iioinricli Heine Bri:-.fe, 'ilrste Gas am t aus gab o nach den
Handschriften. Korauö^3^8ben,HHÄ eingeleitet und erläutert von
Friedrich Hirth. 6 Bde. Kupferborg I95O-I951 (liainz).
Die Anmerkungen von F.H, v/urden danlcbar übürnoramen.
Hu,^ Bieberj (1883-1950), Literarhiü torikor. "Heinrich Hcjino.
Gespräche, Briefe, Tagebüchar, Berichte seiner Zeit£ronosLien. " I925
"Sennora"? Tieinrioh Heime, Bio Hei kelir, Donna Clara.
Vgl. Brief ¥r. Sb Heinrich Heine an Moses Moser, ITovjraber 1823.
i
TCmpfanÄ der "Gedichte" in Goethes Bücher-Vo^rmehrunö'jjliste, Februar
1822 eingetragen. Vgl. Tagebücher Bd. 8, S. 31?.
Ich, Sennora, Tilii'r Geliebter
Bin der Sohn des i^elbolobton,
Grossen, schriftgelehrten Rabbi
Israel von Saragossa.
2
Am 4. Au^uGt 1Ö22 ^vurde Heinrich Heine auf Vorschlag von Eduard
Gans in den "Veroin für/tultur und Y/issenoohaft des Judentums" aufge-
nommen. Er wohnte den Vereinssitzungen seit dem 29, September 1822
regelmässig bei, war Protokollführer und Berichterstatter und plante
für die Zeitschrift einen Beitrag ü"ber den "grossen Judenschmerz",
Heino hat den Plan nicht verv/irklioht, aber was dieses von Börne
geprägte V/ort für ihn bedeutete, geht aus den um jene Zeit und in den
nächsten drei Jahren geschriebenen Briefen hervor, welche die inneren
Kärapi'e spiegeln, die der ersten folgenschweren Zäsur in Heines Leben -
seiner Taufe - vorangingen. Zumal die an die Freunde Immanuel Wohlwill
und Moses Moser, die tätigsten Mitglieder des "Culturver eins" gerichteten
Briefe bezeugen die quälenden Zweifel Heines an sich und dem Judentum,
( ) Heinrich Heine an Immanuel V/o hl will
Berlin^d. I.April 1823.
fe4u.'- H (Ii. ' i*"Li( 'l )cs göl-U^t^ Ich mag iluf'a'uch gul leiduu und es schmerzt • y*~ /"/^m-, /"j^ Zu^^j
iiiicli billcrlich wenn icli sehe wie dieser Iierrliclic Mensch so sehr ^ /
vcrkainil wird wegen seines schrolTen, absloßenden Äußern. Ich
erwarte viel von seinen näclislens erscheinenden Predigten; frey-
lich keine Erbauung und sanflnuiliiige Seelenpfhislcr; aber etwas
viel besseres, eine Aufregung der Kraft. Eben an letzterer fehlt es
in Israel. Hinige Ilühneraugcnojicraleurs (Friedländer &. Co.) ha-
ben den KörjKT des Juden th ums von seinem fatalen II au tgeschwür
durch Aderlaß zu heilen gesucht, und durch ihre Ungeschicklich-
keit und spinnewebige Vcrnunflbandagen muß Israel verbluten.
Möge bald die Verblendung aufih")rcn daß das Herrlichste in der
Ühnniacht, in der Entäußerung aller Kraft, in der einseitigen Ne-
gazion, im idealischen Auerbachlhum bestehe. Wir haben nicht /
mehr die Kraft einen Bart zu tragen, zu fasten, zu hassen und aus ' '
Haß zu dulden; das ist das Motiv unserer Reformazion. Die Einen,
die durch Coniödianten ihre Biklung und Aufklärung empfangen,
wollen dem Judentluun neue Dekorazionen und Coulissen gebcn^
und der Souffleur soll ein weisses Beffchen statt eines Bartes tra-
gen; sie wollen das Welünccr in ein niedliches Bassin von Papicr-
machec gießen, uncl wollen dem Herkules auf der Casseler Wil-
helnishühodas braune Jäckchen des kleinen Marcus anziehen. An-
dere wollen ein evangelisches (Ju'istenthümchen unter jüdischer
Firma, und machen sich ein 'Falles aus der Wolle des Lanun Gol- , ,
Ics, und machen sich ehi Wams aus den Federn der heiligen —
Geist staube und Unterhosen aus christlicher Liebe, und sie falliren
und die Xriehkomnienschaft schreibt sich: Gott, Christus Ä Co. Zu
allem Glücke w^ird sich dieses Haus nicht lange hallen, seine Trat-
ten auf die Philosophie konnnen mit Protest zurück, und es macht
Bardcroll in luiropa, wenn sich auch seine von Missionarien in
Afrika und Asien gestifteten Connnissionshäuser einige Jahrhun-
dertc länger hallen.. JDie:ier-cndliehe-Stnrir-dc.s-Ghr//67t';?//j«/ns7-
.1.. ' ,
Eduard aana;(l796-.l839), Rochto^roleiirter, Mi 1)13 eirund er (IOI9)
des Veroine für Öultur und Y/lß^iynschaft des Judünthuma, Nach dorn
üü"bertritt zum Ghriütdntum 1Ö28 Profeööor an der Berliner Univer-
sität,
•>«■•><■
Imüianual V/ohlv/illV^'urBprüii^^lich Joal Wolf \i799-1ü4T) ; 1823-1838
Lehror an der Ißraelitiaohtin Freiuchule in HamlDurg, leitete "bis zu
sGinc^m Tode die I805 von Israel O'aoo"baon eröffnete Simultansohule
in Suesün.
*** Moses lloser: (179^— IÖ3Ö), Fraund Heines, der ihn "oinen Epilo^j zu
ÜTathan den Weiüen" nannte. MitT3<ijgründer den Vereins für Cultur und
Wiss nsohaft des Judenthuras,
^nf^if Tallesi jüdischer Oehotraantel.
-?
Vcrzoilin,ir.,licsc lülln-kdl; Hioli 1,.U der Schi:,.. ,los .•u,f..oliobc-
nen h.U\Au j-clroircn. A„cl, i.s. alles nich. s'o o ■ , " «cn ott
J" i.igcn iMid mn- Jiulcnniauschol nrichn,;,.,, ku lassen und ni
nslcn elc. Ich hab „iclU mahl die Krafl.cxlenllieh llaxzc" '. on
c . wohne neml ch jel/.l I,ey einen, Juden (Mosern „nd cä, '"-'
Auch las Shcheln auf Fi-iedläiKle^fsftn-chl so schlin.n gen.eint
.ch habe noch unlängsl den schönslen Boudding bey il„n gesessen
und er wohnl ,nir ganz vis-ä-vis, „n<I er sieht jeta an, Fcns er ,.nd
schncdel sich eine Feder, und schreibt gleich an !• lise\S; dW
Rocke und auf seinen, Gcsichlc ist schon zu lesen: „edelgebo/ene
S'si r:- -"' ""'^ " ---'ehlich, Wie der Professor
( ) Heinrich Hoine an Moria Embden ^ ^ '^ ^
Berlin, d.3.May[823.
Lieber lunbdcn!
Ihren Brief vom 28. Apr. habe ich richtig erhallen und beeile mich,
Ihren Wunsch, meine Tragödien zu sehen, in Erfüllung zu brin-
gen, indem ich Ihnen bcykommonclcs ExfemplarJ als ein Zeichen
meiner Achtung verehre. Möge das Büchlein bc}^ Ihnen eine gute
Aufnahme finden und die clhische Grundlage desselben nicht von
Ihnen verkannt werden. Sic lesen in diesem Buche, wie Menschen
unlergehn und Geschlechter, und wie dennoch dieser Untergang
von einer höheren Xothwendigkcit bedingt und von der Vorsehung
zu großen Zwecken beabsichtigt wird. Der ächte Dichter giebt nicht
die Geschichte seiner eigenen Zeit, sondern aller Zeiten, und darum
ist ein achtes Gedicht auch immer der Spiegel jeder Gegenwarth.
Was Sie über die Juden sagen, ist meine Ansicht ebcnfals. Ich bin
ebcnfals Indifferentist und meine Anhängliclikeit an das Judcn-
wescn hat seine Wurzel bloß m einer tiefen Antipathie gegen das
Chrislenlhum. Ja, ich, der Verächlcr aller positiven Religionen,
werde viellciclit einst zum krassesten Rabinismus übergehen, eben
weil ich diesen als ein probates Gegengift betrachte.
Dieser Tage reise icli nach Lüneburg, bin aber in diesem Augen-
blick sehr malade, und schreibe diese Zeilen unter den furchtbar-
sten Schmerzen.,
Ich grüße Sic herzhch
II. Heine.
-Bt^rlin, d^. May 1823.-
/
%
«
^ Aufi^:olio]3enon /Edikts l8l2 wax den Judon "blirgorlioiia Cilaichatellun^
zuß'^^sagt werden j am 18, Au^at 1023 \7urde d?.a Geleits; tfäilv7.5ise
■'.d-ödor aufi3:6.hoT")9n, "Darj EGclrh sur TTel) er nähme von akad ^^1:^3 oben und
JScIiiilämterii "iinirde dsn JiJdon v:ieder entzogjen,
■*■* Gohlcs: jüdisches Wort fiir YerTDannung«
*-^^ David 5^iedländer:(/,i-5^- ^^-V). Anspitlun^ aiif eine Stelle in
Hsirtes Aufsatz "UG"ber Polon".
Friedläii&r voröffontlichto eine Broschüre von zwanzig Seiten
(Berlin l8?0)s "Beitra{^ sirr Gonchichto der irerfol{^TJin^'' der Juden
im 19 Jahrhundert durch Schriftsteller, Ein Send?? ehr eiben
an die Frau Kammerherrin von der Recke, geh, Grä: in v, Medem, "
Darin führt er Klage, dass ein Professor Voit^t in noiner Biogra-
JühiG dos 1807 in Königr:herg geatorhenen Professors Kraus erzählt,
" dass seihst geschätzte iind gehildeto Juden, wie David ^Yiedländer
in Berlin, ihm/rasxunausstohlich imren" (von Friedländer 3,13
durch fetten Druck hervorgehoben!). Das Buch erschien I819 in
Königsberg, der Verfasser Johannas Voigt war Historiker an der
Universität Königsberg.
•jt-jt-x-H- Horitz Embdeni Heines Scl](ager, Mann seiner Schr/ester Charlotte,
( ) Heinrich Hoine an Moses Moser
Lüneburg. d.l8.Juny 1823,
iH^i+ei-H-pui Iwjvfe iiHmGP-HM>lir und n-ielu% Sehr drängt es micli, in
einem Aufsatz für die Zcilschrifl den großen Jiidenschnicrz (wie
iiin Börne Tiennl) auszusprechen, und es soll auch geschehen, so-
hald mein Kopf es leidet. Es ist sehr unartig von unserem Ilcrr-
goll, daß er mich jetzt mit diesen Schmerzen plagt; ja, es ist sogar
uni^olilisch von dem alten Herrn, da er weiß, daß ich so viel für
ihn lliun möclite. Oder ist der alte Freiherr von Sinai und Allein-
herrscher Judäas ebenfalls aufgeklärt worden und hat seine Na-
zionalilät al)^nelegt und gieht seine Ansprüche und seine Anhänger
auf, zum Besten einiger vagen, kosmopolitischen Ideen? Ich fürch-
te, der alle Herr hat den Kopf verloren, und mit Jlecht mag ihm
Ic pelit juif d'Amslerdam ins Ohr sagen; entrc nous, Monsieur,
vous n'cxislez pas. Und wir? wir cxistircn? Um des .Ilunmcls wil-
len sag nicht noch einmahl, daß ich bloß eine Idee sey fleh ärgere
mich loll darüher. Menieliialben könnt Ihr alle zu Ideen werden;
nur laßt mich ungeschoren. Weil Du und der alle Friedländcr und
Gans zu Ideen geworden seyd, wollt liir mich jetzt auch verführen
und zu einer Idee machen. Rubo loh ich, den habt Ihr nicht dazu
bekonnnen können. Der Lehmann möchte gern Idee werden und
kann nicht. Was geht mich der kleine Markus an mit seinem dc-
monslriren. daß ich eine Idee sey, seine ^hlgd weiß es besser. Die
Doktorinn Zunz hat mir mit Ihränenden (Ju<laism) Augen geklagt,
daß man iliren Mann ebenfalls zur Idee machen wollte, und daß
sie dadurcli all .seine Kraft und Saft verlöre, Jost haue sich deß-
halb vom Verein zurückgezogen und Auerbach sey mahl dadurch
krank geworden. Ich verbitte mir auch alle übrigen Anzüglich-
keiten, daß Du noch nicht wei-t. vvelchc Idee ich sey; welches
so viel heißt, als sey ich eine sonderbare Idee; und sonderbar ist
l\isch.
Genug des aberwitzigen Gewäsches, [-»-««t^ea-^'agwk-rcise-ieli
(Heinrich Heine an Moses Moser
Lüneburg d 2?. Septemb.l823.
- Mich, mich
muß man erhillern! Just zu einer Zeit, wo ich mich ruhig hinge-
stellt hal)e die Wogen des Judenhasses gegen mich anbranden zu
lassen. Wahrlich, es sind nicht die Kleys und Auerbachs d.c man
haßt im lieben Deutschland. Von allen Seilcnempfinde ich dlc^\ ir-
kun^^en dieses Hasses, der doch kaum empor-ekeimt ist. Freunde,
mit denen ich den größten Thcil meines Lebens verbracht, wenden
sich von mir. Bewunderer werden Verächter, die ich am meisten
liebe, hassen mich am meisten, alle suchen zu schaden Du fragst
in Deinen Briefen so oft, ob Rousseau geschrieben; ich finde diese
Fra-c sehr überflüssig. Ganz andere Freunde haben mir abgesagt
und\'idersagt. Von der großen lieben Rotte, die mich pcr.sonlich
nicht kennt, will ich garnicht sprechen.-
UnlcrdesscnsindmcineFamilien-andFinanzumständedicschlech-
testcn. Du nennst mein Verfahren gegen meinen Ohcmi Mangel an
i-,1^'^ , THJ'-i • -c.-:" 7-Tif^. .- . MI'»fLiiT7 1 ■■IJ^TI»T
* Dor ßTOßBe Judonsohraorzs Börne präg1;e diesen Ausdi^ok in T?einer
/ BesproohuneT von Cumbarlanda Sohaiispial "i>;ir Jude". (Börnüa
g-03. KSchriften, hrsg. von Alfred Klaar, Bd 2, S.27Ö),
^^ Le petit juif d« Amsterdams Spinoza.
*->t* Ideös Ueber die Bedeutung dieses aus Hegels ohön Gedankengängen
stammenden Begriffes für Heine vgl. TD.A. Bouoke, "Heine im Dienste
der Idee" in Buphorion, Bd. 16, 3.116-131 mnd S 434-460 (1909).
visaak Markus Jost (1793-1860 ) machte den ersten Versuch einer
umfassenden "Geschichte der Israeliten" (Berlin I82O-I829, in
9 Bänden)-.
•
****
M^^^VMBVHSMiBiaHiaHHHPIMa
<;
KlUj'jhcil. Du lluist mir Uiircchl, ich weiß niclit, wnii-ii ich just
gegen meinen Olicini jene Würde niciil hchaiii^len soll, die ich <^c-
gcn alle andre Mcnsclien zeige. Du wciLU, icii hin kein delikater,
zartfühlender Jüngling, der rolh wird,'\venn er Geld horgen muß
inul stottert, wenn er von dem hosten Freunde Hülfe verlangt. Ich
glaul)e, Dir hrauchc ich das nicht zu hcschwören. Du hast es seihst
crlehl, daß ich in solchen Fällen ein dickhäutiges Gefühl liahc,
aher ich habe doch die F^gcnheit, von meinem Oheim, der zwar
viele Millionen besitzt, aher niclit gern einen Groschen mißt, durch / 3
keine freundschaftliche undgönnerschaftlichcVcrwendungen Geld l
zu crpresscn.^^s war mir schon fatal genug, das mir zugesagte Geld
für das Jahr 1821 zu vindicireij, und ich bin ärgerlich, über diese
Geschichte weiter zu schreiben. Ich danke Dir für Deine frcund-
scliaftlichc Bemühung in dieser Sachejcli bin mit meinem Oheim
übereingekommen: daß ich nur 100 Louisd'or zum Studiren von
Januar 1S2I bis 1S25 von ihm nelime, weil ich darauf gerechnet
habe, und daß er übrigens sicher scyn könne, von meiner Seite
nie in Geldsachen belästigt zu werden. Für solche Genügsamkeit
bin ich auch dadurch belohnt worden, daß mein Oheim mich in
Hamburg, wo ich viele Tage auf seinem Landhause verbrachte,
sehr ehrte und sehr auszeichnete und gcnädig ansah. Und am Ende
bin ich doch der Mann,der nicht anders zu handeln vermag, und
den keine Geldrücksicht bewehren sollte, etwas von seiner Innern
Würde zu veräußern. Du siebst mich daher, trotz meiner Kopf- /
leiden, in fortgesetztem Studium meiner Juristerey, die mir in der
I-'olgc Brod schaffen soll. Wie Du denken kannst, — kommt hier
die Taufe zur Sprache. Keiner von meiner Familie ist dagegen,
außer ich. Und dieser ich ist sehr eigensinniger Natur. Aus mei-
ner Dcnkungsart kannst Du es Dir wohl abstrahiren, daß mir die
Taufe ein gleichgültiger Akt ist, daß ich ilin auch symbolisch nicht
wichtig acute, und daß er in qIqu Verhältnissen und auf der Weise,
wie er bcy mir vollzogen werden würde, auch für Andere keine
Bedeutung hätte, b^ür mich hätte er vielleicht die Bedeutung, daß
ich mich der Verfechtung der Rechte meiner unglücklichen Stam-
mesgenossen mehr weihen würde. Aber dennoch halle ich es unter
meiner Würde und meine Ehre befleckend, wenn ich, um ein Amt
in Preußen anzunehmen, mich taufen ließe. Im lieben Preußen!!!
Ich weiß wirklich nicht, wie ich mich in meiner schlechten Lage
helfen soll. Ich werde noch aus Aerger katholisch und hänge mich
auf. Doch auch dieses fatale Thema breche ich ab, und da ich Dich
in einigen Monathen persönlich spreche, Nvill ich die Besprechung
desselben bisdaliin verschieben. Wir leben in einer traurigen Zeit,
Schurken werden zu den Besten, und die Bebten müssen Schur-
ken werden. Ich verstehe sehr gut die Worte des Psahnislen: Herr
Gott, gicb mir mein täglich Brod, daß ich Deinen Namen nicht .
lästrc! — Ich denke, Neujahr nach Göltingcn zu reisen und dor( '
ein Jahr zu bleiben, ich muß mein jus mit mehr Fleiß als jeder
Andere sludircn, da ich — wie ich voraussehe — nirgends ange-
stellt werde und mich aufs Advociren legen muß. Ehe ich nach
Göttingen reise, denke ich. Dich in Berlin auf einen Tag zu be-
suchen. Du kannst kaimi glauben, wie sehr ich mich darauf freue!
Es liegt so Vieles, so Schlinunes auf meiner Brusll
/T'
) Heinrich Hoine an Moses Mosor
Lüneburg d Donnerstag, Nov0mb,lö23,
Ich erwarte sein KrbreclU. in der uir gcscnicKicn iiomanzc niulil
Du, in der fünften Strophe, den /.weilen Vers verändern, ncmlicli
„Wie er san;:j die Liebeswortc" mußt Du setzen. Es cicbt ein Ab-
raham von Saragossa; aber Israel fand ich bezeichnender. Das
Ganze der Romanze ist eine Scenc aus meinem eignen Leben, bloß
der Thicrgartcn wurde in den Garten des Alkaden verwandelt,
Baronesse in Senora, und ich selber in einen heil. Gcor^n oder
gar Apoll! Es isl bloß das erste Stück einer Trilogie, wovon das
zweite den Ilelilcn von seinem eigenen Kinde, das iiin nicht kennt,
verspottet zeigt, und das dritte zeigt dieses Kind als erwachsenen
Dominikaner, der seine jüdischen Bruder zu Tode foltern läßt.
Der Refrain dieser beiden Stücke korrcspondirt mit dem Refrain
des ersten Stücks; — aber es kann noch lange dauern, che ich
sie schreibe. Auf jeden Fall werde ich diese Romanze in meiner
•nächsten Gcdichtcsammlung aufnehmen. Aber ich habe sehr wich-
tige Gründe zu wünschen, daß sie früher in keine christliche Hände
gcrathc; ich empfcle Dir daher bcy etwaigen Mittheilungen der-
selben alle mögliche Behutsamkeit. —
( ) Heinrich Heine an Rudolf Christiani ^'^"^^
Verfluchtes Nest^-^Göttingen, d.T.Merz 1824.
Sic sagen in Ihrem Briefe, daß es mir so scliwcr werde, mich des
dculsclicn Wesens ganz zu entäußern. Obige Worte möchten
Sie noch darin bestärken, daß dieses ein absichtliches Bestreben
bey mir scy. Sie irren sicli dennoch. Ich weiß, daß ich eine der
deutschesten Bestien bin, ich weiß nur zu gut, daß mir das Deut-
sche das isl, was dem Fisclie das Wasser ist, daß ich aus diesem
Lcbcnselcment nicht heraus kann, und daß ich — um das Fisch-
glcichniß bcyzubcliallcn — zum Stockfisch vertrocknen muß, wenn
ich — um (las wässriqe Glciclmiß bevzubchalten — aus dem Was-
scr des I)oul/sc/i7lhümliciicn herausspringe. Ich liebe sogar im
Grunde das deutsche mein' als alles auf der Welt, ich habe meine
Lust lind Freude dran, und meine Brust ist ein Archiv deutschen
Gefülils, wie meine zwey Bücher ein Arcliiv deutschen Gesanges
sind. Mein erstes Buch ist au öl i in seiner Außerlich/'/;c/yt ganz
dculscli, damals war die Liebe zum Deutschen noch nicht in mir
getrübt; mem 2les Buch ist nur innerlich deutsch; doch fremd-
artiger ist seine Äußerlichkeit. Daß aus Unnmlh gegen das deut-
sclie meine ^hlse sich ihr deutsches Kleid etwas fremdartig zu-
schnitt, ist wahrscheinlich. Zu diesem Unmuth haben triftige
Gründe, Ljerecliter Fnmii, Anlaß gegeben. Und dann die Donqui-
xoterie der Kerle! Ich selie, ich bin selbst in den Fehler verfallen,
CiQW ich gerügt, und bin in's aschgraue Raisoniren gerathen und
sollte doch lieber kurz zusammenfassen, was ich zu sagen habe.
Eomanzes das Gedioiii; ^^Doima Clara", das ajf llcinöa olgimza
:*i.:'?lQ^Gn und auf d.is Romanao -/on I)on Gayforoa und Donna Clara
In Fouq.uG3 "Dor Zau"b erring'» (Bd. 1, 2. Aufl., IHimbsi^g- I816,
i^,162ff.) surückzufüliron i'5i;.
#4(-
A'brahaTü Yon Saragoasas A'brah.am "ben Samuöl Abulafia aus Saragoö-
sa (1240-1292), kattT^aliBtisohei* Sohwärnier.
^)f*
■Jt^^^t
Das zweite und dritte Stück der Trilocle wurde niemals ge-
sohrie"ben,
Rudolf Christiani;^ verheilratet mit einer Couai>ie Heines,
Charlotte. Froimdsohaft mit Heine Tais zu dessen UeberGiedliing
naoh Paris.
*^^f**
Mein erstes Buchs Gedichte 1822,
^f-)f***)t iflein 2tes Buch: Tragödien, 1823.
?
Heinrich Heino arülosos Mosor
Lieber Moser!
Gültingon 0125' Juny 1821.
IIculc morgend fälll mirs ein, daß icli von Dir keinen Brief zu cr-
Nvarlen habe, bis ich Dir Deinen Brief vom 31. May wirklich be-
antwortet habe, da Du bey Deiner großen Vielseitigkeit auch na-
türlicher \Vcisc ein Pluhslcr bist. Das ist nun ärgcrlicli, im Grunde
wird CS mir sauer, Dir iicute zu sclirciben, weil ich Dir nichts bo-
slimniles mitzuthcilcn habe und dennoch sich so manches von
meinem Herzen in unbestimmten Tönen losreißen möchte. Aber
hole der Teufel die Unbestimmtheit, wenn er nicht die Unbe-
stimmtheit vicllciclit selbst ist. Ich lebe hier im alten Gleise, d.h.
ich-liabc S Tage in der Woche meine Kopfschmerzen, stehe des
Morgens nm V^ö auf und überlege, was ich zuerst anfangen soll,
jinlerdessen kommt langsam die 9te Stunde herangeschlichen, wo
icli mit meiner Mappe nach dem göttlichen Meisternde — ja der
Kerl ist göttlich, er ist idealisch in seiner Ilölzernheit, er ist der
vollkommenste Gegensatz von allem Poetischen und eben dadurch
wird er wieder zur poetischen Figur, ja wenn die Materie die er
vorträgt ganz besonders trocken und ledern ist, so kommt er or-
dentlich in Begeisterung. In der That, ich bin mit Meisler voll-
kommen zufrieden, und werde die Pandekten mit seiner und Got-
tes Hilfe ios kriegen. Außerdem treibe ich viel Chronikenstudium
und ganz besonders vicj hisloria judaica. Letztere wegen Berüh-
rung mit dem Rabbi, und vielleicht auch wegen inneren Bedürf-
nisses. Ganz eigene Gefühle bewegen mich wenn ich jene traurige
Analen durchblättre; eine Fülle der Belehrung und des Schmer-
zes. Der Geist der jüdischen Geschichte offenbart sich mir immer
mehr und mehr, und diese geistige Rüstung wird mir gewiß in der
Folge sehr zu statten kommen. An meinem Rabbi habe ich erst
Va geschrieben, meine Schmerzen haben mich auf schlimme Weise
daran unterbrochen, und Gott weiß ob ich ihn bald und gut voll-
ende. Bei dieser Gelegenheit merkte ich auch daß mir das Talent
des b'rzählens ganz fehlt; vielleicht thue ich mir auch Unrecht es
ist bloß die Si)rödigkeit des Stoffes. Die Paschafcyer^ i'nir ge-
lungen, ich bin Dir für die Millheilung der AgodiTT^auK sc;huUiig
bitte Dich noeli außerdem mirdasGahloaeh .\hinga^uutcrie Kleine
'^ V V-^ \/' AT"' V^
Lebende Maasse be Rabbi Leser -- wnrlnch übersetzt zukommen
V VV »^ V ^ '^
zu lassen. Auch die Psalmstelle im Xachtgebete: „Zehntausend
Gewaffnele stehn vor Salomons Belle" mir wörtlich übersetzt zu
schicken. Vielleicht gebe ich dem Rabbi einige Druckbogen Illu-
strälions auf englische Weise als Zugabe, und zwar orig/'/^yalcr
Ideenextrakt über Juden und ihre Geschichte. —
Meiötajps Meistere? Kollwi'^ Wßev die Pandekten "bc.£;arin um 9 Uhr,
*^f
HaToTDij Keines "üa'b'bi von Baoharaoh" ist (aia J}^:i^aont) im
liv-rTjüt IC40, in Ld, 4 d-as "üalons" Vöröff .»ntliclvi}.
^f^^f
Fai3chafey3r:(vgl. Elster Ld, 4, S. 453 IT.)
■)f*-M-^
Agodes vulgär für IIafc<;;i:;ada, das GüTjefbucIi für den ijoder-Zibend,
die Tor/^ecclirioliGne I^'eier des Pefvßachfefjtes,
^•H-*-Jf*
Caholach Manga: sine Stwlle «aus der Haggada.
»^•)f^f*-)f
Die kleine Lo^^endo: elDenfalls ein A"b^^ohnitt aus der Ha^^ada,
der von Ra"b"bi "^liosor handelt.
^*^^f*^*
Die Psalms teile im ITaohtge"betai die in das Jüdisohe ITaohtgebet
eingegangene Stelle heisst nichti "Zölmtausend zur Rechten,
zehntaus;md ziir Linken, den König zu schützen vor näohtliohem
Grauen" - wie Heine im "Rahhi" aohrieb, und auch nichtt "Zehn-
tausend Oev;affnete -^tehn v^r Salomons Bette", sondern nach
Luthers Uehersetzung: "Siehe, um da- Bett Salomons her stehen
sechzig Starke aus den Starken, Israel« • Sie ha^-ten alle
Schwerter und sind geschickt, zu streiten, ßin jeglicher hat
sein Schwert an r;einer Hüfte um des Schreck ö^\7illen in der
ITacht," Sie stammt nicht aus den Psalmen, sondern aus dem
Hohelied 3, 6-7. (Vgl. noch Heines Gedicht "Salomo" im
"Romanzero",)
>->
u
Im Herbst 1824 unternahm Heine von Göttingen eino Fuoswanderun^
durch den Harz und durch deutsche Städte. In Weimar angelangt, schrieb
er seinen zweiten Brief an Goethe,
( ) Heinrich Heine an Johann Wolf gang von Goethe
Weimar, den l.Ootobor 1624.
Ew. Exzellenz
bitte :di, mir d.is Glück zu gcwölircn, einige Minuten vor Ihnen
zu stehen. Ich will -;,ir nldu bcsdiwerlich fallen, will nur Ihre Hand
küssen ujid wieder fortgehen. Idi heiße H. Heine, bin Rhcinl.indcr,
verweile seit kurzem in Göitinp,on und lebte vorher cinij^c Jahre in
Berlin, wo idi mit mehreren Ihrer alten Bekannten und Verehrer
(dem sei. Wolf, Vaniha;;c;i &c.) umging und Sic tKglidi mehr
Heben lernte. Idi bin audi ein Poet und war so frcij Urnen vor dreiy,
Jahren meine „Gedidue" und vor anderthalb Jal/ren meine „Tra-
gödien" nebst einem lyrisdicn Intermezzo (RatclilT und Almansor) r\
zuzusenden. Außerdem bin ich audi krank, madite dcijialb audi ^ /•
vor drei; "Wodien eine Gcsuiidheitsrcise nadi dem H.irze, und auf
dem. Brodccn ergriff midi das Verlangen, zur Verehrung Go^cs
nadi Weimar zu pilgern. Im wahren Sinne des Wortes bin Idi nun
hergepilgert, njimlich zu Fuße und in verwitterten Kleidern, und
erwarte die Gewährung meiner Bitte, und verharre
mit Begeisterung und Ergebenheit 'H. Heine.
X
Die Audienz wurde gewährt. Goethes Tagebuch enthält über sie
<X
folgende Eintragung: "Heine von Göttingen. " Nach einem mündlichen
Bericht Heines schlug die friedliche Unterredung plötzlich in einen
gereizten Ton um, als Heine auf Goethes I^age, womit er sich jetzt
beschäftige, die Antwort gab: "Mit einem Faust". "Haben Sie weiter
keine Geschäfte in Weimar?", soll darauf Goethe erwidert haben. Die
Audienz war zuende.^ ^
Im gleichen Llonat schreibt Heine an seinen Freund Moser über die
Arbeit am "Rabbi" und berichtet von seiner Reise ohne den Besuch bei
Goethe zu er^vähnen.
( ) Heinrich Heine an Lloses Moser
Göttingen d 25.0ctober 1824.
Bhilwcnig habe ich diesen .Sommer gesellrieben. Ein paar Bogen
an den Memoiren. Verse gar keine. Am Rabbi wenig, so daß kaum
V:} davon geschriel)en ist. F.r wird aber sehr groß, wolil ein dicker
Band, und mit unsäglicher Liebe trage ich das ganze Werk in der
Brust. Ist CS ja docli ganz aus der Liehe hervorgehend, nicht aus
eitel Ruhmgicr. Im Gegen! heil, wenn ich der Stimme der äußern
Klugheil Gehör geben wollte, so würde ich es gar nicht schrei-
ben. Ich sehe voraus, wie viel ich dadurch verschütte und Fcind-
sccliaes herbevrufe. Aber eben auch, weil es aus der Liebe hervor-
geht, wird es ein unsterbliches Buch werden, eine ewige Lampe
— r- !■ •. ■ ■• — -T-
* CJoothe orapflng Hoine am 2. Oktober l824,
"Heine von Göttinnen"!
^* /Sophi.-n-Aus{3'alDG,III. A"bth. Bd. 9, 3,277, 326.
*^*^ V^l. Ma-^^imilan Hoines i^rinnr.runi^r^n (r..l22 f.)
#
1
im Dome Gollcs, kein vcri)rnßlciulcs Tlioalcrliclil. Icli liaDc viel
Gcschriol)cncs in diesem liiiche wieder ausjtelöschl, jclzt erst ist
CS mir gelungen, das Ganze zu fassen, \\w\ ich billc nur Golt, mir
gesunde Stunden zu gel)cn, es ruliig nicderzusclirciben. Läcliele
niclit über dieses Gackern vor dem lüverlei^en. Läclde auch nicht
über mein langes Brüten; so ein ge\vöhnlichesGänscey (ich meine
nicht Dr. Gans) ist schneller ausgebrütet als das Taubenev des
heiligen Geistes. Du hast vergessen, mir paar Notizen mitzuthei-
Icn, die ich in meinem Letzten Brief zum Behuf des Rabbi ver-
langte. Dem Dr. Zunz lasse ich für seine Millbeilung über die spa-
nischen Juden" tauscndmalil danken. Obschon sie höchst dürftig
ist, so hat Zunz mir doch mit einem einzigen scharfsinnigen Wink
mehr genutzt als einige vergeblich durchstöberte Quarlbändc, und
er wird unbewußt auf den Rabbi influcnzirt haben.
Da Zunz kein Formelmensch ist, so kann ich einen besondera
Brief sparen, indem icli Dir miltheilc, was Du ihm sagen sollst.
Dieses besieht noch darin, 1. daß ich ihn liebe, 2. daß ich ihn
schätze, 3. daß ich wünsche, er halte die Güle, mir anzuweisen,
wo ich gute Notizen finde ül)er die Familie der Abarbancls (auch
Abravanels genannt). — Im BasnagchaDeich wenig gefunden. Die
schmerzliche Leclüre des Basnage ward Mille des vorigen Mo-
nalhs endlieli voliendol. Was icli specioll suciUe, habe ich eigent-
lich nicht darinn gefunden, aber viel Neues enldecklc ich, uiul viel
neue Ideen und Gefühle wurden dadurch in mir aufgeregt. Das
Ganze des Buches ist großartig, und einen Tlicil des Eindrucks,
den es auf mich gemacht, habe ich den 11. Scptbr. in folgender
Rcflckzion angedeutet:
(An EdomI)
Ein Jahrtausend sclion und länger,
Dulden wir uns brüderlich,
Du, du duldest, daß ich athme,
Daß du ra.sest, dulde Ich.
Manchmal nur, in dunkeln Zeiten,
Ward dir wunderlich zu Mulh,
Und die liebcfronmien Tätzchcn
Färbtest du mit meinem Blutl
Jetzt wird unsrc Freundschaft fester, [größer: durch-
Und noch täglich nimmt sie zu; gestrichen]
Denn ich selbst begann zu rasen.
Und ich werde fast wie Du.
Aber, wie ein Wort das andre giebt, so gicbt auch ein Vers den an-
dern, und ich will Dir paar unbedeulcndcrc Verse millheilen, die
ich gestern Abend machte, als ich über die Wcendcrslraße Iroz
Regen und Weller spatzieren ging und an Dich dachte, und an die
Freude, wenn ich Dir mahl den Rabbi zuschicken kann, und ich
dichlcle schon die Verse, die ich auf den weißen Umschlag des
Exemplars als Vorwort für Dich schreiben würde, — und da ich
keine Geheimnisse für Dich habe, so will ich Dir schon hier jene
Verse milllieilcn:
Brich aus in lauten Klagen,
Du düstres Martyrerlied,
Das icli so lang getragen
Im flammenslillen Gcmülhl
Es dringt in alle Olircn,
Und durch die Ohren ins Ilcrz;
Ich habe gcwallig beschworen
Den tausendjälirigen Schmerz.
* Mltteilun,'? von Sunz übor die spaniachen Juden i ivobl dan im
Aiaktionsikotalog XGI von Karl Frn^jt Honrioi in Berlin (25,
Au£fiist 1924) an{?t."botene, mit "Z" unter zoichnetG, undatierte Blati
der.'nen yerT)lfi"b uri"bekarmt int, Eb c^nthielt " iJai'iikpnf t von Zunz
an Feine ü"bor die vorns'hüL^tcn Sohulcr dor spani3ohün J"i;iden In
Spanien iind jronsti^e llitt^^ilun-<^sn iTizze,-n--ohaf'tl±uht>T Hichtiing
7,xiv Vcr^r/endun.^ im "Ralnbi von .Baoharaoh","
r sehen von Spanien.
** A'bar'banels : das Haupt der Familie ■v^'ar Isaak ben Jt^huda A'bar'banel,
. ( 1437-1508 ) , Günstling 'AMnl^^^-^gaiittlflliSlMleri/-^*^"^^
1492 ver,fje'blioh veröucht hatto, die 7ertrGi"bung der Juc'sn aus
Spanien zn verhindern, verlies s er das Land und lehte fortan in
Italien seinen "bihelexegjetißchen Studien.
Basna^e
•^^-^ Basnage: Jacques TJiairiiiBjgie de Boauval (1653-1725) "«^ar reformierter
a
Fötor in Rouen, als der V/iderruf des -dikts von Nantes ihn
zur Flucht nach Holland veranlasste. Heine erhat wohl T-lle
von Basnaj^es Werk "Histoire des Juifs depuis J^sus-Christ
jusqu'S, präsent" (Rotterdam 170 7» 5 Bände; 2,verm-hrto Auflagje,
Haag 1716, 15 Bände), das er später, für den "Hahhi von
Bacharaoh" duroharheitete und I840 hei der abschliessenden
Beschäftigung mit dem "Rahhi" i,7ieder durchblätterte ,
^*** Mom: eigentlich Beiname ''Jcaus (Genesis 36, l), später für die
Juden Verkörperung aller Judenfeinde.
Es weinen die firoßt'n und Kleinen,
Sogar die kallen llerr'n,
Die Frauen ujid Blumen weinen,
Es weinen am Iliiunicl die Stern'!
Und alle die Thränen fließen
Nach Süden, im stillen Verein,
Sie fließen und ergießen
Sich air in den Jordan hinein.
Ich brauche Dich nicht drauf aufmerksam zu machen, daß die
Verse, welche ich jetzt schreibe, wenig werth sind und bloß zu
meinem eignen Vergnügen gemacht werden. Aber bedenke auch
meine Lage, ich komme den ganzen Tag niclü vom Forum und
höre von nichts sprechen als von Stillicidium, Testamenten, Em-
phytheusis^u; s. w. Und wenn ich mahl in einer Freystunde hin-
überscliiffe nach Thessalien, um mich auf dem Parnaß zu crgchn,
so treffe ich nur Juden, die dort (siehe Basnagc) Gemüse bauen,
und ich spreche mit ihnen von den Schmerzen Israels. — Und
dennoch hoffe ich, noch viel gute Verse zu liefern! Im Geiste däm-
mern mir viele scliöne Gedichte, unter andern — ein Faust. Ich
habe schon an dem Carlon gearbeitet. — Aber, um Gottes willcnl
Ich vergesse Dir zu erzählen, daß ich vor 6 Wochen eine große
Reise machte, erst vor M Tagen zurückkam imd folglich 4 Wo-
chen unlerwcgens war. Sic war mir sehr heilsam, und ich fühle
micli durch diese Reise sehr gestärkt. Ich habe zu Fuß und mei-
stens allein den ganzen Harz durchwandert, über schöne Berge,
durch schöne Wälder und Thäler bin ich gekommen und habe
wieder mahl frey geathmct. Ueber Eislcbcn, Halle, Jena, Weimar,
Ehrfurl, Gollia, Eisenach und Kassel bin ich wieder zurückge-
reist, ebenfalls immer zu Fuß. Icii habe viel Herrliches und Lie-
bes erlebt, und wenn nicht die Jurisprudenz gespenstisch mit mir
gewandert wäre, so halle icli wohl die Well sehr schön gefunden.
Ich war in Weimar; es giebt dort auch guten Gänsebraten. Auch
war ich in Halle, Jena, Ehrfurt, Gotha, Eisenach und in Cassel.
Große Touren, immer zu Fuß, und bloß mit meinem schlechten
braunen abgeschabten Ucberrock. Das Bier in Weimar ist wirk-
lich gut, mündlich mehr darüber. Ich hoffe. Dich wohl nächstes
Frühjahr wieder zu sehen und zu umarmen und zu necken und
vergnügt, zu seyn. r» • r- ^
Dem Freund h. Heine.
A. 3 La. X8.5 le.te Hein^ aas P.o.otion.«a.en a.. Bald .a.au.,
a. 25. .un. des.ol.on .ahxe., Tand in HeiU.enatad. bei GötUn.en
3e.ne Wo statt, die ,edoo. nio.ts an de. Zwiespalt seils Lt
änderte. Volle. I.onio aC.ie. e. an Moses Mose. "
* Stillioidiuni; tr-iiifelndo Feuchtii'-^k ji-fc, Daohtrauf?:;. '.Die röraiaohen
RechtBkommentatoren 'hohandeln dn.'^ehGnd dio SteiküiäiCfL I'iCc.ß'e der
Schäden, die duixch herri'brierjp3lnd8B Wasser auf i'luron .;-n£:,'er:Loiitet
werden können«
*^ •'Jmphytsusisi lansfristigür Pachtvertre.;^^
^** Fausti iibev Heines Plan, einen "Faust" zu 3chr9i"ben vgl,
Al'bert Grottsohalk, "Heinrich Heine, Der X)oktcr Faust., T^in©
Bihlio^aphie", Berlin 1934? 3.11-13«
/
( ) Heinrich Heine an Moses Moser
Verdammtes HamlDurg d 14. Dez.l825.
■wo ans \vo»tM4i-, — Wir si)roclicn hier viel von dir, und Wohlwill
lual kürzlicli nciuißcrl: daßdu, wenn dicli ein Freund l)eslicll ihm
doch Deine Freundschaft bewahren und bloß sagen würdest: er
hal nun mahl diesen Fehler, u[nd] man muß dns wegen seiner
bessern Eigenschaften überselien. — Der dicke Monasverchrcr^
weiß scliDsl nicht wie treffend er dich bezeichnet hat, dich und
jene Geisteshöhe, zu der man sich mit Kopf und Herz hinaufge-
schwungen haben muß um jener Toleranz fällig zu seyn. Ich hab
CS wohl zu einer ähnlichen Toleranz gebracht, nicht weil ich von '
oben hinab, sondern von unten hinauf sehe. —
Icli weiß nicht, was ich sagen soll, Cohn versichert mich Gans
predige das Christentum, und suche die Kinder Israel zu bekeh-
ren. Thul er dieses aus Ueberzeugung so ist er ein Narr; Ihut er
es aus Cilcisnerey so ist er ein Lump. Icli werde zwar nicht auf-
hören Gans zu lieben, dennoch geslclic ich, weit lieber wärs mir
gewesen wenn ich, statt o))iger Nachricht, erfahren hätte Gans
habe silberne Löffel gestolcn.
Daß du, lieber Moser, wie Gans denken sollst kann ich nicht glau-
ben obschon es Colin versichert ufndj es sogar von dir selber wis-
sen will, — Fs war mir sehr leid wenn mein eignes Gctauftseyn
dir in einem günstigen Lichte erscheinen könnte. Ich versichere
dich, wenn die Gesetze das Stellten silberner Löffel erlaubt hätten,
so würde ich mich nicht getauft haben. — Mündlich mehr hier-
von.
Vorigen Sonnabend war ich im Tempel, und habe die Freude ge-
habt eigenohrig anzuliören wie DrSalomonvg'c'g^i die getaufte Ju-
den loszog, xifndj besonders stichelte „wie sie von der bloßen Hoff-
nung eine Stelle (ijisissima verba) zu bekommen, sich verlocken
lassen dem Glauben ihrer Väter untreu zu werden."
Ich versichere dir, die Predigt war gut ufndj ich beabsichtige den
Mann diese Tage zu besuchen. — Cohn zeigt sich groß gegen rr^j^.^ v
Ich esse bcy ihm am Schabbes, er sammelt glühende Kuc.rol auf
mein Haupt, und mit Zerknirschung esse ich dieses heilige Na-
zionalgcriciit, das für die Erhaltung de,s Judenlhums mehr gewirkt
hat als alle drey Hefte der Zcitschrifl^^mäe^cn es hat auch grö-
ßern Absatz gehabt.
#«
^a-it
^^^^
^t^***
Monasverehrers iVohlr/ills Spi-^JKname, Vo:r?anlaßsung dazu v/ar ein
Sata in lY's Aufsata "U3bür den Bogriff einer fisa jn3 chaft des
tTudanthunjs" (^oitrjohT-ifi; für d. T'/in^:!cnr.oh. d, Tnd nthunn,lBP3)
^ Eduard Gans (1796-I839), Hecht n^jelekrteT», aans» JJ?T)ertrltt f^Tim
Christentum (1825) ^Ttu'de von Hoina in inein(=m "Den'.Tort'^n au:f
Ludv/ig Markus" (1844 und I854) -joharf vorurtailt.
^^r7~Gotthold Salomon (1784-I862), seit I8I6 Predi^^or der ntmlaG-.
grfjjideten Gemeinde in Hamhurf?,
Wortspiel: Ku'r^t^rel (Ktv;q1)> eine für den Sahhat 3uh8ri3it9t3
Mehlspeise, hal'bku^'^elförmig. Die Kugel gilt als Cl-^rmbol und
ÜlrinnGrung an das von den Juden T^ährend der Wüston^Tandoruni^ ge-
gessene, vom Himmel gefallen© r.iisne Kanna, das am Pr-^itag ?\uoh
für den Sahhat oingesaramelt mirdo.
Von der Zeitschrift für die Wissenschaft de?? Judenthums, hrsg.
von dem Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden (Redo^tour
Dr, Zunz) erschien der aus dr«i Heften hostehenda erste tmd
einzige Band 1823 in Berlin.
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( ) Heinrich Heine an Moses Moser
Ham"burg d. 9. Januar I826.
• • •
A"bor was machst Du, guter, theurer Moser? Ist es Dir, bey
Deiner Vielseitigkeit, noch immer loioht, mich zu lieben?
Ich denke hier an Dich weit öfter als in Göttingen, v^eil ich
hier isolirter lebe. Ich freu mich auf die Zurückkunft von
t
Cohn. Er erzeigt mir viel Liebes, hat mir be^ meinem Oheim
viel Gnade bereitet, v/olches xim so verdienstlicher ist, da
letzterer mit lauter Menschen umgeben ist, die mir feindseelig
sind. Ich bin jetzt boy Christ und Judo verhasst. Ich bereue
sehr, dass ich mich getauft habj ich seh noch gar nicht ein,
dass es mir seitdem besser gegangen sey, im Gegentheil, ich
habe seitdem nichts als Unglück. - Doch still hiervon. Du bist
zu sehr aufgeklärt, um nicht hierüber zu lächeln.
• • •
( ) Heinrich Heine an Leopold Zunz
Hamburg, im hcilfigcnj Maymond lS2ß.
An Dr. Ziinz, dcsigiiirtcr Richter über Israel, Vizepräsident des
Vereins für Cullur xifndj Wfisscnsclioflj der Juden, Präsident
des wisscnschfafllichcn] Instituts, Redakteur der Zeilschr/'z/Vy
für Cfiilliir] ufndj \Y[lssenschaflJ der 3[ii(Icn], Mitglied der Ak-
kerbau-Commission, Bil)lioLiiekar —
Hey letzterem Titel werde ich stellen bleiben, indem ich Ihne.n
anbcy ein ExfcmphrJ meines neuesten Buches lur die Vereins-
bibliothek üherschicke, mit der Bitte, im Fall letztere schon nach
Arraralh^^^rsctzl ist, das besagte ExfcmplarJ an die Frau Dok-
torinn Zunz, zum Verbraucli in der Küche, gefälligst zu ühergchen.
Der größte Theil dieses Buches ist Quelle und ist daher nicht
entbehrlich für die Geschichte unserer Juden. Ich aber bin mit
■ der allen Liebe u/'/irf; Freundschaft
Ihr Freund
H. Heine,
Dr. jur. iifndj Mitglied des Vereins
für Cultur und Wfisscnscliaftj
der Juden
im ISlcn J^ihvhfundcrl.J
P. S. Im 2tcn Theil der Reisci)ilder erscheint der Rabbi, und zwar
sehr beschnitten — doch sollen in demselben Theilc noch viele
Curiosa cnliialten scyn.
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2
/i825 nahm Heine die Taufe an, in der Hoffnun^^, dacjs dies ihm
eine Kjtaateanetelltini:^ erraö^i'liohen \mrclo.
Heisebildsr, 1. Teil,
-jt^e^f
Araratt so sollte der Zentralpunkt dos von Mordechai Manuel
Noah i>ropa^iertön araeriicinisohen Judens-taats heimsen, Vg'l. Brief
Nr.
\ ) • Heinrich Heino an Mooea I/ioaer
Nordcrncy, ^128. JiilvnS26.
Lieber Moser!
An meinem langen Slillschwcigcn haben die Göllcr Schuld. Ihnen
schüllc ich jetzt Alles in die Schuhe. Es ist das Bequemste.
Oft, zehntausend off würde der Chinese sagen, denk ich an Dich,
und es soll auch nicht.langdancrn, bis ich Dich wiedersehe von An-
gesicht ziK\ngcsicht. Ich will diesen Winter, wenigstens zum Theil,
in Bcrlin^ubringcn. Meine Gedanken hierüber sind noch nicht be-
stimmt geordnet. Es ist aber ganz bestimmt, daß es mich sehnlichst
drängt, dem deutschen Vaterland Valet zu sagen. Minder die Lust
des Wanderns als die Qual persönlicher Verhältnisse (z. B. der
nie abzuwaschende Jude) treibt mich von hinnen.
-M it-metner-Gesund hei t bessert es sich, obschonnicht ganz, doch
allmählig, und ich vermag jetzt l)estimmter auf die Beyhülfe"rnei-
ner Physis zu rechnen. — Jetzt schwimme icMvicdcr auf der
Nordsee. Das Salzwasscrclcment sagt mir 2ü7 es wird mir wohl
und leicht zu >hith, wenn mein. Kahn von den Wellen wie ein
Ball hin und her geworfcn-wlrd, das Ersaufen ist mir ein trösten-
der Gedanke, der einzige Trost, den mir der grausame Priester
von Ileliopolis gelassen hat — indem er dem Wasser keine Bal-
isen unlcr-^elc^t. ..
o
'\Vic tief begründet ist doch der Mythos des ewigen Juden I Im
stillen \Valdlhal erzälijt die Muller ihren Kindern das schaurige
^h"lhrchen, die Kleinen drücken sich ängstlicher an den Herd,
draußen ist Nacht — das Posthorn tönt — Schacherjuden fahren
nach Leipzig zur Messe. — Wir, die wir die Helden des Mährchens
sind, wir wissen es selbst nicht. Den weißen Bart, dessen Saum
die Zeit wieder verjüngend geschwärzt hat, kann kein Barbier ab-
rasiren.
Dein Vereinsbild „der riesige Christus mit der Dornenkrone, der
durch die Jahrtausende schreitet", kommt mir oft ins Gedächlniß.
Du bist milder und besser als ich, darum sind auch Deine Bilder
schöner, sanfter und versöhnender.
Mein Christus auf dem Wassci, XII tcs Seebild, hat viel Unmuth
gegen mich erweckt. So wie denn überhaupt mtinc Reisehilder
mir hinlängliche Fcindschaflen neroitel. Ich bin entzückt, daß Dir
das Buch gefallen. Wohlwill sagl nur. Du würdest eine Hccension
drüber schreiben. Das ist sehr edel von Dir, sehr nobel u. s. w.
Aber Scherz bey 5oilc, es war mir bcy meiner fatalen Stellung
sehr nützlich, daß das Buch einige günstige öffentliche Urlheile
gewonnen. Was Du für das Buch tiuinkannst,dasthue. Auch meine
financiellen Verhältnisse haben sich durch das Buch verbessert.
Der zweyte Theil soll Ende d[ic]s,[c.]s Jahres gedruckt werden.
Ks soll viel Verwundcrliclies enlhallen, z. B. den Rabbi. „Und
Dich hat niemals xf^lhcnd heschülzt die GöUin der Klugheit, Pal-
las Allicncl" Du luusl Bechl und hast immer Ilcchl,
DiHtt^i--tvniMlet'^i^>s^-e-ineitK^r-Finn«KlepuncH-)u^ Txr f
scyn, weil Dir an meinem Wohl und Wehe mehr liegt als an dem / / A,
Bilddessclben. Solche Gesiimung verlang' ich. Ich freu' mich drauf, / $(^i
Dich wiederzusehen. "~~~"^ ' /
^ /iCeine kam er^it /mfp.iv^ I829 3i?.ch Borlin,
"^^ Chri£'.t,uri auf dem Warinörs d.uD GodicTit "Fr'io'-T^n", ö.o.^^ den arr-Jton
Zyklus dQ3? "lTordsoe"-.Godi(;b.te im I, Teil der "I^eisebilder"
"besohliesst.
•x-x-^
Feind;:; ohaften: ^^Qg^n der satirif:->oh3n Ausfall o auf Göttin^^en und
Göt-fcln^Qr Persönlichl^eiten., Das Buch ^mTdo in Göttiii^en duroli die
Polizei verboten« ^
^^^* AudTÄat» Heine« 3chGn "Nords3o"-Gt-?dich-b 'Toaeidon".
/y'
^.i^
Im Jahre der Julirovolutionjf aaste Heine, von der Zonour immer
heftiger verfol£;t,xdön TiIn'tachluGs, nach Frankreich zu gehen. Es v;ar
eine i^intscaeidung über sein weiteres Lehen; er ahnte, er v/ucste es.
Am 1. Mai I831 fuhr Heine bei Strassburg über den Rhein. Zv/ei Tage
später traf er in Paris ein, das von nun an sein dauernder Y/ohnort
v/erden sollte, Nur zwei kurze Reisen nach Deutschland haben sein
französisches Exil unterbrochen.
Einer der ersten Briefe, die Heine in Paris empfing, stammte von
seinem J^eunde, dem Bruder des Komponisten Meyerbeer, Michael Beer ,
dem Dichter des "Paria". ^, / ;. ,
( ) Michael Beer an Heinrich Heine
München, 10. Juni 1831
f^.* Jemand, dem der Himmel vor der Geburt, wie Sie einmal
sehr richtig sagten, die drei größten Mißgcsdiickc aufbürdete, nchm-
lich ein Jude, ein Deutscher und ein Diditer zu sein, der findet in
seinem Leben ohnedies axistößigc Steine genug. Könnte idi mir im
Meer eine dieser Plagen wenigstens abwasdicn. Vana spes! Kein
jMcer tauft/radijkal, daß uns nidit der alte verhaßte Adam kleben
bliebe, der unseren lieben dcutsdicn Landslcuten so antipathisdi ist,
und so undeutsdi unsere Gesinnungen sind, so dcutsdi werden unsere
Empfindungen ewig bleiben, und was die Poesie betrifft, so fürduc
idi, hat mir der Himmel ^radc genug gegeben, um nicht ohne sie
leben zu können, und nicht so vicly .um etwas dadurdi zu erringen,
das midi zu mehr stempelte ais einen gezäkmten jüdischen Bären,
der in der Spradie, die für ihn dichtet und denke, Tragödien
brummt • . . .
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Füiifundzwanzig Jahre verbrachte Heine in Paris. Seine Briefe an
Freunde und Verwandte geben ein anschauliches Bild seines dortigen
Lebens.
) Heinrich Heine an/Varnhagen von Ense
Paris, d. 27/Juny I83I.
Lieben Freunde!
■■^
La forcc des choses! Die Macht die Din^fc! Ich habe wahrhafllf,'
nicht die Dinge auf die Spitze f^^cstelU, sondern die Dinge liabeu
mich auf die Spitze gestellt, auf die Spitze der Welt, auf Panj> -
ja, gestern ^to^gen stand ich sogar auf die Spitze (lic':er Spitze,
auf (las Pantheon. „Aux grniuls hoiumcs la palrie rcconnoissantcl"
So, glaube ich, lautet wieder die gokinc LicchnTt. ~ welcher
Hohn! Die kleinen Menschen errichten solche Tempel für die
großen Menschen, nach ihrenrfq^le — man sollte solche Inschriften
lieber auf Vcrys Iteslauration setzen, und die großen Männer hcy
Lebzeit gut füttern, statt sie nach ihrem Ilungerlodc oder son-
stigem Qmiltode zu verehren. Aber Very ist das Pantheon der
lebenden kleinen Menschen und da sitzen sie und essen und Irin-
ken und erfinden ironische Inschriften.
* Michael Beer (I8OO - 1833), Dichter und Dramatik or; sein
l^inaLcter "Dor Paria", dem Heino sehr schätzte, \7urde 1823
in Berlin aufgeführt, Vig'l, Year Book Xll/.puhlioations of
the Leo Baeok Institute, 1967« ö. 149/60. Lothar Kahnj
Michael Beer.
Alls. Zeitung des Judenthums. Ji^. 69. 1905« ö. 357»
** Very* s Restaurationt zur Zeit der Restauration und dos Bür-
gerkönigtums hökanntesto Pariser Gaststätte. Bestand "bis
Mitte des 19« Jahrhunderts«
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Der nnnc Laf(Jiil;üiie lial in Clialcaii Thicrry, seiner Valcrsladt,
eine Marniorsfmle, die ■i(),(X)Ofr. {^ekoslel. Ich lächle hcrzUch, als
ich sie im Vorbryr.ihron sah. Der arme Schelm verlangte hcy
I.ch/A'ilen ein Stück Hrod, luul nach clemTodcf^icbt mau ihm für
fr l(),()()l) Marmor. .fean.)ac(iues Rousseau und ähidiche Menschen
die in ilu-em Lehen kaum ein Dachstübchen erlangen konnten,
denen dedi/iert man jel/A ganze Straßen. - Ich will Ihnen heule
nur l'nsinn schreiben; denn schriebe ich Ihnen etwas Sinniges
\m(l <ler Hriel" kfune in unrechte dumme Hände, könnte er Sic
k()iui)r()miHieren. Ich will Ihnen überhaupt deßhalb idcht mehr
selu'eihcn; liaben Sie mir muhl was zu sagen, so lassen Sic mir's
wissen unl er Madam Valentins oder Maiu-iceSchlesingersAddressc.
Oder sehreihen Sie mir per Addressc des: Dr. Donndorff, a rilotcl
<rih)llande, rue juhivc des hons enfanls a Paris. Ja, diese letztere,
ist uieine llaui^laddressc und die sicherste, wenn mansonslkeinc
köiugl//c7i7 Vvcul}>lischcJ Postamtsindiskrezion zu fürchten lud.
Ich bin umgeben von Preußischen Spionen; obgleich ich mich
den i)()lilischen Intriguen fernhalte, fürchten sie mich docli am
nu>islen. l'reylich, da man mir den Krieg macht, so wissen sie,
daß ich losschlage, und zwar nach besten Kräften.
Ach, vor sechs Monatheu sah ich alles voraus und hätte mich gern
in die Poesie zurückgezogen und anderen Leuten das Schlächter-
handwerk überlassen — aber es ging nicht, la forcc des choscs,
wir werden auf die Spitze getrieben!
In Prancfort, wo ich acht Tage nuch aufhielt und mehrere Con-
gregazionisleivsprach, entdeckte ich die Quellen mancher eigner
Uebel, tlie nur unerklärlich waren. Ich habe zuletzt in Hamburg
ein unercpiickliches Leben geführt, ich fühlte mich nicht sicher,
•luul da mir eine Reise nach Paris schon längst im Gcmülhc
dännuerle, so war ich leicht beredet als mir eine große Hand gar
licsorglich winkle. Indessen: Fliehen wäre leicht, wenn num
niclit das Valerland an den Schuhsolen mit sich schleppte! Ich
parodirc Danion mit Schmerzen. Es ist schmerzlich, im Luxem-
burg spaziren zu gehen und überall ein Stück Hamburg oder
ein Stück Preußen oder Bayern an den Schuhsolen mit sich
herumzuschleppen.
Ich bleibe wahrscheinlich noch -1 Wochen hierj dann geh ich
nach Boulogne ins Bad, und dann hierher zurück — auf wie lang?
Es kann mir hier nicht schlechter gehn, wie in der Ileimath, wo
ich nichts als Kampf und Nolh habe, wo ich nicht sicher schla-
fen kann, wo man mir alle Lebensquellcn vergiftet. Hier freylich
ertrinke ich im Strudel der Begebenheiten, der Tageswellen, der
brausenden Revoluzion; — obendrein besiehe ich jetzt ganz aus
Phosphor, und während ich in einem wilden Menschenmeero
ertrinke, — verbrenne ich auch durch meine eigne Natur. —
Leben Sic und VrfauJ v. YfarnliagenJ recht lieb und wohl, ver-
gessen Sie mich nicht. Trübe Ahnungen beklemmen mich.
H.Heine
) Heinrich. Heine an JViedricli Herckol
Dieppe, den 24. August 1Ö32.
Theuror Freund und Gönner!
0!);;leich an einer lahmen und an einer schwnclienlland leidend,
beUoiuiuc ich doch plölzlieh den Drang, Dir /Jii^scln*eibcn. Längst
halle ich dazu Lust, zumal seit Dr. Chrisliam der Mirabcau der
l.üueburgcr Heide geworden ist. Das ist ein Spaß, womit mir der
VT,; 7''
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n
Die preussische Ro^'ieruji/r besaac? in Paris oinQ Ana.>hl von
Beriolit^rstatbörn, di3 ilir ü'ber die politisohe Liigu aowie ü"bar
LelDen und Trei"ben der Deutrjohon in Paris Auakiinft erteil ten«
Congregassionistöni deutaohe Republikaner,
Fr*4drioh Merokel|Jmit Heine seit 1826 (Hamburg) bsfreundot.
»***
Dr. Chris tianij vgl. Anmerkung zu Brief Nr.
liebe Golt beweisen wollle, daß er ciii noch {größerer Ironiker ist
als ich. — Da ich Dich I^einie, liebsler Freund, so weiß ieli vor-
aus, daß Du ganz beslimnil Dir einbildest, ich selireihc Dir, weil
ich die Absieht hege, cinii^e ßüclier herauszuf^el)eii (Piapperloltc^
wird es Dir wohl gesa^^l haben), und weil ich alsdann wünschte,
daß Du dabey Deine kritischen Augen in Bewe^^ini,',' setzest.
Indessen, soviel ich weiß, ist die Ilauplabsicht dieser Zeilen,
Dich zu bitten, mir mahl zu schreiben, wie es in Deiüsehlaiid
aussieht, mir immer zu schreiben, was dort vor;,feht, so faktisch
als möglich, und haui)lsächlich politische Verhältnisse betref-
fend. Du thusl zugleich ein patriotisches Werk, indem ich Ihäliger
bin als Du weißt und oft im Dunkeln tappen nniß. Haben wäh-
rend dem letzten Jahre die Blätter, die ich hier in Frankreich gar
nicht sehe, etwas enthalten, was mich besonders ehrennlhrig be-
trifft, so lulle ich es mir zu nolifiziren; in der Vorrede zu dem
ersten Werk, welches erscheint, will ich dergleichen berühren. —
Ich bin im lk\griff, wieder nach Paris zu reisen, wo ich mein
II;uipt(iuartier behalte, mid wo ich Deine Briefe erwarte. — Ich
erlebe viele große Dinge in Paris, sehe die Weltgeschichte mit
eigene;! Augen an, verkehre amicalement mit ihren größten Hel-
den und werde einst, wenn ich am Leben bleibe, ein großer Hi-
storiker. Im Schreiben von belletristischer Art habe ich in (\^v
letzten Zeit wenig Glück gehabt. Der Strudel war zu groß, worin
ich schwannn, als daß ich poetisch frey arbeilen konnte, liin Ro-
man ist mir mißglückt; doch werde ich wohl in einer Sammlung,
welche ich diesen Winter besorge, und worin ich auch den „Rabbi'*
hineinsehmeiße, einige Romanstückc geben. — Ich habe wenig
Gedichte genuicht, und doch nuiß ich sie bc}' einem besonderen
Abdruck des „Neuen Frühlings" hinzufügen, damit dieser etwas
buehlich erscheine. — Ich bin übrigens fleißiger als sonst, und
zwar aus dem einfachen Grunde, weil ich in Paris sechsmal so
viel Geld brauche als in Deutschland. — Und nun leb wohl, schn'il)
bald, wie es Dir geht, und schreib viel und scy nicht eigensinnig. —
Wenn ich Dir wenig schreibe, so ist die Ursache keine andre, als
daß ich Dir viel zu sagen hätte. — Je suis,
Monsieur Tami,
Votrc devou6
II. Ilcinc.
( ) Heinrich Heine an Fr^^^rich kerckel
[Frühjahr JSSS.J
...Tch werde in jenem Journale [„Europc lUlcrairc-J alles McVr.
iHie Ihun, um den I-ranzosen das geistige Leben der DeutsehcMi
bekannt zu machen; dieses ist meine jetzige Lebensaufgabe, und
u-h habevielleiehl diepazilike Mission, die Völker einander iiäher
XU bringen. Das aber fürchten die Aristokraten nm nieislen; mit
< er /erslorung der naiionalen Vorurtheile, mit dem Vernichlcii
c er palriol.schen I-ngsinnigkeit schwindet ihr bestes Ilülfsmillel
<ler bn erdrncknng. Ich bin daher der inkarnierte Kosniopolilis-
inus, lehwe.f.^ daß dieses am Ende die allgemeine Gesinnuncr wird
jn I'.uropa, und ich bin daher überzeugt, daß ich mehr Zukunft
habe, als unsere deulschen Volksthümler, diese sterblichen Mea-
sehen, die mu- der .Vergangenheit angehören ...
/
'^Heines Schwester Charlotte.
** Anspielung aiif den freundschaftlichen Verkehr Heines mit Thiers,
//-
^u
( ) Heinrich Iloine an Heinrich Laube
Boulogno sur Mer,den 23. November lö
Licbslcr Laube!
Ihr Brief, den ich zu bcaiilworlcu eile, liat mir eine pcinHchc
Slimnuina verursacht. Ich ersah daraus die UneniuickHclikcit
dürliL^er Zustände uud Ihre ch;nQn befuuisli'jcndeii Wirrnisse.
Seil clNva 31/2 Müiialli, wo icli von Paris ciilfeVnl, habe ich kciii
deulschcs Journal zu Gesicht bekommen und außer einigen An-
deutungen im Briefe meines Verlegers vor 4 Wochen habe ich
von dem litlcrarisclicn Greul, der losgebrochen ist, nichts erfah-
ren. — Ich beschwöre Sie bey allem was Sic lieben, in dem Kriege
den das junge Deutschland jetzt frdu't, wo nicht Parthey zu fas-
sen, doch wenigstens eine sehr schützende Neutralität zu be-
haupten, auch mit keinem Worte diese Jugend anzutasten. Ma-
chen Sie eine genaue Scheidung zwischen politischen und religi-
ösen Fragen. In den politischen Fragen können Sic so viel Con-
ccssioncn machen, als Sie nur immer wollen, denn die politischen
Slaalsformcn und Regierungen sind nur Mittel; Monarchie oder
Republik, demokratische oder Aristokratische Inslituzionensind
gleichgültige Dinge, solange der Kampf um erste Lebensprin-
zipien, mn die Idee des Lebens selbst, noch nicht entschieden ist.
Erst später kommt die Frage, durch welche Mittel diese Idee im
Leben realisirt werden kann, ol) durch Monarchie oder Republik
oder durch Aristokrazie, oder gar durch Absolutismus ... für
welchen letzteren ich gar keine große Abneigung habe. Durch
solche Trennunij der h^ra^e kann man auch die Bcdcnklichkciten
iler Censur bcschwichliiion: denn Diskussion über das rcliuiösc
Prinzip und Moral kann nicht verweigert werden, ohne die ganze
protestantische Denkfrcyhcit und Bcurlheilungsfreyheit zu
annuliren; hier bekönnut man die Zustünnuuig der IMiilisler...
Sic verstehen mich. Ich sage das religiöse Prinzip und Moral, ob-
gleich beides Speck und Schweinefleisch ist, eins und dasselbe.
Die Moral ist nur eine in die Sitten übergegangene Religion (Sitt-
lichkeit). Ist aber die Religion der.Vergangenhcit verfault, so wird
auch die Moral stinkisch. Wir wollen eine gesunde Religion, da-
mit die Sitten wieder gesunden, damit sie besser basirt werden als
• jetzt, wosic mir Unglauben und abgestandene Ileucheley zur Ba-
sis haben.
Vielleicht ohne diese Andeutungen werden Sie begriffen haben,
warum ich mich inuner in der protestantischen Befugniß ver-
schanzt, so wie Sie auch leicht die pöbelhafte List der Gegner be-
griffen, die mich gern in die Synagoge verwiesen, mich (\cn gebo-
renen Antagonisten des jüdiscli ■ ''onietanisch-krisllichcn Deis-
mus. Mit v.-elchem MillcUlcn^oh'Z^^ Sq Würmer herabsehe, da-
von haben Sic keinen Begri!'". Wör -des Losungswort der Zukunft
kennt, j^gen den vermögen /i/^ //s^-/'l^(^der Gegenwart sehr wc-
ni/^. Ich weiss, wer ich bin. Jüngsthin hat einer
meiner saint-simonistischen Freunde in "ßgypten
ein V/ort gesagt welches mich lachen machte aber
doch solir ernsthaften Sinn hatte, er sagte, ich sey
der erste Kirchenvater der Deutschen.
* Heinrich Laul3e*(l806-l884), Schriftsteller imd Publizist. Zeit-
weilig Wortführer des Jiingön Deutschland. 1849-^7 Direktor des
Burgtheaters in Wien. Heine widmete ihm den "Rahhi -von Baoharaoh".
^* Brief Lauhes aus Uaumhurg vom 3. ITovemhei? 1835 > worin er in Heine
drang, naoh Deutschland zurückzukehren.
»*^^ Worte Prosper Enfantins (1796-I864) in einem Brief an Heine vom
11. Oktoher l835» in dem er sich für Uehersendung von H*s "De
l*Allemagne", das ihm gewidmet war, "bedankte. Abgedruckt in
Oeuvres de Saint-Simon et d« üJnf antin, Bd. 10, S. 108-136,
p
!-. L
( ) Heinrich Heine an die Hohe Bundesversammlung ^
Paris, Cite Bergbre Nr, 3, den
28. Januar I836.
Mil liefer Bclrübiiiß erfüllt mich der Beschluß, den Sic in Ihrer
31. Silzuiig von 183r) gefaßt haben. Ich gestehe Ihnen, meine
Herren, zu dieser Bclrübniß gesellt sich auch die höchste Ver-
wunderung. Sic haben mich angeklagt, gerichtet und verurthcilt,
ohne daß Sic mich weder mündlich noch schriftlich vernommen,
ohne daß jemand mit meiner Verlheidigung beauftragt worden,
ohne daß irgend eine Ladung an mich ergangen. So handelte nicht
in fdmlichen I\"dlen das heilige römische Reich, an dessen Stelle
der deutsche Bund getreten ist; Doktor Marlin Luther, glorrei-
chen Andenkens, durfte, versehen mit freyem Geleite, vor dem
I»eichslagc erscheinen, und sich frey und öffentlich gegen alle
Anklagen vcrlheidigen. Fern ist von mir die Anmaßujig, mich
dem hochlheuren Mamic zu vergleichen, der uns die Denk-
freyhcit in religiösen Dingen erkämpft hat; aber der Schüler be-
ruft sich gern auf das Bcyspicl des Meisters. ^Venn Sie, meino
Herren, mir nicht frcyes Geleit bewilligen wollen, mich vor Ihnen
in Person zu vcrtheidigen,so bewilligen Sie mir wenigstens frcyes
Wort in der deulschen Druckwelt und nehmen Sic das Interdikt
zurück, welches Sie gegen alles, was ich schreibe, verhängt lia-
.bcn. Diese Worte sind keine Proleslazion, sondern nur eine Bitte.
Wenn ich mich gegen etwas verwahre, so ist es allenfalls gegen
die Meinung des Publikums, welches mein erzwungenes Still-
schweigen für ein Lingcsländnis strafwürdiger Tendenzen oder
gar für ein Verleugnen meiner Schriften ansehen köimle. Sobald
mir das freyc Wort vergönnt ist, hoffe ich bündigst zu erweisen,
daß meine Schriften nicht aus irreligiöser und inimoralischer'
Laune, sondern aus einer wahrhaft religiösen und moralischen
Synthese hervorgegangen sind, einer Synthese, welcher nicht bloß
eine neue literarische Schule, benamset d: s junge Deutsch-
land, sondern unsere gefeyerlslen Schriftsleller, sowohl Dichtex
als Philosophen, seit langer Zeit gehuldigt haben. Wie aber auch,
meine Herren, Ihre I'^nlscheidung über meine Bitte ausfalle, so
seyen Sic doch überzeugt, daß ich immer den Gesetzen meines
Vaterlandes gehorchen werde. Der Zufall, daß ich mich außer
<lem Bereich Ihrer Macht befinde, wird mich nie verleiten, die
Sjn'ache des IhuleVs zu führen; ich ehre in Ihnen die höchsten
Autoritäten einer geliebten Ileimath. Die ])crsöidiche Sicherheil,
die mir dor Aufenthalt im Auslände ^ov/ährt, erlaubt
mir .o-lücklichorwoir;o, olino Bosor^i^vor Llifdoutun^, Ihnen,
meine Herren, in ^oziomondor Unterthänigkeit die Ver-
sicherung meiner tiefsten Ehrfurcht darzubringen.
Heinrich Heine,
beider Rechte Doktor,
Erstdruck (franz.) in Journal des D^TDats politiquös et litt^-
raires, 30. Januar 1836. Am 10. Februar I836 wurde diose Eingabe
in Hr. 41 der Allgemeinen Zeitung in einem Bericht aus Prankfurt
a.M. veröffentlicht.
** ^ Verbot von Heines Schriften.
) Heinrich Heine an Au^st Lcwald
Aix den 5. Nov. I836.
Es ist in den Sternen {geschrieben, daß ich diesen Winlcr in Paris
zubringen soll; welches mir sehr verdrießlich, da ich cijiigcZcit
an der Gelbsucht lill, und meine Gesundheit ein milderes Clima
rnlhsam UKicht. Auch auf der Seine war ich unhlngst in Gefahr
zu ersaufen; das Dampfschiff sehlu.<f nemlich nach einer Seile,
die Damen auf dem Verdeck schrieen wie wahnsinnig, ich bc-
ruhi<;lcsie aber, indem ich riefiNc craignez rien,Mesdamcs,nous
sonmies tous sous hi proleclion de h\ loi! — Aber wie dürfte ich
ersaufen, che ich Antwort vom Bundestag habe auf meine Bitt-
schrift? Schon die bloße Höflichkeit verhingt jetzt, daß ich am
Leben bleibe.
Liebster b'reuiul, ich war sehr krank^ ganz gegen meine Gewohn-
heil j^ar nicht imaiiinär krank, sondern reell. Deßhalb konnte ich
mein IbiuMi gi'gebi'ues Versprechen nicht erfCdlen. Konunen Sic
in der ('arneval/eil nach Paris, und ich werde Ihnen alles münd-
lich erklären. In II Tagen bis 3 Wochen bin ich wieder dort. Ich
sehe und höre niehls von Deutschland, imd man könnte mich
dort lodlschlagen un<l ich erführe es nicht. — Seit 3 MonaUicn
habe ich kein Wort deutsch gesprochen.
( ) Heinrich Heine an Moses Moser
Avignon, den 8. Uovember I836,
Lieber Moser 1
Wird Dich der Brief, den Du heute von mir empfängst, erfreuen,
obgleich die Veranlassung nichts weniger als erfreulich? Wirst
Du verstehen, daß dieser Brief der höchste Beweis ist, den ich
Dirvon der Zuversicht meiner Freundschaft gebeji konnte? Wirst
Du ihn sogar als ein Zeugniß von großer Sinnesart betraclücn?
Ich glaub es, inid deßhalb schreib ich Dir, zwar betrül)ten Ge-
rn ülhcs aber ohne Widerstreben, ja sogar mit der wehmülhigen
I'reiide, daß ich doch endlich wieder einmal dazu konnne. Dir
v/irklich einen r>rlof zu sclu-eiben, und houle meine hohe Gc-
bictheriim, die Götlinn der Trägheit, mich nicht daran vcrliindcru
darf. Gedacht freylich habe ich oft gciuig an Dich, und als ich un-
längst in Paris todlkrank darnieder lag und in schlafloser Fio-
bcrnacht alle meine Freunde nuisterte, denen ich wohl die Fxe-
cuziou eines letzten W'illens mit Sicherheit anvertrauen dürfte:
da fand ich, daß ich deren keine zwey auf dieser I''rdc besitze^
und nur auf Dich, vielleicht etwa auch auf meinen Bruder Max,
glaubte ich, rechnen zu dürfen. Und deßhalb wende iclrmich
auch heute an Dich, und <Ier Freund, dem ich Jahrelang nichtge-
schrieben habe, erhält heute einen Brief von mir, worinn ich Geld
von ihm verlange. Ich befinde mich nemlich, durch ein höchst
tragisches Ereigniß, in einer Geldnolh, von welcher Du keinen
l>Cffriff hast, während ich entfernt von den wenigen Ressourzen
bin, welche mir, nach den schändlichen Beraubungen, welche
Privati)ersonen und P»egirungen an mich verübt, noch übrig ge-
blieben sind. Ich liebe Dich zu sehr, als daß ich Dich durch eine
Schilderung dessen, was mir jetzt begegnet, betrüben möchte;
auch darf ich es nicht für den Fall, daß Du nicht im Stande wä-
rest, mein Ansuchen zu erfüllen und Du alsdann einen verdop-
pelten Kummer empfinden würdest. Du kannst mir durch ein
Joh. Karl Au^st Lew£tld;(l792-l87l), erst Schauspieler, •^'on 1849-62
Regisseur des Hoftheaters in Stuttgart, spät r in München. Iloin©
•war in Ham'burg eng hofröundet mit ihm«
Darkim von -100 ThakM*n in (lii\s(Mn Aii;,'cnblk'k, in der schincrz-
liclislon Passionszeil meines kel)ens, einen wichtigen Dienst lei-
sten. Das ist alles, was ich Dir heule sai^cii will. Kannst Du diese
Sununc missen, so schick sie mir in einer Anweisung' auf Paris
uihI addressirc den Brief: Henri Heine, (lile Bergerc Nr. 1 i\ Pa-
ris; er wird mir alsdann nachgeschickt. Was jedoch meine Sol-
vahililül betrifft, so muß ich Dir zu gleicher Zeit sagen, meine Ge-
schäfte stehen in diesem Augenblick so schlecht, daß nur ein
Thor oder ein Freund mir jetzt Geld leih.cn würde. Mit meinem
Oheim, dem Millionär, habe ich mich umlängst aufs biltersta
übcrworfen; ich konnte seine SchntKÜgkeit nicht länger ertragen.
^knnc französischen Freunde haben mich durch ihren liebens-
würdigen Leichtsinn in großen Geklschadcn gebracht. Andre ha-
ben mich cxploilirt. In Deutschland darf ich nichts drucken las-
sen als zahme Gedichte und unschuldige Mährchen, und doch
habe ich ganz andre Dinge im Pulte liegen; daß man ohne .' .1-
klar'c und Urlhcil so zu sar'cn meine Feder konfiszirt hat, h,l: •i
Ver!LL/.ung der unbcstrcilbarslcn lugenllunnsrcchtc, des !'• ••,-
v'\.r\':ji\ Figenlhums, eine plumpe Beraubung. Aber es i '. ''■ . ;
' :;n nur gelungen, mich financiel zu ruinircn.
Icli weiß niclit, Iheurer Moser, ob ich Dir noch so viel werlh bin
wie ehemals; ich weiß juu*, daß ich seitdem von meinem inneren
Werthe niclits verloren habe. Wäre dieses der Fall, so befände
ich mich heute niclit in schmerzlicher Geldnolh, wenigsten.s
würde icl\ zu ganz anderen Leuten, als zu Dir, meine Zuflucht
nehmen. Glaube nichts, was man von mir sagt, \u'theilc innner
nach meinen Handlungen. Keiner Notiz, die nicht mit meinem
Namen unterschrieben ist, darfst Du Glauben schenken. k;h werde
angc^feindet und verläumdel zugleich von Ghristen und Juden;
letzlere sind gegen mich erbost, daß ich nicht das Schwert ziehe
für ihre ]-jnajizi])azi()ji in Baden, Nassau oder sonstigen Kräh-
winkelstaatcn. der Kurzsichligkeit! Nur vor den ThorcnRoms
kann man Carlhago vcrtheidigen! Hast auch Du mich mißver-
standen?
Ich schrei])C Dir diese Zeilen aus Avignon, der ehemaligen Re-
sidenz der Päbslc und der Muse Pctrarchas; ich liebe diesen eben
so wenig wie jene; ich hasse die christliche Lüge in der Poesie
eben so sehr wie im Leben.
.<^
Leb wohl und hilf
Deinem Freunde
li. Heine.
*
Idi werde angefeindet und verleumdet zugleldi von Christen und Ju-
den: Heine wurde tatsHclilich von Christen und Juden angefeindet; be-
sonders sind unter den jüdisdien Gegnern hervorzuheben Börne, der
Heine in der Pariser Zeitung Le Rcformateur am 3Z. und 31. Mai 1835
angriff, Bcrthold Auerbach in einer Broschüre „Das- Judentum und die
neueste Literatur", Stuttgart 1S36, und J. Weil in einer Broschüre „Das
junge Deutschland und die Juden", Frankfurt a. M. 1S36; etwas später
sind Ludwig Philippson und Gabriel Ricsscr mit scharfen Angriffen auf
Heine hervorgetreten. Auerbach lehnte Heine ab mit dem Satze: Jeder
sinnlidien Unnatur widerstreiten Philosophie ebenso wie Politik, das
häusliche wie das öffentliche Leben, das Judentum niAt minder als das
Christentum. Auerbach veraditete die Sdiutzjuden der Mcndclssohnzeit
ebenso wie die Trutzjuden vom Sdilagc Börnes und Heines und ver-
langte, daß Juden deutsche Vollbürgcr würden. Auf der anderen Seite
wurde er als Jude leidenschaftlich angegriffen, besonders von dem Berliner
Theologen Hengstenberg in seiner „Evangelisdicn Kirdicn-Zcitung", 1835
(Sp. 497—512, 657—662, 665—678, 729—734, 737—742, 745—750),
und von Wolfgang Menzel im Literatur-Blatt vom 4. Januar 1836, Nr. 2,
S. 7, abgesehen von zahlreichen anderen Angriffen kleinerer Geister in
Zcitsdiriftcn und Brosdiüren.
II
( ) Heinrich Heino an Maximilian Heine ^
Havre de Grace,den 29, August 183'
• • •
Wie es mir im Alter gehen wird? Ehrlich gesagt, ich v/age
nicht daran zu denken! Ich werde wahrscheinlich die Zahl
jener edelsten und grössten Männer Deutschlands vermehren,
die mit gebrochenem Herzen und zerrissenem Rock ins Grah
steigen. In Düsseldorf wird mir dann wohl ein Monument gesetzt
werden. -
( ) Heinrich Heine an Karl Gutzkow "^ ^ ^
Granville ( in der Basse KormandiG)
d 23. August 1838.
Ich habe, wcrLhcsler Freund, Ihnen für Ihren Brief vom 6. dieses
meinen aufrichligslen Dank zu sagen. Ich habe gleich nach Emp-
fang desselben an Campe geschrieben ;Hjd ihn ersucht, den zwcy-
ten Band des Buchs der Lieder, nemiich den Nachtrag, noch
nicht in die Presse zu geben. Ich werde ihn erst späterhin er-
scheinen lassen, wenn ich ihn nochmals gesichtet und mi{ einer
zweckmäßigen Zugabe ausgestattet habe. Sie mögen gewiß recht
haben, daß einige Gedichte darin, ,v(^ Gegnern benutzt werden
können"; diese [Ilijpokritcn]^ "sindf aber so heuchlerisch wie
feige. Soviel ich weiß, ist aber unter den anstößigen Gedichten
kein einziges, das noch nicht im ersten Tlicile des Salons ge-
druckt wäre; die neue Zugabc ist, wie ich mich zu erinnern
glau])c, ganz harmloser XaUir. Ich glaube überhaupt, bey späte-
rer Ilcrausanbc, kein cinziLics dieser Gedichte verwerfen zu müs-
seil, und ich werde sie mit gulcm Gewissen drucken, wie ich auch
den Salirikon des Pclron und die römischen Elegien des Goethe
drucken würde, wenn ich diese Meisterwerke geschrieben hätte.
Wie letztere sind such meine angefochtenen Gediclile kein Füller
für die rohe Menge. Sie sind in dieser Beziehung auf dem Holz-
wege. Nur vornehme Geister, denen die künstlerische Behand-
lung eines frevelhaften oder allzu natürlichen Stoffes ein geist-
reiches Vergnügen gewährt, können an jenen Gedichten Ge-
fallen finden. Ein eigentliches Urlheil können nur wenige Deut-
sche über diese Gedichte ausspreclicn, da ihnen derStoff selbst, die
abnormen Amonrcn in einem Welltollhaus, wie Paris ist, unbe-
kannt sind. Nicht die Moralbcdürfnisse irgend eines verheurathc-
ten Bürgers in einem Winkel Deutschlands, sondern die Autono-
mie der Kunst kommt hier in Frage. Mein W^ahlspruch bleibt:
Kunst ist der Zweck der Kunst, wie Liebe der Zweck der Liebe,
und ;:ar das Leben selbst der Zweck des Lebens ist.
» ^1T^' ■, '?*TB~'
Bruder von Helnrioh Heine.
Monument«
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<Hf***
Karl Outzkow;(l8ll-l878), Schriftsteller und Pul3li25ist, führen-
der Vertreter des Jungen Deutschland,
/Gutzkow nimmt Bezug auf Bd. 2 des "Buch der Lieder", dessen
Druck von der Zensur in Darmstadt verweigert worden war, Gutz-
kow warnte Hoine, er nrllsse das Buch aufgehen, solche frivolen
Sedichte dürfe man den Deutschen nicht zumuten, Heines Antwort
enthält das liter, ästhetisch ungemein bedeutungsvolle Bekennt-
nis HeineBi Kunst ist der Zweck der Kunst, Der ThSophile Qautier
zugeschriehene Grundsatz l'Art pour l'art geht auf Heine
zurück. Zu Gutzkows Stellung zu Heine vgl, K.Gutzkow "Beiträge
ztir Geschichte der neuesten Literatur", Bd. 1, Stuttgart I839.
S, 74-94.
^„
'i^A^'^Mu '
Durchgestrichen,
Wus Sic mir in Betreff dos jüngoron Nacliwuchscs unserer Lilc-
rnlur sclireibcn, ist sclir iiilcrcssanl. Indessen ich fürclUc nicht
die Kritik dieser Leute. Sind sie inlellit^enl, so wissen sie, daß
ich ilirc beste Stütze bin und sie niicli als den iiirigen em])orrrdi-
nieu müssen, in ihrem Ankanii)f gegen die Alten. Sind sie nicht
intelligent — dann sind Sie gewiß nicht gefährlicli! Ich bin übri-
gens gar nicht so sorglos, wie Sic glauben — Ich suche meinen
Geist für die Zukunft zu befnichten, unlängst las ich den ganzen
Shakspear, und jeJzl, hier am Meere, lese ich die Bibel — was die
öffentliche Meinung über meine früheren Schriften betrifft, so ist
diese sclir abhängig von einem Lauf nnd Umschwung der Dinge,
wobei ich serbst wenig selbstthätig seyn kann. Ehrlich gestanden,
die großen Interessen des europäischen Lebens intcrcssiren mich
noch immer weit mehr als meine Bücher que Dicu les
prenne en sa sainlc et digne gardel
) Heinrich Heine an Heinrich Laube
/^9. September l840._7
Liebster Laube!
Mein Brief ist gestern nicht abgegangen und ich eile das Wich-
tigste hinzuzufügen. Leider ist mein Kopf ganz betäubt und ich
kann kaum schreiben. Gestern Abend erfuhr ich durd^ das Jour-
nal des Debats ganz zufällig den Tod von Immermann\ fcü habe
die ganze Nacht durcligcwcint. Welch ein Unglück. Sie wissen
welche Bedeutung Immermann für mich hatte, dieser alte WaT-
fenbrudcr, mit welchem ich zu gleicher Zeit in der Literatur auf-
getreten, gleichsam Arm in Arm! Welch einen großen Dichter
haben wir Dcutsch'cn verloren ohne ilm jemals recht gekannt zu
haben! Wir, ich meine Deutschland, die alte Rabenmutterl Und
nicht bloß ein großer Dichter war l[mmerinann], sondern auch
brav und ehrlich, und dcßhalb liebte ich ihn. Ich liege ganz dar-
nieder vor Kummer. Vor etwa zwölf Tagen stand ich des Abends
auf einem einsamen Felsen am Meere und sah den schönsten
Sonnenuntergang und dachte an Immcrmann 1 Sonderbar!
Ihr Freund
H.Heine.
( ) Heinrich Heine an Hans Christian Andersen ' '^
Ein Ladicn iind Srngcn! Es blitzen und gaukeln
Die Sonnen Uditcr. Die Wellen sd^aukcln
Den lustigen K.ahn. Idi s.iß d.arlnr>-
Mit lieben Freunden und lcid\tcm Sinn.
Der Kahn zcrbradi in eitel Trümmer,
Die Freunde waren sc!ilcd\tc Sdiwin\mcr,
Sie gingen unter im VaterLind; ■ ,
Midi warf der Sturm an dc^ SelnctS'trand. L'T^ ^^
c
'i^
♦ ^^^arl Immermann (1796-I840), Dichter, Begründer eines The at erver eins
in Düsseldorf, leitete das Theater von l835-3^^«
««
Diesos G3dioht ist unter dorn Titel "Lebdus fahrt" ab^^edruckt bei
Bistor, Bd, 1, S. 308 und als Brief Nr. I738 in der Hirth-johen
Heine Briefausgabe.
l)
ld\ hab' ein neues SdiilT bestiegen,
Mit neuen Genossen; es wogen -und wiegen
Die fremden Fluthcn midi hin und her — ^-
Wic fern die Heim.i/^ mein Herz wie sdiwer! jH. L (
Und das Ist wieder ein Singen und Ladien —
Es pcitsdu der Wind, die Planken kradicn —
Am Himmel crlisdit der letzte Stcrji —
. Mein Herz wie sdiwcrl Die Hciaiaj/ wie fern! / tC
Diese Verse, die idi hier in das Album meines lieben Frounxlcs ^^
Andersen sdircibc, Jiabc id\ den ^^MifiS^^y zu Paris gcdiditet. L tfU^ /^
Hcinridi Heine. ^ 17
( ) Heinrich Heine an Karl August Varnhagen von Ense ^
Paris den 3 Januar I846,
Bi'nL 'ht fTrg-nQc4i~für-nnch-zu~t]iut>Avär^. Mein Freund, HerrLas-
sallc, der Ihnen diesen (diesen) Brief bringt, ist ein junger Mann
von den ausgezcichnclslcn Gcistc5gaben: mit der gründlichsten
Gelehrsamkeit, mit dem weitesten Wissen, mit dem größten
Scharfsinn, der mir je vorgekommen; mit der reichsten Begabniß
der Darstellung verbindet er eine Energie des Wissens und eine
Ilabilile im Handeln, die mich in Erstaunen setzen, und wenn
seine Sympathie für mich nicht erlöscht, so erwarte ich von ihm
(\^\\ Ihätigslen Vorschub. Jedenfalls war diese Vereinigung von
Wissen und Können, von Talent und Charakter für mich eine
freudige Erscheinung und Sie bey Ihrer Vielseitigkeit im Aner-
kennen, werden gewiß ihr volle Gerechtigkeit widerfahren las-
sen. Herr Lassallc ist nun einmahl so ein ausgeprägter Sohn der
neuen Zeit, der nichts von jener Entsagung und Bescheidenheit
wissen will, womit wir uns mehr oder minder heuchlerisch in
unserer Zeit hindurchgclungert und hindurchgefaselt. — Dieses
neue Geschlecht will genießen und sich geltend machen im Sicht-
baren; wir, die Allen, beugten uns dem ülhlg vor dem Unsichtbaren,
haschten nacii Schaltenküssen und blauen Blumenger "ichen, ent-
sagten "und flennten und waren doch vielleicht glücklicher, als
jene harten Gladiatoren, die so stolz dem Kampftode entgegen-
gehen. Das tausendjährige Reich der Romantik liat ein Ende,
und ich selbst war sein letzter und abgedankter Fabelkönig. Hätte
ich nicht die Krone vom Haupte forlgcschmissen, und den Kittel
angezogen, sie hätten mich richtig geköpft. Vor vier Jahren hatte
ich, ehe ich abtrünni/^'^urde von mir selber, noch ein Gelüste
mit (\^w alten Traumgenossen herunizutummcln im Mondschein
— und ich schrieb den Atta TrolL'l'^n Schwanengesang der unter-
gehenden Periode, und Ihnen habe ich ihn gewidmet. Das ge-
bührte Ihnen, denn Sic sind immer mein wahlverwandtcster Waf-
fenbruder gewesen, in Spiel und Ernst; Sie haben gleich mir die
alte Zeit begraben helfen und bey der neuen Hcbeammendicnst
geleistet — ja, wir haben sie zu Tage gefördert und erschrecken.
— Es geht uns wie dem armen Huhn das Enteneyer ausgebrütet
hat und mit Entsetzen sieht wie die junge Brut sich ins Wasser
stürzt und wohlgefällig schwimmtl
* Abgedruckt in Neue Rheinische Zeitung, Or an der Demokratie,
Köln, 4. Januar 1849, Nr. 186. (Chefredakteur Karl Marx).
** "Abtrünnig": ist wohl eine Anspieliing auf Heines Wandlung vom
Romantiker zum Realisten.
^^^nf Atta Troll.* Bin Sommernachts träum. Hamburg; Hoffmann & Campe 1847«
> >
t
Ich bin fhircli Buchliändlcr-Vcrlrag verpflichtet den Atta Troll
herauszugeben, das soll in einigen Monalen ge-schehcn, mit Vor-
siclü, damit man mir nicht den Prozeß maclit nnd mich köpft.
Sic merken, Ihcurcr Freund, wie vagnc, wie ungewiß mir zu Mu-
thc ist. Solche schwaclimalischc Stimmung ist jedoch zumeist in
meiner Kränklichkeit begründet; Schwindet der Lfdnnungsdnick,
der gleich einem eisernen Reif mir die Brust einklemmt, so wird
auch die alte Energie wieder flügge werden. Ich fürchte jedoch
das wird noch lange dauern. Der Verrath der im Schooßc der
Familie, wo ich waffenlos und vertrauend war, an mir verübt
wTirdc, hat mich wie ein Blitz aus heiterer Luft getroffen und
fast tödllich beschädigt; wer die Umstände erwägt, wird hierin
cinenMeuchelmordsversuch sehen; die schleichende Millelmäßig-
keil, die zwanzig Jahre lang harrte, ingrimmig neidisch gegen den
Genius, hatte endlich ihre Siegesstunde erreicht. Im Grunde ist
auch das eine alle Geschichte, die sich immer erneut.
Ja, ich bin sehr körperkrank, aber die Seele hat wenig gelitten;
eine müde Blume ist sie ein bischen gebeugt, aber keineswegs
welk und sie woirzelt noch fest in der Wahrheit und Liebe.
Und nun leben Sie wohl, theurer Vamhagen; mein Freund wird
Ihnen sagen wie viel und wie unaufhörlich ich an Sic denke,
was um so begreiflicher, da ich jetzt gar nicht lesen kann, und
bcy i\cn langen Winterabenden nur von Erinnerungen mich er-
heitere.
Heinrich Heine, 46 Faubourg Poissonnifire.
( ) Heinrich Heine an Ferdinand Lassalle /
Paris, den 11. Pehruar IÖ46.
Liebster Lassallc!
Sie haben in Ihrem letzten Brief vergessen, mir Ihre direkte Ad-
dressc milzulhcilen, und ich hege ein Bedenken, über den wich-
tigsten Punkt Ihres Briefes Ihnen durch Beförderung dritter Hand
meine unumwundene Ansicht zu sagen — Jedenfalls melde ich
Ilinen, daß alles, was Sie wünschen, geschehen soll. In Bezug
iMcndelssohns — wie Sie auf diese unbedeutende Sache Wcrlh Ic-
■ gen können, begreife ich nicht — in Bezug Felix Mendelssohns
füge ich mich gern Ihrem Wunsche, und es soll keine böse Sylbc
mehr gegen ihn gedruckt werden — Ich habe Malice auf ihn we-
gen seines Chrisleins, ich kann diesem durch Vermögensum-
slände unabhängigen Mensclicn nicht verzeihen, den Pielislen mit
seinem großen, ungeheuren Talente zu dienen. — Je mehr ich
von der Bedeutung des Iclzlcren durchdrungen, desto erboster
werd ich ob des schnöden Mißbrauchs. Wenn icli das Glück liälle
ein Enkel von Moses Mendelssohn zu seyn, so würde ich wahr-
lich mein Talent niciiL dazu hergeben die Pisse des Lännnleins
in Musik zu setzen. Unter uns gesagt, der nächste Grund, warum
ich manchmal Mendelssohn ])rickclle, betraf einige hiesige Stock-
cnlhousiaslen dcssc^lben, die icji äi'gci'n wollte, — z. B. Ihren
Landsmann I*'i\'mk, aucli IlcIIi-r, —"und die unedel {jeimg wa-
ren, jenen Angrü'lcn das .Moliv unterzulegen, ich wolUe iladurch
Meyerheer den Hof machen.
Ich schreibe Ihnen alles dieses mit Vorsatz und ausführlich, da-
mit Sic später die Gründe meines Zerwürfnisses nn't Mendels-
sohn besser kennen n^.ögcn als der Pöbel, dem man sie enlslellt
insinuiren wird. Bis dahin bleibt alles unter uns. Ich werde Ih-
nen ausführlich schreiben, sobald ich Ihre direkte Addressc
Vgl. A"böohnitt Lasealle 3.
habe. Ich bhi noch immer sehr leidend, kann fast gar niclU se-
hen, und meine Lippen sind so gelähmt, daß mir das Küssen ver-
leidet wird, was noch unentbehrlicher als das Sprechen, dessen
ich mich wohl enthalten könnte. — Ich freue mich sehr auf die
Herkunft Ihres Schwagers und Ihrer Schwester. Hier ist alles
still; iMaskenbälle und Oper; man spricht seil acht Tagen von
nichts als von Ilalevys „Mousquelaires", für welche meine Frau
schwärmt. — Letztere befindet sich wohl und zankt in diesem
Jahre so wenig,. wie es von einer tugendhaften Frau nur irgend
zu verlangen ist. — Leben Sie wohl und seyn Sic überzeugt, daß
ich Sie unaussprechlich liebe. Wie freut es mich, daß ich mich
nicht in Ihnen geirrt; aber auch niemanden habe ich je so viel
getraut, — ich, der ich so mißtrauisch durch Erfahrung, nicht
durch Natur. Seit ich Briefe von Ihnen erhielt, schwillt mir der
Muth und ich befinde mich besser.
Ihr Freund
H. Pleine.
) Heinrich Heine an Charlotte Embden ^
fPoslslempcl Passij, 12.juin IS^iS]
[Der obere Rand isl ahrjcschniltcn.] f\
(•w.-.-r-solhr-A%nc-nirin-Avnhrei^Gesim(l]Knl5>zustTrnTly' meine Frau ^ t/^
wünschte, daß ich Dich über meinen walu'cn Gcsundheils/.u-
sland nicht in allzugroßcr Täuschung, die der Mii^lcr wegen nö-
thig war, läncer crhiellc, damit wenn ich pcigcrCjlSu Dich nicht
zu sehr erschrickst. Letzteres aber, liebes Kind, wird hoffentlich
nicht so bald gcscheincii. und ich kann mich ein Dutzend .fahre ^^4-- >.
noch hinschlepp:-n wie ich bin, leider Gottes. Bin seil 11 Togen ^J.
so gelähmt, daß ich wie ein Kind getragen werden muß, meine
Beine sind wie Baumwolle. Meine Augen entsetzlich schlecht.
Von Herzen aber bin ich wohl, und mein Hirn und Magen sind
gesund. Werde gilt cepf'cgt, und es fehlt mir gar nichts zur Be-
streitung groß:r Krar.!-:hci!skoslcn; ich klage aber sehr und jam-
mere. Meine »"i\;ii fuhrt sich gut auf, und wir wojincn sehr nngc-
r.v hm. Sterbe ic!i in diesem Zustar.d, so ist ir.ein ICndc doch noch
besser, als dn«; von löCO Anderen. Xun weißt Du, woran Du bist.
Gern hätte icii Ii^ucli v; lesen Sommer bcsuclil, vielleicht sehe ich
Euch nächstes Frühjahr, oder Du kommst vielleicht nächstes
Jahr hierher. Dieses Jalir bin ich im Grunde froh. Dich nicht hier
sehen zu können, wegen des Wcltrcvoluzionsgepollörs, das Ihr
dort gewiß in eben so holiem Grade, wie wir hier, zu ertragen
habt. Ja, wir leben \n einem miscrabelcn Afcmentc, und ich
wünschte wohl und heiter, und nicht auf einige kranke Augen-
blicke, ein Wiedersehen mit Dir zu genießen. Werde ich aber bes-
ser werden? Das weiß Gott, der alles zum Besten lenkt. — Leb
wohl, gr\x\}i mir Deinen Mann, meinen Neffen und meine drey
Nichten oder Nischten. Schreibe mir oft und viel, wie es dort aus-
sieht bey der Familie. Der Mutter wollen wir nach wie vor meine
Krankheit verheimlichen. Ich wohne: Gl grande ruc ä Passy,
prcs de Paris. — • [Alles weitere ist abgeschnitten.]
^'"Z Je-.-
Heines Sohwestör
«« peigere: totaein, dahingehen.
Das letzte irdische lixil, dio "T.Iatratzen^ruf t", stand nahe hovor.
Das Reich der Romantik vorsank, die Welt des "Rabhi" erstand Heine aufs
neue. Kit "Hehräischen Melodien" klingt der "Romanzero" aus. Gott,
L'loses, die Bibel und Judentum sind Heines Themen in den "Geständnissen",
in Briefen und Gesprächen. Kr sucht nach neuen "religiösen und moralischen.
Synthesen", Im Sommer 185p sagte er in einem Gespräch mit seinem
Preund<
♦*lch konnte mich ihnen ^^-d-en-Judort--/^ nicht ausschliesslich jdpfernT^''
v;ie z.B. Herr Gabriel Riesser und Andere; ich gehe in keiner Partei
auf, mögen es Republikaner oder Patrioten, Christen oder Juden sein.
Dieses habe ich mit allen Artisten- gemein, welche nicht für enthusia-
stische l^omente schreiben, sondern für Jahrhunderte, nicht für ein Land
nur, sondern für die Welt, nicht für einen Stamm, sondern für die Mensch-
heit. "Rs wäre abgeschmackt und klein, wenn ich, v/ie man mir nachsagte,
mich je geschämt hätte, ein Jude zu sein, aber es v;äre ebenso lächer-
lich, wenn ich behauptete, ich wäre einer. Wenn Sie meine Schriften
aufmerksam durchblättern, werden Sie manche Stellen finden, welche
das ^üdxso-he—Volk in Schutz nehmen, V/ie ich geboren bin,-; das Schlechte
und Verlebte, Absurde, Falsche und Lächerliche einem ewigen Spotte
preiszugeben, so ist es auch nur ein Zug meiner Natur, das Erhabene
zu fühlen, das Grossartige zu bewundern und das Lebendige zu feiern." *^
In den "Geständnissen" schlägt Heine die Brücke vom Judentum
zu Hellas, zu Deutschland, zu l^ropa;
"Ich hatte Ivioses früher nicht sonderlich geliebt, wahrscheinlich,
weil der hellenische Geist in mir vorwaltend war und ich dem Gesetz-
geber der Juden seinen Hass ^Qg^n alle Bildlichkeit, gegen die Plastik,
nicht verzeiht e. Ich sah nicht, dass Moses trotz seiner Befeindung der
Kunst dennoch selber ein grosser Künstler war und den wahren Künstler-
geist besass. ITur war dieser Künstlergeist bei ihm vae bei seinen ägypti-
schen Landsleuten nur auf das Kolossale und Unverv/üst liehe gerichtet.
Aber nicht wie die Aegypter formierte er seine Kunstwerke aus Backstein
und Granit, sondern er baute Menschenpyramiden, er meisselte Menschen-
obelisken, er nahm einen armen Hirtenstamm und schuf daraus ein Volk,
das ebenfalls den Jahrhunderten trotzen sollte, ein grosses, ewiges.
•
Alfred Meissner;S(l622-l885), Dichter imd Schriftsteller. Meissner
war mit Heine seit I847 "bis zu dessen Tod eng hefrütmdet.
^* Aus« Die Matratzengruft, Iilrinnorungen an Heinrich Heine von Alfred
Meissner. (2. Aufl.) Stuttgarts Lutz I92I. Erstdruck I856,
*^* Geständnisse 1 Heinrich Heines Sämtliche Werke, Hrsg-, von Prof, Dr.
Ernst Elster, Sechster Band. Neuer Ahdruck, Bibliographisches
Institut. Leipzig und ien, o.J, ^89^. S. 55-60,
hoiligeo Volk, ein Volk Gottos, das allen andern Völkern als Muster,
ja der ganzen Menschheit als Prototyp dienen konnte: er schuf Israeli
Mit /prösserm Rechte als der römische Dichter darf jener Künstler,
der Sohn Amraras und der Hohamrae Jochehet , sich rühmen, ein Monument
errichtet zu hahen, das alle Bildungen aus "Rrz überdauern wird!
• • •
Ja, den Juden, denen die Welt ihren Cfott verdankt, verdankt sie auch
dessen V/ort, die Bibel; sie haben sie gerettet aus dem Bankerott des
römischen Reichs, und in der tollen Rauf zeit der Völkerwanderung be-
wahrten sie das teure Buch, bis es der Protestantismus bei ihnen auf-
suchte und das gefundene Buch in die Landessprachen übersetzte und in
alle Welt verbreitete,
• • •
Vielleicht liegt es nicht bloss in der Bildungsfähigkeit der er-
wähnten /"skandinavischen, angelsächsischen, überhaupt germanischen^/
Völlver, dass sie das jüdische Loben in Sitte und Denkweise so leicht
in sich aufgenommen. Der Grund dieses Phänomens ist vielleicht auch in
dem CharaJcter des jüdischen Volk^^s zu suchen, das immer sehr grosse
- Wahlverr/andtschaft mit dem Charakter der germanischen und einigermassen
auch der c eltischen Rasse hatte, Judäa erschien mir immer \7ie ein
Stück Occident, das sich mitten in den Orient verloren,.«»."
« / «>
( ) Heinrich Heine an Julius Campe ^ -^ ^
Paris, den 30. April 1849 •
neff^T=Ffew?'nriv üimr Nie hnlx^n die Göllcr, oder vielmehr der liebe
(lOll (wie ich jetzt zu sa^en pfleget einen Menschen arger heim-
gesucht. Nur zwey Tröslun.i^en sin<I mir ^ebliel)cn un<l sitzen ko-
send an meinem Belle: meine französische Hausfrau und die
deutsche Muse. Ich knillele sehr viel Verse, und es sind manche
danmtcr, die wie Zauberweisen meine Schmerzen kirren, wenn
ich sie für mich hin summe. Ein Pocl ist und bleibt doch ein
N arr !
Unterdessen leben Sie wohl und behalten Sie lieb
Ihren getreuen Freund
Heinrich Heine.
Jochebetj V^d. 2.Mos. 2,1 ff; 6,20/|4.Mos,26,59j l.Chron. 24,13.
** "Sxegi monumentum aere perennius", Horaz, Oden III, 30,1.
^^** Julius Campe '(1792-1867), Heines Yerleger (|foffmann & Campe) und
Freund,
c.
( ) Heinrich Heine an Julius Campe
Paris, den Isten Juny I850.
Liebster Campe!
Ich mache Ihnen hiermit Anzeige, daß ich 600 Mark Banco, als
das im verflossenen Monalh fällige Semester meiner Pension auf
Sic trassirt habe, und zwar zalilbar vier Wochen nach Dato und
an die Ordre der II n. Ilombcrg & Compagnic hieselbst. Es ist
aber nicht genug, liebster Campe, daß Sie Ihre merkantilischcn
Verpflichtungen gegen mich erfüllen, was freylich für mich von
großer Wichtigkeit und auch sehr löblich ist: Sie sollten Sich
auch bestreben, den moralischen Obliegenheiten nachzukommen,
womit Sie. nicht minder belastet sind, und die Sie durch Ihr Still-
schweigen fast frevelhaft verabsäumen. Da ich die Gründe Ihres
langjährigen Zögerns in Beantwortung der wichtigsten Anfragen
durchaus nicht kenne, so darf ich dieselben nicht von vornherein
allzuherbc verdammen, aber so viel weiß ich, daß Sic durch Ihre
Zögerniß meinen litterärischen Interessen großen Schaden zu-
gefügt und vielleicht unverantwortliche und unwiederbringliche
Zerstörnisse verursacht haben. In einer Zeit, wo in der Außen-
welt die größten Rcvoluzionen vorfielen und auch in meiner
inneren Geisteswelt bedeutende Umwälzungen stattfanden, hätte
schnell ins Publicum gefördert werden müssen, was geschrieben
vorhanden lag, nicht weil es sonst für das Publicum minder kost-
bar geworden wäre, sondern weil ich es jetzt nicht mehr heraus-
geben dürfte aus freyem Willen, wenn ich nicht eine Sünde gegen
den heiligen Geist, einen Verrath an meinen eignen Ueberzeugun-
gen, jedenfalls eine zweydcutige Handlung begehen wollte. Ich
bin kein Frömmler geworden, aber ich will darum doch nicht
mit dem lieben Gott si)ielcn; wie gegen die Menschen, will ich
auch gegen Gott ehrlich verfahren und Alles, was aus der frühern
blasphemalorischen Periode noch vorhanden war, die schönsten
Giftblumerr\iab ich mit entschlossener Hand ausgerissen und bcy >'
meiner physischen Blindheit vielleicht zugleich manches un-
schuldige Nachbargewächs in den Kamin geworfen. Wenn das in
den Flammen knisterte, ward mir, ich gestehe es, gar wunderlich
zu Muthc; ich wußte nicht recht mehr, ob ich ein Heros oder ein
Wahnsinniger scy, und neben mir hörte ich die ironisch tröstende
Stimme eines Mcphistophclcs, welche mir zuflüsterte: der liebe
#
^
* Oiffblumenj "Ich hate viele Manuskripte ver'brannt", sagte er
/H.H«7 nach einer Pause," wail ich gefunden, dass dieselben gar
manches enthielten, was mit meiner jetzigen Ueberzeugung nicht mehr
übereinstimmt • Ich habe jedoch leider lauviel verbrannt", setzte er
mit einem Seufzer hinzu," Dies geschah in einem jener dtinklen
Augenblicke, wo man geistigai Selbstmordgedanken nicht widerstehen
kann. Es waren hübsche Sachen darunter, Friede ihrer Asche!"
Auöt Gespräche mit Heine, Zum erstanmal ges, und hrsg. von H,H,
Houben, Frankfurt am Mainj Hütten & Loening I926. S, 669.
2g
Gott wird dir Alles weit l)cssor honorircn als Canipo, und du
brauchst jetzt nicht mit drin Druck dich ahziiquälon oder noch
gar vor dem Drucke mit Catnpc zu handeln wie um ein Paar
alte Hosen. Ach liebster Campe, ich wünsche manchmal, Sic
glaubten an Gott, und war es auch nur auf einen Tag; es würde
Ihnen dann auf's Gewissen fallen, mit welchem Undank Sic mich
behandeln zu einer Zeit, wo ein so grauenhaftes imd unerhörtes
Unglück auf mir lastet. Schreiben Sic mir bald Antwort, che es
zu spät ist. Liegt Ihrer Schrcibsäumniß irgend eine politische
Ilcsitazion oder ein mcrkantilisches Bedenken zum Grunde, so
sagen Sic es aufrichtig, und ich will die gehörigen Instrukzioncn
hinterlassen für den Fall, daß ich vor dem Beginn des Drucks
meiner Gesammtausgahc das Zeitliche segne. Erschrecken Sie
nicht über das ^Yort „das Zeitliche segnen", es ist nicht pie-
tistisch gemeint; ich will damit nicht sagen, daß ich das Zeitliche
mit dem Himmlischen vertausche, denn wie nahe ich auch der
Gottheit gekommen, so steht mir doch der Himmel noch ziemlich
fern; glauben Sie nicht den umlaufenden Gerüchten, als sey ich
ein frommes Lämmlein geworden. Die religiöse Umwälzungydic
in mir sieh ereignete, ist eine bloß geistige, mehr ein Akt meines
Denkens als des seligen Empfindclns, und das Krankenbett hat
durchaus wenig Anthcil daran, wie ich mir fest bewußt bin. Es
sind große, erhabne, schauerliche Gedanken über mich gekom-
men, aber es waren Gedanken, Blitze des Lichtes und nicht die
Phosphordünstc der Glaubcnspissc. Ich sage Ihnen das besonders
in der Absicht, damit Sic nicht wähnen, ich würde, wenn ich
auch selber die Gesammtausgahc besorge, in unfreycr Weise
etwas darin ausmerzen; quod scripsi, scripsi.
Ihr freundschaftlich ersehener
Heinrich Heine.
rued'Amstcrdam, 50,
) Heinrich Heine an den Baron James Rothschild ^^
Paris, 25. Dezember I850.
(50.rue d* Amsterdam)
Hochgeehrter Herr Baron!
Die Nachricht von dem bctrübsamen Ereigniß, das Sic und Ihre
ganze Familie in Trauer versetzt, ist mir zugekommen, und ich
bin so frey, Ihnen hiemit meine Condolenz darzubringen. Ich
bitte Sic auch Ihrer Frau Gemahlin und dem Herrn Baron
Salomon meine aufrichtige und ehrfurchtsvolle Beileidsbezeu-
gung niilzulhcilen.
Ich habe nun seit länger als drey Jahren mir nicht das Ver-
gnügen machen können, Ihnen persönlich aufzuwarten; eine
Rückgratsschwindsucht hielt mich seitdem im Bette, wo ich kein
Glied rühren kann und Tag und Nacht von den grauenhaftesten
Schmerzen heimgesucht werde. Ich ertrage letztere mit Geduld
und Ergebung in den Willen Gottes, dessen Schickungen oder
Strafgerichte nicht von Menschengeist beurtheilt werden können;
so viel weiß ich, daß Alles, was er thut, auch gut und gerecht ist.
Unter solchen Umständen beschäftige ich mich denkend und
schreibend viel mit der Vergangenheit, und mit Gefühlen der
Dankbarkeit erinnere ich mich oft Ihrer und des freundschaft-
lichen Schutzes, dessen Sic mich immer gewürdigt, und der Ihnen
.J'.V
#4f
lHf#
Die religiöse Umwälzuri^j Vgl, H.H. HouT^en a.a.O. S.668, 829,
sowie das I^Iachwort zum "Romanzero".
Baron James Rothschild (1792-I868), Begründer dos französischen
Linie der R's.
Wahrscheinlich der Tod der Frau von Salomon Rothschild.
gewiß im liininicl so wie auf Erden gut angeschrieben wird. Ich
liülte mich gern einmal schrifUich bey Ilinen in Erinnerung
gebracht, aber kränkelnden Siiinc^ befürclitcle ich eine Miß-
deutung; denn ich hätte viel klagen müssen, und ich weiß, daß
jeder Klagebrief eines unglücklichen Freundes zugleich eine
Tratte auf Ihr Kerz ist, die immer großmüthig houorirt wird.
Empfangen Sie, Herr Baron, die Versicherung meiner ausgezeioh-
neten Achtung und TCrgobonheit
Heinrich Heine.
) Heinrich Heine an den Baron James Rothschild
Paris, den I5. Januar I852.
Herr Baron 1
Die älteren Juden, welche sehr gefühlvolle Menschen waren,hegten
den Glauben, daß man in Gegenwart eines Kindes nicht etwas
Gutes essen dürfe, ohne demselben einen Bissen davon mitzuthei-
len, aus Furcht, das Kind würde dadurch einen Blutstropfen ver-
lieren, oder wie sie sich ausdrückten, aus Zaar lechajim, was
no(:h mehr sagen will als das Wort Rachmoncs.
Ihr edles Herz, Herr Baron, scheint auch diesem großmüthigen
Aberglauben treu geblieben zu seyn und jedesmal, wenn das
Glück Sic in Ihren kolossalen Geschäften ganz besonders begün-
stigte, haben nicht bloß Ihre nächsten Hausfreunde, sondern
auch der Dichter, das große Kind, etwas zu schlucken bekom-
men. In diesem Augenblicke, avo Sie wieder bey einem ungeheu-
ren Unternehmen vorherrschend betheiligt sind, und überhaupt
siegreich und milliouärcr als je aus den Revoluzionsstürmcn her-
vorgehen, jetzt yrlaubc ich mir, Ihnen wissen zu lassen, daß ich
noch nicht gestorben bin, obgleich mein Zustand nicht eben den
Namen Leben verdient.
Eine sehr große und sehr schöne Dame, die mir in meintm Elend
manches tröstende Wort zugerufen hat, und die bey Ihnen in
sel:r großem Ansehen steht, ncmlich die Frau Baronin James
Rothschild, wird es Ihnen sehr gut aufnehmen, wenn Sie sich
in einer Weise, die meiner und Ihrer würdig wäre, für mich
interessiren wollten.
Genehmigen Sie die Versicherung der wahren und ehrfurchts-
vollen Freundschaft, mit welcher ich verharre, .
Herr Baron, Ihr ergehener
Heinrich. Heine.
f Heines Verhältnis zu Rothschild ist nur aus der alten jüdischen
Anöohauung zu erklären, daas der Arme ein ßeoht habe, den Reichen
flir Dich zu beanspruchen, noch dazu einen Fremid, bei dem man ver-
kehrte. Rothschild kam Heines Wunsch sofort nach. Vgl. Heines
Brief an Baron James Rothschild vom I9, Januar I852.
( ) Heinrich Heino an den Baron James Rothschild
Paris, 19. Januar I852.
llochgechrtcslcr Herr Baron!
Ich habe mit Vergnügen erfahren, daß Sie meiner nicht vergessen
haben, und indem ich Ilinen zugleich für den neuesten Beweis
Ihrer Gute verpflichtet bin, sage ich Ihnen meinen tiefgefühl-
testen Dank. Es liegt sichtbar auf Ihnen der Segen Gottes, und
jede Berührung mit Ihnen bringt Glück. Seit Jahren wurzelt in
mir dieser Glauben, und Ihr persönliches Wohlwollen war mir
daher immer besonders erfreulich und trostreich. Bewahren Sie
es mir immer mit Ihrer gewohnten Großmulh, und seyn Sie
überzeugt, daß ich mich dessen, so viel es in meiner Macht steht,
würdig zeigen werde. Ich denke sehr oft an Sie und Ihre edle
Familie; die Stunden, die ich die Ehre hatte, in Ihrer Nähe zu
verleben, erquicken mich in der Erinnerung.
. Genehmigen Sie, Herr Baron, die Versicherung meiner Ehrfurcht
und wahrhaften Ergebenheit
Heinrich Heine.
.:>
( ) Heinrich Heine an Baron Anselm von Rothschild/K ^
• •> '/" '/■'•'
Hochgeehrter Herr Baron!
/ 30, Dezember 1Ö55__7
Ich habe dieser Tage mit großem Vergnügen dero geneigte Zu-
schrift erhalten, worin Sic mir Anzeige machten, daß ich über
das Provcnü des Rückkauf cr/'s7 um 100 Akzien, womit Sic mich
bey Ihrer Bank betheiligt, verfügen könne, und daß Sie bereit
wären, mir diesen Betrag in einer Tratte auf Ihr hiesiges Haus
zu remittieren': Indem ich Sie, Herr Baron, bitte in letzterer Weise
zu verfahren, sage ich Ihnen meinen wahrhaftesten Dank für
dieses Geschenk, ich sage Geschenk, denn ich hege nicht jenen
kleinen Betlelstolz, der nicht gern die Sache bey ihrem rechten
Namen nennt, obgleich ich dennoch eingestehe, daß Sie durch •
die mcrkanlilische Fikzion, womit Sie Ihr Geschenk bekleiden,
mich doppelt verpflichtet und erfreut haben; ich sehe darin ein
Zeichen der Achtung für einen Poeten und zugleich ein Zeichen
Ilircr Pietät für (\2\\ Geist überhaupt, den selbst der Hochgestellte
nie verletzt, ohne dadurch zu beurkunden, daß er nicht zur Par-
they der Geister gehört. Wie wenig verstehen zumal die Neo-
Millionäre die Kunst des Gebens! Jedes Mal, wenn sie uns ein
Stück Geld zuwerfen, werfen sie uns zugleich ein Loch in den
Kopf; denn sie wissen die feineren Köpfe, die leicht wundbar,
nicht zu unterscheiden von dem dicken Ilirnschädel des Pöl^els,
der alles verträgt. Ja die Kunst des schönen Gebens wird in
unserer Zeit immer seltener, in demselben Maße wie die Kunst
des plumpen Nehmens, des rohen Zugreif cns täglich allgemeiner
gedeihet, daher nochmals meine Danksagung, Herr Baron, für
Gabe und Form des Gebens, so wie überhaupt für den Antheil
an meinem traurigen Lcibcszustand, der sich in Ihrem Briefe so
liebreich und. gefühlvoll ausspricht.
Genehmigen Sic die Versicherung, daß niemand mehr als ich der
getreue Verehrer einer Familie ist, wo die jüngere Generazion so
würdig in die Fußslapfcn der älteren tritt und auf welcher auch
in dieser Beziehung der Segen Gottes so sichtbar ruht. Hier
haben wirklich die Tugenden der Väter Häuser gegründet und
#
* Baron Anaelm von Rothschild (l80 3-1874), Bhkel Mayer Amsohel R»0
(1743-IÖI2), Angehöriger des Wiener Zweigs der Familie R.
** ( Derartige Zuweisungen (um die Heine in einem Brief vom 16, Dezem-
ber 1855 geheten hatte), waren hei den Rothschilds ühlich. Vgl, die
Briefe des Baron Anselm von Rothschild vom 24« Dasamber I855 und
vom 3, Januar I856 ( Heinrich Heine Briefe, Sechster Band (Dritter
Kommentarband) Hrsg, von Friedrich Hirth, Meinzt Kupferberg 1>51»
>
v/Qloh glänzondo Häusor! Ihro Parailie hat gewiss eine provi-
dentielle Bedeutun^j von dor glorreichsten Art. In dieser Ueher-
sGugung und mit den besten V/Ünschen für Ihr besonderes Heil,
verharre ich, Herr Baron,
Ihr ergebener
H.Heine,
Ueber den "traurigen Leibeszustand", in dem sich Heine im Jahre
1855 befand, berichtet Adelheid Zunz, die ihn mit ihrem Mann, Leopold
Zuns, in Paris besuchte.
( ) Adelheid Zunz an Julie Ehrenberg ''^
Berlin 31/? I855.
/
r <t
./-
. .'. .Ja wäre ich nur bei Dir und Luisen, Ich hab' die Mittel, mich sehr
Interessant zu machen. Ich bln^Inc gereiste Frau, habe Paris auch gesehen!
Doch da war der Alex -^i^aucn, und Pantheon, Tulllerlcn, Versailles etc.,
sind Dir. beschrieben? Aber einen Leidenden hat er nicht gesehen, der
7 Jahre schon sein Lager nicht verlassen konnte, Heine/^ dct Dulder, der
wie er uns erkannte, einen Jubclruf ausstieß. Sie sind die einzigen die mir
aus zuvor glücklicher Zeit geblieben, seufzte er indem er uns die einzigen
beweglichen Glieder, seine Hände überließ. Und wir saßen lange an seinem
Bette, das von übereinandergclegten Madratzen auf ebener Erde gemacht
war, und ich sah mir sein so vergeistigt schönes Gesicht an mit langem
gestrichenen Barte, der sich anschmiegte als wenn er darum trauere. Die
Erinnerungen, die Gegenwart, preßten mir die Kehle zusammen; er sah
nicht daß mir die Tropfen aus den Augen fielen, denn seine Augen sind
geschlossen, und nur einmal zog er mit dem Finger das rechte Augenlid
in die Höhe als er uns ansehen wollte. „Zunz hat auch Haar gelassen,
meinte er, sonst noch wie er war. Zunz und der Apoll von Bclvedere ändern
sich nicht." Zunz sagte darauf — Apoll von Miesvederc — was Heine sehr
amüsirtc, so daß er es uns noch beim zweiten Male wiederholte. Es ward
ein Gemisch von Schmerz und Frohsinn in meiner Seele rege gemacht als
ich ihn trübe, hoffnungslos klagen hörte, und dann wieder die ewige
beißende, witzige Laune durchbrach, daß wir im Chorus lachen mußten.
Davon erzähle ich Dir, da es Persönlichkeiten betrifft. Beim 2ten Besuchte
fanden wir ihn noch leidender; Sie kommen doch wieder?, sagte er. Wir
verneinten nicht obgleich es unmöglich war^ er merkte es auch, und gab
mir den Thell seines letzten Buchcs^^^'^^n^derri von Zunz die Rede ist. Ball
••Mabille: wollte darauf nicht schmecken, obgleich die Beleuchtung feenhaft
ist, zwischen Blumenbeeten, Gasflammen In Blumenformen; laß Dir das
von Alex ^-beschreiben. Von Paris sage Ich Dir nun weiter nichts als daß
die Boulevards L'kio';^i'g[clch\[ch sind, und die Frau v. Rothschild*'' eine
geistvolle angenehme Frau ist, die mir sehr gefällt. . . .
Den schönsten Abschnitt hat indcß noch Oxford gemacht, das mich In
den letzten Wochen für die frühere Einsamkeit reichlich entschädigte. Das
erzähle ich auch. Hier nun vereinsamt mich der Sommer auch: Freunde
sind auf Reisen, warm ist es auch, und die Entfernungen kosten Anstren-
gung
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''''""' : f
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<:. 2-Ä<>,
Adelheid Zur?.z,^; geh. Bermann (I802-I874), Frau vpn Leopold Zunz
(I794-IÖ86), Bögriindera der Wiüsenöohafi; des Judentums. Ygl,
Briefe Hr.
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. ^^ Julie Ehrenberg, geh. Pisohel (I827-I922), heiratete I847
/^PW-lipp Ehrenherg, den oohn S.M.Bhrenhergs, Lehrer von L.Zunz.
Alexander Pisohel.
ITeopold und Adelheid Zunz besuchten Heine am 26. und 28. Juni
1855.
Theil seines letzten Buohesj Vermischte Schriften I t Geständ-
nisse, geschrieben im Winter I854.
r
..-i
Leopold and Adelheid Zunz. An Account üb Letters, Edited with
an introduction by Nahum N. Glatzer. London 1958. Publications
i of the Leo Baeck Institute of Jews from Germany, S. 282/83.
In dem seiner Llutter gewidmeten Sonett "bringt Heine die tiefe,
ehrfürchtige Liebe zu der Mutter zum Ausdruck, die auch der Grundton
seiner vielen an sie gerichteten Briefe ist. Das Schreiben von Briefen
an seine Mutter v/ar für Heine eine heilige Pflicht, um deren Erfüllung
er ängstlich "besorgt war. Mitten in der Arbeit an dem Fausthuch ^^
((^i^Ik^^^iai(:i^Q205^^^ er sich durch den Gedanken ,
der llutter nicht geschrieben zu haben, so beschwert, dass er -
am 24. September I85I - an Campe schreibt: "Ich bin grauenhaft metho-
disch geworden; bloss mit meinem Buche beschäftigt, habe ich seit
vielen V/ochen verabsäumt, meiner Mutter zu schreiben,"
Die nie aussetzende Sorgo um die Mutter, die in den Li.Aophen der
dj "^^
"Nachtgeinken" deutlich wird, ~*,^>*>*ro^
Nach Deutschland lechzt* ich nicht so sehr,
\'lenn nicht die Mutter dorten v/är» ;
Das Vaterland wird nie verderben,
Jedoch die alte Frau kann sterben,
ist das zweite, immer wiederkehrende Motiv der, oft gleichzeitig an
die Schwester Charlotte "Embden, gerichteten Briefe an die Mutter.
Diese Sorgo veranlasste ihn, der Mutter die Wahrheit über seinen qual-
vollen,, aussichtslosen Zußtand zu verheimlichen, da ihn die Vorstellung,
er könne vor der Mutter sterben und ihr dadurch den grössten Schmerz
zufügen, beunruhigte.
( ) Heinrich Heine an Betty Heine und Charlotte Embden
Paris, den 13. May 1842,
Liebe gute MuUer und liebe Schwester!
Gcslcrn Abend habe ich Kuren Brief vom 7. crliallcii und habe
dadurch wenigstens die lelzle Nacht ruhig schlafen können. Vicr-
undzwan/.ig Stunden lang bin ich ohne Kopf herumgegangen, seit
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Sonett: Tillstar Bd. 1. S. 56/57. An meine Mutter Büttine,
geborne v. Geldern.
Faustbuohi Dcjr Dootor Paust. Rin Tanzpoem, nebst kuriosen
Berichten über Teufel, Hexen und Dichtkunst. Hamburgi
Ho ff mann & Campe I85I.
"Nachtgedanken" j Bister Bd. 1. 3. 319/20. ( 7. Strophe der
"Nachtgedanlcen". )
ich die allgemeinen Xachrichlcn aus den Blältcrn erfahren. Ich
bewundere, wie Du. liebes Loüchen, noch so ruhig und besonnen
schreiben konnUsl beim Anblick des cnlselzlichen Feucrs'f^ich
danke Dir von ganzem Jlerzcn über die Beruhigung, die Du mir
erlhcillest.
Meine Frau ist krank vor Schreck, nachdem sie die Schreckens-
nachrichlen erfahren. Ich hoffe, daß der Schreck und die Agi-
tazion Euch nicht nachträglich niederwirft. Meine arme gute
Mutter! Laß Dich nur nicht aus Kummer über materielle Ver-
luste zu sehr agiliren. Gott ist ein guter Mann. Diesmal aber hat
er sich auf die guten Löschanstallen Hamburgs zu sehr verlassen.
Lebt wohl. Meinen Schwager grOße ich freundscliafllich. Hof-
fentlich hab ich heute gute Post.
Euer getreuer
H.Heine.'
) Heinrich Heine an Betty Heine
Paris, den lö. Sept. ;•.> 1843.
Liebe ''ule liebe Muller!
o
Deinen Brief V. IS. Aug., (Umi Dm naehTrouville ad(lressirl,liat man
mir riehlig nachge.schicki, und seitdem erhielt ich auch Deinen
Brief v/'o//fy2'*" Sei)l. Aus lelzlei'cm ersah ich mit liefern Kummer,
daß es mit Onkel Heines Gesundheit nicht gut aussieht; ich bitte
Dich, mir nur immer rechl heslimml und ausführlich zu schrei-
ben, wie es ihm gehl. Ich bin in dieser Beziehung wo nicht ganz
ruhig, doeh von dem fcslen Glauben, daß die Gesundheit dieses
Iheuren Mannes einen eisernen I^juds hat, der zwar durch Er-
schülterung alhnfdig aufgerieben werden kann, aber zu unserer
.Mier I'reude noch lange Zeil dauern wird. Außer Tischcxzessc
hat Onkel nie etwas gegen seine Gesundheit verbrochen, und die
eigenllichen Lebenskräfte sind nur durch Kummer manchmal
angegriffen worden. Goll erhalle ihn!
Und Du alle süße Katze, wie geht es Dir? Wenn Du stirbst, che
ich Dich wiedersehe, schieße icli mich lodt. Merke Dir das für den
Fall, daß Dir Anwandlungen kämen Deine Dannnlliorwohnung
gegen ein noch schlech leres Logis zu verlausciien! Merke Dir das,
Uiul Du wir.sl keine solche Xicderlrächligkcil begehen. —
Ich hahe^eslcrn einen I'reund von Max hier gesprochen, den
Grelscl/aus Sl. Pelorsbur'', iler auch Dich kennt und mit so i^ro-
ßcr Vorliebe imd Verehrung von Dir sprach, daß ich (Xmw ganzen
Tag sehr melancholisch mit einem weichgekochten Herzen her-
umging.
Wäre es mir möglich (aber es ist mir in diesem Augcnbrick fast
nicht möglich), würde ich Dich noch dieses Jahr besuchen; näch-
stes .fahr geschieht es aber in jedem Falle.
(•.4-jdVnnr-Lul lclio.au nd<lio Kinderr — Da-ieli l'ui'tados nichtsphej'
so weiß ich nicht, ob Cäcilie Heine Im-r i.sL Wie.tcTHViTi^^oll
Adolf l'jii.dcn in Paris si^u^AVelches Glück für Paris; eine VaxI-
schädigung daffavdalJ die Königin von Kngland nicht hicrhÄ'gc-
komniciirK'
L'eb wohl, überhaupt bleib am Leben so lang als möglich und
merk Dir, was ich Dir gesagt habe.
Dein gfelreucrj Solin
Il.IIciac.
#
»#
(^Der groöse Hamburger Ürandi Brief dör Muttor Heines vom 7. Mai
1842. Darin heisst es: "ioh mache mir grosse Sor^^en, dass ich
diesen Brief nicht frankieren konnte. Das \7ird Dir Koston machen.
Aher die Poöttst abgebrannt,"
/"Niöölai Ivanovitsoh, (1787-1867), l8l3 Prof. am Gymnasium in St.
Petersburg; Bibliothekar des Kaisers.
< 1^
V
( ) Heinrich Heine an Betty Heine
Paris, den l8ten Oktober 1843.
(jahreßtag der Völkerschlacht bei Leipzig
Liebe mxic Iheurc MiiUcr!
Deinen Icl/.lcn Brief liabc icli riclitig crJialten und Deine klcc,
(lern Max aufs Frühjahr ein Rendezvous in Ilanibur;^ zu geben,
liat diiM Wunsch Dich einmal wieder zu seilen, sehr hefligin mir
rege gcmachl. Ich will Dich aber noch frfdier sehen als im Früh-
jahr, lioch in diesem Jahr, und elie Du Dich dessen versiehst, ei-
nes frühen Morgens, siehe icii in Lebensgröße vor Dir. Das ist
aber ein großes Gchciinniß und Du darfst keiner Seele ein Wort
davon sagen; denn ich reise niclil zu Wasser, sondern gradcswegs
durch Deulschland und da ich auch hier niemandem davon spre-
che und auch schnell reisen werde, ist von den Regierungen nichts
zu fürchten. Aber wie gesagt, keiner Seele ein Wort davon; Onkel
Heine werde ich es schreiben, aber nur ein Tag vor meiner Ab-
reise, nicht früher, aus wichtigen Gründen. Kann Lollchcn
schweigen, so kannst Du es ihr sagen. Meine Frau lasse ich hier
in Paris in der Pension wo sie früher war. Da ich nicht weiß,
wann ich rekse, so schreib mir nicht mehr hierher.
Künftige Woche mehr von
Deinem getreuen Sohn
• ILIIcinc.
Die Sehnsucht nach der Llutter war in der Tat der vrichtigste
Bev/eggrund der von Heine noch im Herbst 1Ö43 unternommenen Reise nach
Deutschland, das er vor fast dreizehn Jahren verlassen hatte. Da ihm
das Vis\im zur Fahrt über das preussische Gebiet verweigert wurde,
musste er über Brüssel nach Amsterdam und von dort zu Schiff über
Bremen nach Hamburg fahren.
Nach Paris zurückgekehrt, schrieb Heine den Zyklus "Deutschland.
X
"Sin Wintermärchen.", den er selbst in einem Brief an Campe als "ein
höchst humoristisches Reiseepos" bezeichnete, "welches die ganze
Gärung unserer deutschen Gegonv/art in der kecksten, persönlichsten
V/eise ausspricht," Auch in diesem Werk setzte er seiner Mutter ein
Donkmal,
Schon im Juli I844 reiste Heine, diesmal in Begleitung seiner Frau
Llathilde, zum zweitenmal nach Deutschland. Mathildes Aufenthalt in
♦ Deuttjohland, ^in Wiiütormärchen. Haml3iire:8 Hoffmann & Campe I844.
** _ Vgl, Heinrich Heine Briefe, Zweiter Band, Brief an Campe Yom
20. FG"bruar 1844#
Brief
■5t** Vgl. e'bda,/an Campe vom 17. April I844,
? r—
Hamburg \vurdo "bald abgebrochen, Heine selbst kehrte im Oktober nach
Paris zurück. Er sollte DGutschland und seine Mutter nicht wiedersehen.
( ) Heinrich Heine an Betty Heine
Paris, den l?. Ootober I844,
Meine liebe ^ule Müller!
Den Brief, den ich Dir bcy meiner Ankunft in Ainslerdam ge-
schrieben, wirst Du hoffenllicli erhallen habe/"/i7. Der Rest nicL-
ncr Reise war ebenfalls cliireh das schöiislc Weiter begiinslij^t,
und ich bin gcslern Abend im besten Wohlseyn bey meiner lie-
ben Frau in Paris angekommen. Ich fand sie frisch und gesund,
und hat sie sich mil nuislorhaftcm Gehorsam, ganz wie ich es ihr
vorgeschrieben, aufgeführt. Wir sind beide noch wie betäubt von
der iMTude des Wiedersehens! Wir sehen uns mit großen Augen
an, lachen, umarmen uns, sprechen von Huch, lachen wieder und
(}Qi' Papagey schreit dazwischen wie toll. Wie froh bin ich, meine
beiden Vögel wieder /u haben. Du siehst, liebe Äfuller, ich bin
glücklich, wie es nur ein Mensch scyn kaim, da niclits auf der
Welt vollkommen ist; mir fehlt jetzt nur ein gesunder Kopf und
die Nfdie meiner gulen Müller und meines gulen Lollchens. In
einigen Tagen werde ich Ruch noch mehr cnlbchrcn, jetzt cr-
fülirmich noch zu sehr das I'rcudc^jeyfühl der Rückkehr.
( ) Heinrich Heine an Betty Heine
Paris, den 19 . August 1Ö49
Liebes fiutes Mütterchen!
o
Aus den Zeitungen ersehe ich mil Schrecken, wie wüst es wieder
bcy Euch aussieht, und wie meine Freunde, die Preußen, in
Hamburg wirthschaflen. War ich jetzt dort, sie würden mich
gewiß bcy dieser Gelegenheit chappen. Bey uns ist alles still,
auch in meiner Haushaltung. Meine Frau befindet sich Gottlob
wieder wohl und sucht mir meine traurige Existenz so viel als
möglich zu crheilern. Sie ist ein gutes Kind, und wenn Sic mir
Kummer macht, so ist es nicht ihre Schuld, sondern die ihrer
Kranicheit. Gott erhalle sie, sowie Euch alle; die liebe Schwester
und die Kinder herzlich zu grüßen und zu küssen. — Du liebe
Mutter warst immer eine brave gottesfürchtige Frau, von wahr-
haftiger Frömmigkeit, und auch um Deinetwillen wird der liebe
Gott uns immer bcyslehen.
Dein getreuer Sohn
H. Heine.
y/
( ) Heinrich Heine an Betty Heine und Charlotte Embdon
Paris, den I5. Juny I850.
Liebste Miillcr, —
Dein h'cbcr Brief nc])sl Zusclirifl von LoUchcn und Annchen habe
ich richtig crbaUen, und ich würde Euch bereits fridicr geschrie-
ben haben, wenn nicht die Schwierigkeit, die ich in meinem vori-
gen Briefe gemeldet, bcy meiner deutschen Correspondcnz statt-
fände. Außerdem ist nichts vorgefallen, und was meine Krankheil
betrifft, so verstimmt es mich sehr, wenn ich Dir, liebe Mutter,
mein altes Klagelied mit den alten betrübten Variazionen vor-
singen soll; ich wiederhole Dir nur: das Schlimmste bcy dieser
Krankheit ist, daß man dabey nur entsetzlich leidet, aber nicht
so sclmell stirbt; Du kannst Dich darauf verlassen, daß ich Dir
jede größere Verschlimmerung nicht verschweigen würde. Wenn
ich Dir nicht schreibe, so brauclist Du Dir gar keine anderen
Gedanken zu machen, als daf.\ es mir entweder an einer ver-
trauten Feder fehlt, oder daß ich mir nicht durch traurige Mil-
theilungcn meine schon hinlcänglich betrübte Slinnnung noch
mehr verdüstern will. Ich denke aber beständig an Dich, dessen
scy überzeugt. In Wahrheit gesagt: ich möchte Dich gern über-
leben, \im Dir den Kummer der Nachricht meines Abschcidens
zu" ersparen, und das ist vielleicht noch das IIaui)tintercsse, das
ich an dem Leben nehme. Wenn ich Dich einmal nicht mehr
habe, so werde ich dem Tode mit weit leichterem Herzen ent-
gegensterben. Lottchcn hat seine Kinder und seinen Mann, und
was meine Frau betrifft, so hat sie ein zu glückliches Naturell,
als daß sie mich nicht am Ende entbehren könnte. — Siehst Du,
wie recht ich habe, nicht oft zu schreiben; nur melancholische
Lcichenbitterbriefe. Ich bin ein selir spaßloser trauriger Narr
geworden. Ich danke Dir, liebe Schwester, daß Du im Betreff der
13üchcr meinen hingeworfenen Wunsch beachtet hast ♦
Heiner lieben Nichte Anna lasse ich für ihren Brief
herzlich danken; ich vrCirde mich unendlich freuen, sie mahl
vd.eder2usehen, da mir alle Leute so viel hübsches und
liebliches von ihr sagen. Wenn sie wie ihre Kutter und
ihre Grossmutter ;vird, so mag sich der Mann gratuliren,
der sie mahl "aufsackt, besonders wenn sie auch das
S h.^xC^f t e von Beiden haben wird.
Euer liebend getreuer
Heinrich Heig e ^
( ) Heinrich Heine an Betty Heine
Paris, 3.Decbr. IÖ53.
Liebe gute Mutlcri
Ich bin mit dem vcrwünsclilcn russischen Calcnder nicht sehr
vertraut und weiß nicht, ob der Staatsralh Gimmcl Kissclcfräicse
Woche oder die nächste Woche bey Dir seine Aufwartung ma-
chen wird. Heute sclireibc ich Dir, um Dir zu Deinem Geburts-
lage zu graluliren, und ich denke wieder mit Lachen an Paulchens
Gratulazion mit dem Blumentopf im vorigen Jahre. Der Himmel,
liebe Mutter, möge Dir recht viel Freuden schenken, und Dich
"wie bis jetzt frisch und gesund erhalten. — Die Kälte ist schon
hier eingetreten, und ich denke mit Schrecken daran, wie Dir
dieser Winter in Deinem kleinen Taubenschlag zusetzen kann.
Könnte ich nur zu Dir, um jede Lücke, wo ein Windzug möglich
ist, zu verstopfen. Wir sprechen beständig von Dir, und meine
Frau sagt, es scy ihr, als ob sie Dich erst gestern verlassen habe;
mir aber ist zu Sinne, als ob ich beständig bey Dir wäre. Was
meine Gesundlicit betrifft, so geht es mir wie gewöhnlich, und
ich weiß wahrhaftig nicht, was ich dieser Antwort des Canonicus
Karthümmclchen bcyzufügcn hätte. Ich leide noch immer an
Winden und in Folge derselben an Krämpfen, die aber nicht,
wie bey meinem seeligen Vater, den Magen afflcircn. Ich hoffe,
daß Ihr alle in Heiterkeit und Finlraclit lebt. Ich bin sehr ruhig,
lasse 5 eine grade Zalil scyn. Es ist mir nichts geglückt in dieser
Welt, aber es hülle mir doch noch schlimmer gehen können. So
trösten sich haibgcprügclle Hunde.
Ich hoffe, Dir noch in diesem Jahre zu schreiben, und da Du
weißt, daß ich nicht immer einen deutschen Sccretär zur Hand
habe, so wirst Du mir gern verzeihen, wenn die Jahrcsgralulazion
nicht zur rcchlen Zeit eintrifft.
Hier ist alles ruhig, und ganz Paris ist mit Bauen beschäftigt. Al-
les wird umgerissen und neu gebaut, und man weiß kaum mehr,
wo die alten Pißwinkel zu finden sind. Ich bin mit meiner Frau
sehr zufrieden, und sie ist die treueslc Seele, die man sieh denken
kann. Freylich am Ende glaube ich, giebt es nur eine einzige Per-
son, auf die der Mensch sich ganz verlassen kann, das ist nemlich
die Mutter. Hier ist man ganz sicher — wer hieran zweifelt, für
den wäre nichts rathsamer, als daß er diese Welt sobald als mög-
lich verließe.
Und nun lebe wohl, liebe Mutter! mein gutes LoUchen und seine
Kinder grüße ich recht herzlich und umarme Euch alle mit
innigster Liebe.
Dein getreuer Sohn
Harry.
.V-2t'
♦ Staatsra-fch Ktma Oimmel Kisseleff s Spitzname für Heines Bruder
Max. Gimrael = dritter BuohstaTDQ des he'br, Alphabets, Kisseleff»
Kisler » dritter Monat des hebr. Kalenders, (Vielleicht eine kh^
spielung darauf, dass Maz der dritte Sohn war?)
** Pauloheni der Sohn von Marie IiJmhden, aus ihrer ersten liJho mit
Honore de Voss.
n'
' i
;
r
Heino ntarb am 17. Februar IÖ56, Rinige Stunden vor seinem Tode,
erzählt Alfred Meissner , stürzte ein Bekannter in sein Zimmer, um
ihn noch zu sehen. Gleich nach seinem Eintreten richtete er an Heine
die Frage, vde er mit Gtott stehe. "Seien Sie ruhig! Dieu me pardonnera,
c'est son metier", soll Heine lächelnd geantwortet haben.
Ein Bericht der Krankenpflegerin, Catharine BouJLois, ist wahrschein-
lich authentischer als jene weit verbreitete Anekdote. Danach hat Heine
noch am Llittwoch, den 13. Februar, volle sechs Stunden gearbeitet. Auf
die Mahnung der Pflegerin, sich zu schonen, er\'/iderte er, noch vier
Tage arbeiten zu müssen, dann wäre sein Werk vollbracht. Er machte sich
VorTnirfe, seiner Mutter nicht gescl:^rieben zu habent "lo^ werde nirok't^' ' ^
T^^^^Xa{3t$.Äd^'-4^Q'i^i^T^ schreiben. •' "Mes war seine letzte
verständliche Aeusserung,
Eine Visitenkarte an Alexander von Humboldt - "Dem grossen Alexandres
die letzten Grüsse des Werbenden Heine ." /wohl Januar lÖ56_y - ,
zwei Briefe an den französischen Verleger Michel Levy betreffend die
Korrekturen der französischen Uebersetzung der "Reisebilder", einige
sprühende Dillets douces an die "Mouche", Heines letzte Liebe, und
drei an die Mutter gerichtete Briefe, von denen einer verloren gegangen
ist, sind Heines letzte schriftlichen Aeusserungen.
( ) Heinrich Heine an Betty Heine
Paris den 30. Dec. I855.
Liebste, gute Mutter!
Das neue Jahr ist vor der Thürc und wenn das alte Jalir sich
nicht bald fortmacht, so würde ich es herausschmeißen; es ist
eins der miserabelsten Jahre gewesen. Ich hoffe daß das neue
Jahr besser seyn wird und gralulirc Dir zu seiner Eröffnung. Möge
Dir der Himmel viele freudige und glückliche Tage schenken. Ich
umarme Dich herzlich. 'McinfcmJ liebsten Lottchen und seinen
Kindern gratulire ich ebenfalls und ich umarme sie in Gedanken.
Hier ist alles still und keine Maus regt sich. Meine Frau befindet
sich wohl und hat mir die zärllichslen Küsse für meine liebe
Mutter aufgetragen. Mit meiner Gesundheit geht es wie gewöhn-
lich; ich hoffe immer auf Besserung und die Jahre vergehen.
Meine Augen gingen etwas leidlicher, aber ich gcrathe wieder in
die Nothwendigkeit sie sehr schonen zu müssen. Und nun lebe
wohl, meine innigst geliehlc Mutter, und sey überzeugt daß ich
unaufhörlich, Tag und Nacht, an Dich denke. Noch die vorige
Nacht habe ich von Dir sehr lehiiaft geträumt, und ich sah Dich
ganz wie Du in den frühesten Zeiten ausgesehen, und ich hätte
vor Kummer weinen können, als ich an die Gegenwart dachte.
Du bist meine gute, liebe Mutter und da wir beide unser ganzes
* Ausi H. Heine' s Leben und Werke von Adolf Strodtmann. Dritte
Aufl. 2. Band. S.412. Hoffmann & üampe 1884,
** Ausj Gespräche mit Heine. Zum erstenmal ges, und hxQg, von H.H.
Houben. Frankfurt am Mains Hütten & Loening 1926, S. 9ß5/86.
•
V /
Leben hindurch immer brav und rcdhch geliandcil linbcn, so lia-
bcn wir niclil zu fürchten, daß wir in einer anderen Welt wieder
von einander gelrennt lel)cn müßten. Es Ihut mir unendlicli weh,
daß ich Dir meinen Neujahrswunsch nicht mündlicli abstaltcji
kann und ich beneide meine vSchwester und die Kinder, welclic
das Glück haben ilirc vortreffliche Großmutter mündlich zu
küsscu.
Dein getreuer Sohn
Harry Heine.
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Fk/^NE: KtfBLee Cßuecrio^i
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■awHmp^niiiriM»— x^ .
'/b yut-
Titos es Hess
/
Der am 21. Januar 1812 in Bonn geborene Moces Hess war kein
Orthodoxer und kein Reformierter, kein Theologe und kein Vorkämpfer der
jüdischen Emanzipation. Er, der sich von seinem Vater getrennt und
sich mit einer Christin verbunden hatte, wurde ein Kämpfer für die
Unterdrückten, der "Kommunistenrabbi", wie er von Arnold Rüge
spöttisch genannt wurde, der "Vater des Sozialismus", der die "Philosophi
der Tat" verkündete, die "europäische Triarchie", den Zusammenschluss
der drei Grossmächte Prankreich, England und Deutschland zu einem ver-
i ■ '
l einigten Staate von IHuropa und eine Weltreligion forderte,
i
I ■" Schon im Alter von neunzehn Jahren war sich Moses Hess über die
Richtlinien seines Lebens im Klaren,
( ) Moses Hess an M, Levy
/"ohne Ortj7 im April I83I.
— Saciui-alsoy. Du fragst: „ob ich recht fromm bin?" Wenn das eifrigste
Bestreben ein gottgefälliges Leben zu führen, Frömmigkeit genannt
zu werden verdient, so kann Dir mein Gewissen diese Frage bejahen,
obschon es mir zuruft, wenn Du Deinen Zweck erreichen willst,
musst Du stärker wie bisheran, und immer stärker und stärker
darnach streben.
Die Frage: was ist ein gottgefälliges Leben? kann in meinen Augen
keine zweifelhafte sein, weil ich aber befürchten muss, dass es für
Dich dermoch nicht deutlich genug ist, so muss ich mich entschlies-
sen, eine in Ewigkeit existierende Wahrheit, gleichsam wie von neuem
erst auf die Welt kommen zu lassen; gottgefällig lebt man, wenn man
sein Leben zum Vorbilde sich nimmt ~ sein Leben ist, wie es uns
sein Werk — das Weltall! — verkündet, ewige höchste Liebe, ewige
höchste Gerechtigkeit — Ji^res Leben, so Weit als unsre Kräfte nur
reichen, nachahmen — heiss?- göttlich leben. Nur das freie, sinnlich-
vemünfti^^e Geschöpf, der Menschl das Ebenbild Gottes, hat diesen
Beruf, er hat Seele und Körper, das Prinzip des Höchsten und
Niedrigsten, er hat Wahl, Erkenntnis, Freiheit! daher kann er sich
erniedrigen unter das Tier, und erhöhen über den Engel!
Wenn Du • aber unter fromm nur den frommen Juden verstehst,
so kann ich "Dir Deine Frage nicht unbedingt bejahen; wohl bin ich
ein echter frommer Jude, aber nur insofern als ich ein frommer
Mensch bin; wo jener in Widerspruch mit diesem kommt, da bin ich
Mensch auf Kosten des Juden, und obschon ich den Glauben habe
(und vielleicht mit mehr Festigkeit und Echtkeit als die, die ihre
Festigkeit daran, dadurch darzutun glauben, dass sie ihn noch über
seiner Zeit fest Jialten) an der unbedingten Göttlichkeit unsrer Gebote
im Lande unsrer Väter, als wir noch eine Nation und ein Land
bildeten, so glaube ich doch auch, gerade wegen der Echtheit
meines Glaubens, dass sie diese unbedingte Göttlichkeit verloren,
/,
3üüt
Alle hier zitiartsn Briefe von und an Moses Hess sind dem folgenden
Band entnommen: Moejos Heos • Briefwviohßel. Hrs^:. von Mmond Silbyrner«
Un-ter Mit Irkung von '^'ernor Bluraenbörß". Mouton & Co - 1959 - 'S-Graven=
hage. Auch dia Anmarkuncen zu den Briefen 'VTurden - sum Teil et'7as
gekürzt - dankbar übernommen.
Arnold Rüget (l802 - I880), gründet© l837 mit ^':ohterm;..yer die
Hallesohen Jahrbücher für Kunst und Wi;.;s.3nL:chaft als kritischos
Kampfblatt der Jun{i'hegölian9r, Publizist und pMlosophischer
Schriftsteller,
** i'Jin Jugendfreund von Mosas Hess, Näheres nicht bekannt.
>
uachdem wir aufgehört, eine Nation zu bilden, Bewohner mannig-
faltiger Länder und Brüder mannigfaltiger Nationen geworden sind;
ja, ich behaupte, dass ebenso schändlich und läcJierlich es zu der
Zeit, als wir ein Land bildeten, gehandelt gewesen sein würde, unsre
Gebote zu übertreten und fremden Göttern zu huldigen, ebenso
schändlich und lächerlich es gehandelt ist, die Gesetze des Landes,
in dem wir wohnen, gewissenlos zu übertreten und die veralteten
Gesetze eines längst zerfallnen Staates mit abgöttiscJier Verehrung
anzubeten; so lassen wir uns doch verständigen! was ist's denn, das
von der hohem Abstammung, von der Göttlichkeit unsrer alten Ge-
setze zeugt? — Dass ihnen die ewigen Wahrheiten zu Grunde liegen,
weislich modizifiert nach Zeit und Ort; wenn wir sie also auch aus "
Dankbarkeit in einem ehrwürdigen Andenken erhalten wollen, wie
können wir das besser als indem wir, ihre Quelle nicht aus den Augen
verlierend, sie mit Zeit und Umständen stets in Einklang zu bringen
suchenl Das tun wir nicht; wir beten die alte Eiche an, um die
Wurzel sind wir unbekümmert — ha! die Wurzel hat längst der Wurm
zerfressen, der Baum trägt keine Früchte mehr, er steht nur noch da
aus alter Gewohnheit, bald, bald wird er ganz zusammenstürzen; —
so geht's, wenn man die Lebensquelle vernachlässigt, und sich an
der toten Masse hält; o! auch ich bin ein Verehrer unserer alten
Religion, aber gerade deswegen möchte ich sie um alles in der Welt
gepflegt wissen!
Deine übrigen Fragen werde ich jetzt der Reihe nach beantworten.
Ich habe zwei Brüderi^'und zwei Schwesterchen/^ ^on diesen ist das
ältere bei der Grossmutter zu Bonn, meine übrigen Geschwister hier.
Mein Bruder Sussmann, den Du erwähnest, hilft, so wie ich, da wir
anders keine Handlungsgehilfen haben, dem Vater im Geschäfte,
das in Kolonialwaren besteht, mein Bruder wird sich auch wahr-
scheinlich dem Geschäfte widmen, ich weiss noch nicht; das Geschäft
Hess mir übrigens Müsse genug, mich mit dem Nötigsten und Nütz-
lichsten für's Leben bekannt zu machen. Nachdem ich, ich weiss
nicht mehr wieviel gelesen und erfahren habe, gab's eine ungeheure
Revolution in meinem Innern, sie mochte wohl zusammen genommen
zwei Jahre gewütet haben, ich litt viel in dieser Zeit, auf vielfältige
Weise konnte ich ihr Opfer werden, der Kampf war hartnäckig,
immer neue Gefahren, immer neue Ressourcen, endlich siegte . . .
die Freiheit, die natürliche, die wahre! Es ist nunmehr schon lange
her; seit der Zeit genoss ich, Gott sei Dank! einen ungestörten Frieden
— doch war ich nicht müssig, und nachdem ich mich vor inneren und
äusseren Feinden gesichert hatte, strebte ich, und strebe noch dar-
nach (denn hier lässt sich kein Ziel setzen) meinem Innern die für
es möglichst hohe Stufe von Vollkommenheit zu geben — doch hier
muss ich enden, denn ich weiss selbst noch nicht wie viel, oder
besser wie wenig Stufen ich zurückgelegt habe, viel weniger dass
ich diejenigen nur übersehn sollte können, die noch vor mir Jiegen.
Mit Ehrfurcht lehrte ich nennen, die Namen eines Rambamr* einbs
Rousseau, und mancher Deutschen. Jetzt lese ich nicht viel, aber
mannigfaltig, und mit Wahl.
Freunde habe ich wenig, weniger Bekannte (oder auch . . . Freunde,
wie man zu sagen pflegt). Hier habe ich einen, nebst meinem
Bruder, auswärts zwei, einen davon kennst Du nicht, war einige
Jahre hier, mit dem andern meine ich meinen lieben Zuntz, letzterer
besitzt mein ganzes Vertrauen, mit bpirlen stehe ich in Briefwechsel;
#
#
V Lazarus Hess (I814-I89O), der spätere Mitbegründer der Darmstädter
Bank, L.Hess & Söhne, und Samuel (Sussmann) Hess (I817-I88I).
/Gudula (Julia) Hess (I82O-I898), verheiratet mit Dr. Mayer Bendix,
und Karoline Hess (I825-I897), verheiratet mit Adolf de Jonge.
*** Maimonides (1135-1204). Der Name ist im Original hebräisch
geschrieben. , .
(B.S.)
¥:^
Viele Freunde, unter ihnen die ^^össten Geister, die aus der
deutschen Judenheit hervorgingen, sollten sich bald um ihn scharen. Der
gleichaltrige Berthold Auerbach war einer der ersten. Die Briefe,
die Hess seit Beginn der dreissiger Jahre durch drei Jahrzehnte mit
dem durch seinen Spinoza Roman früh bekannt gewordenen Dichter wechselte,
spiegeln alle Phasen des von Hess zurückgelegten Weges,
( ) Moses Hess an Berthold Auerbach
Köln, den 25. Juli 1839.
, , .
Du würdest mir einen Beweis Deiner Freundschaft geben, wenn
Du mir ein Exemplar Deines neuen Werkes schicktest. Gerne will
ich Dir, wenn Du nicht schon eins besitzest und es wünschst, auch
von meiner Heiligen Geschichte der Menschheit ein Exemplar
zusenden, wie es denn überhaupt nicht mehr als schicklich ist,
dass wir auf diese V/eise unsre Werke austauschen. Mit Gottes Hilfe
wird das noch öfter in unserem Leben geschehen können.
Dein Freund
Hess.
( ) Moses Hess an Berthold Auerbach
Köln, den 10, November 1839.
• • •
Dein Fleiss, lieber Auerbach, ist lobensv/ert; kaum ein Werk voll-
endet, und schon wieder zv/ei begonnen. Mir gefällt besonders, wie
Du richtig erraten, Dein Plan, Spinozas sämtliche Werke deutsch
herauszugeben. Gern will ich, was ich kann, zum Gelingen des-
selben beitragen.
Vielleicht könntest Du manches, was ich hie und da über das Ver-
hältnis Spinozas zu älterer und neuer Philosophie noch handschrift-
lieh besitze, für eine Einleitung benutzen, YJenn Du eine
solche Deiner deutschen Ausgabe vorausschicken wolltest (und das
v;är ja gar nicht übel), will ich gern, was ich habe, ausarbeiten
und Dir überlassen. Du musst mir aber erst darüber schreiben, bevor
ich mich an diese Arbeit mache.
««
^^^
Berthold AuerTaach (l8l2-l882), "besuchte eine Talmudschule und
studierte hierauf Theologie, Jurisprudenz! und Philosophie j
1837 "veröffentlichte er seinen erstsn Roman"3pinoza" und I84I
die Uehersetzung vT>n "Spinozsas sämtlichen Werken" mit einer
Lehensheschreihung (5 Bde.), Wann er die Bekanntschaft von
Hess machte, läsöt sich nicht genau feststollen. Aus einer
Mntragune]: vom 24« Pohruar I835 in Heßs« Tagehuoh .f^eht hervor,
dass sie schon damals in Briefwechsel standen.
( Gemeint ist wohl Auerbachs zweiter ßomanj Dichter und Kaufmann,
/^"h einem Jünger Spinozas (Stuttgart, Hallberg» sehe Verlags-
buchhandlung 1837» )
**)t*
Die Auerbaohsohe Uebersetzung erschien zwei Jahre später;
B,v, Spinozas sämmtliche V/erke. Aus dem Lateinischen mit dem
Leben Spinozas (Stuttgart, I841) 5 Bde. (2. Ausgabe I87I,
2 Bde.).
**^f^nf
In Hess* Naohlass befindet sich, ausser einigen Notizen zu
diesem Thema, ein 79 Seiten starkes Manuskript aus dieser
Zeit« "Zur Ethik. Aus freiindschaftliohen Briefen vom Verfasser
der Heiligen Geschichte der Menschheit. Zum Verständnis der
Lehre \inseres Meisters /Spinoz^, oder Einleitung in das
Studium seiner Tüthik. **
f
/ 7- I -^ ( ) Moses Hess an Berthold Auerbach
r
^oststempel:Köln,15.März(l840)_J7'
• *• •
Von mir habe ich Dir zu melden, dass ich ein grösseres V/erk
/Die europäische Triarchi^e/ in Arbeit habe, welches so Gott will
noch in diesem Jahre erscheinen soll. Es behandelt mein soziales
Thema, das nun in England, wie Du aus den Zeitungen erfahren
haben wirst, an der Tagesordnung ist, so dass vorauszusehn steht,
was ich schon in meiner heiligen Geschichte angedeutet habe,
dass unser Jahrhundert eine Revolution vorbereitet, die noch um-
fassender, tiefgreifender imd folgenreicher sein wird, als die,
welche das vorige zutage gefördert hatte. England scheint der
Boden zu sein, wo die soziale Revolution zum Ausbruch kommen
värd, wie Frankreich der Boden war, auf dem sie vermittelt, und
Deutschland Jener, wo der Grund dazu gelegt worden. Ich werde
daher ein Thema behandeln, das dreierlei umfasst: Religion, Sitten
und Gesetze, Soviel von mir,
...
Dies war das Jahr der Damaskus-Affäre. Allein obwohl dieses Ereignis
ihm zum erstenmal seine Zugehörigkeit zum jüdischen Volk zum Bewusst-
sein brachte, väe er später in "Rom und Jerusalem" bekannte, befassen
sich Hess* Briefe ,4irfir/d^ie%e^/"ui^d/a:ij6\1:^(jhsten^^J^^ nur mit Gegen-
ständen, die jenseits des jüdischen Bereiches liegen,
( ) Moses Hess an Berthold Auerbach
Köln, den 11, Dezember I84O,
Soeben erhalte ich von Otto V/igand einen sehr höflichen (auch
frankiertien) Brief des Inhalts: er wolle mein Werk in Verlag nehmen,
es "sehr schön" ausstatten und eine Auflage von 750 Exemplaren
machen; seien 4OO Exemplaria abgesetzt, so bezahle er mir 2 Louisdor
pro Druckbogen Honorar, und werde die erste Auflage von 750
Exemp ^laren/ verkauft, so sei ich Herr meines Werkes, so dass
er erst mit mir unterhandeln müsse, wenn eine 2, Auflage nötig
werden sollte.
* Otto Wigand in Leipzig war einer der bekanntesten radikalen Verleger,
insbesondere vor I848, Im Jahre I84I Ji^TSXSK erschien in seinem
Verlage "Die europäische Triarchie",
Otto V/igand drang auf um.^ehende Antwort, gab mir auch den Rat,
vorläufig meinen Namen nicht zu nennen. "Die Neugierde kauft, liest,
spricht Vermutungen aus, iind endlich treten Sie hervor." Ich
werde ihm sogleich schreiben, dass ich mit seinem Vorschlag einver-
standen i±H, jedoch müsse er das Buch so splendid drucken, dass
es 20 Bogen gebe. In sehr kurzem wird nun die "Europäische
Triarchie" erscheinen.
-^f
( ) Moses Hess an Berthold Auerbach
Bonn, den 10. März I84I.
.* * *
Nun hab« ich mit meiner gedruckten Schrift abgeschlossen und denke
und arbeite daran, eine bessere Schrift, eine "Philosophie der Tat"
zu schreiben, wozu ich die deutsche Philos^ophie, namentlich Fichte
und Hegel, erst nochmal gründlich studiere.
Noch im Jahre I84I wurde in Köln durch die dort ins Leben gerufene
Rheinische Zeitungsgesellschaft die "Rheinische Zeitung" gegründet,
deren Redaktion Moses Hess übernahm. Im gleichen Jahr machte er auch die
Bekanntschaft des jungen Karl März, dessen geistige Bedeutung er sofort
erkannte.
( ) Moses Hess an Berthold Auerbach
Köln, den 2. September IÖ4I,
1 )u \vii\st Dich freuen, hier einen Mann kennenzulernen, der jetzt
.iwcli vn \inscrn Freunden gehört, obgleich QXJn Bonn lebt, wo er
L.iKI (io/icron wird. Sollte Dir Braunfcls^cnon ctAvas von ihm gesagt
)..'.l)rn, so ist hierauf nicht das mindeste Gewicht zu legen, da B[raun-
:''. Is] üher Männer und Bestrebungen, wie der vorliegende Fall bietet,
:.')c\\ weniger Urteil, als ein Kind hat, so sehr liegen diese Dinge
uhcr dessen Horizont.
Ms isi dies eine Erscheinung, die auf mich, obgleich ich gerade in
>!»';ri';t'll)en Felde mich bewege, einen imposanten Eindruck machte;
kui/., Du kannst l^ich darauf gefasst machen, den grösstcn, vielleicht
den cluzi'^cn jetzt lebenden cigcnllichen Philosophen kennen zu
Irrnt-n, der nächstens, wo er öffentlich auftreten wird (in Schriften
Das Werk erschien tatsächlich anonym.
^^
Bücher von über 20 Bogen unterlagen damals nicht der strengen
Zensur ,
*^t^f
"Philosophie der That** erschien in: Mnundzwanzig Bogen aus der
Schweiz. Ej;^* von Georg Iior\7Ggh. Erster ^und einzig erschienene^
Teil (Zürich und Winterthur, Verlag des Literarischen
Comptoirs, 1843), S. 309-331.
#
•)f^^«
Ludwig Braunfels ;(l8lO-l885), Journalist, Uehersctzer und
Dicht er I jüdischer Ahstamraimg, trat zum Christentum üher,
1834-1838 Redakteuer der Kohlen^ Rhein- und Moselzeitung;
seit 1840 Rechtsanwalt in Frankfurt am Main.
#
^,
sowohl als auf dem Kalhcdcr) die Augen Dcutsclilands auf sicli
/i('Iu>n wird. Er gclit, sowolil seiner Tendenz, als seiner pliilo-
sopliischeu Ceisteshildung naeh, nicht nur über S/raJA^AVsondern auch
iiher lu-iicrlxichnÜrAua, und letzlrcs will viel heissenl Köinilc ich in
Bonn sein, wenn er Logik liest, ich würde sein fleissigster Zuhörer
sein. Einen solchen Maini habe ich mir immer als Lehrer in der
rinlosophic gewünscht. Jetzt fühle ich erst, welch' ein Stümper ich
ii\ der eigentlichen rhilosophic bin. Aber Geduld! Ich werde jetzt
auch noch etwas lernenl
Dr. Mar,\, so heisst mein Abgott, ist noch ein ganz junger Mann
(etwa 24 Jahre höchstens all), der der mittelalterlichen Religion und
Politik den letzten Stoss versetzen wird; er verbindet mit dem tiefsten
philosophischen Ernst den schneidendsten Witz; denke Dir Rousseau,
Voltaire, Ilolbach, Lessing, Heine und Hegel in einer Person vor«
einigt, ich sage vereinigt, nicht zusammengeschmissen — so hast Du
Dr. Marx.
Dein
Hess.
f
>
David Fri^rioli Strauss (18O8 «- I874), dessen "Le"ben Jssu",
kritisch "bearböitet, 1835-36 erschien.
*^ Ludwig Peuerbach: (1804-1872), Philosoph^ übiie entüchoidenden
Binfluss auf Marx und Tilngels aus.
* Auerbach hat mehrere anonyme Artikel für die "Rheinische Zeitung"
(RhZ) geschrieben, die bisher noch nicht erfasst wurden. Das äusserst
unvollständige Archiv der RhZ im Historischen Archiv der Stadt Köln
unterrichtet nicht darüber. Mit den beiden (anonymen) Korrespondenzen
Auerbachs dürften gemeint sein: "Vom Main, den 28. Februar" im Bei-
blatt zur Nr, 65 der RhZ vom 6, März l842| ^"Vom Main, Schluss. Siehe
Beibl, zu Nr, 65 d.Ztg." im Beiblatt zu Hr, 67 der RhZ vom B.März
1842, Es ist nicht ausgeschlossen, dass Hess auch die anonyme, "Aus
dem Badischen, I5. Mai" betitelte Korrespondenz meinte, welche in der
Nr. 136/137 der RhZ vom 17. Mai I842 erschien.
Z-
Auerbach wurde Mitarbeiter der "Rheinischen Zeitung", war aber der
Redaktion nicht radikal genug, v/as zu einer gewissen Entfremdung der .
Freunde führte,
( ) Moses Hess an Berthold Auerbach
Köln, den 2?. Mai I842.
Du hast mich mit Deinem letzten grossem oder eigentlichen Briefe
(die andern waren nur Billcts) so sehr abgeschreckt, dass ich Dir zu
schreiben stets Anstand nahm. Wie kannst Du doch über mich böse
oder auch nur darüber immiUir; sein, wenn ich Dir schreibe, was ich,
beiläufig gesagt, wiederholen muss, dass Du nicht in den radikalen
Geist unsrer Zeitung genug eingehst, sondern für die Rheinische
Zeitung schreibst, wie Du vielleicht noch aus guter alter Zeit her
gewohnt warst, etwa für die Oberdeutsche oder Mainzer ehemals
zu schreiben? Ich begreife Dich nicht, entweder Du liest unser Blatt
nicht — und das ist freilich bei einem Mitarbeiter schlimm — oder
Du billigst die entschiedene Tendenz des Blattes nicht — was natür-
Hch bei einem Mitarbeiter noch schlimmer ist.
Du sagst. Du habest Dich nicht aufgedrungen; gewiss nicht, und
wenn ich Dir hätte sagen wollen, dass wir hier Deine Mitarbeiter-
schaft an der Zeitung nicht haben wollen, so hätte ich kernen Vorwurf
über Deine Artikel gemacht, so hätte ich nicht den Wunsch aus-
gedrückt, Du möchtest mehr auf den Geist unsrer Zeitung eingehen,
sondern ich hätte es den Herren Geranten überlassen oder auch es
selbst übernommen. Dir kurz zu sagen, dass wir keine Artikel mehr
in dieser Art haben wollen. Aber ich wünschte und wünsche noch
immer Deine Mitarbeiterschaft, deshalb möchte ich, dass Du Ange-
messenes liefertest.
Ich habe bei jeder Korrespondenz fast, die von Dir kommt, Vor-
würfe von Seiten Jungs etc. zu hören. Nurzvvei Korrespondenzen
haben mir Freude gemacht, die über Baden;^die andern. Du musst
es selbst gestehen, riechen alle nach dem modernen Deutschtum, d.h.
nach Baumwolle und Zollverein; wir wollen keine Konzessionen
machen, und wenn wir nicht in unsrer Weise schreiben können, so
schreiben wir lieber gar nicht; wir richten uns nicht nach der Zensur,
dafür bekommen wir freilich vieles gestrichen, aber was wir drucken,
erinnert dagegen auch nicht an Deutschland, wie es ist und —
heuchelt.
Pfui über dieses Deutschland! Die Zensur hat es ganz demorali-
siert, das fühle ich jetzt so lebhaft, wie nie, wo ich das deutsche
Zeitungswesen kenne und das pohtisch-soziale Leben andrer Na-
tionen mit dem deutschen zu vergleichen Gelegenheit habe. Es ist
kein gesundes GHed mehr im ganzen deutschen Vaterlande, alles ist
verfault, entnervt, entartet — ich meine in bezug auf politisch-soziales
Leben — und wenn es nicht noch ein bisschen Privattugend und dann
eine deutsche Philosophie gäbe, so wäre Deutschland für immer
verloren. Aus dem Familienleben und der Philosophie heraus muss
Deutschlands Zukunft erwachsen. Bildung, echte, praktische, poHti-
sche Bildung tut uns vor allen Dingen not. Keine Schmeicheleien
dürfen Deutschland mehr gesagt werden, sonst bekommt es sicher
noch vor lauter Süssigkeiten, die es verschlucken muss, die Honigruhr.
Bittre Arznei ä la Börne kann es allein noch retten.
<Le gute Snf d»f K-^'™- f " ''■" ^""^^ ^""<=" ''" 'J°^'' '«'bst
o gute Wirkung der bittren Arznei. Am Ende wird man dorh
'm!"T' ^"'T r '''=^'"" ""' ''«■^ Vaterlande g^einThat ^e
„Negabven oder die „Positiven" - und wer die Uberte her sind
std Ä ''••,°''^'; f ^P°'°S^'^" - -^ wer die Gett cbtea
i^ben Vaterhnd'L'" '°'""' '"'l' '"" ^*' ^"^I =™ '''^eln finden L
n.nlTf J ^"''•.'' ■"' ""^^ "'=^' «i« Fünkchen Gemeinsinn^
Gonu^ für jetzt! V/as Deine Korrespondenzen "betrifft,
so wollen die Geranten nicht mehr eine Ausnahme bei
Dir machen und per
Brief lionoricrcn, sondern per Spalte, diese nämlich zu 2% Tnlcr,
damit wir das, was wir niclU für unsrc 2Scitung angemessen halten,
niclit zu bczalilen ])raurli(Mi. In einigen Tagen — Ende dieses Monats
— werde ich Dein bisheriges Honorar bekommen und die Uhr, wenn
sie noch zu haben ist, kaufen und Dir scliicken.
Ich hoffe, dass das Zeitungsverhältnis auf unser frciuidscliaftlichcs
Verhältnis keinen störenden Eindnick machen wird. Du hast meine
Freundschaft in so hohem Grade erworben, dass es mich uncndlidi
sclimcrzcn müsstc, wenn eine etwaige Divergenz in unserer Bcurtci«
lung alh^cmcincr VcrJuiltnissc auf Deine Neigung zu mir, also auf
unser jrcundschajtUchcs Verhältnis influicrcn sollte. Belehre midi
einös Bessern, wenn Du Lust hast. Aber warum schmollen?
In einem Artikel, der in die Sonntagszeitung kommt, (von Köln
datiert, am Anfang der Zeitimg) habe ich meinem Unmutc über
Deutschland freien Lauf gelassen.'*^ "^
Schreibe mir bald und sei mir nicht bös.
Dein
IIess.
I'Iefm-" D r. Bc rthokl A ^ierbaoh-
Wnhlrr^hni'fMa —
♦ Bezieht sich auf die zu jener Zeit in ganz Deutschland gesammelten
Geldspenden für den Kölner Dombau und für die Opfer des Hamburger
Brandes,
^f^f
»
RJieinisohe Zeitung , No.l49, Sonntag den 29. Mai I842. /"Die reaktionärer
Tendenzenjy
?
^ ' '"' ( ) Moses Hess an Berthold Auerbach
..ßogiäfiU Köln, den 27. Juli 1512
Lieber Aucrbachl
Mein Zögern mit AntAvortcn hatte seinen Grund in der famnsi..
Halsband- wollte sagen Uhrgeschichte, die, furcht' ich, ciiv'
Revolution zwischen Dir und mir erzeugen wird, wenn Du andd.
so hartnäckig, wie bisher. Dein historisches Recht in Anspn:cli
nehmen willst. Aber ich appclHere an Deine Veniunft und hoffr
dass sich alles noch auf dem gütlichen Wege der Reform ausglcicl/ :.
lassen wird. Du bestehst durchaus darauf, Deine Uhr in natu;
zurückhaben zu wollen; ich hätte, sagst Du, zu rechter Zeit d.-.f :
sorgen sollen, dass sie nicht aus dem Leihhaus verkauft wür-:
Gewiss, ich hal^e gc\ch\t, aber was hilft das alles? Ich ]\ahc gcfd.' '
Soll ich mich aus Verzweiflung darüber umbringen? Nein, sagst 1)
aber Du muszt mir die Uhr schaffen, d.h. Du vedangst von i.. :
nichts Geringeres, als dass icli hexen soll. Werde nicht ungeduldig,
„kalt Blut," sagt Andre. Ilörcl Die alte Uhr ]<.(inn ich Dir nicht mehr
schaffen — was helfen da alle Explikationen — es ist nicht mehr
möglich. Aber ich will Dir dafür eine goldene Zylinderuhr schicken,
womit Dein Freund gewiss zufriedengestellt sein wird, zumal da Du
ja irgendeine Ausrede erdichten kannst, weshalb Du die alte nicht
mehr hast, z.B. sie kann zerbrochen oder gestohlen worden oder sonst
was sein. Ich hoffe, für 30 Taler eine solche Uhr zu bekommen;
jedenfalls werde ich Dir jedoch, da ich selbst an dem Abhanden-
kommen der alten Uhr schuld bin, noch 10 Taler schicken, was dann
imsre Rechnung ausgleichen soll. Dränge mich aber nicht, denn ich
muss mich erst darauf einrichten, dass ich so viel Geld erübrige; ich
liahe in diesem Augenblicke noch nicht gen\ig. Du kannst aber jcsi
darauf rechnen, dass ich sorgen werde. Dir das Versprochene, wenn
Du damit einverstanden bist, so bald als möglich zu schicken. Dein
Honorar habe ich damals, als Du mir es schriebst, in Empfang ge-
nommen — es waren, glaub' ich, z\völf Taler — aber durch die ver-
dammte Uhr behielt ich's vorläufig zurück, und jetzt will ich's, wie
gesagt, wie angegeben machen. Sei mir deshalb nicht böse, ich bin
in diesen Dingen allerdings zu nachlässig oder liederlich, man muss
mir keine solchen Aufträge geben, doch ich will ja meinen Fehler
wieder gut machen, ich will alles tun, was Du verlangst, wenn Du
nur keine reine Unmöglichkeit verlangst; ich bitte Dich, sei mir
wegen dieser Geschichte nicht böse, ich habe mir schon selbst bittre
Vor\vürfe deshalb gemacht.
V/as unsre Zeitung und Deine Mitarbeiterschaft betrifft, so kann
ich Dir natürlich keinen andern Rat geben, als dass Du Dich dem
Geiste derselben anschlicssen musst, wenn Du ihr Deine Kräfte
widmen willst; Du könntest alsdann auch grössere Abhandlungen
über die gegenwärtigen Zeilkämpfc sclireiben, wo es sieh dann zeigen
wird, ob Du besser, als die übrigen Mitarbeiter, Popularität mit
Entschiedenheit und Tiefe verbinden kannst. Die Zeitimg, die einmal
il.rc Tendenz hat und sich (auch äusserlich) dabei wohl befindet
(sie hat in ganz Deutsehland in jetzigem Quartal hcdciifcnd an
Abonnenten zugenommen) kann sieh natürlich wegen der ab\veichen-
den Ansicht einzelner Mitarbeiter nicht selbst untreu werden. Was
den Geist der Zeitung aber betrifft, so kann ich Dich wiederum nur
auf sie selbst verweisen; Du musst sie lesen. Wir vertreten allerdings
eine ganz neue, und zwar eine sehr radikale Richtung; schlimm
genug, wenn sie so schmählich, wie die Hambachiadeitdes nicht
philosophischen Radikalismus enden sollte; aber Furcht kann uns
\
#
* /Anspielung auf das demokratische Hambacher Fest vom 27. Mai 1832.
/€>
nicht bestimmen, unsre Üherzcuguns 7\\ ändern oder zu transigiercn
„Wer nicht wagt, der nicht winntl" Vieles, unsii.i;lic]i vieles ^ haben
wir schon gewonnen; unsre Zeitung hat in ganz Deutscliland einen
Umschwung hervorgebracht, des darf sie sich j;iihmcn. Besieh Dir nur
einmal, was wir für Juden gewirkt habend- und wir haben das
schöne Bcwusstsein, alles aus einem Prinzip heraus zu er- und zu
bekämpfen; es kann uns niemand Inkonsequenz oder besondere Vor-
liebe für dieses oder jenes vorwerfen - sonst hätte man dieses gewiss
schon in bezug auf unscrn Kampf für die Juden getan; aber es wagt's
keiner, weil unser Prinzip zu sehr überall und für jeden erkennbar
durchleuchtet.
Ich muss schliessen, weil mein Bogen zu Ende geht. Nächstens
mehr, lebe wohl und schreibe bald Antwort.
WeW^cbtJTün
Itofft-BrrS üilliolJ Aumba ck-
Dcin
Hess.
Die "Rheinische Zeitung"hat seit Mai I84I mehrmals MJeei die Juden-
frage behandelt. Vgl, darüber Hansen, Rheinische B^efe und Aktei:i ,
I. S,357) und insbesondere Hermann König, Die J'Rheinis^phe Zeit;Hig"
von 184^1843 in >hrer Eig^ellung zur Jgulturpolitik des preii^sischen
Staates (Münster, 192?), S. 79-83.
//
( ) Moses Hess an Berthold Auerbach
/Köln?7 den 19 . Juni 1Ö43.
Mein lieber Alterl
Das war recht brav von Dir, dass Du den Anfang gemacht hast; denn
ich wusste gar nicht recht, ob Du noch etwas von mir wissen woll-
test. Unsere geistigen Bestrebungen, im Grunde ähnlich, weichen
doch in der Erscheinung mehr und mehr auseinander. Seitdem die
Rheinische Zeitung aufgehört hat, also schon in Paris, habe ich mich
ausschliesslich der philosophischen Entwicklung des Kommunismus
gewidmet, schon mehreres darüber herausgegeben^ und habe die
Freude, zu selucn, dass meine Bestrebungen nicht fruchtlos sind. Der
Junghcgelianismus ist schon teilweise gewonnen. Ein Mitarbeiter der
deutschen Jahrbücher, ein Freund Ruges, gibt jetzt ein Sendschreiben
. an mich heraus, worin die kommunistische Frage besprochen und
ihr Verliältnis zur Philosophie und zu den Junghegeliancm entwickelt
wird.^ßer Verfasser ist natürlich selbst schon gewonnen. Ein anderer
von den Ilcgcrschen ist jetzt in England und schreibt ein grosses
Werk über diese Angelegenheit'^ "Mit diesem stehe ich in enger Ver-
bindung. Im vorigen Jahre nämlich, als ich im Begriffe war, nach
Paris TM reisen, kam er von Berlin durch Köln; wir sprachen über die
Zeitfragen und er, ein Anno I Revolutionär, schied von mir als aller-
eifrigster Kommunist. So richte ich Verwüstungen an; ich hab* die
Politik ganz an den Nagel gehangen und schreibe nur für meinen
ursprünglichen (wie Du weisst), ersten und letzten Zweck. Der Geld-
aristokratie habe ich den Untergang prophezeit, und ich will das
Wenige dazu beitragen, dass meine Prophezeiung in Erfüllung geht.
Nebenbei kriegt natürlich unsere verkindschte Regierung auch einige
Waluhciten, und zwar, wie sie es verdient, im verächtlichsten, ver-
höhnendstcn Tone gesagt. Meine letzten Sachen kommen, wie schon
früher einiges von mir, im Literarischen Comptoi/^in ^rich heraus.
In wenigen Wochen werden sie erscheinen, und ich werde ganz
wahrscheinlich, bevor sie versendet werden, nach Paris zurückreisen,
da ich sonst zu riskieren habe» dass ... „ •
) Moses Hess an Karl Marx
Köln, den 1?. Januar 1845'
Lieber Marxi
Wenn ich nicht indirekt durch Engels und andere bisweüen etwas
von Ihnen hörte, wüsste ich gar nicht, was Sie treiben und wie Sie
leben. Sie schrieben neulich an Engels, dass die Kritische Kritik in
diesen Tagen erscheinen werde; •"' bis jetzt haben wir sie noch nicht; ^
ich freue mich darauf und bin sehr neugierig zu sehen, wie Sie den
Hohepriester in 20 Bogen langsam zu Tode gemartert haben.
Als Engels mü: Ihren Brief zeigte, hatte ich gerade eine Beurteilung
Stimers zu Ende gebracht et j'avais la satisfaction de voir, dass Sie
den Einzigen ^'ganz von demselben Gesichtspunkte aus ansehen. Er
hat das Ideal der bürgerlichen Gesellschaft im Kopfe und bildet sich
ein, mit seinem idealistischen „Unsinn" den Staat zu verachten, wie
B. Bauer, ^ der das Ideal des Staates im Kopfe hat, sich einbildet,
mit diesem „Unsinn" die bürgerliche Gesellschaft zu vemicbten. Ich
h'
'U'f%C<'^,
[ Ein vollständiges Verzeichnis der "bisher "böka:antGn Jugend-
arhöiten von He,gs findet sich in der HG33-Bi"blio{n:*aphie von
Edmund Silberner (.Leiden, Brill, 195Ö)«
*#
Der hier erwähnte I^eiind Ruges liess sich nioht identifizieren.
Im Hess-Archiv lied^ i>der ein ähnliches Sendschreihen nioht
vor. ^
^■»^t
Friedrich Tüngels,
*-jtif^(-
Ini "Schweizerischer Republikaner" und "13inundz\vanziaBogen aus
der Schweiz",
•K-****
Marx befand sich damals in Paris,
•»Hf*f**<f
***HHHHf
Engels und Mfit Die heilige Familie oder Kritik der kritischen
Kritik. Gegen Brtino Bau r und Konsorten (P*r:ankfurt a.M. ,
Literarische Anstalt, erschienen Ende Februar 1Ö45)»
Max St^Jaer^ (Pseudonym von Johann Kaspar Schmidt, I806-I856) t
Der ülinzige und sein Eigenl&a (Leipzig, 1845)»
****^t^f** Bruno Bauer/ (I80 9-1882), Philosoph und Theologe, Joinghe^elia-
ner und radikaler Bibelkritiker, ]Jb?eund des jungen Marx,
/
komme in meiner Arbeit nebenbei auch auf Feuerbachs Philosophie
der Zukunft zu sprechen, die ich als Philosophie der Gegenwart
(einer Gegenwart aber, die in Deutschland noch als Zukunft er-
scheint) betrachte, und womit ich den Prozess der Religion und
Philosophie für abgeschlossen erkläre. Das Ganze führt den Titel:
Die letzten Philosophen.'^-
Ich habe Ihnen die . angenehme Nachricht mitzuteilen, dass wk
eine Vierteljahrsschrift ^'bekommen, deren erster Band erscheinen
wird, sobald Material für 20 Bogen da sem wird. Püttmann>- reiste
deshalb nach Darmstadt und hat mit Leske einen sehr günstigen
Vertrag abgeschlossen, der den besten Beweis dafür abgibt, wie sehr
die sozialistischen Sachen in Deutschland jetzt gelesen werden. Es
- versteht sich, dass die Quartalsschrift rein sozialistisch wird und kein
so dummer Mischmasch wie das Püttmannsche Jahrbuch/ Püttmann-
# « •■
Die politische "Entfremdung zwischen Hess und Auerhaoh hatte stetig
zugenommen.
( ) Moses Hess an Berthold Auerhach
/Elherfeld (?), wohl Februar 1845^
Mein Heber Auerbachl
Die Lebensstürme, um ein verbrauchtes Bild zu gebrauchen, haben
uns nach entgegengesetzten Seiten hin geworfen. Du wirst Dich ohne
Zweifel mit meiner Richtung ebensowenig befreunden können, wie
ich mit der Deinigen. Sonderbari Du hast mich einst wegen dieser
meiner Richtung, die ich vom ersten Augenblick an eingeschlagen
habe, so hebgewonnen, und jetzt gehörst Du zu meinen Antago-
nisten — nicht dem Herzen, aber dem Geiste und Wirken nach; ich
hab' es daher auch bis jetzt vermieden. Dir zu schreiben, \yir hättep
uns nur gegenseitig Verdruss gemacht. Das Gegenwärtige^ scHicke
ich Dir auch nicht in der Hoffnung, dass Du mich unterstützen wirst
— weiss ich doch, dass Du gerade zu denen gehörst, die das arme,
enterbte, entmenschte Volk zu idealisieren suchen — sondern ich
möchte Dir diesen neuen Abschnitt meines Lebens und Wirkens an-
zeigen, weil ich weiss, dass Du trotz alledem und alledem noch immer
ein persönliches Interesse daran nimmst. O, wenn wir zusammen
geblieben wären, dann hättest Du nicht in dieser Clique der Honeks
und Andres zum sentimentalen Ästhetiker des Schwarzwaldes und
Podex der Salonliteratur werden sollen! Du hättest Dich nicht aus
dem Elende des Lebens in Deine Vorhaut zurückziehen dürfen, um
mit Deiner eignen Gemütlichkeit zu kokettieren, derweil die Men-
schen vertieren, verelenden und verhungeml Du wärest mit mu: in
die Hütten der Unglücklichen eingedrungen und hättest die furcht-
baren Geheimnisse der depra vierten Menschheit entdeckt und viel-
leicht besser als Sue,*'^der französische Bourgeois, sie dargestellt, und
so mitgearbeitet an der Erlösung der Menschheit, während Du
jetzt, wie Honek, eine andere Art von Märchen für Winterabende
schreibst zur Vertreibung der argen Langeweile der Müssiggänger,
welche zur Abwechselung auch einmal die unteren Schichten gern
besuchen, wenn die Cicerones nur die Wege schön mit Blumen und
Tünche schmücken, damit ihnen nicht unbehaglich wirdi
Wenn Du noch meinem Rate folgen könntest, so würde ich Dir
■"\
*^f
M.Hesst Die letzt on Philosophen (Danrstadt, Carl W.Loske,
lÖ45)f IV. 28 S.
Rheinische Jahrhüoher zur gesellschaftlichen Reform. Hrsg. unter
Mitwirkung mehrerer von H. Püttmann (Darmstadt und Belle-vue
"bei Konstanz, Leske, 1845-1846), 2 Bde.
*<t*
*^t^t»
Hermann Püttmann (I8II-I894), rheinischer Dichter und Jour-
nalist, Sozialist, Herausgeher der Rheinischen Jahrhücher und
des Deutschen Bürgarhuches für I845 (Darmstadt, Leske 1845)5
emigrierte nach Australien«
("Das ist der aUsX"l31herfeld, im Fehruar l845"datierte Prospekt
des von Hess redigierten"Gesellsohaftsspiegelsy auf dessen
leeren Seiten (S,3-4) der ohi'^e Brief geschrieben ist.
•if**^<-#
Eugene Suez (1804-1857)1 französischer Romanschriftsteller,
Verfasser der "Myst^res de Paris" ( 1842-43) und des "Juif
errant" (1844-45).
#
/y
meine Ansichten weiter auseinandersetzen; ich würde Dir den bal-
digen Untergang Deiner Lcsewclt schildern und motivieren, und alles
anwenden, Dich aus dieser Bahn herauszureissen, in der kein Heil
ist, weder für Dich noch für andere. Aber was vermag ein toter
Buchstabe auf dem Papierel Drum genug für jetzt. Wenn Du mich
aber noch ein bisschen heb hast, dann schreibe mir bald (unter
Kuvert an meinen Verleger/Vwirds am sichersten ankommen).
Lebe wohll
Dein Hess.
Keine seiner Schriften, keine seiner politischen Aktionen offenbart
den revolutionären Geist, von dem Hess um jene Zeit erfüllt war, seine
Kompromisslosigkeit in der Ablehnung der bürgerlichen Moral so deutlich
wie seine Beziehung zu Sibylle Pesch, einem armen katholischen Mädchen.
Erst nach dem Tode seines orthodoxen Vaters im Dezember I85I hat Hess
sie geheiratet. Sie war jedoch schon lange vorher seine Lebensgefährtin
geworden,
( ) Moses Hess an» Sibylle Pesch "^ '^
Elberfeld, den 28. Juli I845.
Mein Herz und mein Lebenl
Viel Freude und viel Kummer machte mir Dein Brief. Dein schöner
Traum, Deine innige Liebe, %vie macht die mich so glücklichl Und
Du zweifelst noch, ob Du mich glücklich machen kannsti Habe ich
Dir wirklich Ursache zu diesem Zweifel gegeben? Habe ich Dir nicht
oft genug gesagt, dass ich Dich gerade noch tausendmal mehr liebe
um Deines unverschuldeten Unglücks willen; Du Engel. Wahrlich,
wenn ich nicht alle solche Gedanken an vergangene Zeiten für töricht
hielt, so würde ich mehr Ursache haben, mir über meine Vergangen-
heit Vorwürfe zu machen, als Du Dir. .Du meinst, ich könnte ja eine
schöne unschuldige Frau haben. Nein, mein Kind, ich glaube nicht,
dass ich eine wahrhaft unschuldigere Frau bekommen kann, als ich
habe. Ich suche die Unschuld im Herzen, nicht im, Unterleibl'^ hu
bist mür aber auch körperlich schön genug; ^' kürzlich hebe Dich
inwendig und auswendig, alles, was an Dir ist, liebe ich, so, wie Du
bist, liebe ich Dich, und ich möchte nicht, dass Du anders wärest.
Darum spreche mü- nichts mehr von der Vergangenheit. Deine Ver-
gangenheit hat mir gerade gezeigt und zeigt es mir täglich, welcher
Engel Du bist. Und ich sage Dir, lieber mag ich mich mit Dir in den
Abgrund stürzen, als das bequemste Leben führen ohne Dich. Du
weisst, dass ich kein Freund von Redensarten bin, aber was ich hier
sage, ist wahrer, als was andere mit tausend Schwüren bekräftigen.
Sieh, dass Du mich und meine Liebe imd Treue noch ünmer nicht
kennst, macht mich traurig. Dass ich Dir solche Versicherungen noch
•X-^i-
^ /Julius Bädekcr in Elberfold, in deDson Vorlag der "GGSollcchaftG-
spiegel" erschien.
Ueber das Leben von Sibylle Pesch, Ilecs» Lebensgefährtin, ict v;onig
bekannt. Den Dokumenten in deutschen, schweizerischon und französischei
Archiven ist folgendes zu entnehmen: Sibylle Posch, Tochter von
Joseph Pesch und Ilelono Triersoheid, wurde am 10. Dezember 1820 in
Schmidtheira, einem Dorfe im Kreis Schieiden, Regierungsbezirk Aachen,
geboren. Sie war Christin, und Moses Hess fürchtete, dass ihn sein
jüdiGch-orthodoxer Vater enterben würde, falls er sie zu dessen Leb-
zeiten heiratete. Der Vater starb am I9, Dezember I85I, Einige Monate
später heiratete Hess Sibylle Pesch. Aus vermögensrechtlichen Gründen
musste der Ehevertrag in Köln unterzeichnet werden. Aber Hess, der
steckbrieflich verfolgt wurde und sich in Lüttich aufhielt, konnte
nicht persönlich in Köln erscheinen. Deshalb wurde der am 21. T.Tai
1852 in Köln abgeschlossene Ehevertrag von Hermann Levie, Kommissionär
zu Köln, dem Bevollmächtigten seines Freundes Hess, und von Sibylle
Pesch unterzeichnet. Sibylle Hess überlebte ihren Mann um etwa drei
Jahrzehnte und starb am 8, November 1903 in Paris,
*^* Dass Sibylle Hess ihrem Lebensgefährten nicht immer treu war, scheint
ausd: den Briefen Engels' an Marx (I9.Ö.I846, I4.I.I848) hervorzugehen.
In der Familie Hess v/ar man der Meinung, Moses Hess habe die Bekannt-
schaft seiner Frau in einem Kölner Freudenhause gemacht, und in dem
Kölner _/^Polizei-_7 V/ochenbericht vom 23. Juni I854 wird Sibylle Hess
ohne jede Erläuterung als "eine frühere Winkelhure" bezeichnet. V/ie-
vreit die Meinung der Familie Hess und die Angabe des Polizeiberichtes
richtii«^ sind, lässt sich selbst nach diesen Zeugnissen kaum beurtei-
len, (Der Wochenbericht vom 23. Juni I854 ii3i ehem. Preuss. Geh.
Staatsarchiv, heute Landeshauptarchiv Brandenburg in Potsdam, Iferlin C,
Polizoipräsidum, Tit. 94, Geheime Präsidialregistratur, Lit.H,
Nr. 283.)
^^^¥r jj^ seinen Erinnerungen an die nach der deutschen Revolution in Genf
verbrachten Jahre hatte Friedrich A. Sorge (iTeue Zeit , Bd. XVII /l89^,
S.317) Sibylle Hess als "eine Junge, lebenslustige, viel begehrte"
und "hübsche Frau" bezeichnet.
geben muss^ als ob wir erst anfingen, Bekanntschaft miteinander zu
machenlJ;Du bist mir ja längst an mein Ilcrz gcwachscril
Ich habe immer nur eine Leidenscliaft gehabt, nämlich Glück und
Freude zu verbreiten, so viel ich kann. Aber überall werde ich, mehr
oder weniger, zurückgestossen von den Wesen, die ich liebend um-
fassen möchte. Nur in Deiner Umarmung kann ich meine Leiden-
schaft befriedigen. Nur bei Dir kann ich ganz und immer lieben, nur
mit Dir kann ich leben, wie ich's wünsche. Du bist für mich die Welt
die unglückliche Welt, die ich glücklich machen will. Aber obgleich
ich weder die Hoffnung noch das Wirken für dieses Ziel aufgebe, so
wird doch die Welt auch ohne mich ihr glückliches Ziel erreichen,
Du aber nicht ohne mich und ich darum auch nicht ohne Dich.
Gestern schrieb mir ein bis jetzt mir ganz unbekannter Mann aus
Duisburg, vermutlich ein Kaufmann, aber es ist jedenfalls ein men-
schenfreundlichcr, edler Mann?VE^ schrieb mir, dass er alles von mir
gelesen habe, und dass er jetzt ganz und gar meine Ansichten teile.
Er schickte mir auch ein Blatt, welches in seinem Orte herauskommt,
und worin er den Gesellschaftsspiegel empfohlen hat. Um Dir eine
Freude zu machen, schicke ich Dir dasselbe, denn es wird Dich
gewiss freuen, dass ich überall bekannte und unbekannte warme
rreunde habe.
Der Mann hat ganz recht, dass er sagt, die Wunden der Gegenwart ■
brennen an meinem Herzen; es ist leider zu wahrl Doch, Du mein
hebes Weib, Du träufelst Balsam in die Wunden meines Herzens, Du
bist mein Arzt und meine Arznei zugleich.
Aber sei auch stark, meine Männin! Wenn uns auch sonst das
Leben alles rauben sollte, so haben wir doch den unendlichen Schatz
der Liebe in unscm Herzen. .
Ich kann mich heute gar nicht vom Schreiben trennen, welches
Dich hoffentlich recht munter antreffen wird. Du hast ja jetzt eine
freudige Arbeit, wenn Du Dir emen Brauthut machst; jawohl, mein
Herz, mach dir ein recht schönes Hütchen und denke dabei an die
unendliche Liebe Deines
Mannes.
) Moses Hess an Karl Marx
Köln, den 28. Juli I846.
•> ^ ^
Mit Deinen Ansichten über die kommunistische Schriftstellerei, die
Du neuerdings Daniels nlittöiltest, bin ich vollkommen einverstanden.
So notwendig im Anfange ein Anknüpfen der kommunistischen Be-
strebungen an die deutsche Ideologie war, so notwendig ist jetzt die
Begründung auf geschichtliche und ökonomische Voraussetzungen,
sonst wird man weder mit den „Sozialisten," noch mit den Gegnern
aller Farben fertig. Ich habe mich auch jetzt ausschliesslich auf
ökonomische Lektüre geworfen und sehe mit Spannung dem Erschei-
nen Deines Werkes^ehtg^eiv das ich mit grossem Eifer studieren
werde.
Wenn Engels von Ostende zurück ist, wünschte ich von ihm zu
hören, wann er nach Paris abzureisen gedenkt, und ob er meine Frau
dahin ohne Pass mitnclimcn kann und will. Solange sie dort ist, stelle
ich sie unter Deinen Schulz und hoffe, dass Deine Frau ihre bisherige
Freundlichkeit ihr erhalten und ihr so einigen Trost gewähren wird.
Ma pauvre fcmmc est bcaucoup plus malheureuse qu'ellc parait ctrc.
Son noble coeur souffre sous le double fardeau dune Separation plus
ou moins prolongce et dune malheureuse Situation socialer^-^^icfn^
'(.'^1 au /liCu !
^n^
/
^^^Am 27. März I844 berichte-te der Regierungsprääident von Köln
an den Minister des Iimem Grafen von Arnim in Berlin u.a.,
daas Hess "mit einer hier /in Kölry eingemieteten Person aus
Aachen /Sibylle Peüc3i_y , einer Strickerin, welche von ihm
unterhalten wird, in vertraulichen Verhältnissen lehe, welche
auch bereits mit ihm eine Zeitlang in Paris gewesvsn sein soll."
(ßhem. Preuss. Geh, Staatsarohiv, jetzt Deutsches Zentral archiv,
Abt. Ivlerseburg, Rep, 77, VI, Polit. verd. Pers., Lit.H,
Hr. 130.)
{^ '?jB handelt sich wohl um Otto Weinhagon, einen Kaufmann aus
Düsseldorf. In einem Briefe von Gustav Lewy an Lassalle vom
25. Juli 1863 wird Weinhagen als " ein entschiedener Sozialist
in unserem ^as sali eanisoheny Sinne" bezeichnet, der seiner-
zeit in DüsEreldorf den Volksklub mitbegründete imd 1863 die
Tätigkeit des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins lebhaft
gefördert hat (Lassalle, Nachgelassene Briefe, V. 205)«
**-jt
^f^f^f^^
Roland Daniels: (I8I9-55), Arzt in Köln, Mitglied des Kommu-
nistenbundes, intimer Freund von Man und "ngels.
Anspielung atif Marxens geplantes zweibändiges Werk "Kritik
der Politik und Nationalökonomie", das etwa gegen I3nd© I846
bei Leske erscheinen sollte.
A
Jedoch trotz der von Hess in seinem Briefe betonten grundsätzlichen
UobereinGt immune mit Marx bestand zwischen seiner ethisch orientierten
"Philosophie der Tat" und dem dialektischen Materialismus, .der von
Marx und lüngels immer schärfer formuliert wurde, ein tiefer Gegensatz,
den sie zum Anlass nahmen, ihn im "Kommunistischen Manifest" als "wahre:
Sozialisten zu verspotten und beiseite zu schieben. Diese Zurücksetzung
und die An^iffe, insbesondere von Seiten TCngels, haben Hess tief
ge;troffen. Fünfzehn Jahre später hat Hess in "Rom und Jerusalem" sich
hierzu geäussert: "Meine eigenen Gesinnungsgenossen haben mir die
deutschen Bestrebungen verleidet und im voraus das Exil erträglich
gemacht."
Franlcreich und die Schweiz wurden die Lädder seines Exils in der
Zeit der Revolution von I848 und der anschliessenden politischen Ver-
folgungen. In den Gründorn des revolutionären "Deutschen Verein/$s"
fand er in Paris geistesverwandte Mitkämpfer. Gemeinsam mit ihnen
protestierte er öffentlich ^egen die Insinuation, dass die deutschen
Demokraten Elsass und Lothringen wieder erobern wollten.
( ) Erklärung des "Deutschen Vereines" in Paris
_^Paris, Erschienen am 12, September 1Ö48.__7
Die Demokraten Deutschlands haben bereits in Adressen an das
deutsche und das polnische Volk ihre Übereinstimmung mit den
Grundsätzen der Freiheit und Nationalunabhängigkeit kundgegeben,
welche die französische Republik proklamiert hat und wonach sie zu
handeln entschlossen ist. — Die perfiden Insinuationen eines legitimi-
stischen Blattes';* w^clchcs einen für immer erloschenen Nationalhass
wieder anfachen möchte, sind uns ein erwünschter Anlass, in diesem
wichtigen Augenblicke, wo sich vielleicht auf den Schlachtfeldern
der Lombardei das Schicksal der europäischen Demokratie ent-
scheiden wird, unsere Sympatliien für die französischen Demokraten
noch einmal öffentlich und feierlich auszusprechen.
Die jetzigen Demokraten Deutschlands sind keinesweges mit jenen
deutschtümclnden Demagogen einer vergangenen Zeit zu verwech-
seln, welche gegenwärtig grösstenteils Renegaten der Freiheit und
Feinde aller echten deutschen Demokraten geworden sind. Die
jetzigen Demokraten Deutschlands sind Arbeiter und Freunde der
Arbeiter, Brüder der Demokraten aller Länder. Sie wissen, dass nur
durch die Befreiung Italiens und Polens vom loche des deutschen
#
Abdruck in "Die Republik", Heidelberg, 12. September I848,
** ,/lm ^örsai;6re" vom 30. August I848 hiess es, dass die deutschen
Demokraten Elsaasund Lothringen wiedererobern wollten und eine Art
"deutscher Marseillaise (von Arndt) sängen.
' i^
und russischen Despotismus die deutsche, die europäische Demo-
kratie sichergestellt werden kann vor den Angriffen der Reaktion und
dem Einbrüche nordischer Barbaren. Sie wissen, dass der Bruder-
gruss und das Losungswort aller Demokraten der Ruf ist: „Es lebe
die französische Republik!"
Im Namen des deutschen Vereins:
SarenziiR, Arbeiter. Hess, Publizist. Rechaud,
Arbeiter. EwEimECK, Arzt. Maurer, Professor.
Reinincer, Arbeiter. Sciiadelitz, Journalist.
Eine freundGchaftliche Beziehung und ein intensiver Briefwechsel
entwickelte sich in den folgenden Jahren zwischen Hess und dem russi-
schen Schriftsteller Alexander Herzen, der im Jahre 1847 Russland ver-
lassen hatte und sach zuerst in der Schweiz und später in England auf-
hielt. Herzens anonym im Jahre I85O erschienene Schrift "Vom anderen
Ufer" rief in Hess starken Y/iderhall aber auch Widerspruch hervor,
■)f
~T \ / y ' ' ( ) Moses Hess an Alexander Herzen
■"■ ' •
/ Ohne Ort, etwa Februar l850._/
An den Verfasser des russischen Manuskriptes
„Vom anderen Ufcr'.ij^ J/^
[1.]
Es hat mich freudig überrascht, als icli bei Herwegh Ihre Schrift
fand; ich liahc dieses Werk nicht nur gelesen, sondern studiert. Wie-
viel gäbe ich jetzt darum, in Ihrer Nähe sein zu können! Wenn es
meine Lage gcslallete, ich würde zu Ihnen hinreisen, um von einem
■ Standpunkte aus, der auch für das geschichtliche Leben kein Dies-
seits und Jenseits anerkennt, eine Unterhaltung fortzusetzen, die Sic
mit so vielem Geiste „vom andern Ufer" aus zu zeichnen wussten.
Sie haben einen sehr hohen Slanilpunkt genommen bei Ihrer Be-
urteilung der Akteure, welche mitten im geschichtlichen Leben, in
der Bewegung, in der Revolution stehen. Sie vergleichen sich mit den
römischen Philosophen, die in den ersten Jahrhunderten des Christen-
tums lebten. Lieber Freund, Sie stehen zu hoch. Das geschichdiche
Leben, wie alles Leben, darf weder von einem hohen noch niedern —
das Leben darf von keinem andern Standpunkte, als von seinem
Mittelpunkte aus angesehen werden. Was über und unter ihm steht,
ist ihm äusscrlich. — Der Mittelpunkt alles Lebens aber ist seine
eigene Ükonomie, sein eigentümlicher Lebenserwerb. Zur Beurteilung
des sozialen Lebens kenne ich darum kein andres Kriterium, als die
soziale Ükononiie. In der Gesellschaft, wie überall, ist die Erwcrbs-
wcisc der Mittelpunkt, um welchen sich die ganze Lebensweise, im
geschichtlichen Leben bewusster Wesen also auch die ganze An-
schauungsweise dreht. Wer in diesem Mittelpunkte steht, wie das
arbeitende Volk, oder sich geistig in denselben vertieft, wie seine
Apostel, begreift nicht nur philosophisch seine Zeit, ist auch lebendig
von ihr ergriffen. Das ist Religion, wenn Sic wollen; gleichviel, es ist
jedenfalls das Lebensvolle, und Sie wissen es ja: der Lebende hat
* Dieser Brief ist, mit unwesentlichen Varianten, als Entwurf und
als Reinkonzept im Hess-Nachlass vorhanden. Abdruck nach dem
Reinkonzept,
** Aus dem russischen Manuskript (Hamhurg, Hoffmann & Campe, I850,
191 S.)
(•
z;--
c
i'
i
f
recht. - Darum hatte auch dor Christ rocht /gegenüber dem römischen
und Robespierre f^ej^jonübor dem deutschen Philosophen, Ihrem
Liebling Cloots.
Als Apostel des neuen Evangeliums, müssen wir uns verwandter
fühlen mit den Aposteln als Philosophen aller Zeiten. Glauben wir
auch nicht mehr an den christlichen und Robespierre'schen Gott, so
ist doch unser ganzes Leben und Streben weit mehr ein apostolisches
als philosophisches. Sie legen überhaupt zuviel Gewicht auf den
ideologischen Ausdruck des geschichüichen Lebens und Strebens.
Das Drängen und Ringen der Männer, in deren Adern die Geschichte
pulsiert, ist nicht in einem theistischen oder atheistischen Kredo er-
schöpft. Wenn die Apostel des Volkes früherhin die Bedürfnisse ihrer
Zeit nicht sowohl richtiger verstanden, als vielmehr richtiger ahnten \
— richtiger, meine ich, als die Philosophen, welche über, d.h. ausser
der Zeitbewegung standen und sich mit ein „wenig Sonnenschein"
und schöner „Aussicht" begnügten — so war ihr Bewusstsein nicht ■^
deshalb getrübter, weil sie im Mittelpunkte der lebendigen Be-
wegung standen, sondern deshalb, weil das Leben selbst noch trüb,
noch nicht entwickelt war. „Es irrt der Mensch, solang' er strebt",
d.h. solang* er in der Entwicklung begriffen. Der unentwickelte
Organismus ist vorherrschend antagonistisch, trüb und widerspruchs-
voll; erst der entwickelte ist vorherrschend harmonisch, klar und
einig. Die bisherige Geschichte der Menschheit war aber nur'' die
Entwicklungsgeschichte der Gesellschaft. Wie im Naturleben das •
antagonistische Tier dem harmonischen Menschen, so ging im gesell-
schafdichen Leben das soziale Tierreich der harmonischen Gesell-
schaft voraus. Heute steht die Gesellschaft auf dem Punkte, wo die
Natur stand, als sie im Begriffe war, den menschlichen Organismus
zu schaffen. Kein Wunder, dass wir heute klarer sehen, als die
Apostel früherer Zeiten. Die heutigen Apostel können sogar klarer
als die heutigen Philosophen das Leben durchschauen und doch ganz
ebenso wie die Apostel aller Zeiten von den Philosophen sich unter-
scheiden.
Ihre Vorliebe für Goethe erinnert an den Gegensatz von „Hel-
lenen" und „Nazarenem", den Heine ausgesprochen, aber missver-
standen hat, weil er selbst die eine Seite des Gegensatzes repräsen-
tiert, also selbst noch in demselben befangen und verwickelt ist. Sie
wissen, was für einen Sturm Heine gegen sich heraufbeschworen
hatte durch sein Buch über Ludwig Börne. Die bornierten Fanatiker
des politischen Liberalismus fühlten sich tödlich verletzt und stürz-
ten wie angeschossene Eber auf den Jäger — und während das Wild
still verblutete, richtete der Jäger sein Geschoss wieder mit bekannter
Meisterschaft gegen gefährlicheres Wild, gegen Löwen und Hyänen,
gegen die Könige und Pfaffen der sozialen Tierwelt.
' Seitdem ich weiss, was ich will, habe auch ich eine grössere Vor-
liebe für Goethe und Heine, als für Schiller und Börne; aber weil ich
nicht nur weiss, was ich will, sondern auch will, was ich weiss, bin
ich mehr Apostel als Philosoph. Sie merken schon, warum ich, statt
„Nazarener" und „Hellenen", Apostel und Philosophen einander
gegenüberstelle. Der letztre Gegensatz ist umfassender, als der
erstre; er hat auch nichts Schielendes — die eine Seite wirft keüi
* Jean-Baptiste Cloots:- (1755-1794) »gewöhnlich Anacharsis Cloots genannt,
französischer Revolutionär preussischer Abstammung, nannte sich
"orateur du genre humain", 1792 in den Konvent gewählt, später von
RobespisBre in die Anklage gegen die Hebertisten verwickelt und
hingerichtet.
1^
falsches, schlechtes Licht auf die andre. Heine wäre minder unge-
recht gegen Börne gewesen und selbst in einem bessern Lichte er-
schienen, wenn er als Philosoph oder „Hellene", wie er sein will,
sein Verhältnis zu den wahren und falschen Aposteln unsrer Zeit
so objektiv geschildert hätte, wie es ihm als Nacheiferer Goethes
geziemt. Aber Pleine ist weder so ganz „Hellene", noch so wenig
„Nazarcner", wie er sich einbildet.
Das objektive Erkennen charakterisiert den Philosophen, mag er
dabei Poet und Politiker, oder reiner Denker sein. Als echter Philo-
soph wird er überall seine objektive Erkenntnis, Klarheit und Heiter-
keit von keinem subjektiven Willensdrang trüben lassen, wird seine
olympische Majestät nirgendwo von antagonistischer Leidenschaft
gestört und fanatisiert werden. — Solange aber die Gesellschaft noch
antagonistisch ist, kann der einzelne dieses harmonische Wesen sich
nur künstlich und privatim aneignen durch eine abstrakte Erhaben-
licit über das „gemeine" Wesen, dem er doch in der Wirklichkeit
mit Leib und Seele verbunden ist. Die allseitige Erkenntnis, die
objektive Ruhe, Klarheit und Heiterkeit nach allen Richtungen hin,
diese Harmonie ist in unsrer antagonistischen Gesellschaft unmöglich.
Das harmonische Wesen ist in der Wirklichkeit nur ein abstraktes,
einseitiges Wesen. Die kontemplative Natur der Deutschen, sowie
der nordöstlichen Völker überhaupt, eignet sich zu dieser abstrakten,
einseitigen Richtung, die mehr Geist als Temperament voraussetzt.
Leute dieser Richtung pflücken vom Lebensbaum nur die Geistes-
blüte und bilden sich ein, den Entstehungsprozess der Fnicht
erforscht zu haben, wenn sie die Staubfäden ihrer Blume gezählt.
Sie vertiefen sich lieber in das Fertige, als Unfertige, lieber in das
harmonische Pflanzenreich, als antagonistische Tierreich, lieber in
die abgeschlossene natürliche, als in die sich fortentwickelnde
soziale Tierwelt, überhaupt lieber in die Natur, als Geschichte --
und hier wiederum lieber in die orientalische als okzidentalische,
die ihnen nur „Greuel" und „Wahnsinn" zu sein scheint. In der
orientalischen Welt verweilen sie lieber bei den Chinesen und In-
dem, als bei den Hebräern und Mohammedanern — in der okziden-
talischen endlich lieber bei den antiken „Hellenen", als modernen
„Nazarenem". — In die Geschichte tragen sie ilire Anschauung der
fertigen Natur hinein, betrachten jene wie diese als einen Kreislauf,
und sträuben sich dagegen, dass jene erst dann ein abgeschlossener
Kreislauf wird, wenn sie aufliört, Geschichte im bisherigen Sinne zu
sein; sie möchten jedem Lebensalter den Vollgenuss andichten, den
nur das Mannesalter hat, und bilden sich ein, Männer zu sein,
wälirend sie nur bevorzugte und verwöhnte Kinder sind.
Der Philosoph kann den Tod der alten Gesellschaft voraussehen,
ihn aber nicht wünschen und herbeiführen helfen, weil der Tod
dieser Gesellschaft auch sein eigener Tod ist, weil er nur in der
Gegenwart, nicht auch zugleich in der Vergangenheit und Zukunft
lebt, weil für ihn die Vergangenheit nur ein Abgestorbenes, die Zukunft
nur eine Utopie ist, weil er mehr die „geistige Errungenschaft" als
die reale revolutionäre Bewegung liebt, weil er „die Wahrheit", ein
abstrakt „geistiges" Gut, privatim errungen zu haben glaubt, also ein
geistiges Privateigentum hat. — Nur diejenigen gehen dem Tode
unsrer Gesellschaft freudig entgegen, die nichts mehr in ihr zu ver-
lieren haben, weder ein geistiges, noch ein materielles Privateigen-
tum, die sich in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens so
sehr vertieft haben, die von der geschichtlichen Bewegung so sehr
ergriffen sind, dass sio. ganz in ilir aufgehen. Das ist nicht der Seelen-
zustand der Philosophen, sondern der Apostel unsrer Zeit, wie aller
'Zeiten, z.B. der eines August Willich oder Barbes,^die gleich den
#
^ Armand Barb^s (1809 - I870), französischer Politiker und Revolutionär,
1834 und 1836 im Gefängnis; l839 zum Tode verurteilt und zu lebens-
längliohem Gefängnis begnadigt; I848 durch die Revolution in Freiheit
gesetzt und als Deputierter gewählt; I849 nochmals zu lebensläng-
lichem Gefängnis verurteilt; I854 begnadigt; bald danach verliess er
Frankreich und lebte in Belgien und Holland,
f9
ersten Christen das Märtyrertum als Feuerprobe ihres Glaubens fast
aufsuchen. — Das ist Schwärmerei, wenn Sie wollen, ja, aber eine
historisch berechtigte, durchs Leben motivierte Schwärmerei. Auch
Ihr Cloots war ein Schwärmer, aber seine Schwärmerei war eine
abstrakte, wie die unsrer heutigen deutschen „Anarchisten" noch
immer ist — und ich gestehe es Ihnen aufrichtig: wäre ich Robes-
pierre und käme mir ein solcher philosophischer „Anarchist** in die
Quere, auch ich würde ihn unschädlich machen und den Fluch der
Philosophen auf mich laden.
Als Philosoph, nehmen Sie kein Gesetz, wenigstens kein erkenn-
bares, in der Geschichte der Gesellschaft an.
Die reale Geschichte ist dem Philosophen ein mit sieben Siegeln ver-
schlossenes Buch. Für ihn birgt sie eine unendliche Zalil von Möglich-
keiten in ihrem Schosse. Die philosophische Kritik konnte es mit Hilfe
der Naturwissenschaften zur Negation der Mystik in Religion und
Philosophie bringen; die reale Geschichte jedoch blieb ihr ein ver-
schlossenes, ein dunkles, mystisches Gebiet. Die Philosophie, obgleich
selbst nur ein Produkt des Soziallebens, ist zu vornehm, um sich in
die Tiefe dieses Lebens, in seine von Erdkot umgebene Wurzel zu ver-
senken. Wer vom Lebensbaum nur die Geistesblüte pflückt, sieht selbst
in der realen GcscliiclUc höchstens eine Geschichte der Ideologie. Wer
dagegen in der Ideologie und deren Qeschichle selbst nur den Aus-
druck des Soziallcbens erblickt, dem verwandelt sich sogar die
mystische Religion und Philosophie in offenbare Geschichte.
Der menschliche Wille kami das Gesetz der Geschichte so wenig,
als das Naturgesetz überhaupt ändern, aber er kann in die Geschichte
wie in die Natur eingreifen, sofern er nach den Gesetzen derselben
handelt. Ihnen erscheint dagegen jedes Eingreifen in die Geschichte
als ein willkürliches, und wenn Sie dem Zufalle und dem Genie
einzelner Heroen einen grossen Einfluss auf die Geschicke der Völker
zuschreiben, so sprechen Sie damit nur aus, dass Sie in der Ge-
schichte kein Gesetz, im Leben der Gesellschaft keine gesetzmässige
Entwicklung anerkennen. Wie wollten Sie auch sonst Ihren philo-
sophischen Freiheitsbegriff retten — die Freiheit des „Geistes** und
„Willens*'? — Sie geben zu, dass die Menschheit keine Ausnahme in
der Natur sei; aber Sie wollen damit nur beweisen, dass auch die
Menschheit äussern Einwirkungen unterworfen sei, dass etwa ein
„Enkescher Komet an unsem Planeten stossen [. . .] oder eine gas-
artige Ausdunstung der Erde auf ein halbes Stündchen das animah-
sche Leben unmöglich machen"^tkann. Solche äussern Einwirkungen
sind allerdings unberechenbar. Aber ebendeshalb, weil es nur zufäl-
lige, äussere Einwirkungen oder Ausnahmen sind, negieren sie nicht,
bestätigen sie nur die Regel, das innere, immanente Entwicklungs-
gesetz. Sie leugnen nicht, Sie bestätigen nur, dass das Kind in der
Regel zum Manne heranwächst, wenn Sie sagen, dass der Mensch
schon als Kind, bevor er ganz ausgewachsen ist, den Hals brechen
kann. — Aber, sagen Sie, das Kind lebt nicht nur, um Mann zu
. werden; es lebt auch als Kind: „Das Leben ist auf jedem Punkte
seines Daseins Zweck und Mittel zugleich.** Sie sprechen damit aus,
dass im Leben Zweck und Mittel nicht zu trennen seien, und mit
demselben Ausspruche trennen Sie Zweck und Mittel im Leben,
dem Sie auf einem beliebigen „Punkte seines Daseins* den Lebens-
* "Vom anderen Uferf S.32
m
C'^ i
faden abschnoiden! Im Leben ist das Kind ebensov/eni^ vorn Manne,
als der Mann vom Kinde zu trennen - diese Trennun^^ ist der Tod,
Vom Leben getrennt, tot ist auch der philosophische Freiheits-
be^^riff, Sie erläutern den u.s.w. , der wirklich existiert. Die
Philosophen polemisieren ge,^en den Dualismus, V/ird aber der Dualis-
mus dadurch aufgehoben, dass man sich im "Geiste" darüber erhebt,
ihn "aufhebt"? Ist dieses "Aufheben" nicht selbst der Ausdruck
eines Dualismus? Ist beim einzelnen Menschen die "geistige" Macht
nicht die Kehrseite und "5rgä;inzung seiner realen Ohnmacht, wie in
der Gesellschaft die aristokratische Herrschaft die Kehrseite der
plebejischen Knechtschaft? - Besser scheint's mir, den Dualismus
anzuerkennen und im realen Leben zu bekämpfen, als ihn in der
Einbildung "aufzuheben".
Bei Ihnen kommt, ausser dem philosophischen, noch ein andres
Element hinzu, wodurch Ihre geschichtliche Anschauungsweise von
der meinigen notwendig abweichen muss. Sie gehören nicht nur zu
jenen nordöstlichen Völkern, die, wie gesagt, vermöge ihres kontem-
plativen Naturells sich mehr zur philosophischen Richtung eignen,
Sic gehören ausserdem einer Völkerfamilie an, welche der geschicht-
lichen Bewegung yci Europa fremd geblieben ist — Sie sind Russe.
Ein „Fremder", meinen Sic zwar, könne die „Familienangelegenheiten"
besser beurteilen, als ein Mitglied der Familie. Der Fremde ist ein
„unparteiischer Beobachter"; das ist wahr. Es fragt sich nur, ob die -
„Unparteilichkeit" auch in der Geschichte berechtigt ist, ob es hier )
einen „hohem" Standpunkt, als den der Partei geben kann. Ich habe
Ihnen meine Ansicht hierüber im Eingange dieses Briefes mitgeteilt. ,
Indem Sie sich unsem „Familienangelegenheiten" gegenüber als
Fremder betrachten, bestätigen Sie nur, dass Ihr höherer Standpunkt
ein äusserlicher [ist]; denn das Fremde ist das Äusserliche. -— Das
Fremde ist jedoch nicht nur das Äusserliche, es kann auch das Gegne-
rische, Feindliche sein — und fasse ich Ihren Standpunkt etwas näher
ins Auge, so erscheint er mir nicht einmal so ganz unparteiisch. Als
Philosoph stehen Sie nicht im Mittelpunkte der geschichtlichen
Bewegung, sondern etwas drüber; als Russe stehen Sie der euro-
päischen Geschichte sogar etwas feindselig gegenüber. Als Philosoph
wollen Sie nicht in die Zukunft übergreifen, lieben Sie es nicht, zu
prophezeien; als Russe prophezeien Sie, dass die slawische Völker- ^
familie die europäische beerben werde, weil diese letztre zu alters-
schwach sei, um sich aus sich selbst heraus regenerieren zu können.
Als Philosoph birgt die Zukunft fiir Sie eine unendliche Zahl von
Möglichkeiten, als Russe birgt sie Ihnen nur die eine Möglichkeit
einer slawischen Invasion in ihrem Schosse. — Auch ich liebe das
Prophezeien nicht; es führt zu einer fatalistischen Weltanschauung,,
welche den Wn.en, a,o Tatkraft lähmt. Möglich, dass die heutige
Z.vJ.sat.on w,e d,e alte emcr Invasion andrer „Barbaren", als ihrer
eignen, unterhegen ^v>rd. möglich aber auch, dass unsre Proletarier
ie Barbaren smd. we che ihr den Tod. den Untergang und - die
Auferstehung bnngen Ich kämpfe jedenfalls für und ™t unseVn
eigenen Barbaren, wed es mir keineswegs deichgatig ist. ob »nsre
Zukunft einem progrcssistischcn, oder reaktionären Sozialismus ange-
hört. Aber warum, können Sic fragen, glaube ich, dass eine slawische
Invasion uns nur einen reaktionären Sozialismus bringen würde? —
Ich habe mich hierüber schon vor zehn Jahren ausgesprochen,"tv'Crade
was die nordöstlichen Völkerschaften. so sehr eignete, das Christentum
zur Weltherrschaft zu bringen, macht sie heute unfähig, eine neue
Welt zu schaffen. Was Sie über die russische Kommune mitteilen,
bestätigt nur meine Ansicht vom kontemplativen, ungeschichtlichen,
stabilen Charakter dieser Völker. Ich gebe zu, dass die Slawen ein
modernes Byzanz, ein westliches China, aber nicht, dass sie eine
sozialdemokratische Republik aus unsrem Europa machen können,
wenn nicht Europa sich selbst befreit. — Wenigstens will ich das
meinige dazu beitragen, ein so schweres Unglück von unsrem Welt-
teü abzuwenden. Ich schreibe nicht zum Zeitvertreib, auch nicht zur
Befriedigung eines ehrgeizigen Gelüstes. — Da Sie ein Liebhaber der
Physiologie, besonders der Phrenologie zu sein scheinen, so will ich's
Ihnen nicht verhehlen, dass nach der Meinung eines gelehrten Phre-
nologen in meinem Schädel der Oppositions- und Kampfsinn weit
mehr hervorragt als der Sinn für Ehr- und Ruhmliebe. Sie sehen,
mein Gehirn hat sich etwas „schief entwickelt.** Que voulez-vous?
Was kann ich dafür, dass mir ein europäischer Konvent mehr zusagt
als eine nissische Kommune? Ich habe nun einmal einen „Konvents-
kopf. -.Ich gebe zu, dass es kein freies Europa, ohne ein freies
Russlandi aber ich glaube, dass es auch kein freies Russland, kein ^
freies Slawentum, ohne ein freies Europa geben kann.^arum wollen /
Sie die europäische Freiheit von der slawischen Herrschaft abhängig ^
machen? Entweder die Freiheit, die Sie meinen, ist nicht die solida-
rische sozialdemokratische Freiheit, oder die Interessen der Europäer
und Slawen sind heute wie die Interessen aller Völker eng mitein- ,
ander verbunden. Wenn die Slawen heute dahin streben, sich als eine
gleichartige Rasse zu einen und von äusserer und innerer Unter-
jochung zu befreien, so teilen sie in dieser Beziehung nur die Bestre-
bungen der Deutschen, Italiener und Ungarn sowie aller derjenigen
Volksstämme, die es noch nicht zur nationalen Unabhängigkeit der
Franzosen und Engländer gebracht haben. Die neuesten Vorgänge
aber haben doch, sollt' ich meinen, hinlänglich bewiesen, Nvie frucht-
los auch diese nationalen Bestrebungen sind, solange die Reaktion
nicht auf allen Punkten und in jeder Beziehung geschlagen und
überwunden ist. Der vollständige Sieg der sozialen Revolution wird
nicht das Werk eines Tages, aber auch nicht das einer Nation oder
Stammesgenossenschaft sein. j Ich glaube, dass Russland und die
Slawen so wenig als England und die Nordamerikaner der Revolution
fremd bleiben, wenn sie zur vollständigen Entfesselung kommt. Wird
sie in ihrem alles zerstörenden und alles neuschaffenden Laufe ge-
hemmt, dann allerdings, aber auch nur dann, [wird] der alte Antago-
nismus der Interessen, die alte Trennung der Rassen und Klassen,
• das alte divido et impera, und verderblicher als je zuvor, wieder
zum Vorschein kommen. Sieg der Reaktion und Trennung der
Völkerinteressen ist für mich ebenso identisch, wie Sieg der Revolu-
tion und Völkerverbrüderung.
Kein Apostel des Volkes wird mit dem Gedanken eines Rassen-
kampfes sympathisieren können. Ich wenigstens kann mich mit der
Idee einer slawischen Invasion nicht befreunden. Dieser Tod der
europäischen Zivilisation birgt keinen Lebenskeün, keine Aufer-
stehung in sichl — Aber ich hoffe, dass die Geschichte, die „sich nicht
wiederholt", uns mit einer solchen zweiten, unverbesserten Auflage
der Völkerwanderung verschonen wird.
* Europäische Triarohie, Leipzig bei Otto Wigand,
Schon in dem Briefwochsel mit Alexander Ilorzen wird das erhöhte
Interesse ^^Iffa^ff^^eiJ, v/elches Hess der IBedeutun^j des nationalen Elements
in der Geschichte, besonders in der damaligen Periode, entgegenbrachte.
Dieses Interesse wurde im Laufe der nächsten Jahre in hohem Masse durch-
die immer mächtiger werdende italienische Risor^imento-Bewegung ange-
facht. Die Befreiung Italiens von der als Inbegriff der Reaktion betrach-
teten Herrschaft Oesterreichs, im Zusammenwirken mit dem sich für dieses
Ziel immer deutlicher einsetzenden Prankreich, erschien Hess als ein
für die Befreiung und Regenerierung Europas wesentliches Ereignis.
Obwohl er die soziale Frage nicht aus dem Auge verlor, erhielt seine
Geschichtsphilosophie eine neue Färbung durch die Einsicht in die Dynamik
der nationalen Bewegung, wie sie sich um Jene Zeit im Rom Cavours und
Victor Bmanuels II. darstellte.
ff
( ) Moses Hess an Berthold Auerbach
Paris, den 30. April I856,
33, rue de 1' Est,
/
Mein lieber Auerbachl
Viele, lange Jahre sind verflossen, seitdem Du von mir etwas gehört
hast. Gewiss bin ich in Deinem Andenken, wie in dem meiner meisten
ehemaligen deutschen Freunde, verschollen. Es ist unmöglich, Dir
einen Begriff davon zu geben, was ich seit vierzehn Jahren innerlich
und äusserlich erlebte. Nur so viel kann ich Dir sagen, dass die
leidenschaftlichen Stünne meines Gemütes, welches jene unsrer Zeit
vorenir funden zu haben scheint, sich jetzt gelegt, und einer Bewe-
gung Platz gemacht haben, die Deiner poetischen, und daher jeden-
falls harmonischem Geistesrichtung vielleicht wieder zusagen wird. /'
Nach dem coup d'etat, Ende 1851, zog ich mich aus der Schweiz,
wo ich seit der verfehlten badischen Revolution mit andern deutschen /
Flüchtlingen von einem Kanton zum andern getrieben wurde, nach V
Belgien zurück, um mich einem ganz neuen Studium zu ergeben, in ^
welchem allein ich noch eine Rettung für die Fortschrittsbestrebun-
gen unsrer Zeit sah. Ich gab mich aus einem blinden Drange dem
Studium der Naturwissenschaften hin, ohne auch nur eine leise
Ahnung von der grossen Bewegung zu haben, die sich seitdem auf <.
diesem Gebiete in Deutschland kundgab.
Trotz der Zurückgezogenheit, in welcher ich in Belgien lebte,
wurde ich aus diesem Lande, auf Betreiben Preussens, verwiesen;
ich fand ein Asyl in Frankreich, wo ich seit 1853 meine Studien fort-
setzte. Im verflossenen Jahre wurde ich hier aufgefordert, an einer
französischen Revue mitzuarbeiten, und ich l<?gte in dieser Zeitschrift
die ersten Früchte meiner Studien nieder.-^" Sie fanden viel mehr
Anklang, als ich erwarten durfte. Man sprach in anerken nende r Weise
davon, und meine Artikel wurden besonders abgedruckt?^ Eine Probe
von beiden sende ich Dir gleichzeitig mit gegenwärtigem unter
Kreuzband.
* W^ki^/fQfSii6YQ4S^n^T^Qr(":^ß^Y^^^^ Hess-'bis April I856 n^<^
einen Aufsatz ("De la vie cosmique, organique et sociale") und drei
kurze Artikel in der "Revue philosophi^ue et religieuse" veröffent-
licht. r
(**(_^ Dem Herausgeber von Moses Hess: Briefwechsel, Edmund Silberner,
ist nur ein einziger Sonderabdruck aus der "ßeirue philosophique'
et religieuse" bekannt, nämlich der des "Essai", -^
>
/
/
Ermutigt durch die günstige Aufnahme meiner Arbeiten in Frank-
reich, fing ich seitdem an, ein deutsches Werk in, gleichem Sinne zu
schreiben; es ist in diesem Augenbhck druckfertig.""' Unpraktisch, wie
Du mich kennst, habe ich im Drange der Arbeit ganz daran ver-
gessen, dass ich seit Jahren keine Verbindungen mehr mit Deutsch-
land habe; ich hätte längst mit deutschen naturvvissenschafdichen
Zeitschriften anknüpfen sollen. Aber ich meinte, ich müsste erst in
dieser mir bisher fremden Welt das Bürgerrecht durch meine Arbeit
er\verben. Nun habe ich in Deutschland, das mir in jeder Beziehung
verschlossen ist, keinen Freund, der die Herausgabe meüies Werkes
vernilttchi könnte.
Als ich's zum ersten Male wagte, mich auf die hohe See geistiger
Bewegung zu begeben, hast Du mir so liebevoll beigestanden, dass
ich auch jetzt, wo ich einen neuen Anlauf nehme, mich wieder an
Dich vertrauensvoll um Rat wende. Es ist schwer, Dir in wenigen
Worten meine jetzige Geistesrichtung zu schildern. Das einzige und
beste Mittel wäre, Dir mein Manuskript selbst zu schicken. Aber
weiss ich, ob Du Dich damit befassen willst? — Weiss ich, ob Du
überhaupt noch, wie ich, Dich unsrer alten Freundschaft in Liebe
erinnerst? Eine wehmütige Stimmung bemächtigt sich meiner, wenn
ich daran denk«;, dass in dieser ganzen langen Reihe von Jahren, die
seit uiisrcr Trcniiwiig vcrilosscn sind, k<M'n Mensch mich so verstanden
und so mit mir eiiiplundcn wie Du. Warum wurden wir im Sturme
der Zeithewegi ug so weit auseinander gerissen — warum? Weil ich
zu fanatisch war — die ganze Schuld fällt auf michl Jetzt, wo ich
ruhiger geworcicn bin, sehe ich's ein.
Ich weiss nie it, ob Du noch derselbe bist, wie friiher, oh Du nicht
während der Le.wcgung, so gut wie ich," wenn auch nach d<'r ent-
gegengesetzten Richtung hin, exklusiv geworden. Ohne Zvveiiel wird
Dein poetisches Gemül Dich vor solcher Einseitigkeit gesehiil/l
haben. Was mich betrifft, so begreife ich jetzt sehr wohl, dass man
in den Ansichten über die Mittel und Wege, die zum humanen Zii'ie
führen, divergieren kann, ohne dass deshalb ein persönliches rVeund-
schaftsverhältnis, welchgs auf den Einklang von individuellen C^c-
fühlen gegründet ist, getrübt zu werden braucht. Die Empfincluni^i it
der Liebe und Achtung, die ich einst für Dich hatte, erwach» n
wieder in ihrer ganzen Ursprünglichkeit in meiner Bnist, weil die
Stürme, die mi'jh aufgeregt, sich wieder gelegt haben, umi weil ieii
stillschweigend voraussetze, dass auch Du noch derselbe bist. Hebe
letztern Punkt lialje ich freilich nicht eher Gewissheit, bis ich wiedir
in Verbindung mit Dir stehen werde. Lass mich darüber meht lani^e
in Zweifel, zö;.;ere nicht mit Deiner Antwort! Du hast ein Rcelif
darauf, mit mir zu zürnen, aber keins, mich durch Entziehung Deiner
Freundschaft z i kränken.
' Ich schicke Dir einstweilen auch noch keine Broschüre, imd leue
nur ein Läppchen aus dem Atlienaeum fran^ais't^ '^ei, worin von
meiner Arbeit j^;esprochen wird. Adieu, alter Schwabl Wie möcht' ich
Dich doch so gern wieder in "meiner Nähe habenl
^
Dein treuer
He^s.
* Solch ein druckfertiges Manuskript liegt im Nachlass nicht vor,
** "L*Athenaeum fran9ais, revue imi verseile de la litterature, de la
science et des beaux-arts," Paris,
^9
Als. im Frühjahr I859 dor Aucbruch der Feindseli^jkeiten zwiGchen
latlien und esterreich unmittel'bar bevorstand, entwickolte Hess in
Briefen an seinen Freund Friedrich Hermann Semmig seine Theorie ,
der Sieg Italiens über esterreich werde±x eine republikanische Umge-
staltung Europas herbeiführen,
( ) Moses Hess an Friedrich Hermann Semmig
Paris, den 27. April I859,
33, rue de l»Est.
Lieber Semmig!
Es war für mich, wie für Ewerbeck, eine wahre Herzenserquickung,
aus Deinem Briefe zu sehen, dass Du zu den, leider noch wenigen
deutschen Demokraten gehörst, welche die Sachen ganz einfach auf-
fassen, wie sie sind. Der österreichische Schwindel wird übrigens
auch vom deutschen Michel bald durchschaut werden. Louis Simon
von Trier, den ich zuweilen sehe, sowie einige andere deutsche
Demokraten in Paris, beurteilen die Dinge wie Du, Ewerbeck und
ich, und schreiben wie wir nach altem Stile ihre Ansichten. Es ist
ausgemacht. Bonaparte verhindct sich mit der Revolution, und zwar
mit Bewiisstsein und Willen. Ob (uis Furcht vor den italienischen
Handgranaten — denn seit Orsinr^'S der Umschwung bei Bonaparte
eingetreten — oder aus ehrgeizigen Plänen oder aus besseren
Gründen, das ist gleichgültig. Genug, er ist heute der Testaments-
exekutor der verstorbenen Republik.
' So fassen auch die Franzosen die heutige Politik auf. Daher die
Zustimmung der revolutionären Arbeiter der Vorstädt^e und der
echten Demokraten, z.B. Fauvety, dessen Broschüre* wir Dir hiermit
schicken, sowie die Opposition der Bourgeoisie, der Pfaffen und der
royal istischen Parteien,, .die übrigens nicht mehr mucksen, seitdem
der Krieg entschieden?^ Bönaparte tritt heute nicht mehr als Retter
der Monarchie und Neffe des Onkels, sondern als Diktator der Revo-
lution — morgen vielleicht schon als Volkstribun auf. Ewerbeck und
ich haben uns davon durch einen Schritt überzeugt, der vorderhand
noch geheim bleiben muss./
Wie dem auch sei, die Bewegung, die j'etzt beginnt, und gegen
welche 1S4S ein Kinderspiel war, wird iliren eigenen Weg gehen,
nicht den ihr vorgeschriebenen. Die französischen Truppen sind be-
reits in Italien, das ganze italienische Volk wird sich erheben, die
Österreicher werden aus Italien geschmissen werden, und dann adieu
alle monarchischen Grundlagen in Europa und adieu diplomatisches
Gleichgewicht. Der Schwerpunkt des alten Europa, und mit ihm
jener der konservativen Geister wird sich verrücken, und nur die-
jenigen werden \vährend dieses neuen Tanzes auf den Beinen bleiben
und ihren Kopf nicht verlieren, die wie wir auf der „breitesten demo-
kratischen Basis" stehen geblieben.
Halte Dich davon überzeugt, lieber Alter, dass unsere Zeit wieder
herannaht, vielleicht noch ehe ein Jahr vergeht. Warum hast Du die
Osterfcrien nicht benutzt, um nach Paris zu kommen? Wir leben
hier wieder neu auf; ich selbst habe mich wieder auf die Politik
geworfen -SJt^Vp^b^ nach rechts und links, [seit ungefähr einem Mo-
nate, ]^^nd Tiaoe soviel ich konnte — freilich nur wenig — dazu
beigetragen, dass der europäische Tanz losgeht. Das nähere werde
ich Dir später einmal mündlich mitteilen.
)^ Friedrich Ilrnnann Sommig, (1820-1897), deutscher Schriftsteller, sluclicrto
Theologie und Philosophie in Leipzig; Milarheiter der „Tricrschen ZeitimR" und
der ,, Rheinischen Jahrhüchcr zur ^escllschafllichcn Reform" (vgl. Bd. I, 1845,
S. 173-174, wo er Hess' bedeutende Rolle in der Entwicklung des deutschen
Sozialismus hcrvorpehohen hat); Teilnehmer nm Dresdener Aufstand (Mai 1849);
18(9-1870 EniiKrant in Frankreich, wo er in Lc Puy, Chamh6ry und Orlc^ans nls
Lrhrcr der deutschen Sprache an den dortigen Ly7cen wirkte; 1870 kehrte er
nach Deutschland /.urück. Hess hatte er auf der Fhicht aus Deutschland, in
StrasshurR 1849, persönlich kennengelernt. Semraig war mit Ange Gu6pin und
Jules Michclct befreundet.
*— Der Brief lient i n /wi - i Fu.vshhkl ' h vui, Ni. Q21 und Ni. QQfl. Wegen Acinti
^ h^i . iiihisdiL 'i t W xTt o fi worden ■ l H»i d <» -F af;f. ur vffl> n - ßodniek fe
^>fc-Fclice Orsini (1819-1858), italienischer Patriot und Verschwörer, unternahm
am 14. Januar 1858 ein Attentat auf das französische Königspaar und wurde zwei
Monate später hingerichtet.
M/
nL yf<X^Charles Fauvcty, Du Principe de nationalitö. Vltalie. Paris, E. Dentu, 1859.
^ 31 S. 8°.
>^ vj^'^ ^ ^^^ österreichisch-italienische Krieg begann, nachdem Piemont Österreichs
■^ Ultimatum vom 23. April 1859 abgelehnt hatte. Frankreich kämpfte auf der Seite
der Italicner. ,
;»." V^ l .- Bii Lf-Nrr-a^9r-
^ 1^ V.;^ .**'" Im Original gestrichen. Hess war Pariser Korrespondent der Augsburger „AU-
^ ' gemeinen Zeitung" von Ende Februar 1859 bis Juni 1860. Später schrieb er auch
für das bonapartistische Organ L'Espcrance, das seit Ende Oktober 1859 in Genf
erschien.
»^ THJiiiL Jusuf I. (lQQ0 - 191O r
.•'>
Es war Zeit, dass einmal wieder ein Funken in die Welt hinein-
geworfen wurde, dass die Selilafmüt/.cn wieder zu SchiessbaumwoUc
verarbeitet, dass die Standreclitler selbst gestandrechtet werden und
der Blutjunge '^Seinen Lohn empfangt. Wie nach 1848 die Revolution
schrittweise von der Reaktion beseitigt wurde, so wird seit einigen
Jahren die letztere wieder von der ersteren ebenso allmählich — bis
jetzt fast unmerklich — gleichsam schichtenwcisc abgetragen. Zuerst
Nvurde ihr die Spitze, das vennckeltc Russland, abgekipjit, durch dea
Krimkrieg, an dem Nickel^vör Verdruss und zurückgetretenem Gift
gestorben. Jetzt kommt die Reihe (an den Blutjungen und an den
Heiligen Vater) an den Heiligen Römischen Kaiser und Heiligen
Vater. Dann geht es mit Riesenschritten und leichter Mülie vorwärts.
Es ist eine viel solidere Arbeit als die „vormärzliche", um mich
deutscher Terminologie zu bedienen. Aber sieh' da. Alles geht wieder
von Frankreich ausl Das ärgert unsere neidischen deutschen Patrioten.
Wer hat ihnen verwehrt, es den Franzosen zuvprzutun? Haben sie
doch in Prcussen ihren liberalen Regentent^^j^DtTden sich doch ein,
mehr Freiheit als die Franzosen zu haben. Aber sie lassen sich lieber
von Österreich aus für das Heilige Römische Reich deutscher Nation,
als von der Revolution für die moderne Welt begeistern.
Wenn die Prcussen heute mit Österreich gehen, statt auf dessen
Trümmern sich selbst zu einem modernen Deutschland zu erheben,
so sind sie wert, zwischen Russland und Frankreich erdrückt zu wer-
den! Denn gegen Österreich ist Russland heute bedeutend im Fort-
schritt, wie Frankreich gegen Preussen trotz Regentschaft auf der
einen und Empire auf der andern Seite. Russland und Frankreich
haben an Preussen diesen Antrag gestellt, wenn auch noch nicht
öffentlich und offiziell, ein einiges Deutschland zu gründen. Aber
wie der blödsinnige Friedrich Wilhelm IV. schon 1848 die Kaiser-
krone, so schlägt der steife Regent wahrscheinlich heute wieder —
aus Pietät vor dem Blödsinn — den Antrag aus, und geht mit den
Heiligen Allianz-Verträgen unter.
Die Deutschen müssen, wie Du sagst, und zwar sage ich's ohne
Scherz, dazu gezwungen werden, gleich den Italienern eine freie,
nationale Konfederation zu bilden. Sie stehen in politischer Beziehung
weit hinter den Moldauwalachen! Mögen sie denn mit ihrem Gottes-
gnädigen — mit Gott für König und Vaterland — • zum Teufel gehen.
Ich werde mich, wie Ewerbeck, am Ende hier naturalisieren lassen,i'^;fc /^ :)f^
um auch nominell nicht mehr in Gemeinschaft mit dieser mittelalter-
lichen Brutalität leben zu müssen. Diese Esel sprechen von französi-
scher Eroberungspolitik, und stecken selbst, und sie allein noch,
bis über die Ohren in der mittelalterlichen Eroberungspolitik! In
Italien bilden sie sich em, ein Volk auf die Dauer heute beherrschen
zu können, das nichts von ihnen wissen will. Ihr gu^es Recht auf
Schleswig-Holstein, gut, weil die Holsteiner eben selbst mit, Deutsch-
land vereinigt sein wollen — denn auf den Willen der Völker kommt
es jetzt allein noch an — verscherzen sie [sich] nicht nur, weil sie die
Italiener beherrschen wollen, sondern auch, weil sie offen die Präten-
tion aussprechen, Dänemark erobern zu wollen.
Die Skandinavier werden sich vereinigen und mit Frankreich und
Russland gehen; und wir wollen sehen, wann Italien, die Südslawen
der Türkei und Österreichs, die Ungarn u.s.w. auf der einen, sowie
die Skandinavier, Holländer und Belgier auf der andern Seite mit
Frankreich und Russland gegen die deutsche Eroberungspolitik
kämpfen werden, was dann die Millionen „deutsche Schwerter", auf
die man pocht, ausrichten werden! Dazu wird es am Ende doch
kommen, Du wüst es sehen. Ich habe eine wahre Berserkerwut gegen
diese Schreihälse, die die WVit auffressen wollen und am Ende doch
nur Knödel fressen können. ' /
Du solltest sehen, wie hier alles lacht und singt und üi den Tod
hinein tanzt, weil es wieder gilt, für die Freiheit zu sterben. Aber
genug für heute! Wenn Du mir schreiben wirst, werde ich Du: noch
mehr sagen. * - —
cu^ii
=k^
*^*
*^^^
Franz^ösef I. (l830-19l6).
Nikolaus I. (1796-1855).
Wilhelm I. war I858-I86I Prinzregent von Preussen.
Hess "behielt stets die preussisohe Staatsangehörigkeit,
^/
( ) MosGS Hess an Friedrich Hormann Semmig
Paris, don 3. Mai / l859_7.
Nachdem der Hcih'ge Römische Kaiser das „Schvverf gezogen, um
sein „Eigentum" und die „Ordnung in Europa" zu verteidigen, hat
auch der unheilige und unsern Deutschen so unheimliche und unge-
mütliche Pariser ein entschiedenes Wort gesprochen. Man vergleiche
doch das österreichische Manifest mit dem französischen.'^ Das „An
meine Völker" übcrschricbcne zeigt schon durch seine Überschrift
seinen mittelalterlichen, asiatischen Charakter an. Wie modern klingt
dagegen das: „An das französische Volk!"
Ein deutscher Börsenjude, der natürlich österreichische Sympathien
hat, und in dessen Gegenwart ich den biblisch-asiatisch-schwülstig-
gottesgnädigcn Stil des östen-eichischen Manifestes verhölinte, glaubte
mich zu ärgern, indem er von dem französischen sagte: So spreche
man zu den „Faubourgcrn". Das ist ganz in der Ordnung.
Wenn aber andre Deutsche, die keine Börsenjuden sind, wenn
sogar deutsche Demokraten gegen den Kevolutionskrieg für das
reaktionäre österreichische oder „deutsche Schwert" Partei ergreifen,
so bedarf dies einer Erklärung; ich will sie Dir zu geben versuchen.
Es gibt zwei Gründe für diese Erscheinung: einen geschichtlichen
und einen anthropologischen. Ich muss den letztem vorherschicken,
weil er selbst dem erstem, geschichtlichen Grunde zur Basis dient.
Die Deutschen sind noch, wie die Juden, eine relativ unvermischte
Rasse, wenigstens den Franzosen gegenüber. Wie den Juden, selbst
den aufgeklärtesten, noch das Altertum im Blute steckt, so den Deut-
schen, selbst den revolutionärsten, noch das Mittelalter. Die moderne
Welt hat ihre anthropologische Grundlage m der Kreuzung der Ras-
sen, welche mit der Völkerwanderung begonnen hatte. Die modern-
sten, revolutionärsten Völker oder vielmehr Gesellschaften, die fran-
zösische und nordamerikanische, sind die am meisten gekreuzten
oder auch, wenn Du willst, gekreuzigten, die Erlösten und die
Erlöser.
Du lachst vielleicht über die Erlösungsfähigkcit der heutigen Fran-
zosen. Aber Du kennst ja das Sprichwort: Wer zuletzt lacht, lacht am
besten. Der Deutsche hat keinen modernen Patriotismus, wie der
Schweizer, Franzose und Engländer; sein Patriotismus ist ein reak-
tionärer Rassenfanatismus. Er vergisst, dass die anthropologische
Mission der Germanen als Rassenregeneratoren vorüber, dass jetzt
vielmehr an die unvermischt gebliebenen Germanen in Deutschland
die Reihe gekommen ist, durch diejenigen regeneriert zu werden, die
sie vor Zeiten verjüngt hatten. Die christlich-gennanische Barbarei
und il»: uchclci wird so lange dauern,' bis die Eroberungsgelüste, die
den Deutschen noch vom. Mittelalter her im Blute stecken, die aber
heute ein Anachronismus geworden sind, jene ohnmächtigen, geilen
Gelüste auf den Besitz von bereits zivilisierten Völkern, eine Koalition
der modernen Welt gegen sie selbst heraufbeschworen haben wird,
eine Koalition, an deren Spitze Frankreich für die romanische, Nord-
amerika für die germanische, und Russland für die slawische Zivilisa-
tion stehen werden.
Noch einen Augenblick ist es für Deutschland Zeit, auf friedlichem
Wege sich der Bewegung der modernen Völker anzuschliesscn, welche
sich friedlich und frei nebeneinander konstituieren wollen. Wenn
Deutschland, statt sich zum Schergen Österreichs zu machen, sich
um Preusscn reiht und diesen modernen Staat, statt ilm von seiner
Bahn abzulenken, in der Richtung unterstützt, die ihm von der Ge-
schichte angewiesen ist — wenn unsre Demokraten, die noch immer
Russland verdächtigen,' weil es einst reaktionär vernickelt war, sich
\
* Im Original die Uebersohrif t: "Briefe aus Frankreich von einigen
dort lebenden deijJBchen Demokraten, H /ess/ an S lemmlßj ", was
darauf schliessen lässt, dass sie beabsichtigten, ihre Korrespondenz
zu veröffentlichen, Semmig hat am I5. Mai I859 <ien Empfang des
Brisfes bestätigt,
"^^ Das österreichische Manifest erschien in der "Wiener Zeitung" vom
29. April 1859» das französische vom 3. Mai I859 erschien in deut-
scher Uebersetzung u,a, in der Augsburger "Allgemeinen Zeitung" vom
4, Mai 1859.
heute mit den Befreiern Italiens, mit Russland und Frankreicli ver-
bünden und Preussen unterstützen, in diese Allianz einzutreten —
dann würde Preussen an die Stelle Österreichs und seiner deutschen
Satelliten treten, Deutschland eine grosse moderne Macht werden,
und es würde keinem europäischen Volke einfallen, seine industrielle
und politische Entwicklung hemmen zu wollen.
Aber ich fürchte, dass der kurzsichtige Fanatismus des Germanen-
tums die Oberhand behält, dass man an die barbarische Gewalt des
„deutschen Schwertes" appelliert, und selbst in die Grube fällt, die
man den angeblich eroberungssüchtigen Nachbarn graben möchte.
Die durch die Erei^piisse in Italien veranlasste Auseinandersetzung
mit der Nationalitätenfrage bildet die Grundlage, auf der Hess seine
Schrift "Rom und Jerusalem" aufbaute, Hess hat dies sowohl im Titel
durch die Gegenüberstellung von Rom und Jerusalem als auch durch den
s
Untertitel ♦♦' Die letzte NationalitätEsfrage" mit grösster Deutlichkeit
zum Ausdruck gebracht. Dennoch ist die Wandlung, die sich in ihm vollzog,
nicht weniger durch Vorgänge bedingt gewesen, die sich unmittelbar auf
das Judentum bezogen.
Iless seihst hat neben der Erschütterung durch die Damaskus -Affäre ein
ganz persönliches Erlebnis als ausschlaggebenda für seinen Entschluss,.
sich für die nationale V/iedergeburt seines Volkes einzusetzen, genannt.
Als 1860 die Prau von Hess' Bruder Samuel starb, nahm sich deren Schv/ester,
Josephine Hirsch, der beiden kleinen Kinder an und heiratete später
Samuel Hess. Moses Hess war von dem Verhalten der Josephine Hirsch sehr
beeindruckt und widmete ihr ein Exemplar von "Rom und Jerusalem"
mit den V/orten: "Liebe Schv/ägerin! Gev/ähren Sie diesen Briefen, die durch
Ihre Geiuhle inspiriert wurden und an Ihr Verständnis gerichtet sind,
einen Platz in Ihrer üi^t'tdrYgt^-::^^ Bücherei."
"Rom und Jerusalem" ist ebensosehr ein persönliches Bekenntnis wie
ein politisches Manifest, das Hess' Weg vom Sozialismus zum Judentum und
zum Zionismus bezeugt. Die Schrift .besteht aus einem Vorwort, zv/ölf Briefen
an eine ungenannte Freundin, einem sechs Abschnitte umfassenden Epilog
und zehn Noten. Es folgen hier Auszüge aus den Briefen,
#
'^^hu ^'^^"('^^ 2if.^x i^d/&f.^^" i
^♦•/Das Buch wurde in Breslau unter Hess' persönlicher Aufsicht gedruckt
und erschien Mitte Juni 1862 bei Eduard Wengler, einem Buchhändler in
Leipzig, Obwohl es unter der Firma des letzteren veröffentlicht wurde,
war er de facto nicht der Verleger des Werkes, sondern nahm es nur in
Kommission,
■>^* "Vgl, Edmund Silberner: Moses Hess, Geschichte seines Lebens. Leiden
1966. S.402 f.
*^^ Vgl. Edmund Silberner a.a.O. S. 392 ff.
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i-^lV^/d/i^C Ersto>i liüEef:
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cJa |Tch' id) unttcr luicf) einer jiuünji9iäf;viivu C^;ntfrcmbun9
in hn- 03(ittc mcinco isoHcö unb nc(;mc 5lntl;ci( an [einen Srcm
b:n: imb ^iMucvfcficn, an [einen Gvinnevungeu nnb .^o[|nnnöen;
au [einen öci)li{icn i'länuM'cn im cioenen .^au[c unb mit bcn
(5ul(miH^!fcvn , in bcvcii Wm cä lebt, mit mclel;cn c3 ober,
tvctj cn^f^ iivcitanicnbjätu-iöcu BuftinunenlcbcuS unb (atvcbcnd,
nid;t cviiauifd? \)evn>ad;[en fann.
(5iu Gicbanlc, ben id; für immer in ber 23vujl crpicft
\\\ I;abcn ölanMc, (lel;t nnebcr lebenbijj oor mir: 5)cr öebanfc
an n\einc Tiationalität, nnjevirennlid) Ihmu GvMSnl meiner öater,
bem bcilij'^cn i'anbc unb ber euM^cn Stabt, bcr Öebuvtoilaltc
bc6 WlaubcnS Mi bic jottlidc Ginl)cit bco l'cbenö unb au bie
iulünfticje 23crln-ribcrun{j aller 53kn[d;cn.
Seit Svibven [d}on \wi^\c bicfcr lebenbicj öecjvabenc in bcr
v\'v[ddo[(encn 5.U-u|l unb iHn"(anf\tc einen ^(ußn^cg. 5)ed; mir
[ct;Ile bic Sdnininc^fraft juni Ueberganflc auu einer bcm Subeus
ibum [d;ciubar [o fern liej^onbcn V>Cihn, unc bic mcinigc mar,
ni jener nenen, bic mir in nebelhafter i^cvnc unb nur in alls
••^f meinen Umviffen VHn-id;meMc.
Cn'
^sil Co 3i:'-ll/ bvifj mit jctcv neuen O^id^tnng, bic mid; in
ihven 3^u^ciiici«? ilchi , ein unj^lfhllid^eö u^eiblid^cß 2Be[cn auf
meinem ^^el'env'.re{ic evfdieint unb mir bcn 0)^utl; unb bie Äraff
v3icbt, unbefan'utc i^almen ju burdnininbcrn?
C vAi falfd« fmb S^icjcnicjcn bcridjtet, meldte ben öius
fiuij ber 3v^iii^"'i ^'Uf bic Gntmirfelunö bc§ Subenibumö unb bcr
5uben i\evinij anid;lnöcu! — .^'^ci^t e5 bcd; v^on bcn fejjtcrcn:
£cv 3ittenvcinbcit ibrcr J^raucn hatten fic i(;re cvpc Cvlöfnng
ju iKvbantcn, unb mcvben fie and; iljvc leOtc Grlcfung ju Der«
banfen babcn. -J J^- ^-^
(iift ba id^ ^ic in 3bvem Sdnnerjc [ab, Cffnetc fid; meine
SBiuft, nnb Icid;t beb \\d) ber Saröbcrfel ihmi meinem cuts
fdilummcvtcn i'cltnjebanfcn , alo id; bic CucKc entbedte, qu8
nH'Id;cr ^hx (glaube an bic (S'uncjfcit bou Öcipco cntfprunöcn.
SThio in mir ben Gntfd^hij) jnr Dvcifc bvad;tc, für bic na«
ticnale SiMcbcvvjcbuvt meinet 51>oUcy aufintvctcn, ip ^\)x unenbs
Iii;cr Scclcnfduncrj über ben 2?evhi[} einer tbcurcn .r)inojefd;icbenen.
Solcbcr ?iebe, bic glcid; ber 93iuttcvlicbc auo bcm 23Iutc Pammt,
unb bcd; [o veiu unc ber ©ei)! G5oltc3 ift, einer [o nnbcßvcnjteu
J>ami(ienlicbc i]! nur ein jübifdieö .<berj fällig. Unb bie[c ^icbc
ift ber natürlid^c 23ovn jener intellcnualcn ^Mebc Öotteu, meld;e
nad; Spincja baö S;>M)\ic i|l, moju c3 bcr 0)ei|l übcrl;aupt
bringen fann. ^(U'? bcr umicvllcj^barcn £-neUc ber iübifd;cn
^amilicnlicbe ftamnicu bic (SrI5[er beS 0)icnfd;en3efd)(ed;t3.
„ITnrd; T'ui}" [ajit in feiner Sclbftoffenbarunc; bcr flütind;e
Oieniu^ ber iüti[d;cn i^amiHc, „mcrbcn alle Familien bcr (Srbc
ßc[eiPKt."
3cbcr oiibc bat ben (^to[i ,^n einem 9)iC||laö, jebc Sübln
bat bcn JU einer mal er d()]<n-osa in fid;.
\
. '■ ■■'.>!■
■ - i.;
-.;>
-^ 5 Zitiert nach der Erstausgabe! Rom und Jerusalem, die letzte
• Nationalitätsfrage. Von M, Hess. Leipzig: Eduard Wengler 1862. ^, //^?,
■^ ^ Im Talmud sowohl , wie im Midrasch, wird die iiJrlösung des jü-
dischen Volkes der Keuschheit der jüdischen Prauenk und der Treue
zugeschrieben, die keiner Verleugnung der Nationalität fähig.
[ M.H.]
^9
/»US dem Vierten }3ricf :
• • •
Auch die ^ohildeten dcut.'^chen Juden haben ihre ^iten
Gründe, r,ich von Jüdischen Nationalitätnbeßtrebun^en mit
"V/iderv;illen- abzuwenden. - Moin/liVber7aJ^rJ^re^^
^'(ucvl^u1^ ift cl\'n fo ciUruilct \\\\x mi(I>, umc m\\\ nltcr
^:3cvK\>n-, \\\\\\\ aiub aui> einer ßauj aubevu Uvfad;c, alö bcc
„rein incaia;Iicl;cu Tiatiir." Gr iuarf;t mir hixU SJonüfirfc über
meine il^caicl^uu-icn, unt» ruft [djücplid; nuö: „2Ber ^t 5)i(^
Ulm .Vn-wn unt> 9{id;ter über un5 cinflcfcut." ^ir 3)cr beutfrfjc
C>ui:e ifi meijcn tcö •ilju \?ou allen Seiten umQcbenbcn Subcus
I>aiic^' ftctö c^cnci(^t, alleS Subifdjc i^cn ud; abjuflreifeu unb feine
0^vc jn i>cvlcnf,^icn. kleine DJeform bei^ iribifc^>cn ÄnltuÖ i|l
. tcm ijclnlbeten bcnlfcf)en 3nbcn vatifal ßenng. ecUf bic Saufe
crloi"! if;n nicl)t oon bem 5npbvu(f bc5 bcnlfd)cn 3*ubcnl;affc8. ■", /
ITie £^cut|(f;cn haffen u>cniojcr bic Oiclio,ion bcr Subcn, aI8 il;re
O^ice, u^cuiijcr il;rcn eigcntl;ümlid;cn (Glauben, alö il;rc eigens-
tlnnnlid;en D'Jafen. — SBcbcr SU'form, uod; 2:aufc, irebcr 23iU
biniß, nod> Cmancipation cvfd;Iicpt ben beutfd;cn Si'bcn ooHj
IKinbic; bic ^"»fortcn be5 focialcn i'cbcn3. 8ic fud;cn bal;cr
ifirc ^Ibftammuncj ju ücvicußnen. — O)iolefd;o(t erjäf;!! in
.feinem „^Mv.v^iolefjiid^cn SH^jcnbud)" (p. 257) üon bem .
2c*I;nc cinciJ ö^'^^'^"f^<^" 3"bcn, ben mau 93U'»r<icn5 uid;t
i^cm S;m;\3cI »rcöbrinficn fonntc, u^cil er unablafilö bcmüljt
n^ar, mit bem stamme fein fraufcö .r-)aar in fd;Iid;teiJ ju
»cvuMubcIn. — ^(ber fo lucnig bic „vabifalc" Deform, vid^lig
fo (genannt, ivcil fic bic 5[yt an bic Sr^urjcl bc3 ^ubcn--
tlnim?, c^w feinen nationalen Ck'fd;td;tC>fuItuC IcijtC; fo loenig,
fagc ids tiefe Oteform il;veu ^\\Ki\ evveid;tC; fo U'eniij auc^
cneidjt '^c^^ Streben bcr 3»tcn nad; 51?cvlcnvinunvj if;rer ?lb:
pammunü fein ^\d. Sic jübifd;cn Duifen u>erben «id;t refors
n;irt, nnb bao fdy.oarjc, traufe iübifd;c .<baar ivirb burd; feine
3:ai!fc in blonbcö, bnrd; feinen .r^mm in fd;Iid;te5 rcDoantelt.
ü^ie jübiid;c 3iaec i)! eine nvfvnn\{ilid;e, bic \\k\) trolj Uimalifd;er
(Sinf.rin'c in i(;rer Ontc^vitat revrobncirt. 2er iribifd;c SypnJ
ift fuh im Vau;e bcr o^'l>vlM«»bevle peto i^Ieid» yeMieben.
Aus den Fünften Brief:
• o •
'i'or iU'<^»>j^'.^ 3*^bvcn, aliJ oon J'amaofuci anä eine abfurbc
!jintia:]C öc^ni oitbcn ^u uiiö C*^nvov\icvn (nTüber ßclraejcn, unb
ein cbr.i fo bittevcC' iric jv'i'cdwi'cvtißfco SdMuei'.^Aei'ribl in aiien
jüiifdu'n .Ocvjen Xi^i^ univbc \^h ber jiobbcit unb ?cid>ts";(äubiaj
feit bc5 afuitiidieu unb curopaifd^cn yöbelu, ber (;cutc unc feit
jivcitaufenb Sabveu icbec ^I^cvleumbuncj ein anuniitcy £)br Teilet,
fobalb fic öcflcn S^ben ijerid^tet ijl; bamalw, alö eß mir mitten
in meinen fociaIiilifd;cu 23cilrcbnn5cn jum evpen -^^lalc miebcr
red;t fd;mcViIid; inä öcbäcl^tniü junufe^cvnfen u^uvbc, "^ii^ id)
einem unglücflid^en, rcvicumbcten, ihmi aller Seit i^evlaffenen,
in allen 2änbevn jevprcutcn, aber nid;t öfi^^^btetcn 23olfc angcs
l;örc, bamalö fd;on l)attc id), obi\leid) id; bem Snt'cntl^nm bereite
fern flanb, meinen iübifd)-vatriotifdjen öefül;len 5hißbru(f Qcben
2±xM]ax
C 2. Mos. 11,14. - Auerbach machte mir dahei die Freude, den
Bibelvers in der Originalspraohe zu schreiben. Auerbach
leugnet nicht die Berechtigung meiner jüdischen Sympathien
als persönliche Stimmung, die auch ihm in neuerer Zeit
nicht fremd geblieben. Nur möchte er dieselben nicht
öffentlich ausgesprochen wissen, ^aa sei "brandstifterisch",
meint er.
/Moses Hess_y
p^
»vollen in einem erf;nievjcnof{f;rei, ber jebod; H\^ uncbcv in bcr
iivutl cvpicft u>prtcn i|l turd; beu ^xo^mx ei)\mn, bcn ba5
euvcpäifd^c ^volctaviat in mir cviüerftc.
^(uberc Golfer \)<iU\\ nur T*^vlei|1reitiijfcilcn; bic 2)cul[d;cn
fi^uncn fid; nud; bann nid;t oertraflen, u^enu fic ju einer uub
bcrfclbcn ^Partei öcI)ovcn. ?3Jcinc eignen Ckfinnunö^nnuMKn
(;akn mir bic beutidjen 53eilrelninßen i>cvlcibet nub im 5]in-aii8
h\t Gfil crti-aöUd} Qcmadjt, \)aii cr|l einiflc Safere [pv'xtcr, in
iiolöc beß 8iciiCo bcr SUaftion, au8 einem frciiindiaen in ein
un[rciu>illiQc3 rcvuninbcU ircvben foUtc. — ed;i>u furjc 3cit
nad; ber Scln-navvcoohiticn ßing id; nad; ^ranfreid;. -i^icr lernte
id) baß 33o(f näf^er fonnen, u\'ld;eö in unfcrm Sa^jvlMinbcrt bcc
SlUnfampfer aller [ocialcn iüeilrchm^en iil. 51Benn biefcö 58olf
firf; (;eulc ber eifcrnen Tiftatur bcß i\aii'cvtf>umß untcninrft, \o
öcfd;icl;t cß bod; nur fo lan^c, alö bcr itaiicr feinem xmlw-
tionaven Urün-ungc nid;t nur in' $ii>orlen treu Meibt. !Daö
v^aiievtl;nm i]! i>cvIorcn rcn bem VlnacnMicfc an, u>o bie bi^na*
|iifd;en Sntcrcfien mit ben iöc|lrchinflen be3 franjCfifdjcn JüolfcJ
in Gonpict öerat(;cn u^erben.
OKid; bem Stv\atC>ilreid; iog id; mid; ycn bcr ']>olitif jurücf
uub unbmcte mid; aui:'id;licülid; ben O^ituruMiKnfdMftcn. —
CT cm-n\ltc ivS^u n ötf vjcli a ^ttr^^^^lT1H^^j:l.-3^n^-V'teV^lt^L^
* 0-
Aus dem Sechsten Brief:
• • o
— S3iö ie(jt aber, lietc ^^rcunbin, ijl
im cccibcntalcu 3»bentf)um, nur n^oHen uuß feine Säufdjuuö
barübcr nu-:d;cn, baJ bürrc -öolj einer cI>er[Iäd}ndKU ^lufflärung
ncd; üKn-iricc;cnb. 2)ic meijlen beutfdjcn 3u^f« fdjämcn fid;
\Ki} ibrcr Oieli^ion unb ?lDilammung, fctvilb fic mit bcr curos
;.v.i[d;eu iBilbung in 53crüfjrung Qefommcn fmb. S)ic 2)cut[cl;en
I;abcn unß fo lange unb fo gnlnblid; bemonPrirt, tci^ unfrc
^Tuitionalität ein .^iubernip für unfrc „iunevlidjc" (Smanjipation
fei, bajj nnr am Önbc felb|l baran glaubten unb allcß aufboten,
unö burd; ^Verleugnung unfver ?[lMlammung bcö Monbeu öcrs
mancntlnimö un'ivbig ju jCigcn. Zcd) abgcfel;cn oon bcn oor«
trcfflicf^cn Oicd;ncnmciilern, bic i[;r 3"bcntl)um für eine Staatßs
ficllc r^crbanbcltcn, hatten alle unfrc jübifdjcn öcrmanomancn
ful; fd;mal;lid) ocrvedmet. Gß balf ?}ki>crl>ccr uidjiß, bap er
c6 pciß ängfilid; ücrmieb, einen iübifd;cn ©tojf alß Cper ju
bcbanbeln; er entging bavum bem bcntfdjcn 3»bcnl)a^ nidjt.
2)ic gute ^(ugoburgcr 5Ulgcmeinc eruHiI;nt feiten feinen O'iamen,
olmc in ^\"iranll)cfc beizufügen: CSigcntlid; 3*uob ?3]ei}cr 5?ippmann
23ccr! — ?lud) bem beutfd;cn "Patrioten ^öruc bicntc cß ju
!nid;tß, ba[} er feinen ^Familiennamen 23arud; umtaufen licp.
(5r g'cftebt e6 fdbft: „3o oft meine öegncr nm Sporne fd;citeru",
fagt er irgcubn^o in feinen 3du-iften, ,;\vcvfcu fic i(;ren '^lotl)-
anfer 53arud) auß." ~ 3d; fclbp t;abc eß nid;t nur bei Weg--
nevn, fontem bei meinen eigenen öcfinnungi^gcnoffcn evfal)ven,
ba(j fic in icbem pevfiMtlid^cn Streite von biefer .Oc^Moaifc ÖC:
braud; mad;tcn, bic in S^'eutiddaub feiten ibrc *ii'irruug i^crfcMt.
!3vb l)i\hc mir oovgenommen, ihnen bic bc^iuemc "ii^anc nod)
bc.racmcr ju mad;:n, inbem U\^ fcvtan meinen alKeftamentavifdjcu
%y:.\i:\\ O^h^feß aboptiren UH'vbe, unb bobauvc nur, bat) wi)
niibt ^s^\\\ bcific.
\
>^^
n
Ana dem Siebenten Brief:
• • o
^)U\\ cnvcifi übvi.^cuö bcr Dicform eine uni^cvbicntc Q\)u,
ircnu man fic alö freie öcipcörii^ituno im r;iM;em Sinne bc*
scid;nct. 3u uccjatiücr 33ciicf;ung mag W vationaIipifd;c SXxHif
immerhin alö freie 9^id;lung Oejeicimet jrerten, ta V\c SIcgaliou
tcö ^(bcjcletteu ber erfle Bd^xln jur Freiheit i|}. ®ie pcfitioc '
Tucitunt aber ijl autoncmiitI;e Cnnricriung, unb bic vntionaliilifclje
Dicfcrm, u^ercl;c baö SBefen beß Swbent()uma, feine S^^lionalitat
rcrleußuet; fann nicf)t fcfjöpferifcf;, basier amf; nicl)t frei im l;ö* .
bern einnc fein. ^Baß fic für bie ncgatiuc Mritif beß ^Ibflc
fiorbcucn gcleiilet \)at, i|l jnbem bluhrcnig. 5)aü 93?ei|le babeii
irir in biefer !öejicr;unfl, umc 8ic ricfjtig bemerken, ben Ser*
^ältniiTcn einer rcDchilionaren Seit ju oevbanfcn, für u>erd;c bie
na(l>iü^ernben DUitionaIi]len; bie \ui) r;oii;trabcnb Dkformatorcu
nennen, im S»tcnt(;um, unc im (S(;rii1en{[;um, \\\d)t mwnUmU
lief; ßcmadjt u^erben ti^nncn. — 2)ic fluö ber J)Icüorutiün r;cr:
Dorseöanßenc moternc C)efel(ic()aft i|l eine vegcnerirte, •u>cM;c ficf;
Qutonomifi-f) öcilaltet; fic reformirt unb [lirft md)t m yuten
^crum, fcnbcrn fic f(l;an't 9Ieue3. 3eber ^(fjöpfnna aber ließt
(3t\mi in OJrunbe; oni '•iMjli »rirb nicf;t3 öc|rf;flncn. — 3}eu
Sufünftiücn foyalon Sd^^pinn^en liegt baö national ;I)umanltäre.
©cfen ber jübiid;cn (yefrfn'djtC'religion aU Mm ju örunbe. '
eo [angc bie 'oubcn bicfc^J Bcfen ber Sleujeit, \v(UUi> oon ^rnfang
an i(}r eißneö Srscfcn n\ir, i>crfannten, nntrben fic unfreinM'ffig m\
ber Stri^nnnuj ber mobernen Wcfibiri^le nnt forlgeriijcn. Gß
bcburfie baju feiner raliiMialifiifibcn Otcfmin, UM'e bieienigen Vaiu
ber am bcnrlidiilen geigen, in me(cI,Kn, mie bei nnß am .3fi^cin
unb in Jranfveirf;, bie mobernc Stn^mung am gtärfjlcn, bie
religii^t':ralipnali|n[ii;e Dkform aber faj^ gar nid;t jum.2)ur^f
bruc^ gcfommen ifl. .<bier unirbc baß ^t>:c[{ unfrer SUformato»
ren, ber religiöfc 3»^iiicrf»n5muß/ el;nc ^Reformatoren erreid;t.
£ic Drtl;obojric felbfl nnirbc übrigenß im ganjen mobcrncn
Gnropa oI;nc alle 3Rcform in bie (Strömung mit I;inein geriffcn;
benn ber bei 2iOcitcm gröjjte unb undjtigfle 3:^ei( beS DkbbiniS« •
muß, (eine ^urißbiction, ging in ber moberneu Strömung unter,
cl;nc ba{3 ein orlI;oborer ober roman{iid;cr .^al^n barnad; frä{;te.
2*ie Tieform W uid;tß n^citer gcll;an, atß blc an \\d) bobcnicfe
Negation 3um ^"irinjip evI;oben ober, umc gcfagt, beu Unglauben
(ouilatirt. — 03^lu !önntc \{)X bicfcn 9iul;m laffcn, u^enn fie
fid;'uid;t babei bie 53?ienc gegeben I;ättc, aud) ein ^Vfitiocß ia
])ctto iU babcn, u^cun fic nid;t, bie d;rirtlid;en JHcformatoren
einer frül;ern 3cit uad;ancnb, bt: 23ibe(, im öegenfatjc junt
2:atmub, alß pofitioc Olcrm für baß regeuerirtc 3ubcutf;um auf«
gcficKt, unb burd) biefen 5lnad)ronißmuß, ber obenbrcin ein ^la*
giat frembcr öciilcßbeftrebungen ift, mit iveld;en baßSutcnt^um
nid;lu anzufangen m\% fid; lädjerlid; gcmad;t r;attc. — ^t^^
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AuG don Neunten Brief:
• 9 •
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unfrc ö^njc I;culiQc I;umaiiitävc !i?ct^cu5anfif;ammö I;crooröcivad;fcn.
G5 iil ni(f;t3 in bcr (I)vip(i(f;cn eiücnlcr;rc, ni(f;(3 in bcr frf;o.
lartiiM;cn ^n;i(o[ovlnc bcö ?3iittclaltcrö'), ni(f;t8 in bcr mcbcrncn
^M;ilantf;ropic unb, u^cnu irf; bic fct^tc fO^anifcjlatlou bcß Subcn«
li)um?, bcu e^MuciiSmu?, I;injuncl;inc, aud; nid;tö in bcr mos
bcrncn ^n;iIo|cp[;ic, »vao iüd;t im 3iibcntf;um unirjcac. ITaff
iübi|d;c S3oIf ijl tnS jur fraiijöfifdjcn Olcüplution boö cinjigc
53oIf bcr iöclt ocirc[cn, ivc(d;cu juülcid) einen nationalen unb
(nimanitärcn Cultu« r;al(c. 5)urd; baö 3ubcntl;um i(l bic ©e--
[d;id;tc tcr D3^fn|d;I>cit eine I;ciliöc Öcfdjid;rc öcirovbcn, id; meine
ein cinl)cit(id;cv; ovjjaniidjcr (Sntuncflunöin^ri^jcij, bcr, mit bcr'
Samilicniictc kQinncnb, nid;t c^er i^cKenbet i|l, Hfl bic ganjc
??kni'd)I;cit eine einji(jc ^mük fein nnvb, beren öliebcr ebenfo
folibarifd) buvd; ben \)c\{uy\\ C^}i\\^, ben fd;CH^fcnid;en C3eniuÖ bec
(ycfd;id;le, 'ocrhtnbcn [ein U'evbcn, uüc bic üev|vl;icbcnfn Drgane
eineö lelH'nbiöcu ^'örpcro ci? mHul]i einer etenfo (^eiliöcn, fd;ös
;>icviid;eu ?ialuvfra[t pnb. — So lan^jc nod; fein anbrew 23olf,
alil bav ifibifd^e, tiefen national: himanitüren öcfd;id;tccultufl
fjatlc, UHuen bic Snbcn allein ba? 53olf öotteC». 3cit ber
(\v0j3en Sie'oclution , u^eld;c i>ou 3ri»>^fi"f'i1) auC-oing, ^)üUn loir
im fvaniöilfd;en 5I>olfe, fonnc in benjcnifleu S3ölfern, bic fid; bcr
frau^öfifd^en D^^tion anfd>licf;en, eblc Hli-^afcn linb treue SunbcJ^
iiciicfion {\c\ronncn. ■4W^-4'ei>Hd;Ht7ftv^Tir-^7iic biciefOWcr
üKT-t-i c lüiitelaliat iif^ :)ieanion u\'rbcirbT(r^"mTTvnTrtiTtOl^jlrc&w;
*-»
» «^
.■\ Aus den Zehnten Brief:
• • •
i\3ir Siii'cn I;abcn feit bcm
^fan^c bcr Q3cfd;id;tc ben (yiaut^eu an bic meffiauifdjc 23elts
e^^cd;c ftcto mit un5 I;critm (jctvaöen. Gr ij! in unfevm ©c«
fd;id;tocul{u' turd; bic 3abba tl;fcier au6{5efprod;en. 3n bcr
SaM\itl;icier if: bcr G3ebanfc revti^vpei-t, ber unS ftetö befcclte,
bcröcbanfe, baij bic3uf»nft uno ebenfo Qeunji einen (ycfd;id;t8s
faHnitl) tn-in>3cn u\Tbc, unc bic Sl?evQanöcnl;eit un3 ben 9Za«
turfaMsill^ c^d'wAjt, ^4 bic Öcfdud^te, unc bic 5Ratur, il;rc
(^■\\\i)C tcr I;armoni|d;en 23ollenbunij \)([hc\\ irerbc. 5)ic biMifd;c
ed;ö;n;inu3-:{jc!d;id;tc \\\ nnr u\\3en bCu £aH^atl;5 öCöcben u>orbcn.
Sic faot uiiö: alc» bic 3d>"piu»ö ber natüvlidjeu ^i^elt mit fener
be5 l;öd;r:cn cr3a:u!d;cn $i>5cfenj ber (Svbc, mit bcm 0}icnfd;en,
Dollcnbc't ivar, nub bcr 8d;opfcr feinen D^^turfaMuitl; feierte, ba
cvil fiuQcn tic a-JcvitaüC bcr öefd;id;tc an, ba evil U'üann bic
3d;öpfur,üC-Ac'.:ii;tc tcr fojialen ^l^clt, ircld;c il;rcn eabbatl;
uavi> bcr ^^>:;:::::u:'.3 bcr ßau'jcn u\it3Cid;id;t!id;cn '.Hvbcit, in
bcr mc|fiar.i'*dcn C?cItcpod;c feiern nnvb. — y)kx l)c\U\\ ^k
tic IhM;c i\:: ■.*.:■.•.'.'. 3 tcr mqaiid;cn O.U'ncfnJ, in UHld;cr bornirtc
r r
■1 ^
.' , 1
75
/Inmcrfiung.
*) S)^un! ^Ckt bcn Sinilu^ ^(ciccbrond auf bic ©(^olafliftc Uxtxii
in feinen Melanies de philosophic juivc et arabe (5)arl4 1859. p.
291—301) nac^äfjiücfcn. Set Mckor Chnjim (fons vitac) beJ ©alo»
mon h. Secuta 3bn.©'eMrol (^Ivicebron) »iirbt um ble 5Kitte b(« 12.
3a^t^unbirtJ con 2)omiiuruC Q5unbi|ali^l mit .£)filfc clnefl getauften Su»
ben, Sodann ^[?cnbeat^, tntf Saccinif(^e überfc^^t, uub fpicite oon ba an
in ben ^treltlgfcilcn jjvifd)cn beu S^omiptn unb ©cotlflen eine nldjt
unbcbcuteube J^otle. Sclb|] öiorbano ©runo ^at noc^ bcn fons vitao
bcfl jCbifc^en ^^ilofop^cu 5Ivicebrcn ju JHal^e flfjoßen. — Sei SBeitcm
einflupreit^cr aber, aU Stoicebron, ber 9ieupIatoniftr, war auf bie fc^ola»
fti\S)t 5)^ifofop^ie Slabbi 2J?ofciJ b. aJ?aimon(2)Uimombeö), beffen Morc,
tote Dr. 2J?. 3ocl, 9e|;rcr dm SrcMaucr ©eminnr, jum S^cil fc^on
na(^(jtiriefen ^al, jum Z^cil no6) auflfü^rli<^cr. nac^juujeifen oerfpcic^t,
5IIberlu3 IKagnuö unb S^omaJ »on 5lquino rei^Iic^ aui^gcbeutet ^abcn.
— ^laä) 3ocI erprccft ^6) bet Ginflup ber Sülaimunifc^cu ^^ilofop^ie
Ut auf ßcibni^, ber, »ie gouc^er be Garcil !ürili(^ au^ na^ge»
tolefeu ^al, ein Peiniger Cefer unb Scrc^rer beö More Nclmchim »ar.
— „€clbp in Äanl'd SRcIißionflp^iloiop^ie", faßt Dr. 3ocI, „wirb und
biöaeilen ber ©cifl bei 2J?aimonit'ed eiUgeäenwe^cn." (IQgi. granfef»
SRonatfc^rift für ®cf(^i(^tc unb SBiffenft^aft befl Subent^umd, Sa^rgang
1860, p.-' 205-217. Q^xii^, ©efc^ic^te ber 3uben, JBb. 6. p. 31—49
unb p. 377.) „.'•..• .'.. . .
• 0^
^^'C
Supcrnaturiiliilcu D^^tuvuniicnfifuift jlubivcu. — Sic eic fc^en,
ücrc[n-tc gicunbln, gibt unö fd;pn bav 6obKUl>3cfflj bic Öwißs
I;clt üou bcm in fccr 5^itur unb G5cf(f)i(f)tc ivaltcnbcn, cinmüs
tl;iöcu ujib cUMQcn C3ottcß3c[cUc. — 3Rur S)cncn, Jrclif;c bic
CncnlMruiu3CJi bcö rcli^jü^fcn GJcnicö bcr Subcii ju(I)t bciveifcn,
cr[ii;cint bic ö'-'lit)ii1)tlül)c GnluMcfluuu bcr 9}?cnf(f;I;cit al3 ein
öcfculofcr, uubcpimmtcr, uncnbli(l;cr „5ovtfd;ri(t", im (yccjcufaUc
ium Ü^aluvlcbcn, UH'Ki}c5, iucil cd feine Gntnucr(nnaoöci({;icI;tc
i>oIIcnbct I;at, al3 al^örfiNof[cncr ^trciölauf cr|d;cint, bcfjcn ©e^
fcljc bcrcd)cnl\u fmb. Sic I^cgrcifcn, bnjj bicfc fcfjcinbare 2)ijfc-.
vcnj suMf(I;cn bcn öcfc|jcn bcr D^^tur unb jenen bcr CJcfd^icI^tc
nur baS 9ic[ii(tat einer fubjcftjücn ^lunaffuna i|l, u>eld;c fi(^
nirf;t jum ö^'^^pf»/ ö^^t^lif^^ni S\>cltv3cfe(;'c cvf;e^en fnnn. — ©p
\rcnig in ber %\)^\ bic 3vcir^cit beö fcf)i"pffvifrf;cn 2Befenö bet
C3c[(IücI;tc öcfcl^Iefc ilUKfür, cteiifo ircnicj ijl bcr Sovt|X'ritt bc3«
feiten ein uuenbU(l;er,
' /
' I ^ ;
V
Aua dem Zv/ölften Br.ief:
• • •
2)ic 3ubcn r;al)cn, tvot^ mifjocvilanbcuer ^riiflKIvunfl unb
Cvtf;öbyie, \\\ Hcl bon se-ns, um fid; vcliijiöfcn Sifjunirmercien
aniufiMicücU; bic feinen Jöotcn in ber Wcßcniravt I;abcn. ?H>cr
öcrabc bicfcr rca(iftiid;c Sinn, bcn unfcre 3?ace in fo \)^\)i\\\
Ojrabe kfitjt, unvb unfre ^ikiibcr, bic nocf; ein jfibif(l;ci^ .^erj
I;aOcn, ijlcifl;üicl i>l> aufoetläit o^cr oitbcbor, lif;liciilii0 für na:
tionale 53cilvel)nuöcu jicivinncn, bic fuf; nur auf bem i>va(tifif;cn
<5otcn bcv iOivUiii;loit luMvcöcn.
> ' '■ (^ i."
;
5^ic Ginnnn-fc bcv aufcjenävton 3"^f» flCG^» ^»"^ SBicbcr*
I;crilcl(unij bci3 jübifdjcu 5){eirf>^ baben i[;vcu (c|jtcn GJvunb nid)t
in jener öciileß: unb .r)cvionötnIbunQ, u^f(d;c nie üor ben €d}n>ies
vigfcitcn cinco övofjcn SOevfCü \\\\\\<X bebt, nie im 53c>vaufl bic
Cpfcr bercd;net, bic jur S^urd^iühuni^ beffelben evl;cifd)t n^erben
flennten, fonbcvn in einer movalifd;en unb inteKefluencn 53ürnirt:
I;cit, ivcld;e uufäl;icj ip, fid; auf einen I;oI;en I;umancu Stanb--
punft \\\ erl;cbcn, iH>n ivcld)em auö ei|l bic öanjc cyrcpe bc3
Uncjlücfü, bem abcjcf)oIfen u^crbcn foK, fo umc bic 9)^ittel jur
beftnitiiH'n 5lbl;ülfe, übcvfd;aut u^crbcn f^nnen. -• 2)ic jübifc^c
OUIiflion iil ivivflid; feit ju^eitviufenb S^iI^veU; n>ic fd;ün .^cinc
unb mit ibm alle Qcbilbctcn. jriDi|d;cn BcitG^^'^MK" ri(I)tiü öcfül^lt
Ijabcn, mcl;r ncd» ein Unoliuf, a(3 eine aicli^ion öf^^'^N»
Tiur fann man bicfcm Un^jiruf nid;t, mic fuf; bic OJebilbcten
eiuveben nuVttcn , tuvd; ^(ufflävung ober burd; laufen ent^
flicl)en. 3eber5ubc i]!, er ma*'^ c3 uh^^Hcu otcr nid;t, folibarifv^
mit feiner ßanscn D'Jaticn üevbunben, unb ev)! ivann \:q^^ jiibifd;c
$13oIf i^on ber Jaft befreit fein iinrb, bic cS 3al;vtaufcnbc mit
I,un-oiid;cm CpfcvmutI; auf feinem acbcuQtcn D^acfen fletravßen
\)s\{, UMvb fic and; oon ben Sd;uUevn jener ^[ufüellavteu öcnom«
men fein, bic pet^ nur eine ücvfduinnbenb Heine 03^inberja^l •
bilben u^evbcn. — Sir ^IKc I;aben bad c^jr:? *t.:M: b'i;''n'Tid £" -^^''M-< .i^mniifirn'dKj^
ium CSnbc \\\ traQcn. : ., "■'
Xk jiUii(f)c S3olfi^ma[|c u>irb firf; an bcr flvcpcn öc[rf)i(()tli((;cn
i^circcjung bcr motcrucn Wcnfd;I;cit cv|T bann ktl;ciliöcn, mm
fic ein iütii(I;cö Jöatcvlanb reiben »uirb. ©o laußc aber bic
93?a|Tc t)cr Ritten in il^rcr 5ai^^ua^>mcpcUunö ücrr;avvt, »vcrbcn
aud) bic vclatiü u^cnicjcu Subcn, bie \)cvöcbcnö allcö aufbieten,
um bicfcr fal[d;cn etellunQ bc3 ifjMfc(;en SSolfcö inbiüibucÜ ju
cntilicr;cn, u^cit [dimerjlid^cr üon bcvfclben Ux\[\)xl fein, ald bie
03iaiie, bic fid; nur un(j(ficflid;; aber nid;t cnlcl;rt ffi^It. —
iral;er fann fid; bcr 3iibc, öIcid;Diel ob orll;obo; cbcr nid;t,
bcr ^lufflabc nidjt eut3icl;en, für bic (5rr;cbun9 bcö Öefammt»
iubenll;um3 mitjuun'rfen. — Scber Sube, fclb(l bcr (jctauftf,
fjaftet foliliavifd; für bic SBiebcrflcbuvt Söracld.
S^cötcift man etil lic uncnblid; traöifd;c t>M\t, )ueld;c ba«
ifibifd;c Solf biö I;cutc in bcr Wcfd;i(^'ec fpiclt, bann crfcnnt
man aud; baö einji^c Müd jur bcjuntiocn 5lbr;u(fc unfvc*
GIcnbö. Siicfcö OJIittel i|l I;culc nidjt \o nnauöjfil^vbar, 'jüic eö
auf bcn cvficn iJdcf evfd;cinen maß. G3 liecjt fiMroI;l in bcn
(2i,MupalI;iccu bc5 fvanjoil[d;cu 53oIfc3, mic im 3'ntcvcffc ber fran*
ji^fifdicn-^politif, baji ^ranfrcid; fein (£iii^funß(?n>evf aud; auf bic
jruifd^c 91alion anobcl;nc, uod/cem feine f»ei3rcid;eu .^eevc bic
mobcvnen SlebiuKitncsar ww tcx .poI;e bcxcih ijcilüvit I;aben, auf
U'cld^er fic übcvmüllnae 5)efretc unb WU'iU (\e3en bic untcvbvfufr
tcn Q]ölfer cvlaffcn l'onutcn. — (S'ö mn[) ^ranfi'cid; baran fioöcn,
bic Stvafjc nad; o»bieu unb Cilnna von i^^Ilern befolgt ju fcl)cn,
bic ibm biy in bcn iob fofocn, um bic v3c[dMd;tlid>e ?luh>U>c ju"
cvfüKcn, bic il;m feit feiner {jvofjcn 3(eüohilion jUi^efaKcn i|l.
'ßcld;cy 53olf aber eii^nctc \\d) incbv b»iju, al3 baö jübifd^e, 'OkW
üom Söcöinnc bcr Öcfc^Md;tc an iu bcrfclbcn 3)iif(lou benimmt
U'ar? —
- 3m OJecjenfatjc jur Crtf;obo;:ic,
ircld;c nid;t ycn aupeu jcrpört U'cvben fann, oI;ne bcn Cmbroo
bcr iübifdjcn SRatimalitüt, bcr unter il;r fd;(ummcrt, ju öcfal;rs
bcn, fann bcr I;avlc ^Xiuicr, bcr nod; bic .^crjcn unfrcr mobcr=
neu CSuItuviubeu umgibt, nur buvd; einen öcuMlti(jcn Sto^ \>on
aufjcn jcrtnunmevt ivcrbcn, bcn bic 2BcU"jerI;a(lninc üielleid;t •
fd}ou in naf;cr 3ii^">M't auü^uübcn berufen fmb. — 5)a3
üon bcn Stürmen bcr Okochition fd;ün fo oft bcfd;äbiatc unb
immer uncbcr rc(]auvirtc a(tc Öcn;|lc ber curopaifd^en ÖcfeUfdjaft
frad;t unl) fcuf^t an aKcn Gcfcn unb Guben; cö I;ä(t feinen
8turm mer;r auß. — ^cnc 3UM|d;eu bcr Dicüoluticu unb dUaU
lion ilcbenbcn ?3^itlchvefen, u^e(d;c baju bcilimmt finb, bic mo»
bcrnc öcfcllfcljaft 9vc{} ju jic^^cn unb, uad;bcm fic crilavft ip,
\>\.^\\ \\)X, unc bic Sforpionmuttcr \>en ibrcn SiniQcn, iicrfdjiuns
Qcn iu UH^rbcn — jene Timmen bcö ^ortfdjrittiJ, iücld;c
bcm ed;i^vf^^r {<^M 5üeiM;cit, ?)^'i[ii{junö unb gparfamfcit ^^rc»
bi^cn, bamit er fid} in feineu £d;iHM'ii»i><^" "^^1)' übcrpürjc -—
jene 3;vaöcr bcr GiiÜur, jene Oictter bcr (i3cfel(fdnM*t »»^ ^^^'
UHiIlcr bcr Gpavfaifcn: bic Spcfuianton in 'politif, in Oveliüion,
in *p(;iK^forHe unb in $3nbupvie, fic überleben bcn letzten vcturm
nid;t. — %H bcn übviocu Timmen bci> 'öcvtlif^vitti locibcn aud;
^^t
unfrc ifiMfrficu D^cfovmatovcu ilu" c^^I;cmcvcö 2)a[cln bc[(I)lic^cn. —
SnQCc\cn irivb iiacl» fccv lc;:«tcu Ma(a(lropI;e, bereu .<3erannal;cn
fid; tiird) iiiUiüöIldic 3cirf;cn tfv 3nt anfünbigt, mit bcn anbern
öefd;ic{;türölfcru nud; bad jiibifdjc 23cl{ [eine 9?cd)lc luicbcr in
5(nfprud; ncljmen bürfcn. . ■^-
©cbnirc i'cr Jaflc bcr Urjeit — ^ ....
Gnoäßct Mc %^\)\t bcr SD^tnfdicngcfddct^tct — ;
üBcfr^igc Seinen 33atcr, er Jrirb cö ©ir foflen, . •
rciiic 5Utcn, [Ic wcrben'ö IDIr bcfunbcn:
5114 bcr .£)?d)flc bcn S351fcrn i[;r Grbl^ciJ juwicf,
5lld er bif 3J?cn[d)cnIinDcr fonbertf, ^ , . '
Oronctc er bic ©rcnjcn bcr Stämme
9iQ(^ bcr 3al;I bcr Ainber Sörael».
SSie nnd) bcr tetjtcn Äataflrcpl;c bcß oroönifdjcn Ccben«,
ölö bic cjc[d;id;tlid;cn JHaccn jur SBcIt famcn, mit i^ncii olcid)«
jcitia flud; bic etammc il;rc StcKuna »nb DU^Uc fluöcimefcn
bcfamcn, fo unrb nad; bcr letzten Äataflrop^e bcd foiiaUn
l?cbcn3; nad;bcm bcr ÖJcifl bcr öcid;id)tlidjcn- Sßölfcr jur IRcife
öclanat ifr, unfcr SSolf ivicbcr i^IcidjiCitia mit bcn anbcm ®cs
[d;id;töoölfcru feinen ^Ia|j in bor aBcItßc[d;id;te einnehmen.
^'
t
5. Moses 32. ?•
J /
Noch während der TTiederschrif t von "Rom und Jerusalem" sandte Hess
die fertig2:est9llten Teile an seine engsten l^ounde. Mit Ungeduld
erwartete er deren Reaktion, die fast ausnahmslos negativ war. Am
schmerzlichsten traf ihn die Antwort seines alten Freundes Auerbach,
) Berthold Auerbach an Moses Hess
Berlin, den 8. Ajvril I86I.
Ihr seid doch wunderliche Heilige, ihr Weltreformatoren, ihr gebt
die Stadien der Entwicklungen eurer Persönlichkeit und der momen-
tanen Betrachtnahme sehr leicht für Entwicklungsstufen des Zeit-
und Weltlebens aus. Von einem grossen Dichter wie Goethe kann man
das gelten lassen, er selber ist seine Welt im vollen Austragen seiner
Subjektivität - aber die gegebene Welt nach Stimmungswandlungen
modeln wollen, das geht über die Grenzen des an sich berechtigten
subjektiven Gedankens.
Das, lieber Hess, ist der Eindruck Deines -mir zugeschickten Manu-
skriptes^nachdem ich es bis zur Hälfte durchgelesen.
Du bist nach vielfachen weiten Weltfahrten wesentlich stimmungs-
haft zu einem eignen Begriff des nationalen Judentums zurückgekehrt.
Gut, das ist subjektiv und nach Deiner Besonderheit eigentümlich
berechtigt, ja an sich psychologisch-poetisch wahr - das Normgültige
für andere, für den Wcitlauf überhaupt aber fehlt.
Ich sehe davon ab, dass Deine Betrachtnahmen und Beweisführun-
gen eben jetzt sehr missgriffen werden müssen, und dass ich in keiner
Weise zu deren Förderung beitragen könnte und möchte — mein
Hauptargument ist, dass Du in subjektiver Anmutung eines Heim-
gekehrten etwas Ungezeitigtes zutage fördern willst.
„In der kurzen Zeit, während deren ich mich wieder mit dem
Judentum befasse**, heisst es im 6. Briefe Deines Manuskripts — und
Du willst doch wahrhaft brandstiftcrisch (ich finde kein anderes
Wort) in ein Gebiet eingreifen, wo andere Jahrzehnte, ja ihr ganzes
Leben alle ihre Kraft 2:um Aufbau, zur Anordnung etc. aufgewandt > >
haben *? „Wer hat Dich gesetzt zum Meister und Richter über uns?"K, ^ ^
Wenn das auch ein in ägyptische Sklaverei Versunkener sagt, es gilt
doch hier.
Und dass Du grade mich zur Vermittlung angehsti Ich bin ja, ich
bekenne es gern (obgleich Du das lächerlich oder schimpflich finden
magst) ein germanischer Jude, ein Deutscher, so gut als es glaub' ich
einen gibt, wenigstens möchte ich es mit dem ganzen Einsätze meiner
Lebenskraft betätigen. -- Es ist nicht umsonst, dass man von Vater-
land und Muttersprache spricht. Es gibt eine Heimat des Geistes
durch die Sprache und das ganze geschichtliche Seelenleben, die die
innigst angebome ist.
Ich kann Dir nicht weiter ausführlich schreiben, aber ich möchte
Dich beschwören, die Herausgabe dieser Schrift, die nach meiner
Überzeugung, im besten Falle nur ein Kuriosum sein wird, ganz oder
wenigstens noch geraume Zeit zurückzuhalten. Es täte mir auch für
Dich persönlich wehe, wenn Dein Wiederauftreten in der Heimat ein
verkehrtes und unheilbringendes wäre, denn ich bin Dein alter Freund
Berthoud Auerbach.
^*
m
ITaoh einer Abschrift von Hess» Hand. Die Abschrift bildet den
ersten Teil des Briefes, den Hess am 25. ITovember 1862 an Auerbach
Edmund Silberner,.,
richtete. Der Herausgeber des Hessischen Briefwechsels, fand diesen
Brief Imter den ^feRff^o ^n e t e i^ Bri -f»ff»ii Auerbachs im Schiller-National-
museum in Marbach,
Vgl. fia^öit diesenvSatz: "Rdm imd Jerusalem", 4. Brief. S. I4 u. 21. /
^^^ 2, Mos. II, 14 (in Zunz« Uebersetzung) , Auerbach schrieb den Bibel- ■
vers hebräisch, /
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Die VerGtändnißloGi^keit, die aus diesen Zeilen sprach, wirkte auf
Hess so deprimierend, dass er erst nach eineinhalb Jahren antwortete.
( ) Moses Hess an Berthold Auerbach
Köln, den 25. November 1862,
Auf Deinen durch Herrn HelKvitz mir bekannt gewordenen Wunsch
schicke ich Dir hier wörtliche Kopie des Briefes,-^ der auf mich den
Eindruck machte, den etwa eine kalte Dusche auf einen glühenden
Körper hervorbringt - er zog mir das ganze Herz zusammen. Ich
suchte mir indessen bald dieses Verwerfen einer halb gelesenen Schrift,
die mit meinem Herzblute geschrieben war, durch Deine subjektiven
Entwicklungen zu erklären und trug Dir nicht die allerlciseste Ran-
küne deshalb nach, glaubte Dich auch gewiss nicht zu verletzen, wenn
ich Deine Entrüstung über eine ßermanenfeindliche Schrift und die
Ursachen, aus welchen ich sie mir erklärte, in der später doch zum
Drucke bearbeiteten Schrift aussprach,^"s^chon deshalb nicht, weil ein
öffentlicher Charakter, wie Du es durch Deine nachhaltige Wirk-
samkeit in Deutschland bist, über jede Empfindlichkeit gegen öffent-
liche Urteile selbst dann erhaben oder wenigstens gestählt sein muss,
wenn das Urteil nicht ganz zutrifft. Hältst Du es indessen der Mühe
wert, gegen dieses Urteil meines in Deinen Kreisen so wenig be-
kannten Schriftchens zu protestieren, so leistest Du mir damit mehr
einen Freundschaftsdienst, als Du mich dadurch kränkst. Nur eines
würde mich schmerzen; wenn unsre Meinungsverschiedenheit über
Germanien und Judäa eine Störung der uneigennützigen, tiefgemüt*
liehen Freundschaft hervorbrächte, die wir so lange zueinander ge-
hegt haben, und die ich Dir stets zu bewahren wissen werde.
Deine l[iebe] Frau wird Dir gesagt haben, dass ich Dich in Berlin
besuchen wollte und nicht zu Hause traf. Grüsse sie mir freundlichst
und verzeihe, wenn Du auch meinst, dass er gegen Dich gesündigt
hat. Deinem
.'•'. alten Freunde
^': . • " . Hess.
Auch die Antwort seines Verlegers Otto Wigand traf Hess tief.
) Otto Wigand an Moses Hess
Leipzig, den 2. Mai l86l.
Ich habe Ihr Manuskript f nur bis zur Hälfte gelesen, dann war es
mir nicht möglich, weiter zu lesen. Ich will nicht geltend machen,
dass Ihre Schrift weder einen materiellen noch sozialistischen oder
politischen Erfolg haben wird, sondern nur sagen: ich will Ihre
Behauptungen oder Anschauungen nicht mit meiner Füma vertreten.
Die ganze Schrift ist meiner rein menschlichen Natur zuwider;j-^hr ^
' V. ergebenster
Otto Wigand.
^ Vgl, Anmerkung zum vorhergehenden Brief,
*^ "Rom und Jerusalem»', 4. Brief, S, 13 f., 21,
*^^ Bei Otto Wigand erschien I84I "Die europäische Triarchie" von Hess,
***^ Hess, der diesen Satz in "Rom und Jerusalem" (4. Brief, S. 12-13)
zitiert, setzt an Stelle des Wortes "Schrift": Tendenz. / /<^V<:.-/- -^'^^H
«•
#
Hess erkannte zwar die symptomatische Bedeutung der Urteile Auer-
bachs uiid Wi^ands, Hess sich jedoch nicht entmuti{^en. l'Une Abschrift
des Manuskripts t'Ting an den Leipzj,£jer Rabbiner Abraham Mayer Gold-
schmidt, ein führendes Mit^'^lied des "Instituts zur Förderung der israe-
litischen Literatur", einer Publikationsgesellschaft in Leipzig, die
1855-73 Dutzende von Y/erken aus den Gebieten jüdischer Geschichte und
Literatur herausgab. Von ihm erhielt Hess eine positive Antwort.
( ) Abraham Mayer Goldschmidt an Moses Hess
Leipzig, den 13. Oktober I86I.
Hochgeehrtester Herr!
Länger als billig habe ich Sie auf eine Antwort warten lassen; indes
glaube ich, den Vorwurf der Nachlässigkeit von Ihnen nicht fürchten
zu dürfen. Sie wissen, welches Interesse Ihre SchriftX gleich im
Anfange bei mir erregte; in ihrer gegenwärtigen Gestalt ist das Inte-
resse nur um so grösser, da die Form eine mildere, ohne dass Sie Ihren
Überzeugungen etwas vergeben haben. Sie wissen, dass ich häufig-''
in der Lage bin, Manuskripte zu lesen, oft ist dies eine wahrhafte
Qual: das Lesen Ihres Manuskripts hat mir einen Genuss gewährt,
wie ich eines ähnlichen mich kaum zu erinnern weiss. Sie werden
diese meine Erklärung für kein Kompliment betrachten, da ich Ihnen
nicht verhehle, dass ich nicht in allem Ihre Ansichten teile; gleich-
wohl halte ich die Schrift im ganzen für so bedeutend, dass ich die
Veröffentlichung derselben von ganzem Herzen wünsche. Diesen
Wunsch teilt auch Dr. Graetz,^^ dem nicht bloss der Inhalt Ihrer
Schrift im allgemeinen, sondern wörtlich mitgeteilt wurde, und der
sich ebenso lebhaft als ich für die Veröffentlichung derselben inte-
ressiert.
Wahrscheinlich hat Ihnen Dr. Graetz, dem ich Ihre Adresse auf-
gegeben, vcp Breslau aus geschrieben: er sucht in Breslau einen Ver-
leger, wie ich einen hier suche: auch unser Herr Kohnert"^Lst im
Bunde der Dritte, und wollen wir sehen, ob es uns gelingen werde.
C. B. Lorck,*'dem ich das Manuskript neuerdings angeboten, hat mir
einige Aussicht eröffnet, wünscht aber vorher die Messe beendigt.
So stehen die Sachen geschäftlich. /vVas den Inhalt Ihrer Arbeit
betrifft, so verspreche ich mü- von der VeröffenÜichung derselben,
wenn auch nicht gerade unmittelbaren Erfolg, so doch gewiss einen
grossen Emdruck. Sie haben manchen tiefen Blick in das Wesen des
Judentums getan, um den Sie so mancher Theologe von Fach be-
neiden dürfte. Was Sie gleich im ersten Briefe über die Bedeutung
der Familie gesprochen, ist grossartig und wahr, und ist der in dem
kleinsten Kreise, der Famihe, liegende Keim des Universahsmus,
meines W^issens, noch von niemandem in der Weise betont wie von
Ihnen. Vielleicht hegt diesem meinem Beifall ein kleiner Egoismus
zugrunde, da auch ich die Textstellen „und eswerden sich segnen
mit du- aUe Geschlechter des Erdbodens"^ in gleicÄer Weise auffasse;
ebenso bedeutend finde ich das, was Sie über den Glauben an die
, Unsterbhchkeit der Nation gesprochen, und kann diese Ihre Ansicht
in Jesaja 26.19 eine bedeutende Stütze finden. Das „Lass aufleben . -
deine Toten, meine Leichen erstehenl Erwachet und jubelt, die ilir
ruliet im Staube"'*' jener Stelle"^ bezieht sich auf die Nation, welche
trotz des scheinbaren Todes ihre Hoffnung nicht aufgebe: denn die
Nation sei unsterblich!
^(^^**^
Der jüdische Historiker Heinrich Graetz (I817-I891).
Moritz Kohner (I818-I877), Vorsteher der jüdischen Gemeinde in
Leipzig.
Im Verlag Carl B. Lorck, Leipzig, erschienen die Schriften des
Instituts zur Förderung der israelitischen Literatur,
Der Bihelvers (l. Mos. XII, 3) ist von Hess in der Originalsprache
angeführt und hier in Zunz' Uehersetzung wiedergegeben; vgl.
"Rom und Jerusalem" (I.Brief, S.2).
Hebräisch im Text; Zunz' Uehersetzung, Vgl, "Rom und Jerusalem",
(3. Brief, S.8).
Noch eines erlaube ich mir hier zu bemerken. Die von mir zitierte
Stelle beweist neben dem Glauben an die Unsterblichkeit der Nation
auch den Glauben an die individuelle Fortdauer, erstercs tritt freilich
in den Vordergrund, wird also besonders betont, dieses als bekannt
vorausgesetzt, sonst könnte der Prophet das Bild überhaupt nicht
gebrauchen, wie ja jede Metaplier eine genaue Bekanntschaft mit
dem voraussetzt, dem die Metapher entlehnt ist.
Ich weiss nicht, ob es mir gelungen ist, mich recht klar auszu-
drücken und verständlich zu machen; woran ich nicht zweifle, ist,^
dass Sie wenigstens daraus erkennen, wie selir ich Ihre Arbeit schätze,
und wie sehr ich mich freuen würde, sie veröffentlicht zu sehen.
^ *' y
Zuletzt noch die Bitte, die Verzögerung meiner Antwort zu ent-
schuldigen und bald mit einigen Worten zu erfreuen
Ihren
Sie aufrichtig verehrenden
Db. A. M. Goldschmidt.
Hess setzte sich auch mit Leopold Low, dem weithin als Herausgeber
der Zeitschrift "Ben Chananja j V/ochenhlatt für jüdische Theologie",
Szegedin, Ungarn, bekannten Rabbiner, wegen der Herausgabe von "Rom und
Jerusalem" in Verbindung.
( ) Kos es Hess an Leopold Low
/Bonn, zY/ischen Ende Pebruar und Anfang Mai
1862^
Erst heute kann ich Ihrem Wunsche nachkommen, da ich mir erst
ein Manuskript von Leipzig kommen lassen musste. Die Polizei
dürfte kaum von österreichischem Standpunkte aus an meinen politi-
schen Ideen etwas auszusetzen haben, obgleich ich im allgemeinen
mich für die Wiedergeburt der Nationalitäten, also auch der ungari-
schen, italienischen etc. ausspreche, mehr aber gegen Preussen und
Deutschland, als gegen Österreich auftrete. Das Stärkstej_^ dieser
Beziehung enthält der Brief von meinem „Verleger'';^en ich deshalb
hier, nebst der Vorrede, beilege, aus welcher letzteren Sie die Tendenz
meiner Schrift vollkommen ersehen können. Ich habe nichts dagegen,
dass Sie einiges aus meiner Schrift im Ben-Chananja vorläufig ver-
öffentlichen, jedoch erst dann, wenn ein Verleger gefunden ist und
der Druck des Buches beginnen kann. Meinen philosophisch-natur-
wissenschafdichen Standpunkt können Sie ausführlich entwickelt
finden in der von Prof. Dr. Michelet in Berlin (Sekretär der dortigen
Philosophischen Gesellschaft, deren Mitglied ich bin) redigierten
Zeitschrift „Der Gedanke".
Wenn ich gegen die sogenannten „radikalen** jüdischen Reform-
bestrebungen polemisiere, so geschieht es nicht deshalb, weil sie mir
zu radikal, sondern weil sie zu wenig radikal sind, — weil sie den
schöpferischen Geist des Judentums nicht in der Naturanlage des
jüdischen Volkes, in seiner Nationalität, sondern in der allgemeinen
„Vernunft**, d.h. im reflektierenden, rationalistischen, Begriffe ab-
strahierenden Geiste suchen, der nichts weniger als schöpferisch ist,
weshalb der Rationalist auch immer einem flachen Deismus huldigt,
der keiner Religion zugrunde liegt und nie etwas im sozialen Leben
geschaffen hat —
Leopold LÖY/:(1811-1875), Ra^obinor und Schriftstellor.
Ben Chananja, Wochenblatt für judißohe Theologie^ erschien I858-I867.
Otto Wigand an Moses Hess, Briöf Hr«
Übrigens sind die wärmsten Freunde, welche sich am lebhaftesten
fiir die Herausgabe meiner Schrift interessieren, weit entfernt, in allen
Punkten mit mir vollkommen übereinzustimmen. Das ist auch sehr
begreiflich; denn ich habe einen ganz eigentümlichen Standpunkt,
der noch nirgends, am wenigsten im modernen Judentum zur Dar-
stellung gekommen ist. Sie werden das sehen, wenn ich Ihnen das
ganze Manuskript zusenden werde. Das soll geschehen, sobald Sie
einen Verleger gefunden haben. Die ökonomische Basis der Unter-
handlung mit einem solchen wäre, für die erste Auflage, p[elr Druck-
bogen, ein bestimmtes Honorar, dessen Höhe zu bestimmen ich Ihnen
ganz überlassen kann, und welches bei Ablieferung des Manuskriptes
zu bezahlen wäre. , , , ^„^
Mit Hochachtung verharret
Ihr ergebenster
Hess.
Das Buch erschien schliesslich in Leipzig im Verlag des jüdischen
Buchhändlers Eduard V/en^ler im Sommer 1862. In einer sehr ausführlichen,
in vier I*\)rtsetzungen in dem Wochenblatt für jüdische Theologie "Ben
Chananja" erschienenen Besprechung nahm Leopold Low zu"Roin und Jerusalem"
Stellung, Seine Kritik war massvoll und von Respekt gegenüber dem Autor
getragen, gipfelte jedoch in einer entschiedenen Ablehnung der Hess' sehen
Ideen vom Standpunkt des traditionellen Judentums aus, Low war loyal
genug, Hess Gelegenheit zu einer umfangreichen "Entgegnung zu bieten,
die als offener Brief unter dem Titel "Mein Messiasglaube" in "Ben
Chananja" erschien,
( ) Moses Hess an die Redaktion der Zeitschrift "Ben Chananja"
^Erschienen 22, August - 5« September iMi
1862_J"
Geehrter Herr Redakteur!
Sie erlauben mir, in Ihrer geschätzten Zeitschrift selbst die
Gedanken niederzulegen, welche Ihre eingehende und scharfe
Kritik meiner jüdischen Bestrebiingen bei mir provozieren könnte.
Eine so hohe
* "Ben Chan^a" vom 27.6., 11.7., l8.7., und 25. 7. 1862.
** "Ben Chananja",xsBii Bd.V (I862), Nr. 34, 22.A.ugust; Nr. 35, 29. August;
ITr, 36, 5« September.
■ ' r
Unparteilichkeit findet sich nur bei jüdischen Gelehrten, deren Geistes-
kämpfe im Interesse der Wahrheit geführt werden. Solche geistige
Kämpfe sind nicht fruchtlos, wie so manche andere theologische
Streitigkeiten:
„Jeder Streit, der um des Himmels willen geführt wird, hat blei-
benden Erfolg"^ etc.
Ich akzeptiere Ihr grossmütiges Anerbieten.
Mein Mcssiasglaubc wäre also historisch weniger gerechtfertigt als
der phantastische des Mittelalters, den Sie den orthodoxen nennen
und mit welchem Sic den meinigen aus dem Felde schlagen. Zwar
geben Sie zu, dass das mcssianischc Reich auch nach orthodoxen
Grundsätzen einen schwachen Anfang haben könne;' ,wic ja auch in
der Tat alle grossen Dinge, alle wichtigen Ereignisse, nicht nur auf
dem Gebiete der Kultur, sondern auch auf dem der Natur, mit einem
solchen Anfange beginnen: ganze Organismenreihen, wie ganze soziale
Reiche beginnen mit einem unscheinbaren Keime. Der äussern Er-
scheinung, von deren Grossartigkeit die Welt in Erstaunen gesetzt
wird, geht immer eine verborgene, stille, innere geistige Arbeit vor-
her. Insofern stünden meine Bestrebungen mit der orthodoxen An-
schauung des geistigen Vorläufers, mit dem welthistorischen Gesetze
vorläufiger Entwicklung und dem Naturgesetze anfänglicher, un-
scheinbarer Keime in Übereinstimmung. — Aber in betreff der vollen
VerwirklicJiimg unserer messianischen Hoffnungen befände ich mich
doch, wie Sie meinen, im Widerspruch mit der Orthodoxie und dem
Weltgesetze, welche diese Verwirklichung von einer eminenten Per-
sönlichkeit abhängig machen.
Ich könnte mich schon mit Ihrem Zugeständnis des Anfangs
begnügen. Die eminenten Persönlichkeiten bleiben nie aus, wo der
Keim des Patriotismus und das Streben nach Wiedergeburt einmal
in einem Volke Wurzel gcfasst haben. Die Nationen, welche sich
, erheben, produzieren diese Persönlichkeiten: dieselben waren niemals
die Schöpfer, sondern die Produkte einer gewissen Bewegung — und
die Geschichte hat bewiesen, dass es auch solche jüdische Persönlich-
keiten geben kann. — Indessen, Sic stellen meinen Messiasglaul)cn
dem orthodoxen, und meine Bestrebungen den echt jüdischen prin-
zipiell gegenüber. Die letztem charakterisieren Sie durch Bibclvcrsc,
• welche alles der allmächtigen „Hand" überlassen, - die nicht „ver-
kürzet" sei. Sie charakterisieren damit zugleich den theologischen
Standpunkt, auf den Sie sich selbst schliesslich stellen, um melnrn
historischen als angeblich philosophischen zu verwerfen. Siehalte.-j das
„Wort Gottes" gegen „Menschensatzungen" aufrecht... Sie wollen
mich wohl bekehren?
Wären Sie nicht als Talmudist und jüdischer Forscher bekannt,
ich würde Sie für einen jener modernen jüdischen „Geistlichen"
halten, die sich vortrefflich zu einem chrisüichen Theologen qualifi-
zieren, und die man nur darüber beklagen kann, dass sie ihre Kar-
riere verfehlten. Bei solchen Geistlichen, die nicht unpunktiert
hebräisch lesen können und mit der Bibel einen Götzendienst und —
eine Industrie treiben, fände ich Ihre Argumente ganz in der Ordnung.
Sie aber wissen besser als ich, dass unsere Autoritäten, welche das
Judentum geschaffen, konserviert und fortgebildet haben, mit den
Werken ihres eigenen Geistes keinen Götzendienst treiben koimten.
Sie können unmöglich die kritiklose Orthodoxie einer spätem Zeit,
gegen welche ich mich allerdings im Gegensatze weiss und bekenne,
mit dem biblisch-talmudischen Judentum verwechseln, mit dessen
keineswegs phantastischem Messiasglauben ich mich in vollster Über-
einstimmung befinde. — Sie wissen, dass die grössten jüdischen Auto-
ritäten des Altertums und Mittelalters die nationale Wiedergeburt
auf natürlichem Wege erwarteten. — • Cyrus wird schon von den
Propheten des babylonischen Exüs „der JMessias" genannt, obgleich
er nicht aus dem Hause David stammte, und Bar Kochba wurde von
* Pirkej-Awot /Sprüche der Väter/, V,19 (deutsohe Uebersetzung von
Lazarus Goldschmidt), Im Tezt hebräisch.
unserm grösstcn Mischnalehrer, von Rabbi Akiba, als Messias pro-
klamiert, obgleich er nicht aus den Wolken hcrabgefahren kam. —
Sie wissen auch, wie und wann der phantastische Mcssiasglaube
entstanden ist. Als unsre letzten Aufstände gegen die römische Herr-
schaft im Blute unserer heldenmütigen Väter erstickt waren, als bei
fortgesetzter Empörung gegen die Unterdrücker dem Judentume
gänzliche Vernichtung drohte, da erklärten unsere Autoritäten — zu-
erst, wenn ich nicht irre, ein Ben Chananja, R. Jehoschua'A mit dem
damals beliebten Anschluss an einen Bibelvers — dass die Erlösung
durch keine menschliche Hilfe herbeigeführt werden dürfe, sondern
dem Himmel allein überlassen bleiben müsse.*'^ur in den schlimm-
sten Zeiten unseres Exils suchte und fand man in einem phantasti-
schen Messiasglauben, der damals seine volle Berechtigung hatte,
Trost und Ploffnung inmitten einer trosüosen und verzweiflungs-
vollen Gegenwart. Heute dagegen würde der alte Ben Chananja in
meinen nationalen Bestrebungen schwerlich etwas Antijüdisches oder
Heterodoxes finden und es seinen modernen Namensvetter fühlen
lassen, was der jüdische Messiasglaube, was jüdischer Patriotismus ist.
Von diesem Patriotismus hatte ich gesagt, er sei ein naturwahres
Gefühl, das weder demonstriert zu werden brauche, noch wegdemon-
striert werden könne. Ihn zu charak-terisieren, nicht zu demonstrieren,
versuchte ich durch Schilderung einiger Züge aus dem jüdischen
Leben, welche seine Physiognomie kennzeichnen sollten. Sie, Herr
Redakteur, ziehen dagegen vor, ihn zu demonstrieren. Sie sij^d in
Ihrem Rechte. Aber Sie smd auch unparteüsch genug, mir zu erlau-
ben, Ihnen zu antworten.
Vielleicht werden wir uns gegenseitig besser verstehen und dulden,
wenn wir uns die Verschiedenheit unserer Gesichtspunkte nicht ver-
hehlen. — Ihnen ist der Geist des Judentums, sein schöpferischer
Genius, sein Gott und Gesetzgeber, ein jenseitiger. Hiermit wül ich
nicht sagen, dass Ihr philosophischer Standpunkt, den ich nicht kenne,
und den Sie ja selbst von Ihrem theologischen unterscheiden, ein
super-naturalistischer — ich meine nur, dass für Sie, wie für die ganze
nichtjüdische Menschheit, das schöpferische Wesen des Judentums,
welches meiner Ansicht nach vom jüdischen Patriotismus unzertrenn-
lich ist, ein jenseitiges geworden sei, weil Sie heute kein jüdischer
Patriot mehr, sondern ein ungarischer geworden sind. Das Judentum
hat für Sie nur noch die historische Bedeutung einer durch dasselbe
den weltgeschichtlichen Völkern gewordenen, von diesen passiv
empfangenen „Offenbarung", also die Bedeutung eines Bekennt-
nisses, incht die einer stets aktiven Sclhstoffenharung. — Für mich
dagegen ist der Geist des Judentums der Geist der Juden; der jüdi-
sche Gott ist der Gott unserer Väter, unser unveräusserliches Erbteil,
an dem wir nicht bloss zehren, das wir zu weiteren Schöpfungen
verwenden wollen. Sie wollen mich nicht zu jener modernen Religion,
noch zum Patriotismus des ubi bene ibi .patria bekehren. Sie haben
in meiner Schrift finden können, dass und warum ich jene moderne
Reformreligion für den Widerschein eines sozialen Auflösungsprozes-
ses halte, dass und warum ich von der Wiedergeburt der Völker
auch die Wiedergeburt einer lebendigen Religion erwarte, die jedes
Volk zu einem Volke Gottes gemacht.'— Auch die Ungarn mögen,
ich wünsche es ihnen von Herzen, ihre Wiedergeburt erringen, und
ich halte es für ebenso verdienstlich, aus den jüdischen, katholischen
und protestantischen Ungarn ungarische Ungarn, als aus den unga-
rischen, polnischen, deutschen und andern Juden jüdische Juden zu
machen. Nur die Halbheit der modernen Fortschrittler ist mir zu-
wider, welche ohne alle Autorität reformieren, und mit den Trümmern
eines längst zerstörten Gebäudes den neuen Gesellschaftsbau auf-
richten wollen. Bei den Juden, wie bei allen nach Regeneration stre-
benden Völkern handelt es sich um kein Reformflickwerk, sondern
um eine Neugestaltung des ganzen sozialen Lebens.
* Jehosohua ^en Chananja, meist nur RalDbi Jehoshua /Josua/ genannt,
jüdischer Schriftgelehrter in Palästina im 1. und zu Anfang des
2, Jahrhunderts.
*^ Vgl, darüber "Der Babylonische Talmud',' hrsg. und übersetzt von Lazarus
Goldschmidt, Bd. VII (Berlin und Wien, 1925), S. 422-428; Synhedrin,
Pbl. 97b-98a.
</■
Worin aber, fragen Sie, wird diese Neugestaltung bestehen? „Von
welchen Prinzipien wird sie geleitet werden? Welche Verfassung
wird ihr als Ideal vorschweben? Darauf weiss der Herr Verf. natürlich
nicht zu antworten".
Sollte es wirklich Ihrem Scharfsinn entgangen sein, dass mein ganzes
Buch eine Beantwortung dieser Frage ist? — Aus welchem anderen
Grunde habe ich mich an das jüdische Volk gewendet, als weil ich
die Überzeugung gewonnen habe, die ich auch überall zu begründen
suchte, dass gerade dieses Volk berufen ist, die zukünftigen Institu-
tionen, den „Gescliichtssabbat", den es zuerst verkündet hat, auch
zuerst zu verwirklichen?
Religion, Philosophie imd Politik lassen mich kalt, wenn sie die
• Lage der arbeitenden Klassen nicht durch Institutionen verbessern
helfen, welche jedem Kastengeiste, jeder Klassenherrschaft ein Ende
machen. Das Judentum kennt aber keinen Kastengeist und keine
Klassenherrschaft. Der Geist des Judentums ist ein sozialdemokrati-
scher von Haus aus. Der Geist des Judentums, ich wiederhole es, ist
der Geist der Juden. Die Wurzel seiner vergangenen, gegenwärtigen
und zukünftigen Schöpfungen liegt nicht im Himmel, sondern im
Geiste und- Herzen unseres Volkes. Solange dieses Volk einen ge-
meinsamen Boden hatte, auf dem es seinen Geist frei entwickeln
konnte, verwirklichte es ihn in Institutionen und einer Literatur,
welche für die Gesamtmenschheit die Bürgschaft ihrer Vollendung
enthält. Seit dem Untergange des jüdischen Staates konnte es nur
das Geschaffene durch Observanzen heilig halten, welche einen rein
konservativen Charakter haben. Es liegt kein Widerspruch darin,
wenn ich den Geist der alten jüdischen Institutionen als Basis der
zukünftigen betrachte, ihn darum durch Observanzen konserviert
wissen will, welche sich nur an die alten Institutionen anschliessen
können, und dennoch glaube, dass gerade dieser Geist, wenn er sich
wieder auf dem Boden der Väter frei entwickeln kann, die Macht
haben wird, neue Gesetze nach. dem Bedürfnisse der Zeit und des
Volkes zu schaffen. Die konservativen Observanzen des Judentums
haben nur für uns Juden eine Bedeutung, nämlich die, unsere Natio-
nalität für künftige Schöpfungen zu konservieren. Diese dagegen
werden, wie die alten, als freie Geistesproduktionen wieder einen
• direkten Einfluss auf die gesamte Menschheit haben, und ich glaube,
wir dürfen uns für die zukünftigen Schöpfungen unseres Volkes min-
destens in gleichem Masse interessieren, wie jedes andre nach Wieder-
■ geburt ringende Volk für die seinigen.
Ihre theoretischen Emwürfe, die doch meine ganze Weltanschauung,
mit welcher mein jüdischer Patriotismus steht und fällt, unberührt
hessen, wären somit beseitigt; ich hätte nur noch den einzigen prak-
tischen Emwand zu beleuchten, den Sie gegen die Möglichkeit emer
nationalen Wiedergeburt unseres Volkes erheben. Allein ich fürchte,
Sie \ind Ihre Leser durch längere Erörterungen zu ermüden. Ich
werde mich daher kurz fassen.
/
Es handelt sich um die Sprache einer jüdischen Nation. Sie geben
zu, dass die hebräische Sprache in unserer Zeit wieder kultiviert wird,
wenn Sie auch das Aufblühen der neuhebräischen Literatur von der
Mendelssohnschen Schule her datieren. Dass im westlichen Europa,
von dem ich überhaupt, wie Sie wissen, kein Kontingent für den
neuen Staat erwarte. Neuorthodoxe sich der deutschen imd fran-
zösischen Sprache bedienen, ändert nichts an der Tatsache, dass man
sich im ÖStliehen Europa 2Ur Verständigung mit den dprt SQ zahlreich
lebenden Juden hebräisch geschriebener Leitungen und 2!6iischnite;ü
bedient. Aber, wenden Sie eüa, im Leben sprechen die jüdischen
Volksmassen drei verschiedene Idiome, jüdisch-deutsch, spaniolisch
und arabisch. „Und diese Elemente", rufen Sie aus, „sollten sich zu
einer Nationalsprache vereinigen können? Der Herr Verf. wird hier-
auf schwerlich anders, als mit einem entschiedenen ,Nein' antworten;
damit hat er aber das, was er die nationale Wiedergeburt Israels
nennt, für ein eitles Phantasiebild erklärtl"
Und Sic, wenn man Sie fragte, ob in Ungarn, wo mehr als drei
grundverschiedene Sprachelcmente herrschen, diese Elemente sich
zu einer Nationalsprache vereinigen können, würden Sie auch hierauf
mit einem entschiedenen „Nein" antworten und damit allen ungari-
schen Patriotismus für ein eiües Phantasiebild erklären?
/jeruhigen Sie sich; die Sprachverschiedenheit hat noch keine —
tuioser beim babylonischen Turmbau — Gesellschaft verhindert, sich
zu organisieren, weder sonst, noch jetzt, weder in den romanischen,
noch in den arabischen und germanischen Ländern, weder in Frank-
reich, noch in England, weder in Belgien, noch in der Schweiz; sie
wird auch in Ungarn und in Judäa kein Plindernis sein. — Jede neue
Gesellschaft verschmilzt entweder die vorhandenen Sprachen, wie
dies im Mittelalter der Fall war, zu einer neuen; oder sie kultiviert
neben den verschiedenen Volkssprachen eine gemeinsame, offizielle,
literarische Sprache, wie es gegenwärtig zu geschehen pflegt; oder
endUch es bildet sich neben der Landessprache eine Weltsprache, wie
sie uns bei dem täglich lebhafter werdenden Weltverkehr wahrschein-
lich die Zukunft bringen wird. Wir haben jedenfalls -keine babyloni-
sche Sprachenverwirrung mehr zu befürchten. Der fortschreitende
Prozess des Geistes ist, wie jener des sozialen Lebens, kein Schci-
dungsprozess mehr, sondern ein Streben nach Einheit und Univer-
salität, nicht nach einer verflachenden, sondern nach einer lebendigen,
organischen, welche das Individuelle und Nationale, als das eigent-
lici Schöpferische, in sich birgt und heilig hält
'•^
V/rlhrond die Aurjeinande.roü tzun^ mit Leopold Löv/, trotz der {^rund-
Gätxlichon Moinuni'-^svorcschiodcnhoit, in einom Goioto ßG.^oncoitit^Qr
Achtun^^ stattfand, ochouten die Vertreter der Uororm in ihrem Peldzu^
SQSen Hess auch nicht vor persönlichen Angriffen zurück. Abraham Geiger,
noch immer der führende Geist der Reform, gehörte zu Hess' schärfsten
Gegnern. Er, der vor zweiundzwanzig Jahren mitten in der Damaskus-
Affäre die Gleichberechtigung der Juden in Preussen als wichtiger erklärt
hatte als "die Rettung sämtlicher Juden in Asien und Afrika", konnte für
die Verkündung einerd das ganze jüdische Volk umfassenden Renaissance
nur Spott und Hohn aufbringen. Er bezeichnete Hess, den Revolutionär
und "Kommunistenrabbi", als Reaktionär.
Auch in liberalen Kreisen jenseits der Reformbewegung stiess die in
"Rom und Jerusalem" entv/i ekelte Lehre von einer Wiedergeburt der jüdischei
Nation auf entschiedenen V/iderstand, Hess* Antwort erschien in den
"Archives israelites" im Jahre l864(in französischer Sprache): "Lettres
sur la mission d' Israel dans l'histoire de l'humanite",
Hess v/ar Ende 1863 nach Paris übersiedelt und wollte die französischen
Juden mit seinen Ideen bekanntmachen, nachdem eine Uebersetzimg von
"Rom und Jerusalem" ins französische nicht zustandegekommen war.
Angesichts der tiefen ]i)nttäuschun£j, die Hess durch die Verständnis-
losigkeit der aufgeklärten Juden und Nichtjuden erlitt, fand er Trost
in der Zustimmung aus dem damals im V/erden begriffenen Lager der ersten
Zionsfreunde, Kurz vor dem Erscheinen von "Rom und Jerusalem" hatte die
von dem hervorragenden Rabbiner von Thorn, Hirsch Kalischer, nach seinem
Amtssitz einberufene Konferenz stattgefunden. Diese und die bald darauf
erschienene hebräische Schrift Kalischers "Drischat^ Zion" (Sehnsucht nacl
Zion) fanden im Kreise der Altgläubigen grossen V/iderhall. Als dann im
nächsten Jahr "Rom und Jerusalem" erschien, hörten die gläubigen Rabbiner
aus den Worten des revolutionären Denkers die verv/andte Stimme einer von
innerlicher Religiosität getragenen Zionsliebe heraus. So ergab sich die
merkv/ürdige Situation, dass Hess, der Spinozist und Schüler Hegels, von
den Vertretern des aufgeklärten Judentums befehdet und von den Anhängern
des Offenbarungsglaubens als Freund und Bundesgenosse begrüsst wurde,
"Rom und Jerusalem" führte auch zu einer Verbindung und bald zu einer
Freundschaft zwischen Hess und dem allgemeine Anerkennung geniessenden
Historiker Heinrich Graetz.
^^
^^■)t^e
•inf^t*
(Theodor Zlooisti, Berlin I905. j
Abraham Göiger^^, "Alise Romantik, noue Rüolction", Jüdiöoho
Zöi-bfichrift für yifiös©nücliaft und Leben, l.Jg., 1862, S. 252.
Archives israölites, 25. Bd., 1,1.- 1.6,l864, Deutsche U Ver-
setzung in :Mosos Hess, Jüdische Schriften. Hrs,^. und eingel. yrorA
Hirsch Kalischer r( 1795-1074), Rabbiner und Talmudgelehrter,
einer der ersten Vorkämpfer der Palästinabewegung.
Heinrich Graetz (I817-I891).
f/
Wenn auch Graetz nicht die von IIgss aus dessen Auffassunt^ des Judentums
£i020Conen politischen Schluscfol^erun^rGn teilte, stimmten die beiden
doch weitgehend in ihren Ansichten ühor das Wesen der jüdischen Geschichte
üheroin. Kino eh^^ere Arbeitsgemeinschaft entwickelte sich I865 in Paris,
als eine jüdische literarische Gesellschaft £;e/i:ründet wurde, der auch
Graets "beitrat. Eines der ersten Unternehmen dieser Gesellschaft war
die französische Ausgabe des die Rhitstehung des Judentums und des Christen-
tums behandelnden Bandes^er jüdischen Geschichte von Heinrich Graetz.
Die französische Bearbeitung des Bandes wurde Hess übertragen.
( ) Heinrich Graetz an Moses Hess
Breslau, nach Jom Kippur
/i.e. den 20. September/ I866.
Gestern am Versöhnungstage^^habe ich die erste Korrektur erhalten,
und das hat mein Fasten erleichtert. Ich sage Ihnen meinen Dank,
wie sehr Sie mich verschönert habenl Es ist mein Gedankengang, und
doch wieder nicht. Sie haben eine vortreffliche Arbeit geliefert, die
ich am besten würdigen kann. Ich freue mich darüber, dass Sie meine
historische und, wenn Sie wollen, geschichtsphilosophische Grund-
anschauung so sehr teilen, dass Sie sie eigentlich als Ihr Geistes-
cigcntum wiedergeben. Sie haben recht, es ist keine Ȇbersetzung.
Sie sehen also, dass ich Ihr Verdienst vollkommen anerkenne. Wenn
ich nur hin und wieder eine Ausstellung zu machen habe, so will ich
Sic damit nur auf etwas aufmerksam machen und es Ihnen überlassen,
ob Sie es ändern oder lassen wollen. Sie haben mein Elaborat vielfach
gekürzt und haben Recht daran getam Nur hin und wieder scheint
mir die Grundidee dadurch zu leiden. Da ich mit Ihnen den Dekalog
als erste Manifestation des israelitischen Volksgeistes halte, von einem
Heros geoffenbart und seinem Inhalte nach, wie nur etwas göttlich
sein kann, mit einem Worte, da der Dekalog der erste Keim des
Judentums ist, so durfte die Explikation des Neuen, das es der Welt
gebracht hat, nicht fehlen; deswegen habe ich die grosse Bedeutung
desselben weitläufig umschrieben. Meinen Sie nicht, dass die Kürzung
hier nicht am Orte ist? Ebenso haben Sie nur kurz die Bedeutung
der Leviten als anijim und ewjonim^, als anawim* sanft und arm
berührt.
* *
Das Buch erschien I867 in Paris unter dem Titel "Sinai et Golgotha
ou les Origines ±Ex^t]sixs±ibiii±sin.e du Judaisme et du Christianisme, suivi
d'un examen critiquo des evangiles anoiens et modernesVpar H. Graetz,
traduit et mis en ordre par Maurice Hess. Paris, Michel Levy fr^res,
1867, 420 S.
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Im Original he^bräicch.
7 Heinrich Graetz / t Gasohiohto der Judon von den ältastan Zeiten
"biß auf die Gegem^a^t (1Ö53-75), H Bde.
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Probleme des Judontums beGchäftigtn Hcgg auch in den restlichen
Jahren seines Lehens. Danehen widmete er sich v/eiterhin sozialen Fragen
und griff auch unmittelbar in die Politik ein. Als 1863 Ferdinand Lassalle
die deutsche sozialistische Arbeiterbewegung ins Leben rief, wurde Hess
seiner. . .
einer lis^: eifrigsten Anhänger und Mitkä^ipfer iiiaxsaüzsix. Um dieselbe Zeit,
als ihn die ersten Zionsfreunde als Bahnbrecher der jüdischen Renaissance-
Bewegung begrüssten, wurde Hess offiziell zum Bevollmächtigten des von
Lassalle geschaffenen "Allgemeinen deutschen Arbeitervereins" für den
Kölner Kreis ernannt. Ein Jahr nach Erscheinen von "Rom und Jerusalem",
1863, veröffentlichte Hess die Broschüre "Rechte der Arbeit", die auf
einem in Köln und Düsseldorf gehaltenen Vortrag basierte, nach deren
Empfang Lassalle an Hess schrieb.
( ) Ferdinand Lassalle an Moses Hess
Ostende, den 27. August /TSöj/.
Lieber Hcssl
Mit wahrhaftem und grossem Vergnügen habe ich Ihre treffliche
Schrift die „Hechte der Arbeit" gelesen und kann nicht umhin, Ihnen
mein besonderes Kompliment für dieselbe zu machen. Es ist mir
jode Zeile darin aus der Seele geschrieben, und die Prägnanz des
Ausdrucks und der Darstellung macht die Lektüre zu einem Genuss.
D^s gleiche Lob verdienen die Grenzen, die Sic gewahrt haben. Sie
Nvii.scn, wie es mit dieser Bewegung gegangen, wie sie entstanden ist.
Sie ist nicht eine theoretische, nicht von einem theoretischen Werke
ausgegangene, sondern sie ist eben eine praktische Agitation. Hütte
icii ein theoretisches ökonomisches Werk geschrieben — ich wäre
natürlich ganz anders zu Werk gegangen, wäre viel weiter gegangen.
Ich war gerade im Begriff, ein solches zu beginnen, als die Möglich-
keit und Gelegenheit zu der praktischen Agitation von Leipzig aus
an mich gebracht wurde. Fast zauderte ich einen Augenblick, diese
Gelegenheit zu benützen im Hinblick auf das für mich persönlich
lockendere Ziel eines systematischen ökonomischen Werks, für
welches mir — das sah ich sofort klar — durch die praktische Agitation
fürs erste alle Zeit entzogen würde. Dann aber sagte ich mir; was ist
nicht alles schon geschrieben und bewiesen und dennoch von der
Welt fast vergessen worden! Natürlich nur für die Gegenwart. Durch
ein tlicoretisches, systematisches Werk wird wieder nur ein Fort-
schritt der Wissenschaft, eine Befnichtimg der Geister in 30—50 Jahren
crzicltl Hier dagegen bot sich die Gelegenheit einer grossen, prak-
tischen, auf die gesamte Nation eindringenden Agitation. Es handelt
sicii dämm, während die deutschen Möpse ü la Schulze-Dclitzsch
— darum war auch ihr Erstaunen so gross — jeden sozialen Gedanken
längst ausgestorben und begraben glaubten — den Sozialismus plötz-
lich wie durch einen Zaubcrschlag als politische Partei auftreten zu
lassen: Eine theoretische Bewegung und eine praktische unterscheiden
sich aber nach meiner Ansicht in folgender Weise. Bei einem theore-
tischen Werk handelt es sich darum, alle Konsequenzen des Prin-
zips, wo möglich auch schon die allerletzte, zu ziehen. Je mehr ein
Rooh-tQ der Arbeit. Von IL II -as, ]?Vankfurt a.M, In Komraission l)ei
Reinhold Baist, l863# 30 S. Iias Voir.7ort trägt das Datum« Köln, den
15. Juli 1863,
n
Buch dieser Anforderung; cntspriclit, desto besser ist es. Bei einer
piviktisclien A'gitalion dagegen handelt es sich iimgekelirt dämm,
sich mit aller Kraft auf die niichdc Konsequenz des Prinzips, auf den
ersten möglichen praktischen ScJiritt zu stürzen, aber auf einen
solcJien, in welchem das ganze und volle Prinzip bereits enthalten
ist, und unter entschiedenster Betonung und voller theoretischer
Ilcraushcbung dieses Prinzips. Hierdurch wird dann einerseits den
Massen etwas Bestimmtes und Greifbares geboten, andrerseits viele
Menschen von unsystematischer „Billigkeit" und halber Einsicht
dafür gewonnen, jedenfalls etwas sofort und praktisch Mögliches als
Zielpunkt hingestellt, gerade dadurch bei den Gegnern eine viel
grössere Wut und liass erweckt, als wenn man schon viel weiter-
gehende Konsequenzen als Forderung aufstellt, die im Augenblick
noch gar keine praktische Gefahr in sich schlössen, durch diese Wut
gerade der rechte Boden für eine alle Köpfe umfassende Agitation
— und somit doch auch für ein allgemeines Nachdenken — geschaffen,
endlich, indem bereits das ganze Prinzip auch in diesem ersten und
nächsten Schritt enthalten ist und sein muss, ein Sehritt getan, der
sich notwendig auch zu allen weiteren Konsequenzen entwickeln
muss, diese in sich schliesst und damit auch für das avancierteste
theoretische Interesse der sympathische Boden geschaffen.
Gerade dadurch, dass ich nach diesem Rezept zu Werke ging,
glaube ich den grossen Erfolg herbeigefülirt zu haben, den unsere
Bewegung schon hinter sich hat. Denn wie es auch mit unserer
Anzahl stehe und weiter stehen möge — ein solcher Erfolg ist nicht
zu leugnen. Er besteht aber schon in der Aufregung ohnegleichen,
die ganz Deutschland ergriffen hat. Ohne den Verdiensten von Marx
und der N[euen] Rhein[ischcn] Z[eitung] zu nahe zu treten, glaube
ich doch sagen zu können, dass jetzt zum erstenmal eine soziale
Partei in Deutschland besteht, die eine politische Bedeutung hat und
eine Masse repräsentiert.
Es war mir Bedürfnis, lieber Freund, mich einmal mit Ihnen hier-
über auszusprechen, da Sie einen Moment lang gewisse Aussetzungen
über Nichtweitgenuggcgangcnscin gemacht haben sollen.
Noch will ich mit besonderem Vergnügen hervorheben, dass auch
Ihre Anschauungen über Frankreich ganz mit den meinigen über-
einstimmen.
Es ist ein dringendes Interesse für unseren gesamten Verein, dass
die Broschüre^^so stark als möglich verbreitet werde. Ich schreibe
morgen darüber an Vahlteich. Ilaben Sie die Güte, sofort an „Georg
liersvegh in Zürich" (diese Adresse reicht aus) 3 Exemplare unter
Kreuzband zu senden. Auch wenn Sie mir noch 2 zukommen lassen
wollten, würden Sie mich zu Dank verpflichten. Sind nach Breslau
und Berlin an unsere Bevollmächtigten Exemplare geschickt?
Ich komme zwischen dem 20. und 30. September nach Köln. Näher
werden Sie den Tag meiner Ankunft durph Lewy erfahren (er ist •
jetzt noch nicht bestimmt). Diesen Brief ziehe ich vor, Ihnen durch
Lewy zugchen zu lassen, da ich Ihre genaue Adresse nicht zur Hand
habe. Teilen Sie mir dieselbe doch mit.
^ Mit herzlichem Händedruck Ihr
F. Lassalle.
-^^
'SL über Hess' Rechte der Arbeit schrieb Lassallc an Vablteicb: „j'.s ist fierntle sehr
eut und nüti«, dass nicht innuer alles von mir allein gesagt werde, t/.c /^ftec-tm«
nimmt sonst vor Schafsköpfen die Gestalt ciucr blossen l'erson an. \ cvhtvilcn Sic
die Broschüre tüchtigst." B. Becker. Geschichte der Arbeitcragitationl' UmaUes
(Braunscluveig. 1875), S. 62. Vgl. Rjasanoff in Grünborgs „Arcluv 111, IJU.
Am 27. Au,',^st 1870 veröffentlichte iiCdii^^dbiXiLiis^-^ "Der Volksstaaff'
Leipzig, die letzte politische Botschaft von Moses Hess an die deutschen
Arbeiter; sie war nach der ersten französischen Niederlage des deutsch-
französischen Krieges verfasst,
( ) Moses Hess an den "Volksstaat"
/"Paris, den 21. August l870.__7
[„Einer unsrer hervorragendsten Parteigenossen, dessen Namen wir
aber aus Rücksicht auf seine persönliche Sicherheit noch verschwei-
gen müssen, schreibt uns aus Paris, d.d. 21. August: ]-^'i' ^
Liebe Freunde! Icli will Euch kurz meine Ansichten über ilrti
gegenwärtigen Stand der Dinge mitteilen; denn Ihr habt durch Enre
mutige Haltung bewiesen, dass Ihr das einzige deutsche Organ sciii,
welches unbeirrt von deutschem Chauvinismus den Übcrzeuguni^cu
treu geblieben, die uns stets beseelt haben.
Mit den ersten Siegen der Deutschpreussen zu Anfang d. M. hat
der Krieg auf deutscher Seite seinen Beruf erfüllt; die Fäulnis des
Empire ist seitdem für ganz Frankreich, ohne Unterschied der Par-
teien und Klassen, zutage getreten. Die „vierte Dynastie" hat seit-
dem aufgehört zu existieren. Die Macht ist faktisch (\i.'\\ Händen der
Dezemberbande entrissen und dem Lande zurückgegeben. Da es ohne
Bürgerkrieg geschah, so ist wenigstens in einer Beziehung der tenl-
lische Plan des Feindes der modernen Gesellschaft vereitelt. — l'N
bedarf also zum Sturze des Empire keines ferneren Sieges der Feinde
Frankreichs mehr; es bedarf aber des Sieges des französischen Volkes
über , um zur universellen sozialen Republik zu gelangen.
Wie dem auch sei, ich werde nie glauben können, dass das grösste
Ereignis der Weltgeschichte, die französische Revolution, vergebens
stattgefunden hat, und dass nach der neuen Völkerwanderung, wie
nach der alten, die Geschichte der Zivilisation auf den Trümmern
der bestehenden wieder von vom anfangen muss. Vielmehr ist nach
meiner Überzeugung dieser Krieg der letzte, der Anfang des Endes
aller bisherigen Rassen- und Klassenherrschaft. Der Traum einer
germanischen Rassenherrschaft hat keine solidere Grundlage als
jener einer slawischen. Vielleicht müssen erst diese beiden Herrscher-
gelüste des Pangcimanismus und Panslawismus gegen -einander an-
. prallen; vielleicht dauert der letzte Krieg länger, als man es hoffen
und wünschen muss; vielleicht kostet er noch viele, viele Ströme
Blutes, Leichenhaufen und Pestilenz; aber er kann meiner Ansicht
nach nur die Herrschaft der sozialen Freiheit und Gerechtigkeit her-
beiführen.
Dieses mein Testament; denn ich habe vor, mich selbst am Kriege
zu beteiligen, sobald hier die Republik proklamiert sein wird.
Euer —
* Der "Volksstaat" war das von Liebknecht in Leipzig herausgegebene
Organ der Sozialdemokratischen Arheiterpartei.
^^^ Aus dem "Volksstaat", Nr. 69, Der nicht gezeichnete Brief ist in dem
anonymen Eedaktionsartikel "Politische Uebersicht" mit Auslassungen
abgedruckt. Der Inhalt deutet auf Hess» Autorschaft.
^^/ Einleitungssatz der Redaktion des "Volksstaat".
*
•
Moses Hess starb in Paris am 6. April IÖ75. Seine Leicho wurde nach
Köln überführt, um seinom Wunsche entsprechend im l^lrbbegräbnis seiner }
Eltern in Deut 2 am Rhein beigesetzt zu werden. Bei der Trauerfeier in
der Pariser Wohnung sprachen einige Freunde - Franzosen und Deutsche.
«
Als letzter sprach Paul Kersten : " Lebe wohl, Freund! Was du gewollt, wii
worden es verwirklichen. Deine Schriften, dein Handeln sichern dir ein ;
evdgGS Gedächtnis, Du Sohn und Kommentator der Revolution, kein Schwert
legen v/ir dir auf den Sarg; nein! nur die Blximen der Natur, aus welcher ;
du geschöpft und uns getränkt, an welche allein du geglaubt hast, und der '
wir jetzt zurückgeben, v/as von dir sterblich ist. Du hast dich unsterb-
lich gemacht in Tausenden von Herzen; auferstehen wirst du, sooft ein
hilfoouchondor Prolotarier zu deinen Ideen flüchtet, denen du durch Wort
und Tat Tiobon vorliohon hant! P/loritz IIosol dein Andenken soll uns heilig
sein! Die Sozialdemokratie wird dich ewig als den Ihrigen roklamieron, •• ^^
Als sichtbares Zeichen ihrer Verehrung Hessen die Kölner Sozialdemo-
kraten (vor dem Jahre 1903) auf den Grabstein noch die Worte einmeisseln:
"Vater der deutschen Sozialdemokratie". '
( ) Heinrich Graetz an Sibylle Hess
Breslau, den 5. Mai I875.
Verehrte Frau!
Mit Wehmut und Schmerzgefühl bat mich die Todesnachricht von
meinem lieben, geist- und charaktervollen Freunde, Ihrem Gatten,
erfüllt. Ein Freund hatte mir schon früher die beti-übende Botschaft
zugchen lassen, ich konnte es aber kaum glauben, bis mir Ihr Schrei-
ben leider die Bestätigung gebracht hat. Gewiss haben Sie recht, dass
Deutschland nur wenige solche Männer von Geist und edlem Streben
hat, und dass er verkannt woirde. Die Grabreden seiner Freunde
waren mir aus dem Herzen gesprochen. Ich kannte ihn seit 16 Jahren,
und ein enges Freundschaftsband hat uns seit unserer ersten Be- v^
kanntschaft verknüpft. Von dem umfassenden Werke, das er für den
Druck vorbereitet h.^t, schrieb er mir öfter. Es sollte den Titel führen:
Dt/Tiamischc^Sioffichre und aus 3 Teilen bestehen. Ob er diesen
Titel beibehalten hat, vermag ich nicht ,jinzugeben. Ich habe sofort
durch einen Freund bei Geib"*^ 'ah 'Hamburg Erkundigungen ein-
gezogen und erst heute die Antwort erhalten. Darum hat sich mein
Schreiben an Sie verzögert.
Die Antwort lautet wörtlich:
„dass er bis heut noch keinen Verleger gefunden habe, jedoch in
Verbindung stehe, und zwar derart, dass, wie er glaubt, im Juni
schon etwas erscheinen wird."
Mein Freund verspricht mir, im Juni wieder nachzufragen. Das ist
alles, verehrte Frau, was ich Ihnen darüber mitteilen kann. Ich stehe
selbstverständlich Ihnen stets zu Diensten und erinnere mich auch
mit Vergnügen Ihrer Bekanntschaft. Möglich, dass ich im Laufe dieses
Sommers nach Paris komme. Werden Sie in Paris bleiben? Sollten Sie
Ihren Aufenthalt verändern, so bitte ich, mir Nachricht davon zu
geben. . . . ■
*^ .• Hochachtungsvoll __.
*
* Paul Kersten^*Bildhau;6er. Aktives Mitglied des Allgemeinen Deutschen
' Arbeitervereins. Wurde steckbrieflich verfolgt.
^* ITekrclog auf Hess in "Der Volksstaat", 28.4. l875. Dieser anonyme
Nekrolog stammt von Kersten (vgl, K.Hirsch, Der arme Conrad, I876,
S.71).
*^* Im Original: Dynamis tische.
**^* /In einem Briefe Sibylle Hess» an Johann Philipp Becker vom 24. Mai
1875 heisst es: "Diesen ersten Band /des Manuskript es "Dynamis che
Stofflehrejy hatte nun schon mein Mann hei seinen Lebzeiten in den
Verlag des Herrn Geib in Hamburg gegeben, von welchem ich nun leider
vor einigen Tagen die Nachricht erhielt, dass er den ersten Band,
weil der zweite fehle, nicht in Druck bringen wolle. Dies war ein
harter Schlag für michf'für mich, die ich keinen andern Zweck mit
meinem Leben verbinde, als den Willen meines Mannes zu ehren, und
zur Durchführung zu bringen," (Der unveröffentlichte Brief befindet
sich im Internationalen Institut für Sozialgeschichte,) Im Jahre
1877 gelang es Sibylle Hess, den ersten Band der "Dynamischen Stoff-
lehre" auf eigene Kosten zu veröffentlichen.
( ^ ) Sibylle Hggs an Karl Marx
Paris, don 20. Oktober I877,
29, Rue de Vau^irard.
Bester Herr Marxl
Ich bin so frei, Ihnen hicnnit mit grosser Freude ein Exemplar der
Dtjnarnischcn Stofflohre des ersten Bandes, die letzte Arbeit meines
verstorbenen Mannes, zuzuschicken; möge es freundliche Anerken-
nung bei Ihnen finden. Sollte das Werk Ihren Beifall haben, so bitte
ich Sie, es in meinem Interesse zu verbreiten, wofür ich Ihnen zum
innigsten Dank verpflichtet blciber^ würde.
Wenn Sie das „Nachwort" lesen'?*i^so werden Sic finden, dass ich das
Buch ohne alles Vermögen mit unsäglicher Mühe und grosser Sorge
dennoch herausceceben habe. ^ . . ,
'Ich bin überzeugt, Sie, lieber Marx und Engels, ehren den alten
Kommunisten, Eucni Freund, der Euch voran aus dem Leben ge-
schieden ist.
Es bleibt mir nur der eine Wunsch übrig, dass diese seine letzte
Arbeit zur Aufklärung der Unwissenden beitragen möge; denn am
Ende gibt es doch kaum eine Wissenschaft, die mehr geeignet dazu
ist, als gerade die astronomische Naturwissenschaft, um alle religiösen
Phantasien der Menschen auszurotten.
Mit inniger Liebe und Verehrung für Sie, Ihre liebe Frau und
Tochter sowie für unsem verehrungsvollen Freund Engels, grüsse ich
Sie in hoffnungsvoller Erwartung ganz ergebenst.
Sibylle Hess.
( ) Karl Marx an Sibylle Hess
London, den 25. Oktober I877,
41, Mai-tland Park Road, N.W.
Geehrte Frau Hess!
Ich spreche Ihnen meine tiefe Dankbarkeit aus sowohl in meinem als
auch in Engels* Namen für die übersandten zwei Exemplare „Dyna-
mische Stofflehre".
Wir sind beide der Meinung, dass dieses Werk unseres verstor-
benen Freundes einen sehr grossen tvissciiscliaftJichen Wert hat und
unserer Partei Ehre macht. Daher, ganz unabhängig von unserem
persönlichen Verhältnis zu einem langjährigen Bundesgenossen,
halten wir es für unsere Pflicht, die Bedeutung seines Werkes darzu-
legen und nach Möglichkeit an seiner Verbreitung mitzuwirken.
Bestehen auch Manuskripte der beiden Teile, die Hess im Vorwort
versprach?
Seien Sie nicht beleidigt, wenn ich die Kosten der beiden Exem-
plare beilege; aber es handelt sich doch nicht um ihre persönlichen
Ausgaben, sondern um die des Unternehmens.
Ihr ergebener
Karl Marx.
Über das Buch werde .ich nach Petersburg und New York schreiben.
h
•
* Das "Nachwort" zur "Dynamischen Stofflehre" lautet; Die Veröffent-
lichung des vorliegenden Buches hatte ich, gleich nach dem Tode
jttes Verfassers, seinen Freunden und Gesinnungsgenossen angezeigt.
Diesem Versprechen nachzukommen, war ich genrungen, dasselbe seihst
zu verlegen. Die mir unbekannten Schwierigkeiten, mannigfaltiger
und materieller Art, welche ich zu "bekämpfen hatte, mögen dieser
Verspätung als Entschuldigung dienen, Sih,Hess,
** (^Aus dem Russischen, Marx/Engels, "Sotschineni ja", Bd. XXVI. S,486f.
I
( ) Heinrich Graetz an Sibylle Hess
Breslau, den 26. Novem'ber I877,
Hochgeehrte Fraul
Ihren Brief nebst Exemplar der Schrift: die Dynamische Stoff lehre
ist mir zugekommen, und ich sage Ihnen meinen Dank für die Ein-
sendung, sowie für die Opfer, die sie der Veröffentlichung der Schrift
gebracht haben. Es liegt darin eine rührende Pietät. Ich habe nur
deswegen mit der Beantwortung gezögert, weil ich Ihnen zugleich
die Besprechung zugehen lassen )yollte, die ich im Dezemberheft
meiner Zeitschrift abdrucken lassoY?r Wese wird aber erst in einigen
Tagen zur Versendung kommen. Weil Sie aber besorgt wegen der
Ankunft des Exemplars sind, so will ich die Vollendung des Heftes
nicht abwarten, sondern Sie darüber beruhigen. Ich werde mir er-
lauben, Ihnen die Rezension s]päter zugehen zu lassen. Es war für
mich eine besondere Befriedigung, dem Andenken meines verewigten
Freundes, mit dem ich in vielen Punkten harmoniert habe, wieder
ein Blatt \ndmen zu können. .*
Mit der Versicherung meiner Wertschätzung,
Ihr ergebener
Prof. Graetz.
fünfuj
Fast /zwanzig Jahre später hat Theodor Herzl, lan/je nach der Nieder-
Schrift seines V/erkes "Der Judenstaat", in "Rom und Jerusalem']^ die
vollkommene Bekräftigung seiner eigenen Gedanken gefunden. Am 2, Mai
1901 notierte Herzl in seinem Tagebuch: "Die I9. Stunden dieser Hin-
und Herfahrt /^nach Bad Aussee und zurück__/ verkürzte mir Hess'mit seinem
"Rom und Jerusalem", das ich I898 in Jerusalem zum ersten Mal zu lesen
"begonnen, aber im Drang und Hast dieser Jahre nie hatte ordentlich zu
lilnde lesen können. Nun war ich von ihm entzückt und erhoben. Welch ein
hoher, edler Geist! Alles, was wir versuchten, steht schon "bei ihm.
Lästig nur das Hegelianische seiner Terminologie. Herrlich das Spino-
zistisch-Jüdische und nationale. Seit Spinoza hat das Judentum keinen
gröcseren Geist hervorgebracht als diesen vergessenen, verblassten
Moses Hess! "
*
* Die "Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums"
"brachte in Bd. XXVI, Nr. 12, Dezemher ijTT, 3,565-571, eine
anonyme Rezension der "Dynamischen Stoff lehre".
** Erschienen I896.
^^^ Theodor Herzl: Tagebücher, Berlin 1923, II, S.599.
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Wälirond llosos Hess auf dem Gipfel seines Wirkens zur Rilcldcohr in:.
Judentum fand, Qinß der um dreizehn Jahre jüngere Ferdinand Lassall ■;.
den um£jekehrten V/eg: in früher Jugend von leidonschaf tlichem Ilational-
gefühl für das jüdische Volk erfasst, v/andelte er sich unter dem 'i. .-
fluss der Hegeischen Philosophie. Sein Interesse an jüdischen Prohlemon
liess nach und er widmete sich ganz der Sache der deutschen Arbeiter-
schaft, dem Sozialismus,
Unter dem 2. Februar 1840 hatte der vierzehnjährige in sein^ C:a;;Gbuch
geschrieben:
H4^
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7
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^ ^ llntcriücc)^ imteuOiclt icf; luicf; mit ^ä). Cr mjitcjidj
e{uJir.üci(iLMijü:b_itniuito jH;_^M'^^ Mmcn. 2(1.5 er ahc\:
f^^fV.bat; id) ijau^ anborcr mhimuywav. fo fattclte er midj'
um. ^k fpracfjou..üio(. von ccolcuRiaubcrimö, miQkMc^
imb beul Subcntfiuni, ,u,b er luuubeite ficf;, bafj id) niid; fo
be.S jübiid;eii GJ[aubcii.5 annehme. Xc, Q\ci\ miwainman
nidf^lreife*) effoii nnh_bod)Mn öiitcr ^ube fe-u föuute. "' '
S« leiste ifjni hic^}^ uub in bor ^(mt, id; (^ianhc, icT;
,bui einer., b^. Oefteu ^ubeii, bie e^ cjicOt, o()ue anf ha^^
Gereniouialocfot} 31^ ad;teit. 3d; töiuUe luie jener .^ube iii
%lhm._,,Maljndn 2cbcn luajen, bie 3nben an^ ifjrer
]e^tGeii brüdenoeii Sacje 5» reiben, ^d; luiirbe felOft ha^S
^ä)aüot nid)t fcfjeuen, tonnte id) fie luieber 5U einem öe=
ad;teten SSolt'e niadjen. C, luenn id; meinen tinbiid;on
Träumen nachhänge, so ist es immer meine
kindische Lieblingsidee, an der Spitze der
Juden, mit den V/affen in der Hand, sie selbständig zu macr.ün.''
V/enige Jahre später greift er in die Kämpfe um die jüdische Reform
ein, die in seiner Vaterstadt Breslau besonders heftigen GharaJcter ange-
nommen hatten. lEm llittelpunlct dieser Kämpfe, der "Breslauer Habbinats-
v/'irren", stand Abraham Geiger, der gegen den Y/iderstand der ortnour-ion
Kreise im Jahre 1839 nach Breslau berufen worden war. Hoch radikalere
Bestrebungen als Geiger vertrat der von Theodor Creizenach 1843 ins ,ebe
gerufene Reformverein, dessen Thesen lauteten: „i. Wir erkennen in der
mosaisdicn Religion die Mögliclikcit einer unbeschränkten For:-
bilduns:. 2. Die . . . mit dem Namen Talmud bezeiJinctc Sam;/.
lung . . . hat für uns weder In dogmatisclicr noch in praktlsciic/
Hinsicht irgend eine Autorität. 3. Ein Messlas, der die Israeliten
nach dem Lande Palästina zurückführe, wird von uns wcd.r
erwartet nocli erwünsdit; wir kennen kein Vaterland als d:;>-
jenige, dem wir .durdi Geburt oder bürgcrlldics Verhältnis an-
gehören."
"m^'-
-:■■>• '
vi
Perdinamd Lassalles Tagebuch. Hrsg. von Paul Lindau. Broolau
y 1891. S. 85; 160/61. '; T • : ' '
** ^V Abraham Oeigeri '(iai0<^l874), soit I838 zweiter Rabbiner in
Breslau, \mr einer der Führer der lixberalen Bev/egung innerhalb
■^ ., des Judentums.
<nnt ; Creizonachs (I818 . I877), d^ Dicht -r und Li Lerarhiatorikdr, erster
Herausgeber des Briefwechsels GoAthcs mit Marianne von Willemer.
1843 einer der Hauptbegründer der jüdischen Reformbwegung, trat 9X
er später, 1854» selbst zum Christentum über.
Zu diGson Themen und dem cio "boß-leitendon HundGchroiben nimmt LaL^aallo
in dem spontan g03chrie"benon Brief Stellung,
~r I 1 >.. ■• ( ) Lassalle an Theodor Creizenach
▲ AtAUW I
[1843.]
Verehrter Herr Doktor!
Mit nicht geringer Freude habe ich aus den Zeitungen vcniommcn,
daß [iu] Frankfurt a. M. von Ihnen ein Verein ins lieben gerufen worden
sei, welcher es zum Zweck hat, die Fessehi einer verrosteten Orthodoxie
zu sprenge:; und die Autonomie des menschhchcn Geistes in seine
innerhalb des Judentums nun länger als anderthalb Jahrtausende unter-
drückten, aber unveräußerlichen ewigen Rechte wieder einzusetzen.
Kiücm solchen Vereine, dessen unbestreitbares und unmittelbarstes
Resultates sein muß, das Judentum mit der Zeitbildung zu vcrmittehi,
sich nicht anzuschließen, hieße ein Indiflerentisnms für die menschheit-
lichen Interessen, der an Irreligiosität grenzt, Sünde. Ich trete hiermit
Ihrem Verein bei und ersuche Sic demnächst um Mitteilung der Bedin-
gungen des Beitritts sowie um die Übersendung der von Ihnen und
r -^ ^
den Herren Dr. Steru/^ und Rießjr.^^ciscliieiKueu Sclirifl."'n, um mic'n
au.s diesen ausführlicher über die /u/,iunde liegenden Prinzipien zu
imtcrrichten. —
xsicht unerfreuhch, gUmbe ich. v.-ir<l es Ihnen sein, zu hcjrcn, daß
Sie sich aus Breslau mit Gewißlieit die größte Teilnahme versprechen
können. Daß unter den Juden Breslaus hinsicluh'ch religioier An-
gelegenheiten eine gewisse I\A.gsainkeit herr.-:eht, vrerden Sie aus den
hiesigen Rabbinatswirreni^ hinlänglich ersehen haben. Ich selbst hal>o
CS mir hier angelegen sein lassen, Interesse für die jetzt unter so gün-
stigen Ausoizicn ins I^ben tretende Idee zu erwecken, und es freut
mich, Ihnen mitleilen zu können, daß Männer aus den angesehensten
jüdischen Familien, ja Männer sogar, die durch eine Reihe von Jaliren
Obervorsteher der hiesi^.cn Gemeinde gewesen sind, sofort bereit sin^I,
diesem Verein beizutrelv n, sobald sie nur etwas Näheres über dessen
Organisation werden vernommen l;:i}.)en.
Auch in betreff unseres Rabbiners Herrn Dr. Geiger *)■ können wir
Erwartungen hegen, und nicht geringe. /
Khc ich aber meinen Brief schließe, erlauben Sie mir noch Q.\\\<i. Frage:
Sie fassen den Mosaisnius als die höchste Al)strakLion der Urzeit,
also als eine historische Substanz, die, wie jede geschiclitliche Idee,
vermöge ihrer Natur genötigt ist, [sich] einer absoluten Kntwicklung
und Fortbildung zu unterwerfen. AU' das letzte Stadium der Knt-
■vvicklung, welches der Mosaistnus als solcher erreicht hat, dürfte das
rabbinisch-talmudisclie Judentum zu nennen sein. Der Talmud alx;r,
obgleich wir ihn theoretisch als eine organische \Veiterl)ildung des
Mosaisnms fassen müssen, ist bereits mit den Anschauungen und
Theoremen der Gegenwart in Widerspruch geraten; er bleibt bestehen.
/Vis geschichtliche Sulistanz, für die Praxis aber muß er negiert werden.
Bei dieser Negation des Talnuid tritt nun meines Krachtens ein
Dilemma von nicht geringer Erheblichkeit ein. Sie nennen sich die
jüdischen Protestanten. lis ist nun die Frage, inwieweit diese Analogie
mit dem Protestantismus durchgeführt werden soll. Wollen Sic mit
^■■tMTiMpjpuaL Ferdinand LassallOy naohgelassene Briefe \ind
Schriften , hrsg. von Gustav Mayer« 6 Bde« 1921/25. Bd. 1,
') Thcoa^r cft-i/Jitifh (iSi8— 15^77). ilor Dichter ^tf(l' LilcrarliicitoiiluT
erster Ilcransjjohcr des IJtiefwccltscls Goethes mit ^Inj^iuic von \Villctiier^^,>«43
einer der II.'\i4)tbof;rün(ler (Jet jüdischen Rcforinjxrwcßung, trat er späl^f, 1R5.J,
selbst zum Christoutum -iiljcr.
1) Morit7. Abraham Stern '-(iSo; — iSq-O, seit 1S29 Privatdozont, seit 1S4S
aviJItrordentliclicr, seit 1S59 ordentlicher Professor der Mathematik an der Uni-
vcrsitTit Göttinnen. Vater des Historikers Ah"rcd Stern.
V") Ga^riel RießM^:<i3o6 — 1S63). der bekannte liljcr.nlc Politiker und Vorkämpfer
für die GleichsteUung seiner Glaubensgenossen.
^,>)' ZNviv.iieu d.T orthodoxen Richtuiu^ der P.reslauer Ju.lenschaft, die sieb u:u
den Rabbiner Tiktin scharte, und einer liberalen, die Gei-er lülirte, \var es zu
n'.ehijäb.ri;.>-n hcfti-eu Kämpfen s^-'^iomnieu. die in judischen Kreisen viel Staub
aufi^owirbelt hatten. ^ ^ ^ ^^
♦) Abrdham Gcii;cr (iS 10— 1S7.;). seit IS3S zweiter Rabbuicr in BrcsUivwarcia^
d^ Führer der liberalen Bcwcg^iog innerhalb des Judentums, •jftJ.IUukituuti 8. ij^
*>
5
koiu^oqucntcr Anah\^io das Ju-lcntutn atif den aUbiblisclicn Muönismus
zurückführen? Auch der ProLeitaiitisinus hatte das r.estrcl>cn, auf dar,
UrchrlsLeutum zurückzugehen, aber aucli er konnte dies Ziel, das er
sicli gesteckt (die uiigoschichthche Idee), so wenig rcahsiercn wie es
heute der ReHgion gehngen würde, den altbil>hschcn Mosaisinus ins
Leben zurück/Aireah'siercn, die überfliegende Transzendenz einer über-
wundenen Phase des Geistes nicht mehr in seine Gegcnwjart hiiiein-
bildeii. Vichnehr entfernt er sich unbewußt trotz alles Strebens nach
jenem Ziel, trotz seiner Glaubens- und Gemütsinnerlichkeit auf der
cificn Seite ebenso weit von ihm, als es auf der andern Seite der Katholi-
zismus mit seiner Werkheiligkeit, seiner starren Äußerlichkeit und
seiner Kauonisierung der weltlichen Künste getan! Daher konunt es,
daß der Bcgrill des Protestantismus mit dem der apostolischen Zeit
tms nieht identisch ist, sondern daß der Protestantisnms mit seiiiciu
Ideale des Urchristentums und seinen Zugeständnissen an die schlechte
Wirklichkeit, seinem Kotstaat und seiner Ehe etc. unbewußt zu einer
ganz neuen Stufe des Geistes geworden ist, sich einen ganz neuen In-
halt hcrausgestaltet hat.*> ^
Wir nun, denen die Ivntv/icklungen in der christlichen Welt zur
Bclehnmg gedient haben, wir müssen bewußt zu Werke gehen, wir
müssen uns hüten vor dem Unternehmen, Rückgang zu gebieten dem
dialektischen I'luß der Geschichte und aus seinem Bette eine längst
verschlungene und zum Petrefakt gewordene Masse herauszuholen, um
sie zum I'undanient unserer lebensvollen Gegenwart zu machen. Es
kann in der Geschichte auch nicht davon die Rede sein acta agere.
Die Geschichte gleicht darin dem menschlichen Organismus. Sic kaim,
hie eine bereits verdaute Substanz zum zweiten ^lal in ihren zersctzen-
<len Pro/.cß aufnehmen, weil sie schon in dem ersten alle Säfte und Nah- 1
rungsstoffe aus ihr gezogen. Und ganz abgesehen von der Unmöglich- ;
keit und Unrealisierbarkeit eines solchen ungeschichtlichcn Schrittes, •
die uns das Ik-ispiel des Protestantisnms selbst bekundet, befinden wir ;
uns heute in einer wesentlich andern I/age. Der Protestantismus mußte, j
um die Welt aus den alhn[ächtigen] Banden des Katholizismus zu be- !
freien, sein Ideal rückwärts suchen. (Und indem er dies zu tun glaubte, '
wurde er zum selbständigen Träger einer epochemachenden Idee. Wir j
dürfen weder rückwärts blicken, noch bezeichnen wir einen wesentlich \
neuen, erst durch uns gewordenen Standpunkt des Geistes.) Wir haben
das nicht mehr nötig, ja wir dürfen das nicht mehr. Wir finden ^)' viel-
mehr unser Ideal vor uns. Ihis ist von gnnz andern Händen bereits
<lie J.rela gesti-ckt v/orden, nach deren Ivrreicluuig wir mit so langsamen
und so schnellen Schritten, als es tunlich ist, streben müssen. 1517
war der Protestantismus ein weltbewegender Fortschritt, 1843 würde
ein jüdischer Protestantisnms im strikten Sinn ein vollendeter Rück-
schritt sein. Er würde den Schein auf uns v/erfen, als wären wir ohne
Sinn und Verstand an den großen geschiehllichen Phänomenen und Eut-
wicklun''eu <ler christlichen Welt vorüber.'egangen, als wollte man uns
absperren \\'n den lunflüssen und den I<<:hren, die uns die Historie seit \
dem sechzehnten Jahrhundert gegeben hat. Der Protestantismus hat l.
sich zum Rationalisnms und dieser zur modernen Philoso])hievnngebjldct.
Das Judentum mit dieser letztern zu vermitteln, dürfte wühl, wenn
ich nicht irre, als der Kern Ilirer Bestrebungen anzunehmen sein.
Allerdings aber dürfte vorderhand noch freie ungehinderte Parrhcsic
innerhalb des Judentums nicht anzuraten sein. Unsere heutigen Juden
und sogar die gebildeten sind noch zu wenig geläutert durch das kritische
I''euer, um das sogleich gutwillig aufzugeben, was sie bisher für ihr
Teuerstes und Eigenstes zu halten gev.'ohnt waren. Isichtsdestowenigcr,
glaube ich, müssen wir ims hüten, einen positiven Glaubcnsinhalt auf-
l
etc. j
^'Vou ..Vidmclir" at\. ist der Absatz in dem Konzept, das viele Kin-
fiij;iinj:eii enthält, aber auch viele dadurch notwendig werdende StrcJchnu(;cu
vor/^nelnnon untcrläLU, durchijestrichen.
y^Voii „mehr" bis „fmdeii" ist im Konzept durchgestrichen.
f
zustellen, der deswegen, weil er jene Theorie noch nicht erreiche, in
kurzer Zeit mit der Zähigkeit des r>eslehen(len sich ihr ebenso starr
gegenüber stellte als das talniudischc Judentiitn den neuen reforniato-
rischen Bestrebungen. Das Dilennna, das ich bezeichnet, ist also ein
doppeltes und kurzweg das: Der Talmud ist zu negieren, an die Re-
staurierung des ^rosaismus kann nicht gedacht. werden, was werden
Sic also als positiven Glaubcnsinhalt aufstellen? Kin solch positiver
Glaubensinhalt dürfte aber wohl unumgänglich nötig werden. Ferner:
mit dem wahren Vollgchalt unseres Wissens und i:)enkens frei
herauszutreten, ist noch nicht möglich. Zugleich muß aber darauf
gesehen werden, nicht zu weit zurückzubleiben hinter den Errungen-
schaften der deutschen Wissenschaft und besonders darauf, daß nkht
der Glaubensinhalt, der jetzt zu konstituieren, wenn er herausgetreten
aus der Form seiner Flüssigkeit und sich zur historischen Gestallt ver-
festigt hat, seinerseits sich in den Gegensatz werfe zu der über ihn
hmausgegangenen Theorie und seinerseits eine starre Schranke bilde,
die eist unter den wiederholtcu Streichen der Theorie gestürzt werden'
müsse, um Fortgang möglich zu machen. —
• c •
Ein Jahr später zieht Lassalle die Folgerung aus seiner im Geiste
Hegels vorgenommenen Analyse des Judentums. Der Bruch mit der jr<iL-chen
V/elt vard offenbar. In einem langen Brief an die Lutter vom 30. Juli
1844 "begründet Lacsalle seine Abneigung QQQ&n den oberflächlichen
, gesellschaftliche i Verkehr, der ihn veranlasst habe, Srholung in der
Pflege der - Heitlcunst zu "suchen. Die dialektische Liethode brilliant
handhabend, untersucht ■ er aus diesem äusseren Anlass das \]^:2,ön der
grossen antiken Kulturen, insbesondere auch der "V/elt des hebräischen
Volkes". Die jüdische Religion ist für Lassalle die Religion der harten =»
Knechtschaft vor dem abstrakten Geiste, die Religion des Unglücks. Daruni
sei auch die Geschichte des jüdischen Volkes eine Geschichte des Unglüc-:3,
das sich in biilen und Knechtschaft realisiere. Kein Volk sei von so
namenlosen Leiden verfolgt v/orden v/ie das jüdische: aus dem einzigen
Grunde, v/eil es die geistige Stufe, die die V/elt in dem jüdischen Volke .
übervdnden müsste, die Stufe der Zerrissenheit, der Knechtcchaft, des
Unglücks ist. Dieser hässliche Geschiohtsverlauf stelle für den Denker
allerdings -^vieder eine Schönheit dar, im jüdischen Volk habe sich der
Geist zum erstenmal gegenüber der Natur und aller Kreatürlichkeit, die
den älteren Religionen eigentümlich sei, als das Höhere erfasst. Dieser
Geist sei jedoch bloss die kalte ^]]inseitigkeit der Abstraktion, noch
nicht die totale Fülle des Geistes. Darum sei dieser Riss ohne Versöhnux-.. ;,
V ••
A/
*
K :.'
Ferdinand Lassalle. Nachgelassene Briefe und Schriften, %. von
Gustav Mayer. Erster Band. Stuttgart 1921. Deutsche Verlags-
Anstalt, s. 106-114. , ■ ■ ' . ■
•n
$
die ihm erst im Chriatontum worclo, wo dor Goiat als dor totale orfasst
wird - im Prinzip dor Liobe,
Diese GodanlcGn hat Lassalle in einom noch umfon^jreichoren, am 6,
Soptemhor I844 an seinen Vater gerichteten Brief fort^Gspoiinen. Das
Christontum erscheint hier als die Reli^Tion, welche die Berochti^^ung
aller Persönlichl<:eit verkündet, freilich nur in der religiösen Sphäre.
liun müsse dieses Prinzip in dör diesseitigen V/elt. in der gesellschaf t-
lichün Sphäre durchgesetzt werden,
Hegel v^ar Lassalles philosophischer Lehrmeister, Aher mit einer seinem
eigenen Wesen entstammenden Leidenschaft strebte Lassalle einem jen-
seits der Sphäre des Denkens liegenden Ziele zu: der Umsetzung dor
philosophisch erfassten Idee in die Realität, Durch seine dialektische
Speloilation v/ar er zu der "i^insicht gelangt, dass das Zeitalter der
Industrie zu einer völligen Selbstentäusserung des Menschen durch das
Geld geführt habe. Dieser \7elt, in der die sozialen Gegensätze einen
solchen Grad erreicht haben, dass sie "einer organisierten Räuberbande
gleiche", sagte Lassalle den Kampf an,
^r wartete nicht auf die grosse, im Zuge der welthistorischen Vor-
gänge herannahende Chance, Im llikrokosmus seines eigenen Lebens stürzte
er sich in den Kampf q^z^'^ ^i® feindlichen Mächte brutaler Unter—
drnckung, ^ . z^-
M^iii^Tr^.W^^^/i^^''^^ -^ ^S'"^"^© ®^ i^ Breslau,. zv/iA UC; u.<^/[_
Berlin Philosophie/;;'studiert. In den letzten l-.Ionaten des Jahwes iSAJo)^
reiste er nach Paris, um dort seine Heraklitstudien fortzusetzen. Die
Freundschaft mit Heine war die schönste Frucht dieses ersten Pariser
Aufenthaltes, SELHXEiiii dem er auch die Französierung seines Fartiilien-
namens Lassal in ^&^ /^ix^'a^^tp Lassalle vornahm, llit Heines begeistertem,
ihm alle Türen öffnenden Iilmpfehlungs schreiben an Varnhagen versehen,
kehrte er Litte I846 nach Berlin zurück. In kürzester Zeit fand er
Zutritt zu einem gesellschaftlichen Kreis, der die Spitzen der Univer-
sität und die geistigen Elemente des Hofes einschloss, darunter ins-
bssondere Alexander von Humboldt, in dem er bald einen ihn hoch ein-
schätzenden Gönner fand. In Berlin bege^piete er auch der um ^ranzig
Jahre älteren Gräfin Sophie von Hatzfeldt, die mit siebzehn Jahren
■Rdmund von Hatzf eld-Wildenbu^rg, einen dor reichsten Magnaten am
Niederrhein geheiratet hatte. Trotz ihrer Schönheit und hohen geistigen
^ Vom 3. Januar 184^.
i i/i/./^^^.-f./^-'- ^-^^^
/
Gabon vAirde sie von ihrem Mann f^ehasst, misshandelt und verfol^f^t. Dor
Graf liess sie ohne alle Suhsistonzmittel, entzog ihr die Kinder.
Lassalle beschloss, die Sache der Gräfin Hatzfeld zu seiner eigenen
zu machen. In einem fünfzehn Jahre später geschriehonen Brief ^
hat er diesen Au^enhlick f estg:ehalten, / /("
( ' ) Lifcssallo an Sophie Sontzoff
( .
ijf << /••
• t *
Ganj iiif^UIÜi ivrir icli ru^^^c^cn, nlö tcr Graf ja ^(nfan«,-;
ISiGfii-f^ r.ciicr Untoten oi^'^cn feine gaiu [cf^ultig n:ad)te.
3 in Sinter 1S15 Kitte niau eine neue ^\'r[clMiun}}
V-rifciicn ifvncn 3uf^lni:ccctn•ndf^t, iric immer aber i^on
feiner ceitc nur aii{ler;irr\ ^n; \!Ipri( 1816 fctitcn (ic
ivicccr 5u[unr.ncnronnncn. llinfuitl Ik^i 511 tun, [c!;iricS
tcr Gviif I'urj rcrhev an ten ^;iniciten Z-Qhx tcr Gräfin,
'i.\:i:!, ten [ie anbetete iint ter \\c ;'riilicr; ticSte, büs<
cin:i3c f\int, tvi:> tcr 6vcf iJ^r nicfit (^attc entreißen" et er
c!:ircntij3 mnif cn lonncn — ■ tcr Örnf, fa^c id), jcf;ricb
ini-jjcDcim tiefem iMcvtcf'njwU^riacn ZqUk, toj; er ii;n
cnicr^cn n^ürte, ircim er tcr S^i^uttcr nicT^-t Ocinüiü;cnrcifc
cnt'*;ie!}e. ^Jaul bro.c^ic tiefen "iT'vief [einer S^^iiiltcr; id)
triif fic t'on ^rnnen unt .^vunnr.cr nieterv'ict'cußt on uut
crfurr ncicn unt nvK(> ifMc go.ntc C^cfcricf^tc.
Xi-nnen v^ic, Ci>^^f-'ie, l'.-:'^ \\\h}{ einen rid'ni^en ^.^eßriff
iTn tcra (fiatruct UMC^cn. tcn tiefe CkfcMcMc in mir,
c'v.Kwx cifiii^cn Diccoln:-!:::.'-;, f'errcrricf, öii> id) fic an:.
CLl;ert (mite, cfö n;ir ^!c Or^^fin tic unumfic^Iiri^cn
Ccircifc tcr Zcif.iG'^cn in tcr v^vrrrefpentcnj^ mit i!)rcn
^\''r}rnnttcn unt nntcrc;: '«^cpicrcn <}e;3cl:en Bütte?
'^6) fo^ "^ox mir, in tcr 'Tv^rfcn eines cintcinen in:
tiiMtucIIcn Setenr-, tic >l?c::crperunij cller cmpcrentcn
H:-.3crccf>l:rJcitcn tcr i^cvvilietcn Seit, tic -^eriorpcrung
r.ifcr ^r-'int-vviiivfc tcr i'?vO,r:{, tcr dn^irolt unt tc6 2^cid}s
lunie, jevicfMct c\^cc[,c,\ tcn ^E'dV.rncTH'n, ollen Ilrurf
imfover foiicfcn Crtnung.
178 »^
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t j-
.,» ' '
» Vgl. Anm. zu Brief Nr. vom Septemter OMoDer 1860 .
Stefan Orossmann« Ferdinand Lassalle, Bariin 1919« S.178/8I.
•
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^ub bin '."»f-n jcncv ein ^'.cviuticniir üii& tcv cchiilc
?u4'crpicrrc p^cjvcfcn, tcr in feiner Acnftituticn (cf^ricb:
„ci.^3;alc rmtcitn'icriinv] if» er, ivcnn c^iici) nur ein cin^ißcs
o'nti'jituum r.nlcvtvudt irirt." ^Ä) füF» tcn vcKcn
C2>,ci:-nui[«, tic i^'.njc S'-'^'üvCii ^^^ nrifirfmlifcf^^n ^clt,
rocIc!;c ticfcj cllc ^^cfcn ih'cn Vertiefen unfc angc^
faulten 5.^orurtcifcn cv'fcrlc. OaKf^tcni ict) tiefe ganjc
0)cfc;-icf\lc lInte:•fnd^t fmltc, erlanntc ict> htM, ir-ß tcr
irar>re Urfprung unb tic Urfnci;c tcß Unv;lKac> ter Gvifin
nnv in teni ^Itel ifv;ev (Zcclc liij;!, tic \d\) nie vor tc
m
tnvunnifi.i;cn Gicift if-'rcD i?innncö cvnietriv-]cn unt unter?
ircrfcn ctcv feineu uniruvti^cn SiUinen Fatie fdv;ncic'.;cln
ircUen, tic nie tic dhuntf^^.rc tc? cdu'ncn, Scf^rcn
unt CrfMbcnen Kitte v^erlcunncn jrcUen. %6) fciB, top
tiefe 3^^ii fiü''' iraBrent einer Oleif^c i^en jumnjis ^^l^T^cn
im Unrjucic oer^ch-t (Hitrc, nicl;t c^glcicf^, fcntcrn ircil
fic i^rotjcr unt cMer ivnr nlö fill'c?, ri\i& iff> biä tö.^in
iin^ctrcffen flotte.
3rf) fu\:nuc nun) für tic ?;^enfc(^f>cit!
llnt iiUe tiefe ^cfNvcden unt Untcrtrudunaen flcgcn
ein '.vcl^rlofcc !l!}cib ! o*? fcJn^nuc nn'cf» meiner Ovation ! —
C:^ ifi irj:fr, e? fcMt meiner O"lalion — \i) fprecfte
nii.;i vcn tcni nietern Q3cIiC/ tiefen bot ricl Cteinmt — ,
ec^ n^irij^elt tcr teulffpcn ^Irificlratic unt ^cur.iccific
jcte cpuv i"^on ?MttcvIi.^Ieir. ccnfi iisne fo etjr.T? nicf>t
r.ic.Viic?» Qcivcfen!
^^l^^ ferste mir fclwü r.lfc: r?'i-uc nieu;nnt f^v^en fonnen,
tii^ tu alicj tics fennf: unt trcptcni tiefe 3'^" ^i'l'is
erm'ircjcn Ic^t, ebne if^r ju jjilfc ;u fc:nmen. Senn
tu ta5 tuft, när nrelcf^eni ?]cv1;:c irurtcf: tu enteren
if'Tcn- (Tvjci^Tnuö unt ibre 'Jci^bcii v?;:vcrfen fonncn.
«
%:.) irsr ein iur:cr ^r^cnfd) t:cn i\-^v,\v.^ Sn^n-cn. %^
bulle' eben tic U:i':c;fitat i^cvlüffcn, tro icf; ^^^bilcfcpf;ic
ftuticvtc. %q rc-.f.uiit) nici;»tö ücnS'uvicprutcnä. 5ilic^tö
biett n:ic!) t-.:vucl
' :i:cr Gräfin, ^v^r.;c nicbt mel;v vruflte, ivai fic Um
feilte, unt fiic/en ircHtc, um ficf; ^caen tic i^cni C'iafcn
vcn neuem öcrlor.lcC^cj^nfibir.c irvc: ^\ii;tcö i\\ fc!;urcn,
fo^tc 'A)\ eic xS^.iy. \c\)x vjut, tu^ 2ic, trenn Sic tcn '
^^u-ctcjj beijinncn, i^cn ^bren C3crr:iintten im Z\\<^)i>
Selaj'fcn ircvt cn, fic rocrtcn ficf; o^cc,v^ Sic ivcntcn,
tric man Sinnen t:.i? immer scfr.ßt bot; cbcr eic iinffcn
ct-cnfi'Gut, tau, eic i'cn tcr Seite nicbtj> ol^ Iccrc Sorte
5u cubcffcn b^^^cn. Qcim eic cilfo fcf: cntfc^Icffcn fint,
cnt:vctcr \\\ fic:c:; ctev :u ftcrbcn, fo trül \(^) S!;rc
^[n£;e:c^cnbc:t in tiefe junijc, ober fiovlc XMnb nel;mcn,
unb ic!) tcbr:eve %^)\\z\\, für Sic ju impfen biä
jum 2^otc.
eic r-:.:!c Q:-cri:u;:cn in i^r öuteö Siccbt, in i^rc unt
meine ilrc.fie. eic n4^m meinen ^^cifcMo^ mit »ollcm
iper^cn on.
Hub ici), cir. r.:".".3cr, nuicPiIcicr ^uibc, crf^ct) ir.icf;
ßcc^cn tic fi!ic:':'L.r.f:cn ^i/u'cMc — ico cllcin Qco^cn tic
5]an^c Gell, cc:!cr. tic blecht tcs:^ OlniKa-i; unb tcr j}an5cu
^^fvif.cf'.r.lic, rcrc:: tic ^acuH c'vAct unkiivcr.:lcn 2^cic(^s
luni!?, (jc^cn ti: C^c^icvun^ luib (303011 tic Q^camtcn
oifcr ^;vt, irclcfc ficli? tic natürlichen ^^cvluntclcn üon
Sum^ unb Cacicf'liini [inb, öCQcn nllc nur nuöticncn
53cviirtci!c.
Unb jcf;t, ^cpt'i:, Begann ein ücnipf, (0 «^rcdlic^,
ta5 lanc Sc^^'^ n'nc ^V^[cr;rci^unö 5« tiefern vermag;
ein itainpf, tcr meine crpc Si'öcnfc» vcr[ci;hin3cn Dot,
ein ncun;\'I;ri3cr v^..v.r.pf, vcll bcr (;;rflu[amf.cn £eibcn
fiir tic Gräfin unb für ini:!;; ein v^anij>f, ter jctcn ^ccj
nrit ur.bcnlbarcn Gcfr.^rcn ycrtnmbcn irnr, ein un«
int^^iicrcr v^ampf, in bcni id) c&cr nicf;t ein ciniißcö
?':ial auc:) nur iini ci:;:n dvritt jnrucrccrjicjcn Hn,
ii:;b tcn id) entließ cU cic^cr, nut einem ijollcn ^riumf.I;c
I'ccntct t^chcl S::\\tc noc^, \co;i ^akc vss") bicfcin
(icßrcicT'cn Cnbc, lann id) cö [clbft foum Iccrcifen, lüic
c^ nuvjirp ßeii^cfcn if:, tuj ia; ganj ßllein geßcn cti[jc
cilfcr tiefer »crcinlcn ^lhü)tc pnb^'ulten unb ben Sieg
cru^.nipfcn fcnntc. .
^*
Die6)4»tSriMtfye»taMfQLjig04ßr4fü;^fz4^y^iP7J'ahre geschrieben.
- ^^V / ;
Ygl, hierzu Ferdinand Lassalles Nachgalassene Briefe und Schriften,
Bd. I, Nr. 78ff. Lassalle hatte im Frühling I846 sich "bemüht, durch
Bestechung üJinhlick in die Korrespondenz des Grafen von Nostitz,
des Schwagers der Gräfin Hatzfeldt,zu gewinnen. Die Sache kam vors
Universitätsgericht. Da Nostitz Generaladjutant des Königs war, so
wurde anfangs von der Polizei angenommen, dass er sich wichtiger
Staatsgeheimnisse zu bemächtigen beabsichtigt habe.
, _ . Ber Schatullenpro zess in Köln. Eine getreue Darstellung der
Assis enverhandlung zu Köln am 24. November I846 über den Kammer-
gerichtsassessor Felix Alexander Oppenhaim aus Berlin, Düsseldorf -
1846, Stahlsche Buchhandlung.
In SGinom Kampf für das Recht dor Gräfin Hatzfoldt standen Laasalle
■X-
zwei Jui^^andfreunde zur Seite: Arnold liondelasolin und Aljxonder
Oppenheim . Die "beiden ü'bqrnahmGn die {gefährliche I.lisnion, ±r der Rhein-
provinz juridische Beweise für die verschv/enderische Lehens weise des
Grafen zusammenzubringen, um c^gen ihn den Prozess auf T^hescheidun£^
und Beschla^Tiahme wegen Verschwendung heginnen zu können. In Ausführung
dieses i"^eld zugsplanes entv;endete^^ Oppenheim am 26, August I846
der r.aitresse des Grafen, Baronin Meye^dorf , in einem Hotel eine
■
Kassette, in der er vd-chtige Beweisstücke vermutete, insbesondere eine
zueTunsten der Baronin ausgestellte Schenkungsurkunde, durch welche die
Rxistenz des einzi^ren dor Gräfin verbliebenen Sohnes Paul gefährdet
vAirde, Die katastrophalen I^blgen dieser Tat stellten sich unverzüglich
ein; Oppenheim wurde verhaftet, während Mendelssolm, der die Kassette
verborgen hatte, ins Ausland flüchten konnte. Oppenheim v/urde zv/ar
von den Assisen in Würdigung des Umstandes, dass er sich durch die f'^t-
wendung der Kassette nicht bereichern v/ollte, freigesprochen, aber die
aufsehenerregende Af faire v;ar damit keineswegs beendet.
Heben den drei Haupt angeklagten wurde Lassalles Vater am stärksten
, in llitleidenschaft gezogen, Rr fürchtete für die Karriere seines Sohnos,
vorstand seine Beweggründe nicht, half ihm aber immer vdeder finanziell.
( ) Heyman/ Lassal an Lassalle
Breslau, d. 13. Oktober /l8746.
^r«iesseii-vcrd-icnc-ich~<lergJeicüen i^enicrkungca-iiichyTDu weißt nur
zu gut, mein vielgeliebter Sohn, daß ich Dich sehr lieb habe, daß ich
zu allen Zeiten viel mehr für Dich verwendet, als es je meinen Ver-
hältnissen angemessen war und es mit Bereitwilligkeit und gerne ge-
geben, allein das Unmögliche kann man nicht möglich machen. Ich
übersende Dir anliegend abermals 500 Rt., sage fünfhundert Taler,
es ist alles, was ich zusammenbringen konnte, und daß es mir schwer
geworden, magst Du schon aus der Verzögerung ersehen, daß ich trotz.
Deines Verlangens umgehender Antwort Dich vier Tage lang warten
ließ, ohne antworten zu können. Sei ülxirzeugt, geliebter Sohn, daß,
wenn ich es imstande wäre, so würde ich Deinem Wunsche entgegen-
gekommen sein. Allein ich sage mit Luther: Gott helfe uns beide.:,
ich kann nicht weiter! —
Ich wünsche Dir von ganzem Herzen, daß sich Deine Angelegen-
heiten bald auf eine solche Weise gestalten, daß Du nicht solchem
drückenden Kummer ausgesetzt sein mögest, obschon ich, ehrlich ge-
standen, für das Gelingen der Prozeßangclc'gcnheit keine sonderliche
* &i i$ "Im Jahre I846 hatte ich in Berlin zwei sehr intime Freunde,
"beide sehr hohen und reichen Familien Berlins angahörig.
Mner von ihnen, Oppenheim, war Richter an einem Ohergerioht
in Berlin, was bei iins ein hohes Amt ist. Er war der Sohn
yhmf eines der reichsten Bankiers Deutschlands, Sein Vater
hesass fünf "bis sechs Millionen Taler. Dar andere, Mendelssohn,
war Arzt und gehörte einer nicht minder vornehmen und angese-
henen Pamlie an. Beide ^.varen älter als ich. Aber ich hatte zu
allen Zeitan die Gabe, dass die Menschen anf meine Stimme hörten.
Ich setzte ihnen die Geschichte dieser Frau auseinander und
-- — fragte sie, ob sie auf Tod und Leban mir helfen wollten, sie
zu schützen, und ob sie, wenn es sein müsste, vjohl auch ihre
eigene Rjcistenz zu opfern bereit sein v/ürden. Sie soh\7oren s
mir zu,"
AU^i Fejjdinand Lassalle von Stefan Grossraann, Berlin 1919«
S.I8I,)
Gustav Mayer a.a.O. Bd. 1, S. 277/78.
^
Hoffnung hege, keineswegs [in] solcher kurzen Zeit, als Du den Aus-
gang zu hoffen gezwungen bist. Ein solcher Trozeß kann sich noch'
viele Jahre verzögern, und wenn die Gräfin in der Zwischenzeit nicht
ihre gewöhnliche Apanage bekommt, wo willst Du die laufenden Aus-
gaben decken? Ich möchte mit dem frommen Psalmistcn ausrufen:
„Wenn ich meine Augen der Zukunft zuwende und frage, woher soll
iilfe mir kommen? Die Hilfe ist von dem Herrn, der Himmel und
Erde geschaffen." —
» ^ f
Aiifan^^ des Jahi-es 1847 kehrte Lassalle aus Paris zurück, Schon am
26, r.ärz v/urde er wegen Verdachtes, private Papiere Alexander Oppenheims
widerrechtlich vernichtet zu haben, verhaftet. Es war die erste Haft
von vielen. Der Vater empfand sie als furchtbaren Schlag, In einem an
ihn und die Gräfin aus dem Gefängnis gerichteten Brief versuchte Lassalle,
^Qin Vater zu zu trösten und zu beruhigen,
( ) Lassalle an Heyman Lassal und die Gräfin Hatzfeldt
/"ll. April \HlJ
Ja, heut ist der ii. April, mein Geburtstag! Ich will mir daher
auch einen Feiertag draus machen, ich lege Arbeiten und Bücher fort
und schicke mich nn. einen Brief zu schreiben, uiclit über trockene
Geschäfte, sondern einen heiteren Brief voll zwvckloscr rhmdeivim.
Gewiß denkt man heute sehr sorgenden Her/cns an mich und stclll
sich wunder wie groß mein Unglück und meine Trauer vor, daß ich
meinen Geburtstag im Kerker!^ zubringen müsse. Wie kann ich alle
die traurigen Gedanken, die man sich grade jetzt in dieser sell)en
Stunde, in der ich schreibe, um mich macht, besser widerlegen, als
indem ich den Beweis führe, daß ich zur selben Stunde in höchst ange-
nehmer Laune, humoristisch gestimmt beschäftigt war, einen heitern
Brief zu sehreiben. Zwar weiß ich noch nicht genau, an wen ich ei(;cnt-
lich diesen Brief adressieren werde, an die verelirte Frau Grüfin oder
an meinen heben, lieben Vater. Indes es bleibt sich ziemlich gleich.
Denn obgleich es kein Geschäftsbrief ist, könnte mir doch noch irgend
etwas darauf Bezügliches einfallen und somit eine Lesung von seilen
der Frau Gräfin erheischen. Auch haben Sie nu'r, gnädige verehrte Frau,
erst letzten Dienstag den Enveis gegeben, daß Sic auch an meiner
bloßen Person bei weitem mehr Anteil nehmen, als ich Recht und
Verdienst habe zu beanspruchen. Ihnen hierfür meinen Dank sagend,
bitte ich Sie, dieses bunte Durcheinander von Geschwätz, wenn Sie
CS gelesen, meinem Vater zustellen zu wollen.
.Wogegen ich zunächst meine Bemühungen richten möchte, wäre,
die übertriebenen Vorstellungen von dem großen und exzeptionellen
Unglück, das mich betroffen haben soll, von der- Traurigkeit meiner
Lage etc. zu bekämpfen.^^«^ ^HkT , dei mich i i äligrk^iint.'^w dß, ddß Ich' ^
•• ^
■^r •--rir''Y?,
Gustav Mayer a.a.O. Bd. 1, S. 313/17«
Lassalle sass vom 26. März bis 4. Mai I847 in Untersuchungshaft,
!ilr wurde freigesprochen.
C ^-^-J
•
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UllClU OöLcraiehlscueü hiriii Saß; oder da Damen ihre Geschichts-
kenntiiis gewölmlicb aus historischen Romaneu schöpfen, an den L»uc
de Beaufort. ICukel Henri IV, der neun Jahre in der I3astille saß. Die
Namen der Dichter. Gelehrten. Staatsmänner, die in neuerer Zeit saßen,
würden Bücher füllen. Von allen aber, die je saßen, hat keiner mit
so günstigen Aussichten gesessen, so schnell wieder freizukommen
wie ich.
Vor allem aber muß ich eine Äußerung meines lieben Vaters hier
inkriminieren, die derselbe neulich tat, weil sie eine total unkritische Auf-
fassung venät. Er sagte mir das letztemal, als er mich besuchte: „Ach,
muß ich Dich hier in einer Kriminaluntersuchung wiederfinden,
während ich glaubte. Dich auf dem Kathederitf wiederzufmden?!"
Er macht also offenbar aus einer Kriminalhaft und dem Katheder
Gegensätze, was aber total falsch ist; vielmehr ist heutzutage das
Katlicder als der direkte, grade Weg, die eigentliche Vorhalle zum
Kriminalgcfiingnis zu betrachten. Soll ich das cr\veisen ? Nun, das ergibt
sich von selbst aus den Namen aller der Gelehrten und Schriftsteller,
die bereits Fcstungsarrcst, selbst Festungsstrafc auf ihrer Katheder-
karriere gefunden, andere befinden sich eben in Kriminaluntersuchung
gleichfalls wegen Schriften unerlaubten Inhalts. Andere sind eben der
Majestätsbeieid igmig angeklagt. Gestern las ich in, der Zeitung, daß
eben Steckbrief gegen Stadtgerichtsrat Siraon-^-ffn Breslau seiner
Kritik des Patents vom 3. Februar wegen erlassen sei, ein sonst höchst
respektabler Mann. Wie kann mein Vater Katheder und Kriminal-
gefängnis in Gegensatz bringen? Das streitet wider alle Erfahrung.
Und wenn mich nicht die besondere Verwicklung der Umstände auf
vorübergehende Zeit (denn seiner Zeit dürfte ich dahin zurückkehren)
von meiner Kathederkarriere abgezogen hätte, so wäre es sehr mög-
lich immerhin, daß mich heute mein Papa ebenfalls in einem Kriminal-
gefängnissc fände, aber in einer Kathedersache, was jedenfalls weit
bedenklicher und unangenehmer wäre. Und kommt Zeit, konnnt
Rat. Proudhon wurde wegen seines Buches ,,Qu'est-cc que la pro-
pri6t6?" vor die Assisen zu Bcsan^on gestellt. Ehe die Sitzung
bcgami, kam ein Courier aus Paris, das öflcntliclic Ministerium solle,
wenii Proudhon von der Jury für schuldig befunden würde, den schwer-
sten Strafantrag stellen. Hätte die Jur>' Proudhon für schuldig
befunden, so hätte er zwölf Jahre Galeere bekommen!! Zwölf Jahre
Galeere dafür, daß er sich des Schlafes beraubt, um ein großes und
gedankenvolles Buch zu schreiben, welches durchaus nicht einmal
aufregend geschrieben ist, welches bloß streng kritisch und wissen-
schaftlich das Eigentum behandelt! Zwölf Jahre GaleereJ Dagegen
sind ja unsre Strafen in Preußen noch ein Kinderspiel.
*- ^ 4^
.' 1
•
•
U. Haie."',
Lassalles ursprüngliche Absicht war, sich in Berlin an der Universi-
tät zu habilitieren. Noch auf eine Anfrage des Ministers des Innern
vom 2, Juni I847 berichtet der Berliner Polizeipräsident von Putt-
kammer: "Lassal, welcher übrigens nicht doctor promotus ist, sondern
seiner Angabe nach nur die Lizenz ¥u Vorlesungen bei der hiesigen
Universität jedoch vergeblich nachgesucht hat,"
^^ Heinrich Simon (1805--I866), der liberale Politiker, hatte eben seine
bekannte Broschüre "Annehmen oder Ablehnen" erscheinen lassen.
/€'
'^
Am 4. I.ai v/urde Lassalle freigesprochen und aus der Unterauchun,;'"^-
haft entlassen. Durch diesen und Oppenheims l<^eispruch ermutigt, kehrte
Arnold Iiondolssohn im Juni 1847 nach Deutschland zurück.^ r']r vmrde in
Köln verhaftet und zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, l^ohl gelang es
den Bemühungen der Familie und der lA'Jrsprache Humboldts, eine Milderung
der Strafe zu ervdrken, so dass Mendelssohn im Mai I849 aus der Haft
entlassen vAirde; die Herabsetzung der Strafe war jedoch an die Bedin^rung
geknüpft, dass er Deutschland auf immer zu verlassen habe. l'Jr trat in \
d^:in Dienst der ungarischen Revolutionsarmee und ging später mit anderen
ungarischen Flüchtlingen in die Türkei, Im Jahre I854 nahm er am Orient-
krieg gQQQXi Russland als Arzt eines türkischen Regiments teil und fand
in der ITähe des Ararat den Tod.
Da man Lassalle nicht zu unrecht als Anstifter der Kassetten-Ang .legen-
heit betrachtete, \\airde (^Qg^n ihn ein Kriminalpro z es s anhängig gemacht,
worin er als der intellektuelle Urheber des Kassettendiebstahls angeklagt
VAirde, Lassalle begrücste den Prozess als die Gelegenheit, vor aller V/elt
den Streit z;7ischen der Gräfin und ihrem Kann kundzutun und dadurch den
Grafen moralisch zu vernichten.
Sieben Tage dauerte der Prozess vor dem Assis eng jrichtshof zu Köln,
Lassalle hielt eine sechsstüdnige - später im Druck erschienene -n
Verteidigungsrede und wurde an 11, August I848 freigesprochen. Es war
der erste grosse, der entscheidende -^Sieg seines Lebens, Er hatte mit
einem Schlage den Ruf eines unvergleichlichen Redners und eines Liannes
von grenzenloser Energie erworben. Als er mit der Gräfin in Düsseldorf
ankam, wurden beide von der Bevölkerung begeistert empfangen. Die I.lenge
spannte ihnen die Pferde aus und zog ihren V/agen durch die Strassen,
Lassalle deutete das lüotiv für diese enthusiastische Kundgebung folgen-
dormassen: das Volk habe begriffen, dass dieser Prozens im tieferen Sinne
durch die darin zutage getretene Auflehnung QQg^n die Unterdrückung
ein politischer war.
Dennoch hatte LassaHa noch viele Kämpfe zu bestehen, bevor er nach
weiteren sieben Jahren sein Ziel, die Gräfin von der Despotie ihres
Mannes zu befreien und ihr Vermögen für sie und ihren Sohn Paul zu
"Meine Verteidigungsrede mder die Anklage /Ä«^' Verleitung zum
Kassettendiebstahl gehalten am 11, August I848 vor dem königlichen
Assisenhofe zu Köln und den Geschvrorenen von F. Lassalle^"
Köln 1848, Verlag von Wilhelm Oeven.
C G.M._7
4
%
//
r/tten, erreicht hatte.
Dieser i^rfol^:, den er seihst als den "Triumph seinoo Leh,-nG" hezeich-
nete, hcdeutete für Lassalle weit mehr als eintn ^^cev/onnene» Rechtsstreit.
T^r fassto die Affaire der Gräfin Hatzfeldt als ein Vorspiel der Revolu-
tion auf. llit unheirrharer Konsequenz wandte er die Kate^oriGn der
Heroischen Geschichtsphilosophie auf seine persönlichen, v/ährend der
Kampa^Tie gemachten ^Erfahrungen an und unternahm in einem an die Gräfin
gerichteten, dem Umfang und Inhalt nach eine philosophische lionographie
darstellenden Brief, den Versuch, den Kampf. ^Qg^n den Grafen Hatzfeldt
in eine v/eltgeschichtliche Perspektive zu rücken.
( ) Lassalle an Sophie von Hatzfeldt
/" Undatiert. J
Die freie Persönlichkeit kämpft für die allgemeine Anerkennimg und
Geltung ihrer innem Wahrheit, ihres Prinzips. Das zur aUgemcinen
Anerkennung und äußern Geltung gelangte Prinzip ist das — Recht.
Sie kämpft also um ihr Recht und auf dem Rechtsweg. Das Recht
ist aber zugleich der ver^\^rklichte Ausdruck der alten Gesellschaft
und ihres Prinzipes. Das Gesetz steht daher allüberall der neuen Wahr-
heit entgegen, und ebenso sind die Rechtsprecher die Vertreter und
Wächter der alten Wirklichkeit in der Gesellschaft. Es ist also in dem
Kampfe der freien Persönlichkeit der absolute Widerspruch vorhanden,
daß sie die alte Welt bei der alten Welt selbst verklagt. Sic kann
also bei der alten Wirklichkeit, welche dem Gesetze der Sclbsterhaltung
folgt, unmöglich gegen sie selber Recht erlangen. Das Be\\-ußtsein oder
auch der Instinkt dieses Widerspruchs, nicht bei dem Alten gegen das
Alte selbst Recht finden zu können, treibt ^daher mit absoluter Not-
wendigkeit die männlichen Vorkämpfer für die freie Persönlichkeit,
welche als Männer das Element der Tat an sich tragen und als Revo-
lutionäre die Rücksichtslosigkeit des Handelns besitzen, dazu, durch
ihre eigene Kraft sich Recht erlangen und nehmen zu wollen, d. h. zur
Selbsthilfe, zur Gewalttat. Von hier aus empfängt der Kasscttcn-
coupH seine Notwendigkeit; der Kassettencoup allerdings als dieser
einzelne Akt war zufällig und hätte unterbleiben können, aber dann
wäre an seine Stelle eine andere Gewalttat getreten. Was notwendig
war, war, daß es zur Gewalttat kommen mußte. Jener Widerspruch
mußte von vorneherein dazu hintreiben. Und darum mußte ich mich
von Anfang an in einer Reihe von Gewalttätigkeiten bewegen. Die
Nostitzsche Affäre^^rder Meyendorff-Brief, der Kassettencoup, die Zer-
reißung der Papiere durch Oppcnheim^jTQie Zerreißung derselben
durch mich usw. bieten eine Serie von Gewalttätigkeiten dar, die durch-
aus nicht zufällig sind. Das Bewußtsein, das zu bekämpfende Prinzip,
das man zum Feinde hatte, zugleich zum Richter zu haben, nuißtc mit
Notwendigkeit zum gewaltsamen Versuch treiben, sein Recht aus sich
selbst erlangen und schöpfen zu wollen.
Indem sich aber die freien Subjekte zur Gewalttat erhoben, haben
sie damit aufgezeigt, welches die eigentliche innere Grundlage ihres
Kampfes ist, Sie haben in ihrer Verachtung der allgemeinen Wirklich-
keit und ihrer Gesetze gezeigt, daß sie den absoluten Gegensatz derselben,
das Prinzip der freien Persönlichkeit, zur Geltung bringen wollen , j-^-^
• /
/^
haben damit dargelegt, in prinzipiellem Gegensatz zu allem gegen-
wärtig Geltendem zu stehen. Deswegen erheben sich nun die Wächter
des Geltenden, die zu seiner Aufrcchterhaltung bestallten Ämter mit er-
bitterter Wut gegen die freien Subjekte und schleppen sie immer und
immer wieder vor die Gerichtsstüttc, um erklären zu lassen, daß sie sich
am Wirklichen vergangen haben. Sie zählen Gewalttat nach Gewalttat
auf und sind ihres J^rfolges sicher. Da aber der Richter aus den frei be-
weglichen und nur auf ihr Gewissen vereideten Gliedern der bürgcr-
licl:en Gesellschaft ist, und da das neue Prinzip allüberall bereits inner-
lich die Grundlagen der alten Wirklichkeit unterminiert und die Ge-
v/issen also, welche die innerliche Gnmdlagc des Bestehenden sind,
infiziert hat — rufen die freien Subjekte mit erfolgreichem Trotz die Ge-
walt und das höhere Recht ihres innern Prinzips gegen die faulenFormen
des Geltenden an; sie vcrwandehi, da der Geschworene nur auf sein
Gewissen vereidet ist, die Tatfrage in eine Gewissensfrage, und der
in seinem Gewissen geteilte Geschworene kann sie nicht verurteilen, und
sie gehen, durch die um sich greifende Macht ihres Prinzipcs beschützt,
frei und als Sieger aus dem Kampfe.
Zugleich aber haben die Subjekte, indem sie durch die Gewalttat ihr
allem' Bestehenden entgegengesetztes Prinzip frei darlegten, die weib-
liche Individualität und die Sache derselben, für die sie kämpfen, die
notwendig mit ihrem Prinizp identisch »ist, als den absoluten Gegen-
satz der sozialen Grundgesetze zu erkennen gegeben. Sie haben dadurch
den Gegensatz der Wirklichkeit gegen die kämpfende Sache der weib-
lichen Individualität geschärft. Freilich konnte man sich über die Be-
deutung der Gewalttat noch täuschen und sie als zufällige und ver-
einzelte hinnehmen, so daß die Sache der freien Persönlichkeit selbst
noch, immer dem jungem und also 'beweglicheren Teile des Richter-
standes vSympathien erwecken konnte. Obgleich die tiefer blickenden
alten Rieliter des Kassationsgerichts uns schon damals entgegen
v.'aren.
Als aber bald darauf die allgemeine Gewalttat ausbricht — die
Revolution von 1848 — , als der Gedanke- der freien Persönlichkeit auch
seine äußere politische und ökonomische Verwirklichung erorbera will
imd den Kampf dafür auf Tod und Leben der alten Gesellschaft an-
"kündigt, da mußte der prinzipielle Gedankenzusammenhang der all-
gemeinen Empörung mit der individuellen, die Identität zwischen der
Realisation der freien Persönlichkeit im Gebiet der staatlichen Geltung
und des materiellen Bedürfnisses und andererseits im Gebiet'des ethischen
Verhaltens der Geschlechter zueinander auch den Borniertesten klar
werden, imd die Wirklichkeit wurde implakabel gegen Sie imd mußte
€s werden. Das Proletariat in Köb ergriff im Instinkte dieses Zu-
sammenhangs in meinem Assisenprozcß ^^ in Köln enthusiastisch für
mich, die Richter schonungslos für Hatzfeldt und gegen Sie Partei.
fc- ff
■ Da haben Sie eine begriffliche Darstellung Ihrer Geschichte. Er-
kennen Sie die innere Notwendigkeit derselben an. Erkennen Sie an,
auf welchen Zeitgeistes Schultern Sie stehen, wer Ihre Vorläufer und
Vorbereiter waren, und stärken Sie sich an der unausbleiblichen Not-
wendigkeit, mit welcher Ihr Prinzip dem Siege und die Wirklichkeit,
mit der Sie kämpften, dem Untergange zueilt.
//
Als sich Lassalle nach Boondi,r;un{^ dor IIatzfeld-A.f faire auf eine
Orientreifje "bCif^al), erfuhr er in Konstantinopel die volle Wahrheit
über das Schicksal seines treuesten Freundes und '.Vaff onbruders
Arnold Hendelssohn. Hun erst vAirde er sich der Grö.vso des Preises
bevmsst, den er für seinen Sio^ hatte zahlen müssen.
In die Zeit des Kampfes für die Gräfin Hatzfeldt fällt auch das
erste Auftreten des Politikers Lassalle, Als die Revolution im Jahre
1848 ausbrach, stürzte er sich kopfüber in das Geschehen. NAch einer
am 22. Ilovomber I84Ö in Neuss gehaltenen leidenschaftlichen Rdde VAirde
er verhaftet und angeklagt, die Bürger zur Bev/affnung gegen die könig-
liche Gev/alt aufgereizt zu haben. Noch vor der für den 5. I'-^i 1849
anberaumten Verhandlung veröffentliche Lassalle seine berühmt gev/ordene
..» . •, ,.**> ein forensisches Meisterwerk. , , „ ^^ , . ,
"Assis enrede" Aus der Haft schrieb ^/^
an die besorgte llutter,
( ) Lassalle an Rosalie Lassal
2,
/^ Düsseldorf £aö. Gefängnis, 25.
&8>
• • #
freue nücf; auf fcic ^^'o^ctur luic ein ©Ott. ©ic
tcr fcvnr^iiitrcffcntc %^oUo unll icf; meine Sanjcn
iDcrfcn, unb icf; !;at>c im lun-aiiö -I^ittcib mit fccm
^trmficiv ^cr fcic nojjlicr^c ^(ufcjabc l)ühcn iinrb, fciefc
[pajjr>aftc imb \?crbvecr;cri[cr;c %if(aQc mir öeQcnubcr
51; \3Ci'icibi(jen. ' -
©icpoIitifcAcn^ßcvIJiUtniffciucrfccn iiiol;l3tcicr;fQnöktb
311 einer cntfff;cifccnfccn Sofung gelangen mii[fcn. QnU
irefccr fc^u't !i)cut[a;Ionb ivivflicf; uncbcr unt) für immer
in fcic %\it)t fccr alten 3iip^^"^c imud — iinb fcnnn i[l
ciUc 2I!nffcnfinafi eine ßü^e, nllc ^r;ilü[ep^ic ein btogcö
(Spiel fcci; GciftcjJ, «[^Cvjet ein fcem 2irrcnr;Qiiö cnttoufcncr
O^ürr, unb cö (jiSt Feinen ©efcanfcn in bcm JufaK bcr
©cfcfpic^tc — , ofcer fcic S^eooTution )uirb IJalb einen neuen
unb ent[cr;eibenbcn S^riumpf; feiern.
^
t
«
Vgl.faTa.O. ~Bd. I^, 'Einführung S. 29 ff.
** Anleine Assisenrede, gehalten vor den Geschworenen zu Düsseldorf
am 3', Mai 1849 gegen die Anklage, die Bürger zur Betraf fnung gegen
die Königliche Gewalt aufgereizt zu haben, Düsseldorf /^1Ö49_7*
itefan GrosGmanni a.a.O. S. 50/52.
/^
Ccfitcrcö r;at unj^Tcicf; incr;r mi)x\i^)c\nlU{)Ult <J3c-'
rcit^J fancjcn nucf; tic efoiucn nii, ficf; fccni J^unbc bcr
rciH>riilicn,Jvon S3LMfcr nnfcfilicOcn 311 ivoUcn.
Süö iinrb ein ^racficu öcljcn! 2)icfcn grufjün}) (IcOt
(^iiropo^in gciicr imb S^^^lmcn. 5Bcr boö nicf^t [icf;!,
ift ein ^or. Oiuibc Gott bann unfrcr prcufifcOcn üBirt«
iK>^ftI Surcf; bic Obyciubcrcrciflniffc finb jc^Jt iiucf; bcm
;2)umniflcn bic 5fii(}cn flcoffnct, bic 9]oücni6cvmfot*
^ flun^cn finb bcr (jrojjtc S^ol)n nuf SRccr;t imb GJcfclj Qc«
' lucfcn, unb bic 2cr;rc mivb Feine Dcriorcnc fein.
, ^(h fufl'c 3)id) unb bcn ^Jicr^cIicStcn ^üpa taufcnbmol
unb fcr;c mit Un^cbulb einlegen Seilen cntcjeöcn. Cuer
^uc^ licOcnber •
S. finffalle
Lassalle vairde zvrar, v/ie er vorausgesehen hatte, freigesprochen,
aher in den nächsten "beiden Jahren war er kaum ein Vierteljahr auf
freien Fugs, da er iraraer wieder revolutionärer Umtriebe für schuldig
"befunden vAirde,
Die zväschen dem erfolgreichen Ahschluss der Hatzfeldt-Affaire
,und Lassalles Wiedereintritt in das politi3C)e Leben liegenden Jahre
ur/lö54 - l862j^ vra,ren eine Periode fruchtbarer wissenschaftlicher
Arbeit, Lassalle veröffentlichte 18 5Ö das zv/eibändige Werk "Die Philo-
sophie Herakleitos' des Dunklen von f^hesos", 1059 d.as historische
Trauerspiel "Frans von Sickingen" und I86O "Das System der erv/orbcnon
Hechte, eine Versöhnung des positiven Rechts und der Rechtsphilosophie".
Durch diese in rascher Folge erschienenen, drei verschiedenen Sphären
angehörenden Werke hatte Lassallo sich eine hervorragende Stellung in
der gelehrten und literarischen Welt erobert.
(
) Lassalle an llarx
Berlin, 17 . Dezember /lö57/.
Potsdamer Strasse ITr. 131.
Infolge eines von mir meinem Verleger gegebenen Auftrages wirst Du
durch den Buchhändler David Nutt ein Exemplar meines Heraklit
von mir zugeschickt erhalten. Nicht, damit Du es lesest, sondern nur
als Zeichen meiner fortdauernden Liebe und Hochachtung. Das Buch
ist seit der zweiten Hälfte November erschienen und hat das Glück
gehabt, hier in der gelehrten Welt die merkwürdigste Sensation zu
erregen! Ich habe die fabelhaftesten Briefe von Bpeckh, IJi^mboldt,
Ivcpsius und vielen anderen bekommen. \)*'^Boeckh, Lcpsius. Tohannes
«#
***
Gustav Mayerj a.a.O. Bd.Bi S. 108/10#
Vgl. a.a.O. Bd. Ilt A\igust Böckh an Lassalle vom 9. XI. 1857 J
Alexander von Humboldt an Lassalle vom November 1857; Richard Lepsius
an Lassalle vom 15« XI. I857.
^August Böokh (1785-1867), Altphilologe.
/ICarrSichard Lepsius (I8IO-I884), Aegyptologe und Linguist-, Professor
in Berlin.
A
Sclnilzc kamen zu mir gestürzt (infolge eines komischen Zusammen-
treffens fand sich Boeckh grade zusammen mit dem roten BeckeP^lJef
mir cm, der eben durchreiste) und Philologen wie Ilcgcliancr gehen liier
wie der Ausrufer des Königs Ahasverus vor Klardocliai vor mir her und
schreien: „Das ist der Manu, der den Heraklit geschrieben hat." ^Hum-
boldt hat mich genötigt, zu ihm zu kommen und kolportiert meinen
Ruhm, und nachdem es durch alles dies einmal Mode geworden ist.
mich auf das unverschämt jste zu lobhudeln, üb^^rtreiht
joder um die V/ette! Ich lasse mir das alles ruhi^ i^ofallon und
lebe das Gute mit ebenso unTerührtem Gemüte danieder, v/ie früher
das Schlechte, Der reelle Gev/inn bei der Sache ist, dass ich
infolge des grossen Goschreis unter den Spitzen der gelehrten
Welt von der Polizei keine T^bcmission von hier zu "befürchten
habe, v/as mir sehr zur echt kömmt.
u/^. Bei allen Erfolgen als Politiker, Autor und Hedner erkannte Lassalle
doch klar die Sch\vierigkeiten, die ihm aus Abstammung, politischer
Gefährdung und seinem Charal<:ter er\7uchsen. In einem Brief an die
Russin Sophie Sontzoff , ^^^jj^-i^einen Heiratsantrag aw^^^ß^', gibt er
ein schonungsloses Solbstportrait, aus dem hier einige Auszüge
folgen.
) Lassalle an Sophie Sontzoff
Septembor I86O
\, >Öov nllcw S^in^civ Sopfnc, i(^ vciflicf; ju ütjcr«
Icj]cn, tog icf; ein ?}uinn V^w, tcr feine öoiijc d'^iflcnj
ciiici' Tcilißcn (2nci)c, tcr C(ur;c tcö >ÖoIfsJ HsS in ir;rc
uu(;cv[icn ^onfcqiicn^cn ßciinbuKt r;nt. Sicfc (Saci)e
ift bcftinunt, nccf; ia iinfcvcni 3<^!}»^0""i^crt ju trium?
pr^icvcn, aber (ic unvb ifn'C 5(nr;ani)cv nöcf; cft fcf;iiKrcn
•ilictcrloßen unb Ocfnt;n-cn ouc[e^cu. %\\ fc{c[cni Kampfe
icnntc ic'; in [cr;vcd(icl;c Ü^ogcu ronuncn, bic Feine %\Y'
\)h\<^K\f,<:\\ 'i^w mir abiucntcn fiinn. ?!}icia Q3orniü3cn,
meine 5i'<^i(;^cit, mein fiekn felOft Tonnen fortnjiir^vcnb
öcfafu-bet fein. 9licl;tö i[l tei mir ficr;er! ^nbem ©ie
micf; Ocivatcn, bauen Sie 30vc Griftenj, %\)i .<?auö ouf"
tcr .<;6^c einesS 53uifanö! 5Serben 6ie bcn SiJiut r;a6cn,
im gaKc bc^> ??ci]3nnc}cnö nUcö ju tvncjcn: Sßcrbcinnung,
öefvincjni!?, Suiin, 5hT.uit unb fcIOft \^cx{ Slob? Unb
lunö necf; fcfplimmer, \jiencicf;t ein 2c6cn üoHcr Snt«
tcOvimßen? , , ,*
/:^_**.J 1077 erschien im lTovöm"berhef1; der PeteraVur^er Zeitschrift
"Soiropäisoher Bote" das Tagebuch der Prau S.S. - später erst erfuhr
man ihren vollen Namen Sonja Sontzoff - , das eine sehr interessante
Hipisode aus Ferdinand Lassalles LeTaen behandelte. Sonja Sontzoff
hatte ihren kranken Vater im Jahre I86O auf einer Reise in die
deutschen Bäder begleitet. In Aachen begegnete ihr im Hotel Grand
Monarque Lassalle, "ein junger Mann, etwas über Mittelgröase, er
hielt sich gerade. Seine ganze Figur drückte etv/as Stolz, man könnte
sogar sagen Hochmut aus, wenn nicht auf seinem schönen, bemerkenswert
klugen und blassen Gesicht die Züge eines in Gedanken konzentrierten
Menschen zu lesen gewesen wären." Auf einem Tanzabend lernten sie sich
kennen und - Lassalle verliess Vater und Tochter nicht mehr. Sie
trafen sich allabendlich bis z\ar Abreise. Nun folgte ein von Lassalle
stürmisch geführter Briefwechsel.
^Ferdinand Lassalle von Stefan Orossmann
^^Ai^/d€'__^ Berlin 1919. S. \mJ
*♦ /Johannes Sohulze (1786-1809) > Pädagoge, vortr. Rat im preuss.
Kultusministerium.
/^ ''/ucL^ ^
** ^^Hermann Heinrich Becker (I82O-I885), Politiker und Publizist; wogen
seiner Tätigkeit I848/49 der "rote Becker" g .nannt, MdR (Fort-
schrittspartei) .
\^
Stefan Grossraanni a.a.O. S. 153/90-
I ■
« < «
2. Illl^r tvcvtcn eic (lucf; bcn jwcitcn 6cr;tn3, bcii
it(? ^f'ncn 311 cvtcitcn r>öbc, ubcva>inbcn? ecpMc, Ic^
bin — ein Subc. ???cin a^ntci' unb meine ?0?uUcr finb
3ut?cn, unt> »renn iif) niicl) innevlicf) cbcnftMvenig ^ubc
bin \^\<i Z\i, [ci^av netf) ircnijjcr, ivcnn cö miöti^) »ll/
[0 habe icf; niicI; fcod) nccf; ni((>t \>i^\\ meiner Okli^ion
loe;]c[o3t, lueil icf) niicI) feine onbcvc nnncr;nien iuoKte.
jid; fann \rcl>t t^cv[icr;crn, bnß icf; nicf;t nicOv %<t^t bin,
aber c^>nc Sujjc fnnn icf) oucf> nicf)t i>crficf)cvn, (i'fmft
ijeivovtcn jn [ein.
S3ci unö nincf>t cö nicf^tö nielfu* ou(^, ^jutc 5U fein; fccnn
bei unö in 2)cutfcMant, in Br^infveicf;, in (rnglanb ijl
tieö nur eine Ö^cli^jicn, feine OktionoIitiU. ?D?an ift
bei unß 2intc, Jvic ninn ^^rctcftant ober Ävitf;ülif
ifr. ^ c\ unö bcfcntcr^^ u^cnn nuin einen 9iuf üon_
Öcift unb %^\z\\\ ^<x\, \x>\z icfv unrb ninn ollcn Qlcicf),
mit? cö gibt nicf^tö/ fcciö icf; nicfu erveicf;cn fonnte, \vcnn
id) cinnnlficjen un'irbc, mit tcv cyifticrcnfccn ^^ccjicrung
311 pafticren.
•^(bcr tiiö ip nifcö ßnnj antcvö bei 3(J"C'i i» 9ui[jfanb.
viie fclbft faxten mir, tag tno ^'ubcntuni fcort eine
OlalicimfitiU, niif;t eine SU'Iijjion ifl. (Tö i(l ivaf;r, Sic
lieben meinen grennb .<pcinc, cb[cf>on er quc^ ein 3nt>c
umr; aber eö ift tccf) ein 3vo(jer Untevfcf;ieb jaMfcficn
pectifcricr 53eref)i'un3 \\\\^ einer (J(;c in ber unrf(id)cn
'iiJelt. ^(>rc ÜJvintöIcutc Jvcrten (3ic Juecjen -fcer .^^cirot
mit einem ^nbcn DcrncMcn! ^ic, ^fbfonnnlin^ uon
i^urften, einen ???enlc^en (reimten, iDcI(f)cr — cö ift »uiibr
— ivcnn fcic ^(bftamnuing ein 9U'cf)t juni (Stoljc ^^^z,
ftcl3cr fein f5nntc tric ibr alfc, "^«i er i'on einem vUoIfe
übftammt, ivclcftcö dfter ift nlö alle ^^^^P^^" ^'"^
(Ibcticutc, tic nur etliche ^'H^'-'C'untcvtc cvijlicren; üom
crftcn jiiMfifntorifd)en v3oIfc, ive(cf;cö in fccr @efcl)icl;tc
»niftritt, unb üon bcn atten ,5l6ni(jcn (2i;rienö.
C^ö ift iiMbr, ic^ konnte 3i'(jnen boö Opfer bringen,
CfOi'ift 311 lucvbcn, obßfcicf; nacf; unfercn ©efe(jcn feine
9bliucnbii]fcit tii3u Dcr^muben, unb '^\z (rOc 5Unfcl)cu
C5i;riflen unb %\\\:<:\\ (jcftattct ift. Unb Jucnn cö eine
unumvjilnßlicbc 53cbini]unij iinkc, icf; xmt'^z cö \)icllcicf;t
tun. 5(bcr cö. un'ivtc mir fd;\ycr fallen, Sopf)ic. ^ri)
»rid cö 2i'I)ncn fa^jcn, ircöf;alb. 3fl) ^\i^<^ tic ^utcn
burcl^^auö n{cl)t, ja im üUjjcuicincn i'^crnbi'cfKue icf> fie.
3ff; fcOe in ibncn nur fcic fcl)r entorteten, C6f;nc einer
v]vc[]cn, ober fangft cntfcr^anmtcncn ^IJcr53iinj3cnf;cit.
I^icfc .^cutc babcn ival;renb ter in fccr (Sifaocrci ih'v*
bvacl}!cn 2ial;'numbcric oucl; fcic (lij]cn[if)aft fccr Cffaocn
außcnonuncn; \\\\^ fcci^f^nVlb bin itf; i(jncn dugcvft un;
j^uufn'g ^ofinnt. ^i\) f;abc oucf; cjar feine 5}crbinbun3
mit ifjncn. Unter meinen ^^rcunbcn unb in bcr Gc*
fcHfchaft, tic micf) r;icr umgibt, ift fafl nicl)t ein cin^ij^cr
jufcc. Cö finb alfo fcincrtci 91u(t\id)tcn, bic mir bicfcn
^Sccr;fct ctaniö pcinlicf; nuKf;cn tüürbcn.
%{kx, Copr;io, icf; tnu ein ??^lnn bct ^olitif, iinb, lun«
nocf; lucDr fn^jcn wiH, icl) bin taö ipaupt einer ^^ortei.
Unb tic '^Virtci, luckf^c fcic mcinijje ifl, nmjj ein fccm
Onintfül^^c fcftfjaltcn, nie einem 53oriivtciI (icf; 511 beugen,
ba fcieiS nur ^«^^ilD^it (ein im'ivte, unb nie fcarf (ic einen
^(ft bcr .^icucr;clci tcßcben. 2Bic (oU Icf; eö otfo mit bem
(lSiift(icf;cn Gduiben miur;cn, UH^nn, iroö jcbei'mnnn
ivcijj unb id) K\\\ii) nie \?cv(?cl^^lcn u^cvbo, icf; eOoi;[oiuenij}
iHMi bor t^)viftIil(^cn une lH^^ ber iubijcf^en lf)JcIi})ion im
•Ver^^^on liMijc I 'liU'ivbe cö nicl)t bcn ^»Hnfifjein r>>l>en, bnfi
{(f^ u:r. uiifjorcr ^UMtcifc umKcii einem !üovuvlci(e nncf;s
}3cbe? »Vicvin licjjt ein u&ci'i3vo(ici' 9Iij50vi(?nunJ, ein 'Sl\f
3cri'onun5, bei- in meiner ^ci'f6nticf;rcit Oecjrunbet ifi,
bcnn meine ^\ivtci iruibc meiner ^oufc nicr;t bcn Qe*
viujjficn 5l>ibcvflünb entßCijcnfcfjcn, ic^ fann if;n burcf;
'ßcmii] (jenncf^lißc 0iunbc~evF(ih-en, um fo mer;v, bo bie.
^^fiufe in foIcr;cn g»Uten otö eine reine govmatihU an«
f;c[cl^cn ivivb; unb bo icf; ni(r;t bic Dbtiucnbi^Feit
5Uj]ct>c, 'c^ci icf; Qucf; nicf;! im entfcrntcPcn gcfonnen tnn,
ir^cjibcineö -BoruvteiliJ \)oX{kx 3l}rcr SicOc 3U entfogcn,
fo n?crbc icl) K>k\kui)t. biefeö Dpfer bringen, ircnn cö
unumgi^nglicf; fein foKte/unb micf; tnufen laffen.
S^i^ö I^cigt, \(l) ircrbc ci tun, lucim S^^r 23ater ober oO^c
??iutter obfolul barauf befreiten, icf; ircibc ci ober fcineö*
fallö tun, ivenn nur (Sic eö ii5unfcl)ej> foKtcn. 2)?cinc
grau bavf burc^auö Feine 53orurtci(c baben.
3. Gcr;en n)ir ic^>t ju meiner (jcfctltcr;aftlicr;en (StcKung
über. S^^nßcn anr mit ber guten Seite ein. Sdjon feit
einigen 5^^!)vcn evfi-euc icf; micf; in ber ©etcr;itcmuelt
cincsJ fci;^r großen 9uifet5, ivclcl;er fotta\U;rcnb \x>\6)%
^idc iV^ruDmtrjcitcn, bic air l^oben, $umboIbt unb S36(F^ ;
Ijiibcn micf; mit bcm O^amcn ir;rcö greunteö beehrt.
bldw 3uif airb ficf; nod) uiel unb immer mer;r \jcvgr6jjern,
foircf;! burd) bie 9iücI)ivnvFung fcf;on ertcr;icnencr alij burd)
nocf; 3u ucroffcntlicDcnbc 5Irbeiten.
3n ber cigcntticljen 2BcIt ifl meine Stellung
fofgcnbe. 3m ötigemelnen *jcrl>alten ficf; nur jvenige
bei uwi in ^iCujjcn gicicbgultig mir gegenüber, ^oj^
unfci-e gnn^c öcfcUuf^ift teilt fid) in be3ug öuf mid)
in s»rci Parteien. 2)ic eine — ju \i^cTci)er bic gonjc
Slviftofratic unb ber größte ^eil bev 23ourgeoitic gcr;6rt,
Of^ufig [ogvu ^cifoncn mit einem tcicr;tcn 5(nflug üon
ßibcvnlißmuö — furcr;tet unb \)alt mic^. 2)ic Qubcrc
^nrtei, 3u mei(l;cr ber übrige Zd\ ber S3curgcoi[ic unb
baö 53elt gel)6vt, öcl;tct, liebt micl), i^crc^vt mic!) fogor
nicjt feiten, gur bicfc bin icf; ein D?iann üon größtem
©cnic unb üon einem fofl ubcrmcnfc^Iic^crt (3r;arürter,
♦jon bem fic bic größten ^nten ertunrtcn. Scnc, bic
gcinbc, eni\u'tcn Juof;! aucf; große Säten üon mir. 5Ibct
eben besSljalb, ivcil fic miu; mcl^r furd)ten olij irgenb'
jcmanb aiibeviJ, r;o[fcn fic micf; fo unbefcr;rcibticf;, baß idj)
%\\c\\ Feinen ridjtigen 23cgriff üon bicfcm affcö ocv«
fcf;tingcnbcn ijaß geben Fonn. ..>.. _
llach Giner unter PunJct 4 und 5 folf^enden ''rörtorun^ der voro^us-
Gichtlichon Gestaltun.^; doc ^^eGcllGchaftlichon Lobona, dasc iancalle
und Sophie führen '7'lrden, und LaGsalles fino-nziellor La,n:e, r'Qiit er
zum 6. und letzten Punkt , "zu dem Triumph seines Lebens" über:
dem Kampf für die Gräfin Ilatzfeld, den er von dem ersten Ta^^. seiner
Bekanntschaft mit der Gräfin bis zum letzten Stadium mit crör;:3ter
Ausführliclitceit beschreibt.
Gö )unv im ^JuQu\i ISoi, öB t)ic[cr .«T.impf (icßrcid)
beeiltet univbc.
iDrei ^al)xc [potcr, in S3cvlin im ^^i^ycc 1S57, sivnn^
iu; biiref; bic ^ero[fcntIicr;un() meineö „.^pcroHeitoij"
itn[erc örojjen Q)ckhxtcn, fcic jpumtoltt unb tie öocfl),
micf; mit offenen 5Irnicn ali i(ji-c!?vjlcicr;cn nuf^nncf^mcn.
^m 2ar;rc 1S.3S fc^niel) Ut) tic^vacjctic unb 1S59 bic
S3reicf)iirc, bic icf; SOncn (jc^cOcn t)Qhc, ■ •:;'
S^in S^tOi'c ISGO miKl)tc icf; — o (ujjc unb nn3cncr;mc
C-rinnei-uncj — in ^la(i)cn bic 23cFannticr;nft üon ©opDic
Cfbvinn IV no.
>^
i']rst nach ihrer Rückkelir nach Russland lehnte Sophie Sontzoff
Las sali es Heirats antrag ab. '
])ie Stunde für Lassalles V/iode rauf nähme des politischen Kampfes
kam, als nach Auflösun^n; des preussischen Abi^^eordnetenhauses im i.:ärz
1862 ITeuv/ahlen aus^Teschrieben vAirden. In zwei im April lö62 geschriebenen
Vortr/iä^-en - "Uebor Verfassun^^swesen" und "Ueber den besonderen Zusammen-
hang; der ^e^^emrärtigen Geschichtsperiode mit der Idee des Arbeiter-
standes" - rief Lassalle die Arbeiter zu einer selbständi/:iOn Politik
auf. In diesen {glänzenden Analysen der politischen La2:e, insbesondere
in dem zweiton als "Arbeit erpro^ramm" berühmt gewordenen Vortrag,
entwickelte Lassalle die Staatsidee des Arbeiterstandes, die im Ge,^en-
satz zur liberalen Staatsidee nicht den Schutz der persönlichen Frei-
heit des it^inzelnen und seines Eigentums, sondern die l'lnt Wicklung des
Llenschengeschlechtes durch die Solidarität der Interessen zum Gegenstande
habe. Die "Hachtwcchteridee" des Staates durch die derart umschriebene
'^")j;
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sittliche Idee des Staates zu verdrängen, erklärte Lassalle als Aufgabe
des Arbeitorstandes. Das L'Iittcl zu deren Erfüllung erblickte er im
alicemeinen direkten V/ahlrecht.
Von Lassalles "Arbeiterprogramm" datiert die Geschichte der neuen
deutschen Arbeiterbewegung. Er wurde zwar auf Grund dieses Vortrags
wegen Gefährdung des öffentlichen Friedens angeklagt und am 16. Januar
1863 SU vier Ilonaten Gefängnis verurteilt, die von der höheren Instanz
in eine massige Geldstrafe uragev/andelt wurden, aber seine/diesem
ProsoGs gehaltene, unter dem Titel "Die V/issenschaft xrnd die Arbeiter"
veröffentlichte Verteidigungsrede "wurde zu einem neuen v/irkungsvollen
Instrument der von ihm nunmehr immer intensiver betriebenen Agitation.
Seine Popularität unter der Arbeiterschaft stieg so rasch, dass er
noch vor Ende des Jahres 1862 von den einflussreichsten llitgliedern
des Leipziger "Zentralkomitees zur Berufung eines Allgemeinen Deutschen
Arbeitertages" aufgefordert wurde, sich an die Spitze der Arbeiter-
bewegung zu stellen.
( ) Otto Dammer, Friedrich Wilhelm Fritzsche und Julius
Vahlteich an Lassalle
Leipzig, 4. Dezember 1862.
Sehr geeinter' Herr LÖ^
i
In vollkommener Anerkennung dessen, was Sie durch Ihre Bro-
schüre: „über den besonderen Zusammenhang der gegenwärtigen Ge-
schiclitsperiodc mit der Idee des Arbeiterstandes" für den Arbeiterstana
getan haben und in festem Vertrauen, daß Sie auch in der Zukunft in
diesem Sinne tätig sein werden, legen wir Ihnen die folgenden Zeilen vor. •*
Die Arbeiterbewegung, welche mit unwiderstehlicher Gewalt sich >
geltend gemacht hat, welche durch Fehlg^ffe beeinträchtigt, durch keine
Macht aber unterdrückt werden kann, bedarf, wenn sie zu bedeutenden
und befriedigenden Ergebnissen führen soll, der umsichtigsten und kräi-
tigstcn Leitung; sie bedarf der höchsten Intelligenz und eines durchaus
mächtigen Geistes, in dem sich alles konzentriert und von dem alles
ausgeht.
Wir drei unterzeichnete Freunde haben uns als ^litglieder des Ko-
mitees^), eingehend mit dieser Angelegenheit beschäftigt und wir finden
in Deutschland nur Einen Jifann, den wir an der Spitze einer so be-
deutenden Bewegung sehen möchten, wir finden nur Einen Mann, den
wir so schwieriger Aufgabe fähig halten, nur Einen Mann, dem wir so
vollkommenes Vertrauen schenken, daß wir ihm als Führer der gaiizen
Bewegung uns imterordnen möchten, und dieser Eine Mann sind Sie*.
Sie haben durch Ihre Broschüre ein Recht sich erworben auf den
Platz, den wir Sie einnehmen zu sehen wünschen, Sie haben durch Ihre
Broschüre aber auch die Pflicht übernommen, nun vollkommen und treu
zum Arbeiterstande zu halten, und wir bitten und fordern von Ihnen,
daß Sie dieser Pfiicht nachkommen.^' ^ ^
Gustav May ;ri a.a.O. Bd. 5, S. 59/^1«
Dr. Otto Dammer, Chemiker (I839-I9I6)/ Friedrich Wilhelm Fritsohe,
Zig:arrenarlDeiter (I825 - I905); Julius Vahlteioh, Schuhmacher, (1839-
1915). Pritsohe und Vahlte^ich wurden später sozialdemokratische
Reichs tagsabgeordnete. V^lt a.a.O. Bd.V. 'Inführung S. 24.
c^wcU/4M( (^^^tu^ :
/
** Lassalle erklärte sich "im allgemeinen hereit, die Forderung zu
erjE^llen und die Führung der Arbeit erhewegung" in seine Hände zu
nehmen.
/■0.M.J
• Die Dissertationsschrift erschien I858.
ä>
Selbstverständlich sind diese Zeilen durchaus privater Natur und
lediglich der Ausdruck unserer Gesinnung gegen Sie. Wir können nichts,
als Sie bitten, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen und die Lei-
tung derselben in die Hand zu nehmen. Das aber dürfen und müssen
wir hinzufügen, daß so wie wir, wohl der größte Teil von denen denkt,
welche Ihre Broschüre gelesen haben. So wie aber die Vorlesung der-
selben hier zu stürmischer Begeisterung hinriß, so wird sie auch die Ar-
beiter in ganz Deutschland ergreifen, und alle werden in Ihnen den
Führer mit Freude und Vertrauen anerkennen.
LaGsalle v;ar eben im Begriff, ein grundlegendes national ökonomisches
V/erk zu vorfassen, eine vd-ssenschaftliche Untersuchung von der Art,
wie jenes V/erk, das um dieselbe Zeit von Marx und lüngels vorbereitet
vAirde. Eine gleichzeitige Betätigung als politischer Piilirer v/ar mit
einer solchen Arbeit unvereinbar. Lassalle entschied sich für die
Tat. In einem ausführlichen Brief vom 13. Dezember 1862 teilte er
den Vertretern des Leipzi,gor Komitees mit, dass er bereit sei, ihrem
Rufe zu folgen. Der Aufstieg des Arbeiterführers Lassalle begann.
Am 11, Februar 1863 richtete das Leipzi-rer Zentralkomitee an Eassalle
ein Ersuchen, seine Ansichten über die Arbeiterbewegung und ganz beson-
ders über den Wert der von dem Volkswirtschaftler Schulze-Delitzsch
ins Leben gerufenen Genosc-nschaf ten auszusprechen. In 14 Tagen verfasste
Lassalle sein "Offenes Antwortschreiben", das neben seinem "Arbeiter-
programm" das Fundament der deutschen Arbeiterbewegung gevrarden ist.
) Lassalle an Gustav Lewy
Berlin, den 9. Liärz 1863.
•> ^ /
Ich stehe jetzt an dem „Vorabend", wie die beliebte Zeitungsphrase
lautet, „eines sehr wichtigen Ereignisses". Ich meine mein Antwort-
schreiben an die Uipziger Arbeiter, welches bereits im Druck ist. Kor-
rektur erwarte ich heute oder morgen, und noch im Laufe dieser Woche
wird es erscheinen. Von den Arbeitern direkt und offen angefragt 'ist
es raeme Pßicht gewesen, direkt und offen mit der Sprache HeVau^zu-
gehen. Die Schwierigkeiten waren immens. Bei den Arbeitern kann nicht
einmal die Kenntnis dessen vorausgesetzt werden, was man heute unter
Nationalökonomie versteht. Noch weniger kann ich in einer kurzen
Broschüre von zweieinhalb Bogen mein nationalökonomisches Werk
schreiben. Offenbar war die ganze Arbeit rein unnütz, wenn es nicht
gelang, die Arbeiter von innen heraus zum Verständnis ihrer ökono-
mischen I.age zu bringen und sie gegen aUe Ugen, Illusionen und Täu-
schungen zu befestigeij, mit denen man ihnen kommen kann. Dabei
OuEtav Lewy, Kaufmann, /Öustar Le^ & Cle.J in Düsseldorf.
Kassierer tmd einer der tätigst n Agitatoren des Allgemeinen Deut,
sehen Arbeitervereins.
Oußtav Mayer» a.a.O. Bd. 5, S. 108/12.
il>^>'
mußte es für alle Welt durchaus leicht verständlich sein. Ich hielt selbst,
als ich mich hinsetzte, die Schwierigkeiten dieser Aufgabe noch für un-
übenvindlich, habe sie aber in einer mich selbst überraschenden Weise
gelöst. Das Ganze liest sich mit solcher Leichtigkeit, daß es dem Arbeiter
sofort sein maß, als wüßte er das Jahre lang und daß niemand es ihm •
mehr rauben oder mit Trugschlüssen und Sophismen beseitigen kann.
Die Wirkungen können erstaunliche sein. Da die Schrift ohnehin in eine
bereits bestehende praktische Bewegung fällt, so müßte sie wirken un-
gefähr wie die Thesen 1517 an der Wittenberger Schloßkirche. Und
so muß sie wirken, wenn unser Arbeiterstand nicht noch
sehr träge und faul ist! Dies ist die eine Seite der Medaille. Nun
kommt die andere: Ich las dieses ^lanifest im Manuskript zweien
meiner Freunde vor. Der eine (Bucher)^erklärte mir, daß er mir tags
darauf seinen Rat geben werde. Tags darauf erklärte er mir, daß
er mir feierlich jeden Rat venveigere, ob ich zur VerölTentlichung
des Manifestes schreiten solle, ob nicht. Näher gedrängt, ließ er
mir hinreichend deutlich durchblicken, daß er allerdings sehr für die
Publikation sei, daß er mir aber nicht dazu raten wolle, weil er
sich scheue, dadurcli irjjcndcincn Teil der Verantwortlichkeit vor mir
atif sich zu nehmen wegen des wütenden Hasses und der .scheuß-
lichen Veruiiijünipfungen, mit welchem mich die Bourgeoisie verfolgen
werde. ^ )('
Der andere (Ztcglcr)^^ freilich ein politischer Revolutionär (sonst
Bourgeois vom Sdicitel bis zur Zehe), war, während ich ihm das Manifest
vorlas, ganz damit einverstanden, daß ich es loslasse. Am Abend aber
schrieb er mir einen drei Bogen langen Brief;-) ich sei, wenn ich das ver-
öiTcntliche, ein toter Mann: ich hätte mich auf immer ruiniert; es
seien liorreurs; die Fortschrittspartei würde himmelhoch jubeln, daß
ich mich selbst gestürzt und unmöglich gemacht hätte; ich würde einen
Haß gegen mich erregen, in dem ich unterginge usw.
Ich antwortete auf dies alles nur mit dem alten Luther: „Hier stehe
ich, ich kann nicht anders; Gott helfe mir, Amen!" — Und wenn ich
gleich augenblicklich moralisch tot wäre und selbst physisch in sieben-
undsiebzig Stücke zerrissen werden sollte, ich hätte dennoch nicht
anders gekonnt! — Eine Arbeiteragitation ist da; es ist nötig ihr das
theoretische Verständnis und das praktische Losungswort
zu geben — und wenn es dreiunddreißigmal den Kopf kostete.
So wenig aber Schwanken in mir ist und war über das, was ich zu
tun liatte, so wenig übersehe ich die möglichen Folgen. Die Bourgeoisie
ist sich, wie jeder herrschende Stand, sehr klar über ihre Interessen,
vollkommen klar, und wird mich gerade um so wütender hassen, je
praktischer und je leichter ausführbar das Losungswort imd je klarer
das theoretische Verständnis ist, das ich den Arbeitern gegeben habe.
Der Arbeiterstand im allgemeinen ist aber vielleicht
noch nicht reif zur Klarheit, und ist dies der Fall, so bin ich
allerdings ein toter Mann und die Fortschrittspartei kann jubeln, daß
ich mich gestürzt. Aber auch das soll mich dann nicht kränken! Ich
ziehe mich dann :a die reine Wissenschaft zurück und habe dann den
entscheidenden Beweis erlangt, daß vorläufig die Zeit nur noch für
Humbug reif ist. Dann kann ich der PoHtik mit gutem Gewissen den
Rücken kehren und lebe still als toter Mann bei den Toten. Aufgehen
wird der Same schon, den ich durch dieses Manifest ge-
streut; gleichviel wann.
Ich stehe also, wie gesagt, an einem sowohl objektiv als subjektiv für
mich sehr verhängnisvollen Ereignis. .J
",. ^■
i
*^ Buchen Lothar Bucher (I817 - I892). Kam I848 in die preuasisohe
Nationalversammlung, flüchtete wegen des Steuervor.7 iigerungs-
, besohluases I85O nach London, vjo er his 1859 als Journalist
lebte«
** Ziegleri Franz Ziagler (l803 - I876), I848 in der preusGischen
Nationalversammlung, v/egen deren Steuervor\7eigerungsl3ef3Chlusses
abgeji-etzt und zu Festungshaft verurteilt, seit I865 im Abgeordne-
tenhaus, seit 1867 im Reich±stag (Fortschrittler).
k
?-?
Das Urkomische ist, daß ich so gar nichts iu meinem Manifest gesagt
habe, was nicht —im guten Sinne — streng konservativ ist. Es wäre die
konservativste, durchaus legale und friedliche Weise, die Arbeiter zu
erlösen! Aber freilich kann das Manifest dennoch nur im entschieden
revolutionären Siane wirken. Denn die herrschenden Klassen
wollen eben die Erlösung der Arbeit nicht. Sie. wollen nicht
nut, daß man ihren bestehenden Besitz respektiert — dies tut mein
Manifest durchaus — sie wollen die Fortdauer ihrer Privilegien, das
Fortspielcn der jetzigen Erwerbsraonopole auch für die Zukunft. Und
gerade je mehr ein Vorschlag auf Erlösung der Arbeit ihren vorhandenen
Besitz respektiert und je legitimer und praktischer er dadurch ist, — für
um so gefährlicher betrachten sie ihn mit Recht, um so wütender sind
sie! Gegen das Interesse hilft kein Disputieren!
Und so kann es denn ganz gut kommen, daß Sie in vierzehn Tagen
schon einem toten I^Iann schreiben! Einstweilen ist es unsere Pflicht,
alles aufzubieten, daß das lilanifest zu einem zündenden Funken im
Herzen der Arbeiter werde. Hierzu ist das Hauptmittel die massenhafteste
Verbreitung desselben, und hierzu müssen diesmal die unerhörtesten,
die riesigsten und wahnsinnigsten Anstrengungen gemacht werden.
Mit' dem Erfolg der Schrift steht und fällt nun auch die Frage nach
dem Arbeiterverein, dessen Plan ich in der Schrift entrollt habe. Das
Manifest soll ihn zustande bringen! Ein solcher Verein, wie ich ihn
daselbst geschildert, i ooo ooo Arbeiter in Deutschland umfassend mit
150 000 Talern jährlichen Agitationsmitteln, und energisch geleitet —
das wäre eine Machtl ' .
Wir werden sehen!
# * w
Durch das 'Offene Ant^7ortschreiben" völlig für Lassalle gewonnen,
^ahm das Leipziger Zentralkomitee sein Programm an. Der Name Lassalle
v/urde zum Symbol der neuen Art.it erb ev/egung, aber zugleich zur Ziel-
scheihe der heftigsten Angriffe von Seiten der bürgerlichen Parteien.
( ) Lassalle an Georg Herv/egh
Berlin, Sonnabend;,- 4. April 1863.
• :"• ■ . •■••■' . ';■ • Sicbcr .f cnueg^ ! ^ • • " ' "^
"•••-'Steine i8rö]d)üre ipcrbcix Sic ermatten ^abcu!
•■■■• IDlit 1350 Stimmen gegen 2 Ijaben bic fieipoiger ^r»
Beitcr in einer großen fficrfammlung in Sotgc bet ^fofd^üvc
; befd)loifcn: ■ • ' .
• ■ , "'^ • ■ „bcn 5^ongrc5 mit feinem Programm anf5ut)cbcn,
.■ bie ^ilbung.beö bovt uon miv Düvgc)d)(agcnen
\' • . ■ .2)eut[d;cn ^illtlgemciucn 'ilrbeltei-Dcreinä ju be»
"{.•.;■■■■'.■• • fdjlie^en, ein (Somite ju bie[em 3roe^ 3U er*
•' ■• - , nennen." . »•
: ■ SDie govt[d}rittter unb 3Rid)t5— at§-5rei(}änbtcr jmb
■ imitf)cnb unb geben täg(id), au§ attcn ^reitfeiten Jener
■ auf mid). Ggall _' ..•. -.s. f. ^-..^.^x^^} •,■■.. '•.•.•• ^ ••;•••■■•
* Georg Hemyegh (I817-I875), Lyriker. Am "badisohen Aufstand von I848
beteiligt.
FerdiiBnand Lassalle» s Briefe an Oeor^ Herwegh. Nebst Briefen
der Gräfin Sophie Hatzfeldt an Frau Emma Horwegh« Hrsg. von
Maroel Herwegb. Zürich I896. S, 57/59«
2^
. 5(6cr über bcu Maid) alkv Stabte Devfiii}cnb, \)aUn jlc
Bcfdjloffcu, jcljt überall ']Jromiuciamcuto'g her Arbeiter*
bilbuuö-Sucreinc uub uon ^(rbeiteroerfammdingen gecjcu mid)
5U Dcrantaffcn.
' ^ic crftc Grndrung ift in Gfjcrtnilj gegen bie ^cipjigcv ■
^ ^o[dj(üffc erfofgt. -• ,
"?hid)ftcu5 fofgt eine in ^"»Jiaiii.v "äni tcn iL», hat 3rf}u(',o /
l)icr feine 5Ueatuven jiifanunenbevufen, um geilen iniy be=
' l'djtieilen 511 laffcn, unb bei bcnen fteljt bie ^ad)^ nocl) [0,
baj^ gar nidjt^ bai^egen 511 uerfudjen ift. f' ,■,
•• '^{nberevfeitö finb mir baburd; gcnot^igt, ^pvonunciamcuto
: gegen ^^^rominciomento 5U feljeu unb fo oiet 5{r6eitcrüer=
oerfammfungen af^ möglid) ben 53efd)lu5 füffen ju laffcu:
". ba^ fie bcn i8efd}(üffen ber Scip^iger STvbeiter
" ■" beitreten. • ;. .'. .-.•
_ • i^d) f)abe nad; beni 9^()eiu gcfd)ricben, wo, rocnn aud)
••*■ nid)t Üöin, aber ^üffclbovf, Solingen, Qfevlol)ii, (Slberfelb
;• :. auf meinen Üiuf jenen 53efd}luJ3 faffen luerben. :','.:■'■'-.
;•''■'■'':' 23on Hamburg Dcrfpvidjt man ba§ ©lcid)e. ' ' '
;. ^; ,3c^t l)anbelt c-§ fid) — unb barinu bitte id) Sie burcl)
. '.•' biefen ^ricf — /bk beutfd)cn 5lrbeitcrüereine in ber <3d)n3cij
• • ba^u 5u beiucgen, bafj fie ben 2eip5iger 'öefdjlüffeu beitreten.
; ..••..3c^ bitte 3ie, gel;eu 8ic fclbft in 3^^*^^ i" ^le SIrOcitcr*
':.. oereine, Ijatten ©ie eine Siebe unb fe^en Sie c5 burd).
"■••." I S^ rcdjnc barauf. '
, ■. . ■ 5}rofdjuren h. 1 Sgr. fönnen Sie, refp. bie Slrbeiter
::--'.üon 331. & 3- bcfommcn. föm $öud)l)anbel 5 Sgr.!)
;■•.••...•, . ■ ©benfü fdjreibeu Sie überall nad) Sübbeutfd)Ianb in.
..; bicfeni Sinne, roo Sie nur (Binflug l)aben!
.'•.■*./ 3bd) einmal: id) hittt, f orbcre unb rcdjne borauf^-
ba^ Sie in ben 3ürid;er 'ilrbeiteroerein gcljen. Sein ^ro*
; nunctamento lüürbe fel)r imponiren! J . • ' •.:■;.■
;":;; ;/ §ie öuelfr ^ic 0l)rbeain! • " '■ ' ■■ . " :. ']■.:
;.'.•••. ^d) bin tobt cor Sdjreiben! Slntmort! '. . ''-.^.^
|- ' ..'■ •• •. ; •■•':-.'■•" 3in* g. :Oaffaac.
tr
( ) Georg Herwogh an Lacsallo
/ Zürich_7 11. April /"l863_7.
Mein teurer Freund! Wenn ich mich viel und intensiv mit einem
Menschen beschäftige, so zwinge ich denselben mir zu schreiben. Und
niit wem hätte ich mich in den letzten Monaten und Wochen mehr be-
schäftigen können als mit Ihnen und Ihren geistigen Waflentaten, die in
dem kleinen Kreise, wo ich längst Propaganda für Sie gemacht habe, der
tägliche, ja stündhche Gegenstand der Diskussion geworden sind? So
kam mir denn Ihr Brieß>]r nicht unerwartet. Die Vorboten des Sturms
gegen Sie waren schon seit Wochen in mein Haus geüogen. Jetzt ist eine
Erhebung des Fortschritts- und Nationalvereinsphilisteriums in massa
erfolgt und sind alle Schleusen der Gemeinheit gegen Sie losgelassen.
' Macte puer! Die Kammerhelden, deren Redevergnügen Sie so un-
sanft gestört haben, schnauben in allen ihren „Organen" Rache über
„den falschen Propheten" („Süddeutsche Zeitung"). Doch man ist schon
mit anderen Kerls fertig geworden als mit einem Schulze-Delitzsch, bei
dem Ihr Tritt in den Hintern, wie ich aus seiner erbärmhchen Pauke
gegen Sie ersehen, bereits bedeutend auf das Zerebralsystera einge-
wirkt hat. j^4^
Item, ,, liebstes Werkzeug der Reaktion" j>) Sie haben den Kampf auf
das einzig richtige Terrain, auf den wahrcn„Knoten"-Punkt zurückge-
führt und der philanthropischen Kastration des Proletariats durch die
wohlgesinnten Bourgeois ein Ende gemacht. — Das Fortschrittsgesindel
in Berhn war für mich von Anfang an nur eine anticaille, die ich schon
vor zwanzig bis dreißig Jahren als badischen Liberalismus kennen ge-
lernt habe, und ich habe immer bedauert, daß einzelne unserer Freunde
nach so vielen Erfahrungen in ,, staatsmännischer" Weisheit sich aber-
mals mit diesen „Ehrenmännern" einlassen konnten, die es noch nie imd
nirgends zu einer erträglichen Aktion gebracht haben und in denen keine -
Spur der bourgeoisen Energie von 1789 oder auch nur von 1830 anzu-
treffen ist. ''
Ich atme förmlich auf, von dieser chronischen Fortschrittskrankheit
erlöst zu sein! Die Krisis ist da, imd Ihr Verdienst ist's, daß sie da ist.
Die Delirien, die dabei vorkommen, auch auf Seite der Arbeiter, sind
nur naturgemäß und haben für mich nichts Überraschendes.
Was nun speziell den Arbeiterbüdungsverein von Zürich betrifft, so
muß ich Ihnen aufs Entschiedenste sagen, daß ich in demselben keinen
Boden für Ihre „katihnarischen" Bestrebungen finde, ebensowenig für
die „Rede", auf die Sie „rechnen", diesmal ohne den Wirt.*] x)6t Zürcher
Arbeiterbüdungsverein war von jeher in den Händen der schnödsten
liberalen Tröpfe, der engherzigsten Köpfe, der Herren G. Fei
Kompagnie, denen ich nur Hohn und Verachtung zu beweisen Gelegen-
heit hatte. Was Ihre Schriften hier nicht tun, das wird meiner Inter-
vention noch weniger gehngen. — In den französischen Kantonen mag's
etv/as besser darum stehen, doch werden die Feinde von Marx — also
auch die Ihrigen — daselbst gehörig wühlen. — Die für Sie günstigen
•Abstimmungen in Deutschland könnten von einigem Einfluß werden.
vi^ und
I
^
■- -»
Gustav Mayer: a.a.O. 5« Bd. S. 133/35.
* Vom 4. Aprils ygj-YxBixgjgg ^
^^ Der Fortbilduriigsverein für Arbeiter zu Chömnitz und der
Arb ei terbildungs verein in Nürnberg schwammen in Schulze-Delitzschi
Fahrwasser, Der erstere hatte am 30, l'iärz in einer Resolution
vor Lassalles "voraussichtlich unfruchtbarer Agitation gewarnt",
der letztere hatte Schul zeXHXIXtXM zu der H]rklärung bestimmt,
dass Lassalle "ein gedungenes \7erkzeug der Realction" sei.
^*^ ^ Lassalle hatte Herwegh ersucht, die deutschen Arbeitervereine
in der Schweiz für die Leipziger Beschlüsse zu gewinnen und zu
dem Zweck in Zürich persönlich aufzutreten,
Z""g.m. J
^Cic '. ..^
**** ("Öeorg Pein (l803 - I869), der bekannte radikale Burschenschaft-
ler und Republikaner, bekämpfte vom individualistischen »Stand-
punkt aus -^assalles Gedanken und übte im Juli auf einer Landes-
Konferenz in Zürich in diesem Sinne einen entscheidenden i^in-
fluss auf die Arbeitervereine aus,
/~G.K,_7
>- <■:
V-/''
Am meisten hat man - und habe auch ich - zu kämpfen für eine
ncht:ge Auffassung Ihrer „Staatshilfe", die Sie möglichst bald zum
tJcwf H r". ,^^.^°"^^^^" l^an^pMcts machen müssen. Ebenso
tauchen die Beschuldigungen des Demagogentums gegen Sie auf bei
Gelegenheit des allgemeinen Stimmrechts, weü dieses nun einmal zum
instrumentum regm für Bonaparte^ geworden ist. Also ebenfalls ein
Gegenstand aparter Erörterung. _ über das Maß menschlicher Ge-
memheit geht die Insinuation hinaus. Sie wollen den Regiemngen Ge-
legenheit geben, die Arbeitervereine aufzulösen I! ;
Daß ich mit Ihnen bin und treu aushalte, brauche ich Ihnen nicht
2u sagen. Verlangen Sie von mir, was irgend möghch ist. Der Mangel
eines Journals ist s. was sich jetzt am stärksten für mis fühlbar macht;
man mdJ am Ende doch an die Errichtmig einer außerdeutschen Presse
für Deutschland denken. Anders läßt sich nicht mehr kämpfen -1
Ist s wahr, daß Sie nach Syrien gehen wollen im Herbst? '-^
^ H.
) Lassalle an Sophie von Hatzfeldt
/"Berlin, 13. April 1863 .J7
Arcinc ganze vScclc atmet auf, zu wissen, daß Sie wieder im BcgrifY
sind ZLiiückzukchrcii. Sic glauben niclit. wie ich Sie vermißt habe! wie
ungeduldig ich mich auf Ihre Ankunft freue ! Ich werde auch stärker
und kräftiger sein, wenn Sic wieder da sind!
Ich habe keine Minute Zeit zum Schreiben.
Nicht mehr die Berliner, die gesamte deutsche Presse Ein Wut-
schrei gegen mich! Der Schlachtendonncr tobt wirklich um mich herum.
Es ist ein Gebrüll von Gemeinheit und Dummheit, von dem ich nie eine
Ahnung gehabt hätte.
'\^ .Bloß als schwache Trüben sciulo ich Ihnen zwei oder drei Artikel
heut nach Genua poste restantc. Die ,, Tribüne" hat entdeckt, daß
ich wegen der vier Monate Gefängnis meinen Frieden mit der Regierung
habe machen wollen. Den Vorstand — wohlgcnierkt nur den Vor-
stand — des Ar])eitcrvereins Nürnberg hat Schul;:e zu der Erklärung
bestimmt, daß ich ,,cin gedungenes Werkzeug der Reaktion" sei und
daß ich in meiner Broschüre erklärt hätte, ..Bildung sei für den Arbeiter
nicht notwendig, ia zweckwidrig".
IMuardMeyeii^m der,, Reform" erklärt täglich, ich sei da angelangt,
wo Bruno Bauer !?}jfej; ^ -^
Die verschiedensten Zeitungen enthalten zh Leitartikel Offene
Sendschreiben gegen mich usw. Ein Moritz Müllct-*)^ Tiorzheim. den
Rüstow wohl kennt, hat gleichfalls eins erlassen, das ich noch gar nicht
gelesen. ^
jAllcs das nur schwache Beispiele des allgemeinen Geheuls. /^
r
%
p)urch die Praktiken Napoleons III. war das allj^^emeine Stimmrecht
damals "bei der europäischen Demokratie/m liisskreait (i^ökommen.
Gustav Mayer: a.a.O. X 4. Bd. S. 343/44.
^^* Muard T-Iieyen'^t, der einstif^e Junghegelianer und spätere politische
Flüchtling, redigierte jetzt die Berliner "Reform". Lassalle
hatte sich mit ihm überv/orfen. '
*^* Bruno Bauer/ (I809 - 1882), der einstige Kihrer der radikalen
Jujighegelianer, stand jetzt im konservativen Lager,
Cg.v.J
^¥:¥c^ Moritz Müller!|)iS^ Bijouterie! abrikant. Vgl. Bebel, Aus meinem
Leben, Bd. I, S.II5.
i G.M.JT"
<1» ,
Aber anchc'UK'ils bat sichclcrArbcik'istaiKl auf nk'iiK'Slinnneci hoben.
Jncinei v;i()ßciiAib(.'itci\'C'isannnlungzuIIaniburg*fsiiuldiccloili^',cn
Arbeiter fast einstimmig den I,cip/iger Bcscliliisscn bciin^tictcn.
Am II. Apiil haben sowohl in IHisseMorf v-ie in vSoIingcn die
dort x.nsannnenberufeneii Arbeitcrversannnlungen einstimmig die-
selben Beschlüsse gefaßt und mir ihren Dank votiert. Andere Städte ^
Winden folgen.
AQestern war hier Arbeiterversammlung von Schulzes Kreaturen.
Ich war nicht dort. Aber eine Anzahl gebildeter Männer, drei bis vier,
hatte sich mir zAir Verfügung gestellt, dort für mich zu pauken. Ks kam
noch nicht dazu. Die Versammlung beschloß zuvor, von meiner Bro-
schüre Kenntnis zu nehmen. Sic schickte mir ihren Kolporteur. Ich habe j
nach zweitausend Exemplaren telegraphiert. Wir wollen sehen, wie es " ;"
wird.
Von Rüstow habe ich in meinem letzten Brief verlangt, er müsse |
vSüddeutschland bereisen, wo er so populär ist, und in jeder Stadt die- [
selben Beschlüsse fassen lassen. jidr Jr- l
Ebenso solle er dem Leipziger Komitee (Adresse Dr. 0. Dammer,^ i
Ivcipzig, Hospitalstr. 12) schreiben, um sie für ihre Beschlüsse zu bc- |
glückwünschcn. I
Herwegh schreibt mir einen enthusiastischen Brief, lehnt aber die ;
Hinwirkung auf deji Züricher Arbeiter v-.icin, die ich von ihm verlangt,
:als unmöglich ab.'^'J^ i^-^
Die ForlschritUpartei zittert. Sie sieht ein, daß ein Schlag gefallen
st, der sie vernichten muß.
Ich bin toderkältet, todheisc r und muß am 10. in Leipzig sprechen.
\\\as Süll ich machen ? Ich schicke eben Frcrichs Rezept in die Apotheke.
\ Adieu r ,
V -"^ Ihr. r.L.
Die Jj^Gundschaft zwischen Las s alle und dem Dichter Herwegh führte
unter anderem zu der "^ntstehiing des Bundesliedes des Allgemeinen Deut-
schen Arbeitervereins:
Bet' und arbeit«! ruft die V/elt.
Bete kurzl denn Zoit ist Gold.
Lassalle drängte nicht nur Herwegh , "ein "begeistertes und begei-
storndes"Gedicht zu verfassen, sondern es gelang ihm auch, seinen
Freund Hans von Bülov/ dazu zu veranlassen, dieses Gedicht zu vertonen,
( ) Lassalle an Georg Herv;egh
Berlin, 14. April 1863,
■ - • ' i^icbcv .jpcviuciil) ! -. - ...
. 3ici^ in .pamfnivi], Xüi'fcfborf, ootiiujcn, iificiatl faft "
ciufiiiumii], uiib ciocj uad; I]cftiijcm Kampfe auf bcnr]3co^
uiii^ia^.Oanbiüci-fcvtacj in 5Iö(n, luo bie S-ort[djnttfcv in ,.
()ellen .paufcii cvfdjiciien luarcn. ... '•'•'•
3ie fönuen aifo iiid;t bi ^iJfvbcitcvüeräu 3u3üricl; iuirf»:u.
;• ©ut! ^a 8tc aber fd)veiOen, 2:f)cui-eiv ba(j Sie fid) mir
■v.unbebingt jur ^i^pofition ftedcu tu'^tfom, ro(u^ moöfid) i)f^
•
•
^* Der Chemiker Dr. Otto Dammer v/ar anfangs die Seele des Leipziger
Zentralkomitees. Lassalles Briefe an ihn veröfföntlichte 1912
Hermann Onoken im Arohiv für ßesohiohte des Sozialismus und der
Arheiterhewegtmg, Bd. II,
^t** V6Cl. S.
**** Hans von Bülow?(l830-l894), Pianist und Dirigent, verheiratet mit
Cosima, der Tochter Liszts und späteren Frau Richard Wagners.
Ferdinand Lassalle» s Briefe an Georg Her.vegh. S. öl/B^-^-
I-'
fü fodcn Sic ()icr eine ^Odifijabc crljaltcn^ bic S^j^en fel}r
niötTilid) ift: ^d) bitte fcljuellftcibj um ein ba^ciftoiteü uni)
- bcgcifternbe^ ©ebid)t auf ba^ ^(uftreten bc§ 'XvOeiterftaube^
in 2eip5ii3 2C.
'■ 3d)irfcn Sic ba^felbc fofovt an Dr. Ctto ^ammcv,
."*^iPM9/ ^ofpitatftvagc 12 (bcm SSovfiljcubeu be3 ficipsigci*
Gomite^j). • •
'3)ev[c(be (äjit eä fofovt in fo uiet taufcub Gi;cmp(avcu
■ 'bruden üitb üntei' aUcn '^rSeltörrt üctBtcttcn. ^ic^itiaE
rcdjue id) luol}! nidjt o^uc ben SÖirtl;! (Sin fo(d;eä öc*
■ bidjt üou 30«^^. 11^^^ ^iß 'Siß c^ ä" mad)cn roiffcn^ wirb
famo» roivfcn. ' , ■ . .:-"
...... . . '..- ,..:'. ' ö^t 5. Saffatt«-
• ; .• • . * 3d) t)a6e ju oicl ju fcf)rcibcn.
■»••'■ •
y '. .■; '?• • .■ ■ S3erici'()ung für bie Stürjcl
) Lassalle an Georg Herwegh
■ Ostende, 31. August 1863.
^icbcv .pcnucijl) I
:i^n bei" jiueiten .'paffte 3eptcniOcv bin id) am i)i^eiu ■
unb luevbe luic ber l)cüc Jeufet über bie SlcxU bcvfaficu.
3iic 5>orbercituucjen, bie, luie «liv bic "Jöriefe bov 'ik'»
ootlmadjti^tcu melben, gcmadjt lucrben, fiub lüirflid) gvüp*
arti^ unb cä fdjcint, 'öa^ ^JDiaffcn uub 2}^affcu 3ufammen*
(aufeii rocvbeu. ^ie 5Crbcitcr be^ "©uppevtljalä jittevii
fd)ou üor Grrecjung, n)ic man mir fd)i"eibt."§
^d) werbe in ^üffctborf, ^öin, Solingen, Cfberfctb^
,53armen fpredjcn, üietleid)t and) in ^ortnmnb. ©ctäncjc
cä un5, Grlaubui^ 5U SSerfammtuiujcn sub divo **) $u er*
{)arten, fo föuute id) e3 mit hxci 5)erfammrunijcn abfotoiren,
ftatt mit fed;§.. . "
• ^d) mü babei bie neuen iötamagen ber Söttfdjritticr,
'^(bgeorbuetentacj :c., griinblid) bebcnfen.
(S§ fällt mir nun ein — unb be^[)aI6 fdjreibe id) —
bag bie» bic paffcnbfte öelegeuljcit roäre, 3^)^' 0ebid)t*^
ju lanciren. Qd; mürbe e5 'öcn 9}]affen aU ein öcfdjcnf
Don ^\)nQVi mitbringen, aU ein ^(ngcbinbc für 'ö^n 25crein,
rcoju Sie mid; bei meiner ^urd)vcifc burd; Qilüd) bc*
auftragt f)ättcn. ^ieä ift bic üort()ei(^aftefte SSeife. (Sin*
mat I}at c» eine gorm. 3^^<^it^*"^ "^i^*^ «^ baburd) fofort
in ber maffenl)afteftcn SBcifc befannt. 2)ntten§ roürbe
•,i •■
a.a.O. S. 77/78.
v: ■>»■
^p
c5, ba iclj C'5 in jobcv T^cvfnmmfuHl] fclbft uovtcfcu luüvbc,
baburd) (]ut Dovcjetvaiicii, uhv5 W\ einem C)obtc(;t uou
• ^4BicI)tii3feit ift. ^^toiiipofitiou uub 2)vurf iin'ivbc bann fpätcu
■ fommcn. Qd; njüvbe bic)c, foiuic bic ilvciuung bcä Siebet
$um SSerciu^aeb, mitbem jcbc Siljung bc5 5rvt)citer^33erein§
. • 5U eröffnen fei, foiüic cnblid) bcn ^anf bor SSoIf-Sportci an
Sie übevaU oon jcbcr SScrfammtung „bcfvctivcn" taffcn.
. C3)ic Einträge baju roerbc id; meift burd; 3Inbcve ftcüen
:.;-:. laffcn.) • • ■ ■ •. , "; ' '•
■ (Einejö feievlidjc ©elegcnlicit roic bicfc grogcn r^cinifc^en
.'' ' SJerfamnilungen finbcn n)ir foüalb nid)t.
■ •.;; 3)ann aber muß \iCi^ (^zhx^i bi§ 5um 13. September
. • ^ier in meinen ^änbcn fein. S)cnn am 13. oertaffc id) '
;' Oftcnbe. . . .. -V- ,:•..•• ... .■..-... .;, .'
:, v . ^ . :: Slbreffe : .5. Saffade, Oftenbe. ,!;" :! :.. >. ^
:'• . ;V r: :. .::;;:/,,: A ;;,;.; f ©anj S^r * ' g. fiaffattc.
> •/,'■:■. »•.■'.'•».• *
) Lassalle an Georg Herwegh
Berlin, 5. NovemT^er I863.
•iJBenu id) nid;t fü tobt i3cf)el3t luäre üon %itatiönen^
j 'Angriffen, l^cptifen, iöefdjiuerbcn, Eingaben, |)au§fud)ungen^.
"ipro^cffen — (Sic rocrbcu über 2([Ie» näd)ften» umftänblic^e
^ 2Jlitt[}ei(ung er^jaltcn; in ben 3citungen nur bürftiged
2)iateriat — , fo ()ättc \d) 3^"en fdjon lange für 3^v n)af)r-
t)Qft. Dortrefflidjc» G)cbidjt^cbanft. Sie übertreiben
bic^mal bic "iöcfd;cibcn(}cit.
(£-5 bat nciilid) ('3Jioutag) im 'Jlrbcitev-'i'evoin '^^w law-
tcften Gntl;ufiai.inu» Ijcruüvgcrufcu unb auf meine 2(uf*
füvbcvung I)at fid) bie gan^e ^Ncrfanindung jum 3'-'icO^^^
bc» 2^anfcv für '^^w ^id^tcr crI)obai. § Vide einftiueiten
bic GrEtärung ber iBier5cf)uniünner in bcr 5lrcu53eitung
Dom 3. ■i}^üüember. ' ■ . .. , .. - ,. /
';JÜir fü()reu l)icr mit ben 5o^'il*'^)^'it^^crn einen 5^ampf
bi^ auf's 33kfiev, fd)on jctjt mora(ifd) unb üicUcid^t balb
aud) p^i)fifd) bi§ auf'^3 SJ'ieffcr. 5[ber in biefem mic in
jenem bin id) fcft cntfdjloffen 5U ficgen.
Q{)r ©cbid)t finbct fiel) bereits im S)rud. S)er Salj
ift fertig; bcn 2)rud luevbc id) üiellcid)t, fattä \^) bic 5"\;om*
pofition^ balb f)abcn fann, nod) fo lange äurüdbatten.'
Ucberbürbet unb übcrmübet — tl ift bcr britte Sag,
lüo id) nur fünf Stunbcn gefd)rafen — ganj '^^x
>:
'^.
^ . / ^ ^ . C
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BundesÜGd dos All/^emGinon Deutschen Arboito
HemvG^h
rveroins von Geor,';^
You mc iiiaiiy, tlicy nrt> few.
(i;iir(t finb sielt, iljici' r>"6 nxiiigt.)
iU't' IMlb OVfH'it'l nift Mo 'Ji'ctt.
ÜH'tc [uv.^l beim ;V'it ift Wclb.
\?(u bic 2l)üvc V^Kljt bic 5(0tl) —
^ikte luv.^: Hcxm ßcit ift ^iU'üt.
Hub '^w nctcvft unb Tu iöft,
Uiib Tu nictcfi uiib Tu \\ä{)\\,
Unb Tu r)äiniucvi'f uub Tu ipiuiift —
Snc]', ü 5l^u(f, univ Tu gcuMunft!
•ii^vfft nui 'iii*c[iftuf)( Tni"! uub 5iarfjt,
3ff)üiift im liv,^' uub MuIjIcuKOnffjt,
rviillft bco llcbcvfluffcv MOVU,
ü:üllft Cv f)iHf) mit 5'A'i;: uub ilovu —
Torf) um ift Tciu 'i'Jiot liovcit?
Toil) um ift Tciu Jvi'icvid'ib?
Torf) um ift Tciu mavuicr .v>cvb?
Torf) mo ift Tciu idjarfoy £rlju>cvt?
'Mci ift Tciu 'iicvt: ü ipvicf),
\J(nc'^ nluT ^iarf)t«5 fiiv Tief)!
Uub tum '?(llcm uuv oKciu,
Tic Tu ffljmicbft, bic Mette Tciu?
.Qcttc, bic bcu l'ciO umftvirtt,
Tic beut Weift bic rvlnjicl taictt,
Tic nm Tviifl bcv .Miubcö fcf)ou
iUivit — u ^iHUt, bivj ift Tciu i/üfju.
"iviir? ."sOv f)oIit ou'y 3ouucuIicfjt,
3rI)öOc fiub c-5 iüi* bcu 'i*Jiff)t;
'ii'ov ^"sOv UH'bt, cci ift bcr T^hxd)
Jyüi" CiurI) fclbft — iu"ö turnte luffj.
.Vnt'ö fiiv (iuri) uub tciu (^k'uuiff);
iiMVj 30^* flcibct uub iK-filjUfjt,
Tritt ouf (iuil) IH>11 Ucbcviiuitr).
'.ViCuiifjcuDicucu, bic OJatuv,
(*t)iUi fic (find bcu .vouii^ uuv?
*3cl)t bic Tvoliucu uui U'uii) fjcv!
."önlu ys{)X fciucu 3ti"irl)cl uu'T^v?
Wiiuu bcr "^Ir'ocit oufncunufjt!
Hub crtcuuc Tciuc ll'(nrf)t!
".'IKc ^)i.ibcr flc[)cu ftill,
"üiH'uu Tciu ftinrcr \Vrui C'5 mid.
Tciucv Triiuiicr 3if)tiar cvOInfjt,
'^.H'uu Tu, iiiübc Tciucv i.'oft,
^"su bic Ciifc Ic[)uft bcu '].'f[un,
'ii'cuu Tu vufft: If-'j ift floiun!
"iU'crljt bivö TiHHH'Iiorf) cut.\mci!
"iUcifit bic iVDtl) bcr 3tlaucrci:
•iU-ci^t bic .3[Uiucrci bcv Oiiul)!
"^n-ot ift ,"\-rciI)cit, ?srcif)cit 'iU-ot!
/
/
( ) Lassalle an Hans von Bülow
Freitag /"^ö. November 1863_7.
Anbei das Gedicht von Henvegh.^ Aber indem ich es Ihnen schicke,
muß ich auf das Ernsthafteste und Nachdrücklichste wieder-
holen, was ich Ihnen schon neulich gesagt habe. Es ist ein bloßer Zufall,
daß Sie mir zuerst, noch ehe Sie von dem Gedichte wußten, die Kom-
position anboten.
Es ist ein Zufall, sage ich, denn ich hatte schon vorher daran ge-
dacht, wenn das Gedicht käme, zu versuchen, mich mit Ihrem Genie
zu bcwaflncn.
Aber ich hätte Ihnen dann die Bitte sofort mit der strikten Be-
dingung vorgetragen — die ich Ihnen neulich mitteilte — , daß Sie mir
strenge Anonymität zusagen. Und ebenso muß ich jetzt auf die
Erfüllung dieser Bedingung halten.
Ich weiß, daß dieselbe eine Selbstüberwindung für Sic darstellt. Ihre
Schöpfung wird eine Schöpfung von Genie sein, hinreißend bis zum
Fanatisnms, siegreich bis zur Vernichtung — und wer kann sagen, ob
nicht noch diese Öymne eine Geschichte bekömmt, wie die Marseillaise?
Es ist hart, solche Schöpfungen wie Bastarte in die Welt zu schicken.
Aber was ist für Sie eine Selbstverleugnung mehr?
Sie dürfen mir diese Bitte nicht abschlagen und zwar aus Rücksicht
auf mich. Es wäre ein harter Vorwurf für mich, wenn ich duldete, daß
sich meine Freunde für mich ruinieren — und das würde die unaus-
bleibliche Folge sein. Ich würde mich dadurch mitruinieren. Das
werden Sie begreifen.
Herweghs Gedicht erschien bald darauf in Zürich^Verlag von Th.L.
Lissner, mit der Komposition von Hans von Bülow unter dem Pseudonym"
W. Solinger, vermutlich im Anklang an den Namen der rheinischen
Industriestadt, wo die Arbeit erb ev^e^ung bis dahin die meisten Anhän^jer
^(^'^KiX^XiQn hatte.
1 ■ (' If- *
'h',r
.'•V"
Gustav Mayen a.a.O. 5. Bd. S. 222/24.
^■•^;' .
t
Lascallos Beziehung zu Bismarck ist von Froundon und .I''eindcn vielfach
missdeutet worden. Auf den ersten Blick v/ar oine InteroGsonß'em'jinschaft
sv/icchen dem späteren Rrbauer des Deutschen Reiches und dem Schöpfer
der deutschen Arbeiterbewegung unwahrscheinlich. I'an hat von liberaler
Seite Bismarcks Liebäugeln mit der Sozialdemokratie für deren mächtiif^en
Aufstieg verantwortlich ,^emacht und seine Besprechun^-en mit Lassalle
als den Anfang einer fehlgeschlagenen Politik verurteilt. Noch schlimmer
erging es Lassalle. Er wurde nicht nur von Marx und Tegels achs Verräter
des Sozialismus gebrandmarkt, sondern sogar verdächtigt, dass seine
Beweggründe für den Kontalct mit Bismarck neben einem masslosen lührgeiz
das Streb n nach Schutz vor Verfolgung gewesen seien, Hermann Oncken
hat in seiner klassischen Biographie , ebenso wie Gustav I.'.ayer, der
Herausgeber des Lassalleschen Nachlasses, die llotive der beiden Partner
in das Licht sachlich-kritischer Geschichtsforschung gerückt. Danach
entsprach es auf beiden Seiten echter staatsmännischer Voraussicht, wenn
Bismarck in seinem Streben, das Königtum durch grosszügige, zugunsten
der Arbeiterschaft unternommene llassnahraen zu stüzen, und Lassalle in
aeinem Drang nach Durchsetzung des allgemeinen Wahlrechts eine gegen-
seitige Annäherung suchten, Ueberdies bestand unzweifelhaft zwischen
beiden eine persönliche Anziehung. Lassalle mag im Sinne Hegelscher
Dialektik im Ringen mit seinem V/iderpart das Mittel zur Verv/irklichung
seiner politisch-sozialen Idee erblickt haben,
( ) Bismarck an Lassalle
Berlin, 11, Llai 63,
Euer Wohlgcborcn bcnnchriditige id) ergcbcnst, daS es mit
RUd<5idit ouf die über die Vcrhöllnisse der arbeitenden Klassen
sdnvcbcnden Dcralunacn in der Absidil liegt, die guiadiilidien
Äußerungen unabhängiger Männer, die sich mit dieser Frage
beschäftigt haben, zu hörenJfJ^
Aus diesem Grunde würde es mir crwünsdit^ s^n, wenn
Euer Wohlgcborcn mir Ihre Ansichten über dcn*l CTca anstand
mitteilen wollten. - v. bismarck.
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Hermann Onoken: Lassalle, Eine politische Biographie« WA Stutt-
gart 1923. S, 401«
Bismarok \md Lassalle von Gutav Mayer, Ihr Brief \/ochsel
und ihre Gespräche, Berlin I928. S, 59.
***" In dem von überref^ierungsrat Zitelraann angefertigten ''tnt^vurf hiesa
es ursprünglich: "über die zu einer pralctischen Inan^^riff nähme
dieser A.ngelegenheit geeiß-neten Mittel und Wege mitteilen woüten. "
Bismarok strich den ganzen 6chluss des ^tvAirfe von "mir" ab und
ersetzte ihn durch den Satz: "mich behufs einer Besprechung mit
Ihrem Besuch beehren wollten." Doch diesen Satz strich er durch,
stellte in dem Entwurf die 'Vorte "mir Ihre /Ansichten über" wieder
her, vrabei er das in dem '^twurf stehende /ort "'Insicht" in
"Ansichten" veränderte, und gab dem Brief den oben stehenden
Abschluss, Die Ausfertigung ist von Zitelmanns Hand mit Bismarcks
Unterschrift.
Die von Lassallo an Bismarck zv/ischen Hai 1Ö63 und P-3bruar I864
f^erichto-fcon zwölf Briefe bohandoln entweder zentrale politiccho und
Gosiale Fra/^en oder Uobercriffe, die sich öffentliche Or^ano r.^ßQn
Lacsalle zuGchulden kommen liescen. Aus jedem dieser Schreiben spricht
ibia^evAisstsein, der Vortreter einer neuen, die Geschichte von nun an
mitformenden Tiacht im Staate zu sein.
( ) Lassalle an Bismarck
Berlin, 8. Juni 63
Bellevuestr, 13.
Ew. Exccilcnz
sende idi hierbei ergcbcnst als eine, wenn auch nur sdierzhaftc
^orisebung unserer neulichen Unterredung die Verfassung
meines Reichs.^ um die Sic midi vielleicht beneiden dürften!
Aber es wird Ihnen üus diesem Miniaturgcmälde dcutlidi die
Überzeugung hervorgehen, wie wahr es ist, dü6 sidi der Arbcitcr-
stond instinklmotig zur Diktatur geneigt fühlt, wenn er erst mit
Redit überzeugt sein kann, dafj dieselbe in seinem Interesse qus-
Qcübt wird, und wie sehr er doher, wie idi Ihnen schon neulidi
sagte, geneigt sein würde, trojj oller republikonisdicn Gesin-
nungen — oder viclnichi>gerüde auf Grund derselben — in der
Krone den natürlidieiFjh-äger der sozialen Diktatur, im Gegcnsafe
zu dem Egoismus der bürgerlidicn Gesellschaft, zu sehen, wenn
die Krone ihrerseits sidi iemals zu dem — freilich sehr unwahr-
sdicinlidien — Schritt entsdilieüen könnte, eine wahrhaft
revolutionäre und nationale Ridiiung cinzusdilagen und sidi
ous'eincm Könighim der bevorrediteten Stünde in ein soziales
und revolutionäres Volkskönigium umzuwandeln)
Der Zwcd< des Gegenwärtigen ist anzufragen, ob Ew.
Exccilcnz Zeit gefunden haben. Sich der Durchlesung der Ihnen
übersandicn Rede: „Die indirekte Steuer und die Loge der
orbcitenden Klassen" zu unterziehen.
Die Ansiditsdifferenz, weldie mirEw, Excellenz neulidi über
die Wirkung der indirekten Steucrf^W^?fif die Lage der ärmeren
Volksklasscn ausdrüd\icn, wollte idi der Ausführlidikeit wegen,
v/cldic gerade bei diesem Gegenstände zu einer gründlicheren
Behandlung erfordcrlidi ist, nidit mündlidi zu widerlegen sudien.
Idi zog vor, midi hierin auf die überzeugende Wirkung dieser
Abhandlung zu verlassen. Haben Sie von derselben Kenntnis
genommen, so werden Sic entweder bereits meiner Ansidit sein,
oder ober es wird nunmehr leidit möglidi sein, auf Grund
dieser faktischen Unterlage eine Übereinstimmung der Ansidit
herbcizuführen.l3(3" V y- V
Bismarok und Las sali e. S.59/62.
^ Jem Brief lag das Statut des Allgemeinen Deutschen Arbeiter-
vereips "böi.
** ^a:n -tiem-üri^^älkonzept, das ebenfalls vorhanden ist, stand
;ursprünglioh "erblichen".
^^f^f^Vün ".Wirkimg»; \ri.s "Steuern" ist mit Blaustift unterstrichen.
■)f^*^ 7oh"eine'^trebereinstimmunfT" bis "herbeizuführen" ist mit Blaustift
unterstrichen.
-: >
Damit wäre etwas überaus Wescntlidics gewonnen! Sic
wurden dann mit mir überzeugt sein, eine wie crhcblidie Ver-
besserung in der Lage der ärmeren Klassen sdion eine Abolition
von zunüdist 8-10 Millionen indirekter Steuern herbeiführen
würde.
überdies brauditcn dieselben nidit einmal durdi die
direkten Steuern — so vorteilhaft dies immerhin nodi wäre —
flusneglid\cn zu werden, sondern könnten sdion durdi die
nculidi von mir ongedeutcten Ma®ein, obwolil diese ja selbst
nur cxemplifikatorisdic Proben eines gröljercn und zusammen-
hängenden finsembles von Ma®eln waren, überreidilich erseht
werden.
Die Überzeugung Ew. Exeeilenz in dieser Hinsidit fest-
zustellen, halte id» für so wesenilidi und von so fruditbaren
Folgen nndi allen Seiten hin, daß ich, zumal \d\ Mitte des
Monats auf drei Monate verreise, bereit bin, midi zu einer
zweiten Unterredung bei Ew. Exeeilenz einzufinden, falls Sic
mir den Tag bestimmen.*|*fC
Wenn ich Icbthin Ew. Exeeilenz die Ansicht ousspradi, daß
eine zweite Unterredung unter den gegenwärtigen Umständen
nublos bleiben mü[)le, so bin. ich icbt um so mehr hierzu erbötig,
ols die Ic'iiten Ma!iregcln,*Qi'chc inzwisdien getroffen worden,
sehr verhängnisvoller Natur in ihren, wenn oud; freilich nidit
unmittelbaren Folgen sind. Diese Mabregcln liegen nadi meiner
Ansicht genau eben so wenig im Interesse der Monarchie, wie
im Interesse der Fortsduiltspartei, sondern wenn irgendwem,
so dienen sie lediglidi und allein, wie id» offen konstatieren
mufj, der snc/icllen Partei, der idi selbst angehöre, der revo-
lutionärcnT Portci!
Um so selbstloser und aufriditiger ist es von mir, wenn id»
Ew. Exeeilenz sage: Ist es wirklidi Ihr^ Absidit, wie Ew. Excel-
lenz äuijcrlcn, die Krone cinesTTafKs zu jener Umkehr, zur
Proklamicrung des allgemeinen Wahlredits und zur Alliancc
mit dem Volke zu bewegen, so kann ein Fortsdircilen auf
dieser Dohn nur dazu dienen, Ihnen die Erreidiung Ihrer eigenen
Absichten unmöglich und jede Alliance zwisdicn Krone und
Volk sdiledilhin unausführbar zu machenl Es wird eine Miß-
stimmung erzeugt, die zulcbt selbst beim, oufriditigsteh Willen
der Krone jede Alliance mit dem Volke aussdilie&t.
Frcilidi würde gerade das zu einem endlichen Siege der
von mir vertretenen Ideen führen, ober nidit mehr auf jenem
friedlichen und für die gesomtc Gesellschaft wohltäiigcn Weg,.,
den mir Ew. Exeeilenz neulidi in Aussicht stellten. '<
T" "^ . ,J •
* "Sie mir den Tag" ist mit Blaustift ijnterstrichen. Die letzten drei
Zeilen sind ausserdem am Rand von Bismarck sellDst mit Schwarzstift
angestrichen und er selbst hat/'oen Rand geschrieben: "ja".
^^ Die Presseordonnanz vom 1, Juni, die die Verwaltungsbehörden berech-
tigte, Zeitungen nach zweimaliger Ver-^rnung zu unterdrücken, ferner
das Verbot an die Stadtverordnetenversammlungen vom 6. Juni, politi-
sche Beratungen zu pflegen.
^^* Dies Wort ist blau unterstrichen.
¥rM-M:^ Von hier bis "so kann" sind die ganzen Zeilen blau unterstrichen.
f G.m.J
Ein Feind, ober ein offener und ehrlicher Feind des be-
slchcnden Sysiems fühle idi midi, da Ew. Excellcnz einmol
meine Ansidilen zu hören gcwünsdit hoben, in meiner Loyolitiit
genötigt, dies offen ous/nsprcdien und bin bereit zu miind-
lidicr, näherer Begründung.
Sdilie&lich dic^'Demerkung, daß über die Totsodic unserer
nculidien Unterredung sidi irgend etwas irgend woher cbruitirt
zu hoben sdieint. So wenig meine Handlungen die \o\\q^^ ^
Offentlidikeit z\x sjdi^en hoben, so kann dodi gerade durdi
eine hQlbc*l'*Oircrttlidikcit ein cnistellendcr*) Sdicin erregt
werden, und idi erlaube , mir daher Ew. Excellenz hiervon in
Kenntnis zu sehen.*), f' '^ '^'^
Mit vorzüglidisier Hodiaditung
Ew. Excellenz
ergebenster
F. Lassalle.
Die von Lassalle unternommenen Anstren^^un^en, Bismarck zur Einfülirung
des allgemeinen und direkten V/ahlrechts zu bestimmen, spiegeln die
unmittelbar vor Aus"bi*uch des preussisch-dänischen Krieges geschriebenen
Briefe.
(
) Lassalle an Bismarck
Berlin, 9 -Januar IÖ64.
Potsdamer^r, 13.
•Exccllcnzl
Gerüdite von einer unmiflcibor bevorstehenden Auflösung
des Abgeordnetenhauses und glcidizcitiger Oclroyicrung des
allgemeinen und direkten Wohlrcdits zirkulieren.
Sollten diese Gcrüdile irgend begründet sein, so würde
idi dringend wünsdicn müssen, Ew. Excellenz iedcnfolls
vor Publikation des Wohlgesebcs und selbst vor Feststellung
seines Textes zu spredicn. Sehr wesentlidie Gründe be-
stimmen midi dazu und würde idi dann Ew. Excellenz bitten,
im gedoditen Falle mich von der Ihnen zur Unterredung bc-
<iucmstcn Stunde benaduiditigen zu wollen.
Mit ausgczcidineter liodiaditung
Ew. Excellenz
ergebenster
F. LqssqIIc.
':■' ■ '
Von hier bis "scheint" mit Blaustift unterstrichen.
^* Von Lassalle unterstrichen.
^^^ Von Lassalle unterstrichen.
■)t-x-)f^ Im Originalkonzept lautete die Schluss Wendung ursprünglich;
"um "besondere Diskretion für diesen Brii=5f zu bitten".
fdM.J
Bismarok und Lassalle« S» 80«
( )
Lassallo an Bismarck
Berlin, Mittwoch, 13. Januar I864.
Potsdamer Str. 13 u
Exccllcnzl
Vor allem klage id\ midi an, Qcsicrn vergessen zu haben.
Ihnen nod» einmal ans Merz zu legen, doB die Wählbarkcil
sdilcdilcrdimjs allen Deiilsdicn erteilt werden muß. F.in
immenses Moclitmillcl, die wirklidic „moralisdic" Erobe-
rung Dcutsdilandsl
Was die Wahltcdinik . betrifft, so tiabe idi noch gestern
Nad)t die gcsammtc französisdic Gcscbgebungsgesdiiditc
nndigelcscn und da allerdings wenig Zwed<mäBiges gefunden.
Aber idi habe audi nadigcdadit und bin nunmehr aller-
dings wohl in der Lage, Ew. Exccllcnz die gewiinsdilcn Zauber-
rczcplc zur Verhütung der Wahlcnthaltung wie der Stimmen-
zerbröd<clung vorlegen zu können. An der d u r di g r c i f c n -
den Wirkung derselben wäre nidit im geringsten zu zwcifclnl
Idi erwarte dcmnadi die Fixierung eines Abends seitens
Ew. Excellcnz. Ich biitc aber dringend, den Abend so zu
wälilen, da& wir nidit gestört werden. Idi habe viel über
die Wahltedmik und nodi mehr über anderes mit Ew. Exccllcnz
zu reden und eine ungestörte und crsdiöpfcndc ßesprechung
ist bei dem drangenden Cliaraklcr der Situation wirklidi un-
umgänglidics Bedürfnis.
Der Dcslimmung Ew. Exccllcnz entgegensehend mit ous-
flczcichnctstcr Hochaditung
Ew. Exccllcnz
ergebenster
F. Lassallc
( ) Lassalle an Bismarck *
Sonnabend A^bend, ^16. Januar 1864.^
Potsdamer Str. 13.
Exccllcnzl
Idi würde nidit drängen, aber die äu&ern Ereignisse
drängen gewaltig, und somit bilic ich, mein Drängen zu cnt-
sdiuldigcn. \d\ sdiricb Ihnen bereits Mittwoch, da& ich die
gcwünsditcn „Zauberrezepte" — Zuubcrrczeplc von der durch-
greifendsten Wirkung — gefunden habe. Unsere nädistc Unter-
redung wird, wie ich glaube, cndlidi von enisdicidcndcn
DesdUüsscn gefolgt sein und da, wie ich ebenso glaube, diese
cntsdicidendcn Entsdilüssc unmöglich länger zu versdiieben
sind, so werde idi mir erlauben, morgen (Sonntag) Abend
. 8K Uhr bei Ihnen vorzusprcdien. Sollten Ew. Exccllcnz zu
dieser Zeit verhindert sein, so biitc idi mir eine andere mög-
lichst nahe Zeit bestimmen zu wollen.
Mit üusgczcidinetcr Hodiachtung
Ew. Exccllcnz
ergebenster
F. Lns^^ll^
^
BiBinarok xtpäi Las 3 alle« S« öl' —
Nach dem vom Original erfolgten Abdruola im Bismarok-JahrlDUch,
Bd. IV. 1897. S. 166.
m
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11
Dia.em Brief waren corcfUltiG auseeartoitetG, 25 Punlcto umfaöaonde
Punk-tationen" büigeles-t.
In oinom noch im Januar odor Anfang Fsl^ruar I864 sesohrieT^onen
Briof unternahm Lascalle.im Anachluss an eine unmittelbar vorhergegangene
Aussprache mit Biomarck, den letzten Versuch, sein Ziel zu erreichen.
( ) Lassalle an Bismarck
^ohne Datuiii_y
/"Berlin, I^nde Januar 1Ö64
oder Anfang Pe'bruary
Exccllcnzl
Die heutige Unterredung, die \d\ wirklich, weil ich Sic zu
beschäftigt sah, nidit forlschcn wollte, nötigt mich, auf die Gc-
fohr hin phontastisdi zu crsciicincn, nochmals zu einer aus der
Tiefe meiner Seele ertönenden Warnung, auf die Sic den Wert
legen werden, die sie Ihnen zu verdienen sdicincn wird. Sic
müssen') das allgemeine und direkte Wahlrecht vor dem
Krieg geben, denn sie können es weder wahrend des-
selben nodi nad\ demselben geben. Nidit während des-
selben, denn dann würde es, wie Sic selbst sahen, nur als ein
Zeidien der Schwäche crsdieinen, und man würde es statt Ihnen
zu danken nur in eine Position gegen Sie verwandeln.
Nidit nach dem Kriege, und von den hundert Gründen
hierfür will idi nur einen einzigen anführen. Warum können
Sic im f^ricden alles was Sie wollen? Worum gestand ich
Ihnen sdion im vorigen Mai zu, daS, solange kein auswärtiger
Konflikt eintrete, unser Land sidi selbst den ärgsten Absolutis-
mus ruhig gefallen lassen werde? Warum sagte idi Ihnen, da&
er mit dem ersten Krieq zusammenbrcrhf*.n ^wrrH/^7
Im Frieden waltet dns Interesse des Privatlebens
durchaus vor und bringt die Volksstimmung zum Indifferentis-
mus, mödilcn die Zustände sein wie sie wollen.
Die ganz cntgegengesebte Stimmung tritt mit iedcm
Krieg von einiger Dauer und einigen Umrissen ein. Eine ganz
anders aufgeregte Atmosphäre erzeugt sidi, und das Pathos
'des öf fcntlidicn Lebens wird jebt ebenso herrschend wic>
im Frieden das des Privatlebens.
' Diese öffentlidie Stimmung des Volkes, die dann eintritt,
darf durchaus nicht verwed\5clt werden mit der „öffentlichen
Meinung" der Zeitungen.
Mir crsdieint es mehr als gewagt, diese Stimmung
eintreten lassen zu wollen solange Sic zum Lande Ihre gegen-
wärtige negative Stellung einnehmen. Sic werden nadi dem
Kriege das Wahlrcdit n i di t mehr geben können, denn sdion
während des Krieges werden, wenn er zu einem Krieg
von einiger Dauer und einigen Umrissen wird — und es ist
niemand gegeben dies zu verhüten — Emeutcn und Insurrek-
tionen Qusbrcdicn. Angenommen und zugegeben selbst, Sie
besiegen diese mit mililärisdicr Gewalt — so 'ist, sowie von
neuern Bürgcrblul geflossen ist, die gonzc Entwicklung der
Dinge geändert und die von Ihnen gewollte zur Unmöglidi-
kcit geworden. Von beiden Seiten. Von Seiten des
Königs, der dann entweder in Ihrer Person die Ursache
des geflossenen bluies sähe und Sie fallen ließe, oder aber,
wenn dies nidit eintrilt, nidit mehr zu bewegen wäre, sidi dem
allgeniciiicn V/ahlredil anzuvertrauen. Von Seiten des Vol-
kes in noch höherem Grade. Denn ist erst von neuem
ßürgcrblut geflossen, so ist durch das Volksoefühl jede
Verbindung mit Ihrer Regierung und mit dem Königtum über-
haupt zur UnmÖglidikeit geworden und die Gcsdüditc wird
ihren viclleidü nidit gar raschen aber verhängnisvollen Verlauf
nehmen'»
Bismarck und Lassalle. S. 87/88.
Was hier gesperrt ist, hat Lassalle unterstrichen.
Lä..yf/j
\
i
.*' w':
Diese Insurrcklioncn, ich wiederhole es, werden kom-
Tr'nnr""-^"''n^^'"* ^" ^ ^ ^ '''^&^"' ^<^nn ^vir einen KHeg
von nur cimacr Dauer und nur einigen Umrissen bckonin cn
^^ värbetietK ^^^^"^''^^'^^ ^^''^''^ QeQcn'die RÄn^S
Lcuf^nehmen ' ""und' d ^'"" "^ren düstern vorher besfimmfen
viellcidit^d?ni;;i. fi, • ♦'''"''°^. Phanfosmo. dessen id. midi
V ciicidit sduldig fühle, ist. gewünsdit und vcrsudii zu haben
diesen trauriocn Verlauf abzuwenden '
hier vähi'rn"" '1' "'"^'^ '^•^^"' ^^"^ ^^- Excellenz werden das
ll'clen sehen ' '" """"'' ""^'' *''"''''" Befriedigung cin-
Wan bestem s e i n li a u s , c h e man in den Krieg zieht
red.i vor^'n"'"'!.^"^^"" ^^^ °"^^"^^'"« ""^ direk/ Wahl-
recht vor dem Kriege octroyicren oder nie mehr I Auf
d^sc Vers.dierung glaube idi die' ganze Ehre meines gcsdiid^t-
hd^en Dhd<es. auf den id. bisher einigermaßen slolz zu stn
Grund hatte, sehen zu dürfen.
Dixi et salvavi onimam mcam.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Ew. Exccllenz
crflcbensler
F. LqssüIIc.
Allein nicht auf dem politischen, sondern auf dem sozialen Gebiet
hat Bicmarck auf seine V/eise den von Lassalle c^ev^iesonon Kurs ein^e-
schlai^en, indem, er den entlassenen V/ehern eines schlesichen Kreises
'täti2:e Hilfe leistete, eine Kommission zur Untersuchung der dortigen
V/eberzustände einsetzte und sogar den König veranlasste, einen ansehn-
lichen Betrag aus seinen Privatmitteln zur Begründung einer Produktiv-
genossenschaft herzugehen. Hit Recht hat Lassalle diese Alitionen ;
auf eine Uehernahme der von ihm propagierten Ideen zurückgeführt. f
t.
t
i
( ) Lassalle an Sophie von Hatzfeldt i
— i
Leipzig, Ivlitt^voch /^ll. Hai l864_/# f
i
r
Gute Gräfin! '
1
Ich empfange soeben Ihren Brief. Die darin milgctciltcn Nach- ' [
richten sind jedenfalls vortrefflich.
Was B[isniarcks] cigcntliclic Absicht ist, ist un«>cluvcr zu durch-
schauen. Im wcscntrichcn ist sie jedenfalls diese: Er hat, wie ich Ihnen !
voriges Jahr bereits sagte, von Anfang an den Wunsch gehabt, womög-
lich das sozialeEIcmcntdcr Arbeiterbewegung durchzuführen, nioins '
das politische. Da ich nicht bereit war, hierauf einz.ugchcn, versucht er es j
jetzt mit den Arboitorn direkt. Wäre diese Trennung möglich, könnte
er sein Projekt durchführen — so wäre .'•.ein Profit dalx;i ganz klar. Kr \
hätte die Macht dann ganz allein und brauchte mit niemand abzu- i
rechnen, nicht mit Volk, Kammer, noch Bewegung. Aber aus tausend i
i
Gründen istdiesschlicßlichganzunmöglich.HristderMannnochnicht, *
mit dem Teufel Kirschen zu essen !^Kr wirtschaftet jetzt, willentlich !
oder nicht, als mein Bevollmächtigter für Schlesien. Je mehr er •
in diesem Kamine herumpurrt, desto mehr zieht er mir die Bewegung .j
groß. ' _ .
i.\ ,i;»r"!i',
Ferdinand Lassalle, Naohgelasene Briefe und Schriften. Hrsg.
von Gustav Mayer. 4.Bd. S^. 353/54.
* Rieses "bisher Bloss durch mündliche Tradition überlieferte V/ort
Bismarcks erhält durch den vorliegenden Brief historische Authen-
tizität.
r ^^'. r^J
n
■ :: :f:; t'i-," ^'™ 'z <'"™-^^-' -" »'•^'' '< ^-."S i < s
A o . ^°T ='"' "'''■' '"^ Organisation der l>ro,l, k v
Asso^, a t, on n besorgen. Vorscl.Uigc überdas Detail der Einriebt" ,,,!:: ?
Hii ;:;k;p a;:!:';;^i:s''^"- ^<'" '""^ ^-'^'^'■^. -" "^^ Arbeit; d.
lelrer«'arte Pauls «rief. Sind vorher dort K,.tsehlii..«e zu fassen
undTk^nf V"" TT "'■'■ r ■"""'"' "■""- ««'-kon blt
unci alles keimt. Sa!;cn Sie das auch an Willnis
Eme liitte: Halb heiser abgereist, bin ieh hier durch zweistündige
Kode ganz Ire.ser geworden. Bitte, gehen Sie -oder sehreiben Sic -
gkneh an Lrenchs, er soll Ihnen das Rezept geben, das mir so g ä getan
und ehrcken S.c nr.r es sofort au Lcwy „ach Düsseldorf, wo ich .„' rgea
^ Ganz Ihr
F. Ivassalle.
Die von Lassalle gebrauchte Wendung "mit dem Teufel Kirschen essen"
war ein ^^cho eines seiner Gespräche mit Bismarck, Dieser hatte - väe
bald verlautete - auf Lassalles Bemerkung, dass eine Allianz der
' Arbeiterpartei mit der konservativen Partei nach kurzer Zeit in die
Brüche gehen mirde, mit den V/orten reagiert: "Ach, Sie meinen, es
kommt darauf an, wer von uns der Mann ist, der mit dem Teufel Kirschen
essen kann, ITous verrons." * *
Vierzehn Jahre nach Lassalles Tod hat Bismarck als AntvADrt auf die
Angriffe Bebeis in seiner Reichs tagsrede vom 17. September I87Ö seine
Beziehung zu Lassalle ausführlich dargelegt.
•- I -v u ■•
mdjr^cCTmdjt \dpimOf-%cxnad}L ^ ^d) l)ahc ifjn gefeiten unb
Don bcm 5(u(jcnblic! an, tüo \d) mit ifjm eine ©tunbc gejprod^en,
I)abc id) cö md)t Bereut, ^d) T^abc ifjit nid;t in jebcr SBod^c
brei* biS toicnnal sejcljcn, fonbern im GJansen brctmal, meinet»
I;albcn öiermol, id) njeijj c3 nidjt. Un(erc öcsiel^ung tonnte gor "
nidjt bie S^ahir einer politifdjen ißer^anblung l^abcn. SBqS ^^ttc
mir fioffaÜc bieten unb geben tonnen? Gr I;attc nidjtS ^intcr
fidj. Sn ollen politii'djeu ^^errjanblungen ift baö do ut des eine
Qad)c, bie im ^intergrunbe fielet, aud) mcnn man auftonbSljQlbcr
cinfttücilen nidjt baüon \pnd)t. SSenn man \id) ober (ogcn mug:
lüQö lonnft bu anner STeufel geben? (5r Ijatte nid^tS, iraS er
mir aU Stiniftcr t)ättc geben tonnen. SSaS er I)atte, njar f^tioa^,
tüQö mid^ qI§ ^riüatmaun aufjerorbentlid) anjog: er luar einer
bcr geiftreidjfteit unb liebcnStuürbigften 9J2cnfd;cn, mit bcnen id)
je Dcrfel;rt I)abc, ein WHann, bcr ct)rgci5ig in großem ©tile toar, •
burd)QuS nid;t SRc^ublifoner, er Ijattc eine jcl)r ausgeprägte
nationale unb monard^ifd^c ©efinuung ; feine Sbec, ber er juftrcbte,
I ^loU ;'
/_ Florian Paul, der Führer der Weberdeputation. Briefe von ihm an
Lassalle und an die Gräfin befinden sich im Nachlass,
C^A.J
^ ^ Aus: Herraann Oncken, Lassalle, inline politische Biographie.
Stuttgart 1923. 4. Aufl. Ü. 40I ,
3Uöqcf;rcubci-t, fic mit .^")or;n in ü), iüd)t^. ^auKhsmckn. unb
u^nvbc |ic aiincr Staub Qc'm \),hcu. feinen 9?amen ju mig.
Mauf^cn. Snifaüc mx ein cnerQiicr^cr unb fel^r nciliu-djcc 2)?enfcfi
jnit bcm 511 fprccfjcn fer^r Ul)mid) luar; nr.jac UntencbunQoi
r;nl)cn ©tunbcn Tang gebancrt, unb icf; l)ah cö immer bcbauert
jreim fic kenbct lüorcn. ^^abei ift au^ unrirfjtig, bog icfi mit
UiiaHc Quöcmonbcrgefornmen i6n \oü in bie(er Slrt öon ^jcrfön-
Iicfjcn Sc5icr)im3cn, tion öesieljungen pcrfönlic^cn ^Dl)lmUm
h^ic e§ fidf; 3iüi)d;en unö gcbilbet Ijattc, inbem er offenbar bai
anQencr^men Ginbrucf Ijattc, boß idj in if)m einen 2)?ann öon
©cift fcljc, mit bem 311 berfcfiren anQcnef^m luar, unb er feiner-
fcitö bcn anocner;men ©nbnicf r;atte, i^a^ iä) ein intelligenter unb
bcrcitiüilligcr $örer mv. 53on a^crrjanbrungcn rtar fdjon beS^aI6
ntdjt bic TiQbQ, tüQÜ idf; in unfcren Unterrcbungen irenig ju SBorlc
Jam; er trug bic 5loftcn bcr llntcrf;artun9 a^cin, aber er trua
fic m angcncrjmcr unb licbcn^iüürbiGcr 23ei)e, unb Scbcr ber ibn
rannte, luirb mir in bcr edjirbcnmo rcrf;t geben. Gr t^ar ni*t
bcr 93?ann, mit bcm bcftimmtc 5I6mQcf;ungcn Ü6cr i>a& do ut des
flbgcjdjloiicn njcrbcn fonntcn, at)cr idj bcboucre, baJ3 feine politifc^c
etcirung unb bic mcinigc mir nid;t gcftattctcn. mit if)m biel ju
bcrfcr^rcn, aber id; n)ürbc mid; gcfi'cut r)a6cn, einen äfmlic^cn SKorat
toon bicfcr Begabung unb gciftrcid;en 3?atur alg ©utSnadjbam ju
f)abcn. SScnn er burd; feinen (SJeift unb feine Sebeutung mic§
önsog, fo iit eö ja, obgcfeljcn boDon, meine ^Sflid^t alö 5minifter
mid; über hk Gremente,mit bencu id; cS ju tljun ^abc^u belehren-.' '
Dio Beziehun<[j zu Bisnarck war einer der ^össton porcönlichen Erfolge
LaGcallGo, aber seine Hoffnun^j, die ^Jinführun^; des allgetnoinon V/ahl-
rochts zu erreichen, erfüllte sich nicht. Auch andere Enttiiucchun£;on
hliehen ihm nicht erspart. Die I.litgliederzahl des Arhoitervoreins
stand in keinem Verhältnis zu dem Jubel, mit dem Lassalles Reden von
den Arbeitern auf {genommen v^urdon. Das grosse Ansehen, das er sich als
Schriftsteller und Redner erworben hatte, schützte ihn, trotz der Gunst
Bismarcks, nicht vor strafrechtlichen Verfolgungen. Es gelang ihm zwar,
dio Umwandlung der \jQßQn des "Arbeiterprogramms" über ihn verhängten
Gefängnisstrafe von vier Monaten in eine Geldstrafe zu erv/irken, aber
* Aus: Adolph Kohut: Ferdinand Lassalle, sein Leben und Wirken,
Leipzig 1889. S. I48/149.
r
. '■ >
)
wiedorholto JBcschlatTnahmo ceinor Schriften und Verhaftungen hliehon
nicht aus. Das Zer\mrfnis mit Karl liarx, das, trotz Geraeinsamlceit der
Ziele, durch die Vorüchiedenhcit der philosophischen Grundhaltung;
und Auffassung ühor den einzuschlagenden V/ec: hervorgerufen v/orden v/ar,
e^^vies sich als unheilbar. Auch innerhalb der Arbeit erb ev/efrun^«? stioss
Lassalle auf V/iderspruch und selbst auf Widerstände, die sich gegen
. dikt?'torischQ , .
Goino/i'uhrung und die Annäherung, an. Bismarck richteten. Ungeachtet
aller Rückschläge brachte dieses/^^to die Krönung von Lassalles
politis'jhom Lebensv/erk, die Schaffung der sozialdemokratischen Arbeiter-
partei und die Veröffentlichung seines groindlegendon volkswirtschaft-
lichen V/erkes, "Herr Bastiat-Schulze von Delitzsch, der ökonomische
Julian, oder Kapital und Arbeit" (Berlin I864). Diese Kritik des
I'.ianchestertuns und die vd.sscnschaft liehe Begründung seines Sozialismus
war, wie schon der Titel ausdinickt, ein bis zur Persiflage gesteigerter
Angriff auf den führenden liberalen Vollcsvartschaftler. Theoretisch
stützte sich Lassalle, v/ie er selbst bekannte, auf die Schrift von
Karl l.arx "Zur Kritik der politischen Ökonomie. Dennoch ging Lassalie
in seinom Buch auch eigene V/ege. Philosophisch an Fichte, volksvd.rt-
schaftlich neben Harx auch an David Ricardo und den hervorragenden
deutschen Volksvdrtschaftler Karl Rodbertus anknüpfend, fasste er
erstmalig alle sozialistischen Ideen zusammen.
Zu Lassallos Kitkflmi^fern in dieser Zeit gehörte neben Rodbertus und
dorn ochwoizor Rüstov; auch I/.oses IIoss, der, obv/ohl in seinem Ver-
hältnis zum Judentum La^sallos Gegenpol, ihm politisch am nächsten stand,
und der sich nachdrücklich für Lassalle als Agitator und Autor einsetzte.
V/ilhelm Rüstov/, eidgenössischer Ö±£dcz±2r Oberst, Kilitärcchrift-
steller und Revolutionär, v/ar ein langjähriger Freund Lassalles und der
Gräfin von Hatzfeldt. Obv/ohl auch diese Freundschaft durch politische
r.einungsvorschiedenhoiten auf die Probe gestellt wurde, enthält gerade
ein Brief Lassalles an Rüstov/ sein Credo.
#
•
b . y^d'viX/y /
KM^i^'tm
Johann Karl Rodbertus (l805-l875)f Politiker und Fationalökonomj
1848 Mitglied der preuss. ISTational-Versairimlung,
** rWilhelm Rüstow (I82I-I878), ehern, preuss. Offizier.
■V
) Lasoalle an V/ilhelm Rüctov/
/"undatiert, Berlin, Anfan,[? TAai l863.J^
Wahrhaftig sehr wenig am Ort ist, wenn Du mir vorhältst, wie
Du seit 184S ausgedauert hast, als hätte ich das nicht auch getan. An
meiner Ausdauer zu zweifeln, ist überhaupt naiv. Ich habe für die
Prozesse der Gräfin zehn Jahre ausgedauert, und werde wohl für die
allgemeine Sache nicht weniger Zähigkeit haben. Habe das übrigens
schon in praeterito, denke ich, sattsam gezeigt.
Lächerlich aber ist, wenn Du — und auch Herwegh. dem Du wahr-
scheinlich davon gesagt - annehmen, ich könnte mich in vierzehn Tagen
zurückziehen, die Politik aufgeben usw.. weil ich etwas davon geschne-
bonl Begreift Ihr so wenig, daß es für leidenschaftliche Naturen emc
Notwendigkeit ist. sich auch leidenschaftlich zu beklagen? Zurückziehen
von der Politik! Du mein Gott! Das ist es ja, daß man mit dem Luder
ebensowenig leben als von ihm lassen kann! Es ist zum Totlachen, wie
Ihr solche Wutäußemngcn au serieux nehmen wollt; es ist. als wollte
man einen Fluch ä la lettre nehmen! Fehlte noch, daß Ihr 'es in die Zei-
tungen bringt durch Weiterquatschen !
Nein, solange eine Möglichkeit existiert, die Kohlen zur Flamme
aufzublasen, solange werde ich blasen und wenn ich die Schwindsucht
bekäme. (Wird mir doch schon fraglich, ob ich die drei Sommermonate,
<iie ich so brauche für Alpen und Seebad wie einer sein Auge, denn meine
Nerven hängen vor Überarbeit zerrissen um mich herum wie alte Fetzen,
nicht lieber zu Agitationsreisen als zu emer kurzen Ruhe verwenden soll.)
Worauf ich allein sehe, ist der Arbeiterstand. Ich habe die tiefe
Überzeugung, daß sich mit der deutschen Bourgeoisie gar nichts
machen läßt. Ist der Arbeiterstand noch so weit zurück, daß man ihn
in seiner ungeheuren Majorität unter dem Fortschrittsbanner fest-
halten und gegen meine Bewegung votieren machen kann, ist er noch
so unreif und schon so entmannt — ja dann ist's für ein Dezennium
mindestens zu früh. Dann läßt sich nichts machen. Darauf allein sehe
ich. Ich will nur eine r^Iinorität, das ist natürlich. Alles, was in der Welt
passiert ist, ist mit Minoritäten gemacht. Aber es muß eine anständige
Minorität sein. Mit hundert Arbeitern, wie Herwegh sagt, nein — damit
ist eine politische Partei nicht zu machen. Eine Sekte für spätere
Zeiten ließe sich damit gründen. Keine Partei. Dann habe ich Unrecht
gehabt; dann bin ich zu früh gekommen, dann, wenn mein Arbeiterverein
binnen Jahresfrist nicht zehntausend Arbeiter hat, dann allerdings werde
ich mir überlegen, ob ich nicht ganz auf die Politik verzichte, da alle
Aufopferung dann nutzlos wäre.
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Ferdinand Lassalle, Naohgelassone »Binrtft Briafa und Schriften, 5,
Bd. S. 169/73.
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Diu um diesel"be Zoit mit Rodbortua goführte Korrespondenz ü"ber
die Fassung der Statuten des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins
gibt l,assalle Gelo^enhoit, seine Stellung zur Nationalitätenfrage
zu präzisieren,
( ) Lassalle an Karl Rodbertus
Berlin, 8, Mai 1863.
Nein, Natioiialilälspiinziplcr bin icli nicht. Ich habe meine Ansicht
darüber selir. deuthcli seinerzeit in meiner Broschüre über den itah'eni-
schcn Krieg-r^ ausgesprochen, die icli Ihnen beiliegend sende. Sie finden
darin ausdrücklich entwickelt, daß icli das Recht der Nationalität nur
den g r o ß c n K u 1 1 u r n a t i o n e n — und denen werden Sic es ebensowenig
bestreiten — vindiziere, nicht den Rassen, deren Recht vielmehr nur
darin besteht, von jenen assimiliert und entwickelt zu werden.
So weit also sind wir ganz d'accord. lune einzige Differenz scheint
mir vielleicht zwischen uns zu bestehen.
Sind Sie wirklich au fond Töderativstaatler? Ich bin entschiedener
Gegner des Föderativstaates für Deutschland, eutschiedeuer Anhänger
des unitarisclien Staates. —
Das soll mich nicht abhalten, das Wort ,, Deutsche Bundesstaaten"
statt „Länder" in die Statuten aufzunehmen.
Drei Ilonate später hat Lassalle in einem an lioses Hess gerichteten
Brief die Bev/eggrilnde, das V/esen und die Bedeutung seiner politischen
Leistung, insbesondere auch im Verhältnis zu Karl Marx, zusanmengefasst,
( ) Lassalle an Moses Hess
Ostende, den 27, August /TSöß/.
. Lieber Hess!
Mit wahrhaftem und grossem Vergnügen habe ich Ihre treffliche
Schrift die „Rechte der Arbeit" gelesen und kann nicht umhin, Ihnen
mein besonderes Kompliment für dieselbe zu machen. Es ist mir
jede Zeile darin aus der Seele geschrieben, und die Prägnanz des
Ausdrucks und der Darstellung macht die Lektüre zu einem Genuss.
Das gleiche Lob verdienen die Grenzen, die Sic gewählt haben. Sic
wissen, wie es mit dieser Bewegung gegangen, wie sie entstanden ist.
Sic ist nicht eine theoretische, nicht von einem theoretischen Werke
ausgegangene, sondern sie ist eben eine praktische Agitation. Hätte
ich ein theoretisches ökonomisches Werk geschrieben — ich wäre
natürlich ganz anders zu Werk gegangen, wäre viel weiter gegangen.
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a.a.O. 6.Bdt S« 338.
Der italisnisohe Krieg iind die AufgalDe Preussens, Berlin I859.
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*^^ Rechte der ArlDeit. Von 2fizxBX Hess. In Kommission "bei Reinhold
Baist, 1863. Das Vorwort trägt das Datum: Köln, den 15« Juli 1863.
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vxxtSt. Moses Hess Brief\70chsel. Hrsg. von Edmund Silberner,
1959 s-'Gravenhatjo. S. 434/36. _. I_-.--'^ ^
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Ich war gciadc im Begriff, ein solches zu beginnen, als die Möglich-
keit und Gelegenheit zu der praktischen Agitation von Leipzig aus
an mich gebracht wurde. Fast zauderte ich einen Augenblick, diese
Gelegenheit zu benutzen im Hinblick auf das für mich persönlich
lockendere Ziel eines systematischen ökonomischen Werks, für
welches mir — das sah ich sofort klar — durclr.dic praktische Agitation
fürs erste alle Zeit entzogen würde. Dann aber sagte ich mir; was ist
nicht alles schon geschrieben und bewiesen und dennoch von der
Welt fast vergessen wordenl Natürlich nur für die Gegenwart. Durch
ein theoretisches, systematisches Werk wird wieder nur ein Fort-
schritt der Wissenschaft, eine Bcfnachtung der Geister in 30—50 Jahren
crzieltl liier dagegen bot sich die Gelegenheit einer grossen, prak-
tischen, auf die gesamte Nation eindringenden Agitation. Es handelt
sich darum, während die deutschen Möpse a la Schulze-Delitzsch
— darum war auch ihr Erstaunen so gross — jeden sozialen Gedanken
längst ausgestorben und hcgrabcn glaubten — den Sozialismus plötz-
lich wie durch einen Zaubcrschlag als politische Partei auftreten zu
lassen: Eine theoretische Bewegung und eine praktische unterscheiden
sich aber nach meiner Ansicht in folgender Weise. Bei einem theore-
tischen Werk handelt es sich darum, alle Konsequenzen des Prin-
zips, wo möglich auch schon die allerletzte, zu ziehen. Je mehr ein
Buch dieser Anforderung entspricht, desto besser ist es. Bei einer
praktischen Agitation dagegen handelt es sich umgekehrt darum,
sich mit aller Kraft auf die nächste Konsequenz des Prinzips, auf den
ersten möglichen praktischen Schritt zu stürzen, aber auf einen
solchen, in welchem das ganze und volle Prinzip bereits enthalten
ist, und unter entschiedenster Betonung und voller theoretischer
Ilcraushebung dieses Prinzips. Hierdurch wird dann einerseits den
Massen etwas Bestimmtes und Greifbares geboten, andrerseits viele
Menschen von unsystematischer „Billigkeit" und halber Einsicht
dafür gewonnen, jedenfalls etwas sofort und praktisch Mögliches als
Zielpunkt hingestellt, gerade dadurch bei den Gegnern eine viel
grössere Wut und Ilass envcckt, als wenn man schon viel weiter-
gehende Konsequenzen als Forderung aufstellt, die im Augenblick
noch gar keine praktische Gefahr in sich schlössen, durch diese Wut
gerade der rechte Boden für eine alle Köpfe umfassende Agitation
— und somit doch auch für ein allgemeines Nachdenken — geschaffen,
endlich, indem bereits das ganze Prinzip auch in diesem ersten und
nächsten Schritt enthalten ist und sein muss, ein Schritt getan, der
sieh nob^vendig auch zu allen weiteren Konsequenzen entwickeln
muss, diese in sich schliesst und damit auch für das avancierteste
theoretische Interesse der sympathische Boden geschaffen.
Gerade dadurch, dass ich nach diesem Rezept zu Werke ging,
glaube ich den grossen Erfolg herbeigeführt zu haben, den unsere
Bewegung schon hinter sich hat Denn wie es auch mit unserer
Anzahl stehe und weiter stehen möge — ein solcher Erfolg ist nicht
zu leugnen. Er besteht aber schon in der Aufregung ohnegleichen,
die ganz Deutschland ergriffen hat. Ohne den Verdiensten von Marx
und der N[euen] Rhcin[ischen] Z[eitung] zu nahe zu treten, glaube
ich doch sagen zu kömien, dass jetzt zum erstenmal eine soziale
Partei in Deutschland besteht, die eine politische Bedeutung hat und
eine }>lasse repräsentiert.
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Am £^l0ichen Ta,^c cchrie"b Lassallo an Hans von Bülow über die
■bevorstehenden Aufgaben.
( ) Lassalle an Hans von Bülov/
Ostende, den 27. August 1863, abends
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Ende September werde ich zwar nicht Glück, aber doch Aufregung
haben. Am 20.' September gehe ich nach Düsseldorf ab. Ich will in Düssel-
dorf. Solingen. Elberfeld, Barmen, Köln Volksversammlungen halten
und mich da in schonungsloser Weise über die verschiedenen Scheuß-
lichkeiten der letzten Monate auslassentJjfFreilich denke ich nicht daran,
dies Thema zu erschöpfen — da müßt' ich sieben Jahre sprechen — bloß
ganz kurz berühren will ich es, aber ungefähr so wie ein glühendes Eisen
einen menschlichen Körper. Man schreibt mir vom Rhein, der Zulauf
werde außerordentlich sein. Gut! Ich werde sehen, was ich machen kann.
Wenn ich nur einen Teil der Wut loslassen könnte, die ich in meiner
Seele habe, so fangen nicht nur die Menschen, sondern auch die Gebäude
Flammen.
An 12, Oktober 1863 fand vor dem Berliner Kammergericht die Ver-
handlung über Lassalles Appellation gegen das Urteil statt, mit dem
er YfBQen "Aufreizung der besitzlosen Klassen zum Hass und zur Ver-
achtung der Besitzenden" zu vier Llonaten Gefängnis verurteilt worden
v;ar. Lassalle verteidigte sich mit einer unter dem Titel "Die indirekte
Steuer und die Lage der arbeitenden Klasse" veröffentlichten Hede mit
dem ülrfolg, dass die Gefängnisstrafe in eine Geldstrafe umgewandelt
vAirde. Triumphierend berichtet Lassalle am Tage der Urteilsverkündigung
der Gräfin.
( ) Lassalle an Sophie von Hatzfeldt
/"Berlin, 19. Oktober 1863.J7
Liebe Gräfin!
Iväscii Sic Zeitungen, so würden Sic aus denen ersehen haben, daß
am 12. das Urlcil nicht gesprochen, sondern auf heul (19.) ausgesetzt
worden ist. Soeben trifit die Nachricht ein:
Verurteilung zwar aufrecht gehalten, aber die Strafe auf 100 Taler
Geldstrafe herabgesetzt.
Sie also werden lachen! Ich aber mit höchster ICraft Kassation ein-
legen, am Kassationshof persönlich auftreten und einen furclitbaren
Lärm schlagen. Ich muß durchdringen.
Ferdinand Lasaallo, Nachgelassene Briefe und Schriften. 5. Bd.
S. 221.
Lassalle hielt am 20 , , 27. und 28, September in Barmen, Solingen
und Düsseldorf die Hede: "Die Feste, die Presse und der Pranlcfurter
Abgeordnetentag, Drei Symptome des off antlichen Geistes,"
a.a.O. 4. Bd. S. 347
%
¥9"
Wegen neuer andcnvcitigcr Verfolgungen ängstigen Sic sich doch
gar nicht! Kein Mensch denkt mehr dran, mich verfolgen 7\\ wollen!
Sic hätten, um dies zu begreifen, neulich in der Sitzimg des Katmncr-
gcrichts 7Aigcgen sein sollen! Da hätten Sie gesehen, wie ich den Leuten
das Prozessieren mit nu'r bereits verleidet habe. Es war ein namen-
loser Triumph. Holthofl>i^war vor Verwunderung ganz'starr. Ich
sagte die furchtbarsten Dinge. Kein Mensch, der mich unterbrach.
]cl\ ])i.»k!ani;iMU; die llrvoli.'tion ! Kein Staatsanwalt und kein Präsident,
der itucli nur gehustet lullte! Ich habe den l/cutcn ge/.cigt, was eine
, .freie Verteidigung" ist, und dsa durch den Skandal in erster Instanz
und daf. Bewußtsein des Kanmiergerichts, mich doch nicht einsch.üchtern
zu können und mir durch Abschncidcji der Rede nur Kassationsgründe
zu geben, so siegreich durchgesetzt, daß zum Staunen aller Juristen die
Leute sich ohne zu mucken zum voraus in alles ergeben hatten. Münd-
lich darüber näheres. Es war merkwürdig. Eben deswegen wollen sie
auch nicht wieder mit mir anbinden. Sic haben gesehen, daß es ein un-
dankbar Geschäft!
Ich bin wieder der einzige gewesen, der Recht behalten hat gegen
alle seine timiden Freunde. — *
« <>
Ich bin übrigens — und das ist eigentlich auch der wahre Grund,
weshalb ich Ihnen neulich schrieb und heute schreibe — schon seit drei
Wochen der bcstlaunigstc Bursche in der Welt! Weiß nicht, wic's ^
konnnt, aber ich schnaufe ordcntlicli Ivrfolg in allen Nüstern ! Es 1
ist ^\\\Q Siegesgewißheit und Gutlaunigkeit über nn'ch gekommen, gegen |
die alle frühere Sicherheit nur ein Kinderspiel war. ' '
Ich kam hier an mit der Erklärung : in spätestens drei Monaten habe |
ich Berlin, und lachte meinen Bekannten ins Gesicht, die nn'r ins Ge- l
sieht lachten! :
Und in der Tat ! Beim Tag meiner Ankunft waren wir zehn Mitglieder r
hier. Vorgestern schon 25 Mitglieder, und gestern habe ich das Born- <
bardenient sy. ;• matisch begonnen.- : \ ine „ Ansprache ">^^ie ich Ihnen ';
heut si'>ii geschickt, wird seit gestern aus-gegebi:«.: l'nseie Mit- ;
glieder ;:ndero Kolporteurs haben wir nicht genonnn.on - Inulon ' |
danu't in die l-abrikarbiiterviertel. Grof^;^ Aufregung. Die ,, Ansprache" *
wird wahnsinm'ge.s Aufsehen machen und, wenn ich nicht sehr irre,
große Wirkung haben. Täuscht nn'ch nicht alles, so haben wir inner- • I
halb vier Wochen hier 300—500 eingeschriebene Mitglieder, mid dann 1
ist alles gewonnen. Die Berliner Arbeiter fangen an, sich zu nn'r zu cnt- I
wickeln. Wer hat recht gehabt? Wer? Wer hat gegen allen täuschenden ;
Schein, gegen alles auswendige Ansehn der Dinge immer den Mut bc- •
halten und gesagt: ich weide Berlin haben wie den Rhein?
Etsch! Etsch! Etsch!
Haben wir erst fünfhundert, so haben wir auch dreitausend Mit-
glieder hier.
Aurel Holthoff, Lassalles Anwalt.
^^ "An die Arbeiter Berlins. Eine Ansprache im Namen der Arbeiter
des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins" erschien im Kommissions-
verlag bei Reinhold Schlingmann, Berlin. - Lassalles sangTiinische
■flrv/artung erfüllte sich bekanntlich nicht, "^Irst lange nach seinem
Tode konnte der Allgemeine Deutsche Verein in Berlin ^virklich
Boden gewinnen.
V/eni.o;e llonato später muü^to Lascalle sich vor dorn Staatr.r.erichtshof
in CTnem Hochverratspro z 03 s verteidigen.
( ) Lassalle an seine Schwester I'^iederike I<^iedland
Berlin, 13. März I864
öcj'cvn \i\n Q\-oic ^aUnik: ^?cin ipocf;ücn-öf£?pro3cg
fnnb *oor bcni et.:atiii3ericr;tör;of \iatt, CsJ (jincj r;Qrt r;cr.
2)cr C^Ncviliatc^anirnlt platicrtc in «Werfen unb beou*
tiv.ßic Meg tic ilfcini'ßfcit üou bvci 5ar;ven 3ucf;ts
r;au5?, far.f ^n^Mc ©tcHuiicj unter «PotiViauffic^t unb
fMüitcvt ':i:r.rcr ©crtftrafc. T)k 61/311113 boucvtc öoa
30; i: Ul;r (M'i [ccr)^' Ur;u. ^cf; probierte üi'cr etunbcn,
l';'-'*-'-"''"^" •• ''■"' ^^'^' 5[But cincsJ I[ji;i-Fanifcr;cn ^i^niögs
ti;3crsl J)i-ci-- biö mcvirior iPiivbc id) buvcT; ein jraOrci
^•.' _ •... ■. •;. ; \.'.c\ " " :' ! .•■'iffv^hvCiitcu ?''. fr
i:iiiov;rLv;H^'i. 'j'bor ich l\'i:!t:ii]tc '.ncinc ioii^cn fo gut
: '.■ Vw.is ö.> ;..;\j'..:' [i., .^;ir t*:? 'il^^oit ,i^v..
••';.c, \:'\:ic i^:^^ fpvcQcn frJ ivic bcv "i^^j:^ in tcr ^'uft.
-'i'.iv :••;;' '"^'.'L^vt nl^ViiK^ncilrcr. iiMurcn \\c iiic;:, \i\\[
0: . ■■;'. iLurcr .<^r.J!C;ions!-3i::;:c ^]^u\[cri v!\iC. vre liclcn
jJo ^v..': vi;:j^ il'vc::; »fiifrüTr \^i^\:\: jvi^tcr in Oli^.l'i
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C: ...;.:;.'./; Ire üvi.:;icr c^ciwul):, '^cxn^ cc: iitö pu^
f r\r;o: ^i !;\Tr i:r.b, um'c nUc, fiifl iwI^iiiijKi^nt). treu
»".::• .■.':, [.:. ;:•- r..;:: Ter c:^:LV^cn.';:^f\f l;nt ncc^ nie
i';r.\-.'v fvci;,.";p.eci\-^:i. (fr lict i;nr, fcr?noI( fovt^nfo^vcn
u:it :T.ij} in C'id'^orGcit ;^:; biin^^cn. Cc;i[clbcn 9iat
Oiil' J-'ir »^\^It;;cff, tcr v]lc{:;;ful[i.i nici;t Con öcrincjftcn
CÜuiibcn iin clwc ^i-cifprcc^^univ] nicfn" ^^atre. Xicuiclbcn
?u-:t, oiif r.ni(> i-infturiucnb, nlle meine Jreunbc. Sif«)
iibVr I;icl: CC' nicinor nicM rourti^i, bcn 9u*iacn ju
iciucn. o^v^ ('J>-''t ^^^'«^ i-^''C tcr 3<-'''^' int icuivni, otöfcicf)
i:n 2'^'^'^ ^cr 'ocr;:r[:ifun.\ meine fofovtiije 23erf;Hifi
li'.r.ii r4CU"if; r:iU- ur.b iu^ fclbft ein meine Si"»^ilpi'c^()unij
iiicrr m':;}r ;]!aiibU\ io ^vef; »rar tic Cioiilcrun^ qcs
ircfiM!.
gc.irron bat, innnfr ^I'u IMr tcnfcn.
^'2^/^(J?ff,
Ferdinand Lassalle von Stefan ürossmann, Berlin 1919» ö. 67/69.
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'.:•: u\u 'ca^ üicvtcjiuil in meinem Cebcii, t.^il
^:..'cliu; Uiwcn (ic uiib inn-funtctcn meine — grei«
r.; Oiuicft tic greubc mcina gvcunbc fernen fctkif
t;',-M tcr Örafin unb 23ucr;crö, bcr bcinof; ^obolb
[. \^^ : Unb bno Gicficf;! beö DkijlantiJQntrQltsJ, ber quo«
f.::* i.ic riiic v^al^c, bic Clfii] öctamfen! S?r ^H\i[ibcnt
lu-.ii jofjt fcf)!- Iiobcnc>Rnu-bijj auf niicr; 311, ücvfii-^crtc mir
|Vi;io '^\'iriinbcvin;j3 fuv meine otinime, feine !Jci(nal;mc
cafür, boil iin l:ic[c!6e fo fcCu* nnöeftrenc^t, ba er tod)
(lui bell ^(iieu irijfe, bajj icf; ein v<;aliffeibcn (>o6e, unb
Ocl^mpuie je^-i, mre im O'nteieife bevfcIOcn fo oft ouf
iOiu^i^unvj* vje'cvunijon ^u f;abenl
Cü(j o.'^'i'^'^V ^'i' if^ anif(i6 bic crpc gveifprccf^ung, fcic
vor bem et.-(,it':jcncru!<i;*of erfolgt i^
5^u bi\t bic evftc, bei* icl) 9kcr;ricf;t boüon 3c6e, njol;(
fiuci; bic ein^irjc, mit ^uönar;mc ^mcicr ^^i^cn, bic id)
wod) (jcftcvn bei* flcIieOten ?}?iittcr \d)xkh.
Die Anstren,^ung des politischen Kampfes und die Aufreizungen der
Prozesse hatten Lassalle physisch und psychisch erschöpft, Rr "be^ah
I
sich ■''Inde Juli I864 nach Ri^-Kaltbad zur Erholung, wo er üherraschend [
Helene von Dönniges vaedersah- ^^^ -^A J'^A/^u. /(^J Ut /^^Vt^ Ay^C^'C^-^
( ) Lassalle an Sophie von Hatzfeldt
/~Rigi, 27. Juli 1864._7
V()i;;r f'-rn r-i;;/.- i«li \)A\\\ 5.t'lic\in]:cl-..lv.u V.'rtu-; ■ - (Ins hier
iiocli ol;.. ]^■(^<\ Uiiteiljivchiiug 'J\u; Tüi Ta^:; /■■ !:V.cdaucrt lial.;c-i.sl ]i-:U.
ist: CS fiii IjiCclien bcsr-cr - - in meinem Zimmer und schreibe — ich jnuP>
hiev 1< -idcr wieder Tag für Ta^; von morgens bis nachts ununt.crbrochen
schreibcu — als ein Bauernbuisch hercinkönunt und mir sagt, an der
Terrasse hielte cijie Dame, die mich zu sprechen wünsche. Ich war ganz
t
•
/(1846 - 1911), Tochter des Historikers Wilhelm von Dönniges (I814 -
1872), Helene von Dönniges heiratete Herrn von Racowitza, der im
hatte ,
Duell Lassalle tödlich ver^mndet:i^r~"STB schrieb "Meine Beziehungen
zu Lassalle" (11. Aufl. I883 ) und "Von andern und mir, lürinnerun^en
aller Art" (7. Aufl. I918).
Ferdinand Lasaalle, IJaohg^lassene Ü«lBgifl.Mü Briefe und
Schrift enr 4. Bd. S. 368
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vcrolüflt. Wer konnte dies sein? Ich riet — ja icli wußte gar niciiiaiul.
auf (Ion ich raten sollte ! Ich nehme also Hut und Stuck und eile hinunter!
na hält hoch zu Roß luiteiner Ivugläudcrin und einer Amerikanerin und
einvni l-ranzo5en —wer? Helene, der Goldfuchs! Sic hatte von UoltholT
brieflich erfahren, daß ich auf Rigi-Kaltbad bin. und hatte sofort mit
Freundin^K-u eine Rigipartic organisiert, um mich auf Kaltbad ab-
zultolen>"]^Natürlich stürmte ich sofort mit auf den Kulm hinauf, wo wir
alle übernachteten. Unglücklichcrvvcisc ist das Kind der Kngl'ändcrin
(bei Bern lebend) vom Scharlach Rekonvaleszent und die Mutter war
nicht zu bewegen — trotz des fürchterlichsten Unwetters — atich nur
eincivTag länger zu bleiben. Die arme ITclcnc —ich hatte die Engländerin
töten können — , krank und brustleidcnd. mußte im furchtbarsten Nebel
und Regen (und wir alle) am andern Tag früh zehn Uhr wieder hinunter.
In Kaltbad trennten wir uns!
Kiiic Höf]ic]\l:eit ist aber doch der andern vx rt, und so habe ich
ITelc-ncu versprüclk-n, zwischen dem 15. und 25. August jedenfalls in
Genf 7A\ sein. Hs ist auch schoi' arrangiert, wie Sie sie kennen lernen
sollen . Denn a\if ein paar Tage können Sic doch mit mir nach der Stadt,
Genf geilen, wenn wir auch stationär in Vcvey z. B. sind. Helene, der
Teufel, wird schon etwas anzufangen wissen, um uns dahin zu folgen.
(Übrigens darf von dieser ganzen Episode kein Mensch außer Ihnen
ctAvas wissen. Die andern sind auch vereidet.'
Da ich hierein Leben führe, nicht wie ein Hund, sondern wie drei
llunde, so habe ich heut nachträglich an Helene geschviebeu und tele-
graphiert, mit mir (sie ist bei Born, bei der Freundin, der Ivngliinderin)
eine Reise irgendwohin auf eiiu'gc Tage ganz inkognito zu machen. Ich
setze CS vielleicht durch. In diesem I'alle gebe ich meinen ]n'esi;.;en
Aufenthal'i, der nu'ch in diesem Wetter und ohne jede Gesellschaft zu
Tode langweilt, auf, und reise sofort nach Bern zu ihr. Dami würde ich
Ihnen telegraphieren, wohin Sic Ihre Briefe richten sollen. Bis dahin
schreiben Sic nur also innuer hierher.
Aber auch in diesem Falle käme ich inuncr an dem Tag, wo Sie in
Euzern eintreffen, dorthin.
In der Zwischenzeit hängeich mich vielleicht vor Langeweile auf oder
mache ~ schrecklich! — ganz allein eine Gebirgsreise.
Adieu für heut. Es wird schön, gibt zum erstenmal Sonnenuntergang.
Ich muß heraus. '
Ihr
V. Iv.
Schon am nächsten Tag empfing "Lassalle don folfjenden Brief:
* limine kurze zusammenfassende Darstellung des Romans, bei dem
Lassalle sein ]^de fand, "bei H. Oncken, Lassalle, S. 284 ff.
Dort auch Lit er aturang^ab an.
9^
( . ) Helene von Dönni^es an Lassalle
V/a-bern"^/^. Zm\'lj\'^(^^J
Z'^W \S^ firfüa^icu, Vr\^'^ 3-1 ^«-"i«^" fi*'»^ Sr^rc lieben -
p.üjn, ::c i.: i:.i :?:o..;cht ^\\\i\\, ciH icl) fcic Z(^<\\\'
biuuc ubcvlcovi-t, otCi sii (n^cn, hmc loni] unb (cf)ircr
nur tcr ^n'i] ':on X\u(teab nncfi "li^nccjgiiJ ßciuovfccn ip?
?)\nn, eic UMii'cn bcitciJ, J'^^ilfc"/ tnß icf; niicf; fcr;r lUcr
S^r fuvscö Cvii'.ncvn fvciitc, tajj mir bd^ Xpcvj r;6f;cv
ficpfto, oti iti) ^Inc joitc eovßc für tnicT; unb meine
Gciuutrf'cit Io:<; v.nb eic roi(]cn, tag icf; ücva-6r;nt amr
rcn tcni fo [cFo:i -•ivmT ,.Kßtcn liDcß — flcftcvn oOcnbö
"liub r^cutc fnirv [o vovrcL>f«nt, taf; id) micf; unfern in
meine e::;[e.:r:cit fmb. Tü'j i'.:) S^vcni Sun[c^e nic(U
nocrr^;::i::en '.-^üt^, t^j :^u:; ;:AtüvIicI) bnvc^n, baß icfy,
v'v ^=0 u'c'-: "^vamb, fv;(^^, . i'^cKloi ;iMC ein ^unb
Hn. üll'cr tieömal, gfcunb eatan, lüivb 3!)"cn ba«
\'/^, '^^'^p o(}i'c bimcni]'cr)c 'Ji.'i(^c cnb^-' ; tcl'in .vrn'ut
»;üt, tv-.[j t'c r.utiu' lUii i^^rem C'.i/'af c;u\uft, unb ci-.i
^Vi>pfen SCn-o\? [nlani[t^cn ^^!utc? in if-vc ^fbcrn QcxoWt
'\\:, \[: o^rafi iinb Slufi ^uni C-'bcn o'^b.r.b. '-!iU< U') Z'i:
üciiiejj, ir.ib 3U1U Ic^^oi; ^hk Sl}'^ Rippen r/.eiiic $anb •
CevuDvteii, ba facjtc icf; mir, baj], ci;c icf;» ©acßjjiö ücr»
Iß(fc, mein Cnlfcf^Uig furo ßcbcn ö^^f^JJ^ [<^^^ [°^^* ^^
bicn, c'cst fait!
Unb nun iiMffen (Sic Quct) mit fj'C'rcm fcf;5ncn, ^crr*
Ti6cn Öeiftc unb SOrcr fo ^rc^.irlifjcn, mir [o lieben
(I'itclfcit, rjic mein G'ntfcMu|5 loutct: ^cf; ii>ill unb
r: c r b 3 D r ^B ci b f c in ! - Sic faßten mir cjeftern cbonbö :
,Co.j]cn Zk nur ein v>evnitr.ftiyej^, fcll'frur.tri^co 3^^ —
ot jo mc cliargo du rcstc/ Q)ut, mein ^(i ift ta —
chnrjvz voiis ilonc du rcsto; nur macl;c icl) mir ein
^\hu' o^c.ni '^k'inc ^^»"bi;;^Vimnon, et los voiJä. ^d) mill,
benfen 6ic, tai ^inb faßt, ici) iintl — icf; n)iÜ alfo, büg
iuir (\{k'> *ocv[ucKm], roaö in uufevcn v^rv^ftcn fielet, unb
in ST)ren v^vi^ftcn, mein fil^^ner, fatanifc!;cr greunb,
ftcl)t ja fo ur>i3c!;eucr oicl — um auf eine anfivinbi(}c,
'jevnuufiivje Seife ^u unfercm ^k\c tu geinncjen; b. ^.
olfo, Zk Tcmmen 3u un<^, wir i?crfucr;cn bie Gltcrn
cbenfo für Zk ein3uner;n;en alö unb fo i^rc Gin*
itjidißunj] ju befommcnl So nicr;t, finb unb bleiben
fic unerbittlicf;, oucf; mcnn n?ir öIIcö getan r;abcn, tt)ü(5
rüir tun konnten — eh bion alors lant pis! <So bleibt
nocf; immer %i;ptcn. Dieö meine eine iSebingung.
11 •.•;b r;icr bic jiDeitc; ^il) und unb irunfd)c, bag bann
bic jjan^c Cac^c fo rofcf; alö m6}3Iic(^ (^cf)t Tcnn icl)
r.''!!!] ivüpl bcn Oirl'el unb bcn i]lco,a\ 'con '■ ■\tQ h\\h
au^^iultcn, or\nc fci)r iüjiif ^u lucvtcn — dccx v.cd)jokk
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Ferdinand Lassalle von Stefan Groöamann. S# 232/34.
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ivic \.^ \u)^\\ iini tiol'cr unfrcr C'.k^c u-^cßcn tnrcl;»
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if'vo ":.\\-inu:-..; [v^^t über eine ^InödcßciiOcit, tic (ic
iiicM^ oi^]icI:t, uub »lief) (ncrturcf; cinci: Si^^cnßc "Svenen
oiiefc!;:, tic cbcnfcgut ocnnici'cn inerten Finnen. Cin«
null tic CuCi^o :n iinfcrcr ^nfnetcnficit bccntet, n:6gcii
(ic tvv.m i!;>vc ???.';!:[cr unb ^'Iii^cn onfrciOcn, fo grcg [ic
ivellcn, tc.ww Piibc iff^ 6ic, 3<^'^i"^"^/ ^^^ ©cr;ug unb
Cli'iljc — Ol je no rnc nioquo pns mal du rcsto dn
jno::fi>«.*— ;u'i^ ^-'cif?/ t^^f; tic.<)ini:crni[[c, tic »viv ju über*
f:.:i;::-. ; .u^en, [cf^r, j;: vtc[c!uvef; [int, ober ti^fnr Tnibcn
iviv .•.;;•[; ein ßvcfc;- r'icf, i::it vcic einen vicfcngrcjjcn
C".;*, -er !v.it Gc-ucj .^Vilfc lic gcl[cn ju Scinb unb
(5tou^ t,rrn:fllnicn \rirt — ' [o tof? [ctb(l mein [cf)n3flcr;cr
yU^'-t.Yii,:i irc;.)::.bK-.[«-''i i'er:nco. ?."'iir MciOt üon allem
to.j fiviroiile CtiVi — i:!; rxs:^ mit fairer i])anb ein
treue j S'^v:\ ;. ";.-.c ciri '•"•/', fcaö nur mit lUiiOrev 2icbc er^
{leben if:, i6rcn, icf\ nur^ n-.it fi>i[[cni Cßciönuiö einen
(cfor.cn 5:ij]cuiriCi:ni •oernicMen, bcr öcnvirFIicf;!, bad
Ö'.ncf, te.ä 2cben^>]Jua einc(5 ctfen 5i}icn(cf;cn machen'
(ollrc. — CJ'aiibcn Cic nnr, t^iö ivivt fliir furcf;tbQr [c^iDcr,
ober i6 UM'il je^^r, ;:nt fo irill icf) fccnn um S^^rctiuillcn
<i\x6) (cMc-ft ivertcn. ^ " ' ' r. <>,
IlGlenes Brief erreichte Lacsalle während der Niederschrift eines
, Briox^'ca an die Gräfin.
( ) Lassalle an Sophie von Hatzfeldt
Rigi, 26. Juli /18647'.'
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Ach, köm.tc ich n.ich zurückziehen ! - So weit hatte ich geschrieben "
als ,ch en,cn Br,cf von Helene erhalte, einen höchst ernstl'flvn Ihtn
Die vSacho wird ernst, selir ernst, iwul dns große Ocwiclil d. M :cii-ni.-
fällt mir wieder etwas auf die J^ru.-'t ! Jnzwischcn — ein;:]..! kann' i^'
nicht mein- zurück, und dann wÜCi. icl. auch walirluiftiv: nicht. wäruV'
ich zurück sollte ! ICs ist ein scliones WVih, und ihrer IndinVir.alität ii'ach
das einzige Weib, das sich für mich paßt und eignet! Das einzi^o, ilas
Sicsell.st für geeignet fmden würden. Also en avant, über den Rubikon'
JCr führt zum Glücke! Auch für Sie. gute Gräfin, mindestens ebenso wiJ
für nu'ch!
Bei alledem ist es in dieser ohnehin so komplizierten I.aj'.e eine
inunensc Komplikation mehr! Bin wahrhaftig wieder neugierig, wie
ich dies alles zu gutem Ende führen werde, gerade so wie ich, als ich
Ihre Prozesse führte, oft diese ganz unpersönliche, objektive Neugier
, hatte — als läse ich^einen Roman — wie ich wohl mich und Sic aus
dieser Lage noch retten würde! '
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Ferdinand Las sali e, H'aohgölasßene Briefe und Schriften, 4.M.
S. 369ff. ,'
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Nun. die alte Kraft ist noch da, das alte Glück- auch noch, ich werde
. alles 7.11111 ^Glänzendsten Ziele führen. Aber daß ich v^ic nicht bei mir
habe, um mit Ihnen zu si)rechen und zu raten in dieser complication
grave. das. muß ich gestehen, stört mich sehr! — Nun. brauchen Sie
ganz ruhig Ihre Kur aus.
Das nächste ist. daß ich wahrscheinlich schon morgen früh nach
Bern resp. Wabern abreise, wo Helene auf der Villa ihrer Freundin ist.
Sie erhalten in diesem Falle noch telcgraphischc Depesche von mir,
Ihre Briefe poste restante nach Bern zu adressieren.^ Sollte ich vSic
absolut nötig haben, nun ja, dann rechne ich auf Ihre I-reundschaft und
telegraphiere Ihnen, daß Sie nach Genf kommen. Aber ich denke, dies
jedenfalls bis 15. August verschieben zu können !
Nun adieu, altes Herz ! Die Brandung faßt mich ! Ist inir's zum Heil ?
Reißt's mich nach oben? wie den Schillerschen Taucher? faut voir!
Ihr
treuer
• . IM..
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Absolutes Stillschweigen über alles hier Gesagte gegen jedermann
; ganz notwendig.
Der V/idorstand von Helenes Familie gegen die von Lassalle angestreifte
VerbindunT erväes' sich als unüberwindlich. Die von Helene vor{?eschla;?:ene
f^emGinsame Flucht lehnte Lassalle ab, da er immer noch glaubte, Herrn
von Dönni-;:es gevännen oder die Heirat erzwingen zu können. Unter den
Gründen für die Zurückweisung der Person Lassalles spielte neben der
Kassettenaffaire der Gräfin Hatzfeldt \ind seinem politischen Ruf die
jüdische Abstammung durchaus eine Rolle, Lassalle erklärte sich
schliesslich bereit, sich taufen zu lassen, da er an die- bis zum Verrat
an ihm gehende V/illenssch\7äche des Llädchens nicht glauben v/oll te,
( ) Lassalle an Helene von Dönniges
München, I9. August jl864J
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§ckncl
5)?ciiic imK-fcf^vciMii^cn Quoten fcf;ifbcrc id) 'S^ii: ein
Qntcrnvnf. .^"^icr nur foiM'cI:
1. ?:icn ;;.u Siif; c^cu\u\(()t, 2>u bijH nioiorenn. ^T\d)t
r.ur nocf^ öcr.fcr Q)C\ci^, aud) nad) tni;cviftr;cm mit eins
jint^ronn^u) S^il^rcn. Oiacr; ©cnfcr G)cfc§ fannjl 2>u
jcbcu ^f;:j]cnHiu tot? S^cint> ^cineö -Bntcvö üevlnffcn,
cißüc xi'cruuit^i r.crMiu-ii (S^iAd ufro.), 'cic tvci rnl'vs
rcspcclncux i/acPcn u;".b nau) tvci ?.^ionotcn t'Cn 'ic-.n
c:f::n iv.i r..iu; [?ciiMtcn. Su'iftoiiv ^IiuGcrnn, tic Öciijv;
^cl;crfcciv fcic cKc tcnncfpric^tigt [iub, rocrfccn Xid)
u\'ru-fi.^ Mofcv tvci 5}ionntc fcl^'uf^^^n. ÜSvicjciiö ß(t:{ et?
einen lliryr.cu ^I^^CQ. %\ tcmfclbon ^ci^c, roo 2)u ':«vo
v<;>niö ^oi:ic<? ?3otcrö üerlaj'jejl, hxiwQt X>[d) SRufloip (icI^Kr
md} S'tniicu, mid) r;{ntetc(]VüpI}ierenb. ^w fünf Zechen
finb roiv buvcf; tcn crpen tcflen ^vicflcr bort fat^olifc^
getauft unb (jetrout.
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Ferdinand Lassalle von Stefan Grossmann, S, 245.
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In^'.vd.schen erreicht o ihn die end,^iltii_n;e Absaf^e Helene von Dönniges.
) Helene von Dönni^es an Lassalle
|Genf, August 10641
/ •C'\i^\\ 1;!) 'u\\{\) '::\\ ;, .j'^i'i .'^ t-:cn im'' lü t;c[;^cr
■ '• .0 i:! er tlc VHMi '.r.ir •.üitciTO-r.-.üciicn <.\.)\'\\W vM^xt
:vir r/>ci:K*ni ijcrti^hcn 2}vi'ul:r,w!n S'^cvtw %y\\\^ ':x\\
l-.:CL'ii>i!jn finjl^cforirit iinbtcj[c;; ."Cicbc iii;^ 'T-or3cir'un5
'.v;'ttrvTc;r>pnncn Kil^c, nacf^tcin icf^ tnt>oii .■:::(:) %\yi^\\\
r,.. ; kW r.iK% Oc\?cr irh i:c[fcn nb)!io^ncntcn S3vi'cf crr;{clt —
cii.uvc vS) oOncn frciivÜIijj iinb niiö s^oIIc^ Ubcrjcucjur.g,
L>:; vc;i einer ^cvl^ii-.tuncj 3ii>ififcn unsJ nie tic Stete
f;i:. f.r..;:, tag icf; \v'\C.) von ljljr.cn in Jctcr 53e3ic(nin3
I' v.;.: ;:;.^ fcf: e:U['.i)lo[feri Hii, meinem ocrlobten
•i' ■ \'r..vw .:ivi;^c ^U\t un^ ^rcnc 311 jri^nicn.
Si<.V\\i ücn 25ücnniijcö
Zutiefst vervAindet und in seinem Stolz gekrähkt provoziert Lassalle
- ein grundsätzlicher Gegner des Zv;eikampfs - durch seinen Brief an Herrn
von Dönniges das für ihn verhängnisvolle Duell.
( ) Lassalle an Wilhelm von Dönniges
Genf, 26. August /lö64y
Dlnd)bcni icf; fcuvd) fcen 23cvicr;t bcö Dbcvft Siuilom
\\\^\.^ tcö Dr. ipacnle v^cnionuncii r;ütc,fcQJ53r;rc2:ocl)tcr
^clcnc eine ücvroorfcnc Sirnc ijl unb cö folgcrjeifc
ntci^t Ii^n^cr meine 2lb(icf)t fein fann, micr; turcT; eine
.^\ii\n nijt l(^r 511 cnfcr;vcn, ^hi6c icf; feinen ©runb me^r,
Uo goi-bciun^ bcr eatii-fiiftion für fcic v^crfrf;iebcncn
ii-.i: iHMi ^yr.ci: v.ntcrfiiOrcncn X\'L>ni;ien ur.b 23crcibi»'
CünL^cn !5np,cr 311 i^cvl(;)ic[>cu unb fpv^c.c eio bof^cr
<iiif, nn't bcn beiden greunbcn, bic ':^:)v.va '^\v,<: er*
■;.u;inj u^cr^v?n^c^, bie cvfovbor(!cl)cn a3cr.ibtebiin3cu
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a.a.O. S. 250.
a.a.O. S. 253.
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Wilhelm Rüotow, dor mit dorn Grafen Bothlen alc LaGsallcü Sekundant
fun.^ierte, untornahra noch verzweifelte Versuche, den Konflikt ,^tlich
bGizule{:en. Sie blieben orA'obnislos. An Stelle des Horrn von Dönni^es,
der Genf verliess, stellte sich der junge Janlco von Kpov/itza zum Kampf.
Das Pistolenduell fand am frühen üiorgen dos 28. August in Carouge,
einer Vorstadt von Genf, statt. Racovd.tza feuerte als erster. Dor
tödlich getroffene Lassalle antwortete